19 research outputs found

    Reetablierung des Faches Theaterwissenschaft im postnazistischen Ă–sterreich

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    Das Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien wurde 1943 als „Zentralinstitut für Theaterwissenschaft“ auf Wirken von Heinz Kindermann gegründet. Eine intensive Auseinandersetzung mit dieser nationalsozialistischen Gründung findet erst seit einiger Zeit statt. Mit dieser Arbeit werden die bisherigen Untersuchungen ergänzt um eine Darstellung der Entwicklung des Instituts ab 1945. Im Mittelpunkt der Analyse steht dabei die Reetablierung von Heinz Kindermann 1954 als Institutsvorstand. Damit verbunden ist das Aufzeigen eines Weiterwirkens von Überlegungen und Vorstellungen Kindermanns aus dem Nationalsozialismus. Dieses Weiterwirken findet Ausdruck sowohl in Kindermanns wieder aufgenommener Tätigkeit am Institut und seinen Publikationen als auch in der Lehre, der Forschung und der programmatischen Setzung des Instituts. Auch bei Margret Dietrich, die 1943 an der Gründung des „Zentralinstituts“ beteiligt war und 1966 Kindermann als Institutsvorständin folgte, kann das Fortwirken nationalsozialistisch geprägter Einstellungen festgestellt werden. Dargestellt werden Bedingungen, Verfahren und Transformationen der Übernahme des von Kindermann im Nationalsozialismus entwickelten Programms für die Wiener Theaterwissenschaft ins postnazistische Österreich. Für die Analyse werden Dokumente und Publikationen ab 1945 herangezogen, mit denen eine „Wiener Schule der Theaterwissenschaft“ begründet wurde. Aufgezeigt werden institutionelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen im postnazistischen Österreich, die die Reetablierung Kindermanns und eines nationalsozialistisch beeinflussten Programms für die Wiener Theaterwissenschaft ermöglichten. Es lässt sich feststellen, dass nach der Etablierung im Nationalsozialismus und der Reetablierung in der Zweiten Republik eine Konsolidierungs- und Standardisierungsphase des von Kindermann gemeinsam mit Dietrich entwickelten Programms der Wiener Theaterwissenschaft folgte. Die Auswirkungen auf methodische und inhaltliche Festlegungen sind ebenso Thema, so z. B. wurde Publikumsforschung als ein zentrales Untersuchungsfeld des Faches eingefordert und zur Anwendung gebracht, womit aber die Vorstellung einer „Publikumsgemeinschaft“ immanent verknüpft war, die der nationalsozialistischen Auffassung einer „Volksgemeinschaft“ entsprach. Festzustellen ist eine massive Beeinflussung der programmatischen Rahmensetzungen der Wiener Theaterwissenschaft durch Kindermann und Dietrich, die bis in die 80er-Jahre das Bild über das Institut prägten und die wissenschaftliche Praxis bestimmten

    Openness in research projects: PARTHENOS Standardization Survival Kit (SSK)

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    Die Umsetzung von Open Access und Open Data ist für Horizon 2020 Projekte, die von der Europäischen Kommission gefördert werden, obligat. Überlegungen zu Open Policies und Openness in den Wissenschaften stehen im Mittelpunkt dieses Berichtes, der auf Erfahrungen mit der Erstellung des Standardization Survival Kit (SSK) beruht. Das SSK wurde als ein Tool im Rahmen des Horizon 2020 geförderten Projektes PARTHENOS entwickelt. Daher wird zunächst die Data-Harvesting Plattform von PARTHENOS vorgestellt, um daran die Bedeutung von Openness und Standards zu erläutern. Nach einem Exkurs zu den FAIR Data Prinzipien wird das SSK-Tool beschrieben und wie dieses zu Openness beiträgt. Plädiert wird für eine Dokumentation von Open Workflows und Open Research Methods, wie es mittels dem SSK möglich ist.The