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Bürgerfreiheit und Verbrecherfreiheit: der Staat zwischen Leviathan und Nachtwächter
Der Beitrag erörtert die Beschneidung der bürgerlichen Individualrechte durch den deutschen Staat im Kontext der aktuellen Verbrechensbekämpfung. Mit den neu aufgekommenen Paradigmen von organisierter Kriminalität und Terrorismus in den letzten 15 Jahren sind rechtspolitische Entwicklungen zu verzeichnen, die Deutschland in die Richtung des Hobbes'schen Leviathans führen. Der Vorrang von Prävention und Bekämpfung von Verbrechen ist so dramatisch geworden, dass es schwer fällt, noch von einem Gleichgewicht zwischen Erhaltung des Individualrechtsschutzes und Gewährung einer effizienten Verbrechenskontrolle zu sprechen. Vor diesem Hintergrund wird der Frage nachgegangen, ob eine Situation eingetreten ist, die eine Abwendung vom Individualrechtsschutz zugunsten einer wirksameren Verbrechenskontrolle rechtfertigt oder gar erforderlich macht und damit einen Paradigmawechsel bei der Abwägung von individuellen und allgemeinen Interessen bewirkt hat. Zu diesem Zweck werden zunächst Herkommen und Bedeutung des Menschenrechtsschutzes skizziert. Daran knüpft eine Darstellung der gesetzlichen Praxis des Menschenrechtsschutzes angesichts besonderer Kriminalitätslagen (z.B. Bekämpfung der RAF) seit 1964 an. Im Anschluss folgt eine Erörterung des Handlungsspielraumes seitens des Rechtsstaates bei der modernen Verbrechensbekämpfung im Bereich der sogenannten organisierten Kriminalität und beim Terrorismus. Hier stehen drei Fragen im Mittelpunkt des Interesses: (1) Gibt es absolute staatliche Eingriffsgrenzen, die unabhängig von der Stärke der Bedrohung durch Kriminalität bestehen, oder bewirkt die konkrete Kriminalitätsbedrohung eine kontinuierliche und letztlich unbegrenzte Rechtfertigung für Grundrechtseinschränkungen? (2) Wie sehen die Begründungserfordernisse im Rahmen der möglichen Individualrechtseinschränkungen aus? (3) Ist eine Situation eingetreten, die eine neue Bewertungsperspektive bei der Abwägung von Individualrechtsschutz und Verbrechenskontrolle erforderlich macht? Nach Ansicht des Autors sind die Menschenrechte und ihre Respektierung für die Existenz des Rechtsstaats ebenso wichtig wie die Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip. Sie sind ultimatives Leitprinzip wie Korrektiv für Gesetzgebung und Justiz und damit konstituierendes Element des Rechtsstaats. Jeder einschränkende Umgang mit Menschenrechten gefährdet zugleich die Qualität des Rechtsstaats und sollte daher mit größter Umsicht angegangen werden. Der aktuelle Zeitgeist lässt eine solche Umsicht im Bereich der Bekämpfung und Vorsorge von Kriminalität jedoch vermissen