implementation of Open Access and Open Data is mandatory for Horizon 2020 projects, funded by the European Commission. This report focuses on considerations of Open Policies and Openness in the sciences and humanities, based on experiences gained by creating the Standardization Survival Kit (SSK). The SSK was developed as a tool within the Horizon 2020 funded PARTHENOS project. Therefore, the data harvesting platform of PARTHENOS will be presented first to show the importance of Openness and the application of standards. After a brief discussion on the FAIR data principles, the SSK tool is described and how it contributes to Openness. The SSK can be used for the documentation of Open Workflows and Open Research Methods

    How to work together successfully with e-Humanities and e-Heritage Research Infrastructures (PARTHENOS Webinar)

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    3rd cycleThis webinar is dedicated to the phase of the research life cycle “Plan Research Project”. It first introduces the participants to an understanding of the advantages and practicalities of research collaboration in and with Research infrastructures. It then dives into details of project planning, touches upon the basics of the FAIR principles, and will focus especially on the importance of using standards in Digital Humanities and Cultural Heritage research and how to identify relevant standards for the participants’ own research. This webinar will give an introduction to the Standards Survival Kit that is developed within PARTHENOS. It will also cross-link to other materials developed within PARTHENOS and by the PARTHENOS Cluster Partners

    Information Organization and Access in Digital Humanities: TaDiRAH Revised, Formalized and FAIR

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    Classifying and categorizing the activities that comprise the digital humanities (DH) has been a longstanding area of interest for many practitioners in this field, fueled by ongoing attempts to define the field both within the academic and public sphere. Several European initiatives are currently shaping advanced research infrastructures that would benefit from an implementation of a suiting taxonomy. Therefore, new humanities and information science collaborations have been formed to provide a service that meets their needs. This working paper presents the transformation of the Taxonomy of Digital Research Activities in the Humanities (TaDiRAH) in order to make it machine-readable and become a formalized taxonomy. This includes the methodology and realization containing a complete revision of the original version, decisions in modelling, the implementation as well as organization of ongoing and future tasks. TaDiRAH addresses a wide range of humanities disciplines and integrates application areas from philologies as well as epigraphy, and musicology to name just a few. For this reason, the decision in favor of SKOS was made purely pragmatically in terms of technology, concept and domains. New language versions can now be easily integrated and low-threshold term extensions can be carried out via Wikidata. The new TaDiRAH not only represents a knowledge organization system ( KOS ) which has recently been released as version 2.0. According to the FAIR principles this new version improves the Findability, Accessibility, Interoperability, and Reuse of research data and digital assets in the digital humanities

    Jörg von Brincken/Andreas Englhart, Einführung in die moderne Theaterwissenschaft.: Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008. (Einführungen Germanistik). ISBN 978-3-534-19099-7. 158 S. Preis: € 14,90.

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    Das Angebot an Einführungen in das Fach Theaterwissenschaft ist im Vergleich zu manch anderen Geistes- und Kulturwissenschaften recht überschaubar. Der Einführung in die Theaterwissenschaft von Christopher Balme in der inzwischen 4. durchgesehenen Auflage (2008) ist in den letzten Jahren lediglich Andreas Kottes Theaterwissenschaft. Eine Einführung (2005) zur Seite gestellt worden. Insofern bemühen sich Brincken und Englhart mit ihrer Einführung in die moderne Theaterwissenschaft eine Lücke zu schließen, wenngleich sie recht beeindruckend aufzeigen, an welchen Schwierigkeiten ein solches Projekt zu scheitern vermag. Die beiden Autoren, ihrerseits wissenschaftliche Mitarbeiter am Münchner Institut für Theaterwissenschaft, haben ihr Buch in sechs Kapitel aufgeteilt und spannen den Bogen ihrer Darstellung von den "Grundlagen" und einem "Forschungsbericht" über Ausführungen zu "Theaterästhetik und -theorie" sowie "Historischen Formationen" bis zur "Analyse der Aufführung", um mit vier praktischen Beispielen abzuschließen. Neben einem Personen- und einem Sachregister findet sich eine kommentierte Bibliografie, deren Aufbau aber nicht überzeugen kann. Denn die Literatur wurde in drei nicht zweifelsfrei nachvollziehbare Kategorien ("Einführungen und Übersichtswerke", "Literatur zur Inszenierungs- und Aufführungsanalyse" und "Weitere Literatur") aufgeteilt, wodurch sich die entsprechende Zuordnung der im Text angegebenen Kurzbelege mühsam gestaltet. Irreführend erweist sich zudem der Titel des Buches, der vielleicht auch der Verlagspolitik geschuldet ist. Denn die Autoren gehen von einer an keiner Stelle aufgeklärten Vorstellung einer 'modernen Theaterwissenschaft' aus. Wer nun meint, daraus folgt unter Einbeziehung neuester theaterwissenschaftlicher Literatur ein Aufzeigen des Entwicklungspotentials des Faches in den letzten Jahren, wird eine Enttäuschung erleben. Zwar wird ein Forschungsüberblick angeboten, der in Ansätzen eine solche Erwartungshaltung befriedigen kann, aber es fehlt ein über die bloße Aufzählung neuerer methodischer und theoretischer Zugänge hinausweisender, ernst zu nehmender Diskurs mit der im Rückschluss aus dem Titel zu extrahierenden 'nicht mehr modernen' Theaterwissenschaft. So wird von den beiden Autoren Balmes Einführung in die Theaterwissenschaft immer wieder affirmativ zu Belegzwecken herangezogen, während Kottes Theaterwissenschaft. Eine Einführung nicht einmal in das Literaturverzeichnis Aufnahme gefunden hat. Das Kapitel zu "Theaterästhetik und -theorie" wiederum bietet lediglich einen schlaglichtartigen Teilüberblick, ohne auf darin verwendete Begriffe wie etwa 'Mimesis' einer Einführung gemäß ausführlicher einzugehen. Die Autoren behandeln hierbei zunächst "Einfühlung und Distanz: Schauspieltheorien von Diderot bis heute", setzen sich danach mit "Theaterraum und Szenografie" auseinander, um schließlich der "Theatralen Wirkungsästhetik" viel Aufmerksamkeit zu widmen, wobei auch aktuelle Debatten zu Liminalität, Liveness, Intensität, Präsenz, Atmosphäre und Performativität dargestellt werden. Da zur Erläuterung dieser Debatten aber zumeist in affirmativer Weise Kurzzusammenfassungen von Primärliteratur präsentiert werden, finden differierende Positionen oder kontrastierende Zugänge keinen ausreichenden Platz für eine kritische Auseinandersetzung. Ob der im Titel geführte Terminus 'moderne Theaterwissenschaft' diesem Zugang gerecht wird, ist anzuzweifeln. Als Zielpublikum ihrer Einführung stellen sich die Autoren einen "vorwiegend literaturwissenschaftlich orientierten" (S. 7) Leserkreis vor, was wohl auch damit zusammenhängt, dass das Buch in der Verlagsreihe "Einführungen Germanistik“ veröffentlicht wurde. So mag es in diesem Zusammenhang zwar verwundern, dass in keinster Weise auf Dramentheorie eingegangen wird, der stattdessen gewählte Ansatz "die von der Literaturwissenschaft nur peripher berücksichtigten Wechselwirkungen zwischen dem dramatischen Text, den Eigengesetzlichkeiten der Theaterästhetik und den institutionellen Bedingungen der Theaterkultur" (S. 7) zu thematisieren, hat allerdings durchaus seine Berechtigung. Insofern kann als eine durchgängige Linie in den verschiedenen Darstellungen das Bemühen der Autoren hervorgehoben werden, immer wieder das Verhältnis zwischen literarischem Text und theatraler Umsetzung aufzugreifen und zur Diskussion zu stellen. Als Konsequenz ihres Zugangs setzten die Autoren Inszenierungs- und Aufführungsanalyse ins Zentrum ihrer Einführung, wobei - wie es sich bereits in den Themen des Kapitels zu "Theaterästhetik und -theorie" andeutet - vielerorts auf phänomenologisch geprägte Methoden zurückgegriffen wird. Damit verbunden ist eine an mehreren Stellen geäußerte, aber nicht nachzuvollziehende Abwehrhaltung gegenüber postmodernen Zugängen und Analysemethoden. So wird beispielsweise zu aktueller deutschsprachiger Dramatik apodiktisch festgehalten, dass diese "im Sinne einer Post-Postmoderne und in Abgrenzung zu den 68ern, ein[en] neue[n] Realismus" (S. 106) fordere. Als offensichtlich ernst gemeinte Begründung für diese Hinwendung zum Realismus wird von den Autoren angegeben, dass die "Kinder der 68er-Generation" eine "Sehnsucht [...] nach Stabilität in der Bewegung, nach Identität in der Dezentrierung, nach Verantwortung, Verlässlichkeit, Treue und Ethik" hätten, wobei "[i]nstinktiv erkannt [wird], dass das, was die etablierten Älteren als Reaktion diffamieren, auch die Subversion einer permanenten Bewegung sein kann, welche zuweilen ein Merkmal für Totalitarismus ist" (S. 105). Da ansonsten auf gesellschaftspolitische Aspekte hinsichtlich Publikum, Rezeption und Darstellung großteils verzichtet wird, irritiert diese in ihrer Verallgemeinerung absurde Analyse einigermaßen, soll hier aber auch den Tonfall wiedergeben, mit dem an einigen Stellen dieser Einführung operiert wird. Überraschend ist diese Formulierung auch deswegen, weil die Autoren zwar zu Beginn ihrer Einführung im Kapitel "Grundlagen" auf unnötige Weise den Werktreue-Begriff behandeln, es ihnen aber im darauf folgenden Kapitel "Forschungsbericht" gelingt, einiges gut zu machen und mit einer Darstellung über "Neuere Forschungsfelder im Überblick" eine erwartungsvolle Haltung zu generieren. Dabei werden über zehn Seiten unterschiedlichste Forschungszugänge referiert, womit einige wertvolle Lektüreempfehlungen, besonders auch aus dem Feld der später verschmähten 'Postmoderne', verbunden sind. Aber bereits hier regt sich an einigen Stellen Zweifel hinsichtlich der Verständnisbereitschaft der Autoren gegenüber den dargelegten neueren Forschungsfeldern, so wenn zu den Queer Studies vermerkt wird, dass deren Untersuchungsgebiet "die Praktiken innerhalb des nicht-heterosexuellen Bereichs" seien, weswegen sich die Queer Studies "folglich nicht unmittelbar mit der Sexualität auseinandersetzen" (S. 30) müssten. Diese unüberlegte Behauptung ist einfach nur falsch und die weiteren Kapitel zeigen leider, dass es wenig Interesse gibt, sich auf die vorgestellten neueren Forschungsfelder einzulassen. Dies betrifft auch die ebenfalls im Kapitel "Forschungsbericht" enthaltene Abhandlung über die "Theaterwissenschaft von ihren Anfängen bis heute". Zwar wird hier im Vergleich zu fachgeschichtlichen Darstellungen in anderen Einführungsbüchern der enge Zusammenhang der Institutionalisierung des Faches mit dem Nationalsozialismus reflektierter ausgebreitet, so wenn darauf verwiesen wird, dass sich die Theaterwissenschaft "als methodisch anschlussfähig an die Ideologie des Nationalsozialismus" (S. 20) erwiesen hat, was auch kurz anhand von Arbeiten Heinz Kindermanns und Carl Niessens angedeutet wird. Von dieser Reflexion ist aber im später folgenden Kapitel über "Historische Formationen" in der Darstellung des "Politischen Theaters im 20. Jahrhundert" nur noch bedingt etwas zu spüren, da dort nur in einem kurzen Absatz das nationalsozialistische Theater thematisiert wird, noch dazu mit der einzigen Feststellung, dass das "faschistische Regime [...] wie das stalinistische den publikumsnäheren und erfolgreicheren Realismus auf der Bühne" (S. 96) bevorzugte. Anstatt zumindest in der Folge auf Kontinuitäten einzugehen, wird zunächst über das "deutsche Theater in der Nachkriegszeit" lamentiert, das "in seiner Innovationskraft eher gelähmt" erschien, um danach befriedigt festzustellen, dass dieses Theater "Anfang der 60er Jahre [...] wieder Weltgeltung zu erlangen" (S. 96) begann. Das Kapitel über "Historische Formationen" ist im Gesamten als gescheiterte Zusammenfassung zu betrachten. Nahegelegt wird eine lineare Deutung der Entwicklung von Theater, wobei die verschiedenen Entwicklungsetappen als abgeschlossen und widerspruchsfrei dargestellt werden. Der im Teilkapitel zu den "neueren Forschungsfeldern" vorgetragenen Forderung nach einer Hinterfragung des "bis dato herrschende[n] eurozentrische[n], männlichkeits- und mehrheitsdominierte[n] Blick[s] auf kulturelle Phänomene und Artefakte" (S. 26) wird de facto eine Absage erteilt, wenn in der Folge nur eine Geschichte des europäischen Theaters und hierbei hauptsächlich des deutschen Theaters erzählt wird. Theatrale Formen abseits der mehrheitsdominierten Theatergeschichtsdarstellungen werden, wenn überhaupt, nur in Nebensätzen erwähnt. Verwendbarer gestalten sich die beiden letzten Kapitel zur Inszenierungs- und Aufführungsanalyse, wenngleich auf Fragen nach gesellschaftlichen Wechselwirkungen theatraler Formen grosso modo verzichtet wird. Stattdessen stehen phänomenologische Aspekte im Mittelpunkt, die in den angeschlossenen praktischen Beispielen großteils nachvollziehbar umgesetzt werden. Analysiert werden dabei Inszenierungen von Thalheimer, Wilson und Castorf und eine Aktion von Schlingensief. Die Einführung in die moderne Theaterwissenschaft kann in der derzeitigen Form als Lehrbuch nicht empfohlen werden, da durchgehend eine Tendenz zur vermeintlichen Abgeschlossenheit und zur apodiktisch vorgetragenen Eindeutigkeit festzustellen ist. Einer (selbst-)kritischen Auseinandersetzung wird nur bedingt Platz gelassen. Unklar bleibt zudem, welches Publikum die Autoren tatsächlich ansprechen möchten. So differieren die einzelnen Teilkapitel sprachlich ungemein. Die Palette reicht dabei von ungenau reflektierten Beobachtungen bis zu dichten, mit einem Übermaß an Bedeutung aufgeladenen Passagen. Nicht nur hier zeigen sich Inkohärenzen, auch beim Zusammenwirken zwischen den verschiedenen Kapiteln und Teilkapiteln fehlt die Abstimmung, was der Lesbarkeit des Buches enorm schadet. Dazu kommt, dass die Autoren ihre Verwendung des Begriffs 'Theater' nicht erläutern, wodurch vielleicht einige der Einschränkungen bzw. eingeschlagenen Wege besser nachvollziehbar geworden wären. Es ist zu hoffen, dass bei einer zweiten Auflage eine umfangreiche Überarbeitung das Projekt noch zu retten vermag

    Ulf Otto: Internetauftritte. Eine Theatergeschichte der neuen Medien.: Bielefeld: transcript 2013. ISBN 978-3-8376-2013-9. 324 S. Preis: € 29,80.

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    Unbestreitbar ist wohl, dass die Nutzung des Internets das auffälligste Phänomen der durch die Digitalisierung angestoßenen bzw. sie begleitenden gesellschaftlichen Veränderungen ist. Längst mehr als eine technische Spielerei, interagieren weite Teile der Welt in sozialen Netzen und es äußert sich ein vielstimmiger Chor, dessen Äußerungen manche Dys- und Utopien hervorrufen. Dass ein solches Szenario die Notwendigkeit wissenschaftlicher Auseinandersetzung nach sich zieht, sollte einleuchten. Trotzdem gibt es eine zu beobachtende Zurückhaltung in vielen universitären Fächern, wenn es gilt, einen angemessenen Umgang mit den durch das Internet induzierten Veränderungen ihrer Untersuchungsgegenstände zu finden. Zwar versteht sich die deutschsprachige Theaterwissenschaft in Teilen als eine mit Medienwissenschaft assoziierte Fachkonstellation, doch sind bis dato bemerkenswert wenige monographische Auseinandersetzungen mit Formen des 'Theatralen' im Medium Internet erschienen. Eine Verbesserung dieses Zustands verspricht nicht nur die vorliegende Untersuchung von Ulf Otto, sondern z. B. auch die im Mai 2013 veranstaltete Konferenz "Theater und Netz" von nachtkritik.de. In den USA ist diese Diskussion viel weiter fortgeschritten (z. B. Steve Dixon/Barry Smith: Digital Performance. A History of New Media in Theater, Dance, Performance Art, and Installation, 2007. Vgl. auch das umfangreiche Literaturverzeichnis bei Ulf Otto). Zudem durchweht die deutschsprachige Theaterwissenschaft oft eine übertriebene Skepsis gegenüber virtuellen Räumen. Dies ist nicht nur einer abwartenden, sondern zumeist einer ablehnenden Haltung geschuldet. Ein Umstand, den Ulf Otto in seiner 2011 approbierten Dissertation, die nun als Publikation erschienen ist, zum Thema macht. In seiner Untersuchung versucht der Autor einerseits Internetauftritte, die er in einer Verwandtschaft zu Auftritten im Theater begreift, als Untersuchungsgebiet für die Theaterwissenschaft zu etablieren, andererseits möchte er mit den methodischen Mitteln des Faches eine "Theatergeschichte der neuen Medien" schreiben. Diese umfassende Aufgabe gelingt nur zum Teil, trotz einiger von Otto herausgearbeiteter, wichtiger Beobachtungen und Schlussfolgerungen. Als besonders gelungen sind Ottos Erkenntnisse hinsichtlich des Verhältnisses von Theaterwissenschaft und Internet hervorzuheben, die er im Verlauf des Buches darlegt. Der theaterwissenschaftliche Diskurs enthält dazu einige Fallen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn die Frage nach realen und virtuellen Körpern aufgeworfen wird. Denn die kommunikative Situation im virtuellen Raum Internet steht diametral der weitverbreiteten Auffassung gegenüber, die das Untersuchungsfeld Theater als Ort der 'leiblichen Ko-Präsenz' markiert, an dem sich die physisch-realen Körper von Akteur_innen und Publikum treffen. Im ersten Drittel der Arbeit ist es das Anliegen Ottos aufzuzeigen, dass dem nicht so sein muss (Kapitel 1: "Auftritte. Ostentative Differenzierungen" und Kapitel 2: "Antimedium. Grenzsetzungen der Theaterwissenschaft"). Mit Rückgriff auf die Gründungsgeschichte des Faches im deutschsprachigen Raum – wobei er sich hauptsächlich auf Max Herrmann bezieht – zeigt er die Eingrenzung des Feldes Theater durch die Konstruktion und Anwendung des Analysebegriffs 'Aufführung' auf. Damit werde zwar die Abgrenzung zum Drama und in weiterer Folge die disziplinäre Trennung von der Literaturwissenschaft ermöglicht; zugleich würden damit aber bestimmte theatrale Situationen bevorzugt, was sich angesichts der Entwicklung der letzten Jahrzehnte als kontraproduktiv erweise. Mit der vorrangigen Behandlung des bürgerlichen Kunsttheaters als direkter Folge dieser Setzung, werde die Opposition zu davon divergierenden theatralen Praktiken in das Fach eingeschrieben. Auf dieser Basis lässt sich schwerlich eine Analyse von Internettheater vornehmen, also Theater, welches von der Form her eng mit dem Internet verbunden ist (weil es sich gänzlich oder zum notwendigen Teil dem technischen Rahmen unter- oder in ihn einordnet). Otto plädiert daher für eine Fokussierung auf 'Auftritte', statt dem Aufführungsparadigma zu folgen. Dieser Kniff erscheint auf den ersten Blick wie ein Etikettenschwindel. Tatsächlich ergibt sich daraus aber die Möglichkeit, einen breiten Theaterbegriff anzuwenden, ohne dabei große Verluste hinsichtlich der methodischen Überlegungen der Theaterwissenschaft hinnehmen zu müssen. Unter einem Auftritt versteht Otto eine Aufmerksamkeit erregende konkrete Aktion, mit der es gelingt, eine Teilung zwischen Akteur_innen und Publikum hervorzurufen. Weil diese Definition nicht allein auf das Theater beschränkt sei, könne damit das Untersuchungsgebiet der Theaterwissenschaft methodisch konsistent erweitert werden. Dies erlaube es zudem, sich mit Internetauftritten aus einem spezifisch theaterwissenschaftlichen Blickwinkel zu beschäftigen. Was auch für das Fach notwendig sei, da sich mit der "fortschreitenden Digitalisierung der Kultur" zeige, dass das "Theatrale nicht einfach nur wieder mehr geworden zu sein [scheint], es hat vielmehr begonnen sich qualitativ zu verändern" (S. 220). Trotz dieser wichtigen Feststellung Ottos und der durchgängigen Verwendung des Begriffs des Auftritts bleiben konkrete Analysen von ausgewählten theatral-konnotierten Beispielen im Internet aber aus. Stattdessen beschäftigt sich Otto in den letzten beiden Dritteln des Buches damit, eine Entwicklungsgeschichte des Internettheaters mit Rückgriff auf Theatergeschichte zu schreiben. Dazu zählen für ihn zunächst die frühen, vorrangig textuellen Erscheinungen des Chatroomtheaters (Kapitel 3: "Simtheatre. Kurze Geschichte des Internettheaters"), sodann Computerspiele (Kapitel 4: "Avatare. Theatrale Konfigurationen des Computerspiels") und schließlich Clips auf Videoplattformen wie YouTube, die er mit TV-Formaten wie Reality-Fernsehen vergleicht (Kapitel 5: "iHamlet. Von der Persona zur Personalisierung"). Dabei orientiert sich Otto an bekannten Etappen der Computerspieleentwicklung, was zu Analysen von World of Warcraft und Second Life führt. Auch für seine YouTube-Beispiele zieht er zumeist weitverbreitete Memes heran. Die wenigen Ausnahmen seiner an populären Beispielen orientierten Darstellung ergeben sich durch seinen Fokus auf Hamlet-Darstellungen im Internet. Anhand dieser vielfach interpretierten Theaterfigur zeigt Otto auf, wie die nötige Aufmerksamkeit für Internetauftritte durch die rege Anteilnahme von Kommentator_innen erzeugt wird. Bedingt durch die maschinelle Konfiguration bedeute im Internet Beteiligung zwangsläufig Aktivierung. Otto weist darauf hin, wie sehr dies in Übereinstimmung zu bringen sei mit Performancekunst, in der die Auflösung der starren Zuteilung von Publikum und Künstler_innen ein bestimmendes Paradigma darstelle. Zugleich äußern sich in vielen Internetauftritten neoliberale Subjektvorstellungen, die nach Otto auch auf eine grundlegende Veränderung im theatralen Gefüge verweisen: Die Darstellung von Persönlichkeiten auf der Bühne werde abgelöst durch eine Personalisierung von Figuren. Die Avatare im Internet seien dabei der deutlichste Ausdruck einer vermehrten Anwendung von Techniken der Selbstkonfiguration durch die Darsteller_innen: "So wird der Auftritt im Internet zu einem konfigurativen Privattheater, das den Anschein des Menschlichen im wiederholten Opfer der Unschuld wahrt und das Theatrale nur noch simuliert" (S. 264). Trotzdem (oder deswegen) finden sich, wie Otto aufzeigt, in aktuellen Debatten vormoderne Fantasien wieder, die sich als Sehnsucht nach der Herstellung unmittelbarer, Entfremdung überwindender gemeinschaftlicher Situationen äußere. Viele Simulationen von Theater im Internet würden sich der Methodik des bürgerlichen Theaters bedienen, da dieses in vergleichbare Diskurse eingebettet ist. In den von Otto ausgewählten YouTube-Videos etwa finden sich Versatzstücke der Gattung Trauerspiel. Für die Bestimmung des Verhältnisses von Theaterwissenschaft und Internet sei bedeutend, dass das Kunsttheater "als bürgerliches Ideal und Ideologie auch jene Technologien [prägt], die nicht mit ihm zu tun haben wollen, es verklärt das Computerspiel und drängt ins Internet" (S. 268). Bei diesen bedeutenden Beobachtungen überrascht es dann doch, dass sich Otto über weite Strecken hinweg auf Beispiele verlässt, die allein in Medium Internet stattfinden. Mischformen hingegen werden von ihm weitgehend ausgeklammert, obwohl sich gerade daran seine Thesen überprüfen ließen. Dazu würden Arbeiten von netzaffinen Theatergruppen wie Gob Squad oder Aktionen von Netzkunstgruppen wie The Yes Men zählen. Die reflexive Darstellung zu Beginn des Buches weicht hierbei im Verlauf der Darstellung mehr und mehr einer faszinierten Beschreibung von spezifischen Internetphänomenen. Das zeigt sich in Ottos fehlender kritischer Auseinandersetzung mit den eigenen Auswahlkriterien, wodurch die durch das Medium hervorgebrachte Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit, die beständig neue unvorhergesehene Gebrauchsweisen produziert, zu wenig zum Thema wird. So bereichert das Buch zwar mit vielen Denkanstößen, lässt die Leser_innen aber hinsichtlich einer Definition von Internettheater und der nicht immer nachvollziehbaren Anwendung des Auftrittsmodells etwas ratlos zurück. Verdienstvoll hingegen ist der nachdrückliche Hinweis darauf, dass die Theaterwissenschaft um eine veränderte Ausrichtung nicht umhin kommen wird, um dieses neue Untersuchungsfeld adäquat behandeln zu können. Als Ansatz verweist Otto darauf, dass sich auch im Internet jene vier Strukturformen von Theater wiederfinden ließen, die Rudolf Münz mit seinem Theatralitätsgefüge beschrieben hat – wenngleich dieses Modell nur zur Erstanalyse einlädt und weiterführende Untersuchungen einen angepassten Theorierahmen benötigen, der den Veränderungen durch die Digitalisierung Rechnung trägt. Ulf Otto vermag hierzu viele anregende Überlegungen anzustellen; eine konsistente Theoriebildung bleibt aber zunächst aus. Deren Entwicklung wird wohl auch die Aufgabe einer größeren Forscher_innengemeinschaft sein, die mit Ottos Untersuchung auf eine wertvolle Diskussionsgrundlage zurückgreifen kann. Diese sei zudem allen empfohlen, die sich theatralen Phänomenen in den neuen Medien und den dabei zu beobachtenden Widersprüchen zur 'herkömmlichen' theaterwissenschaftlichen Methodik nicht verschließen möchten

    TheaterMedienWissenschaft

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    Diese fachhistorische Arbeit setzt sich mit der Transformation der deutschsprachigen Theaterwissenschaft zu einer Theater- und Medienwissenschaft auseinander. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von 1900 bis 1979. Um 1920 wurden erste Institute für Theaterwissenschaft im deutschsprachigen Raum gegründet, während Ende der 1970er Jahre die ersten Umbenennungen in Theater- und Medienwissenschaft erfolgten. Eine Auseinandersetzung mit der Aufnahme von Medien als Untersuchungsfeld lässt sich bereits in der frühen Theaterwissenschaft auffinden. Im Nationalsozialismus wurde schließlich nicht nur die Selbständigkeit des Faches erreicht, sondern es begann auch die Integration von Film als Gegenstandsbereich. Um den Prozess einer Ausprägung zu einer TheaterMedienWissenschaft nachzuvollziehen, werden Mediendiskurse in der Theaterwissenschaft erfasst und dargelegt. Dabei werden fünf Modelle der Fachdebatte identifiziert, die zugleich eine historische Einordnung ermöglichen: Selbständigkeit, Medienkonkurrenz, Medienhierarchie, Interdisziplinarität und Medienwissenschaft. Jedes dieser fünf Modelle ist einem Zeitraum zugeordnet, in dem das jeweilige Modell in der fachhistorischen Entwicklung von besonderer Bedeutung war: Vorbereitungsphase (1900-1919), Stabilisierungsphase (1920-1932), Expansionsphase (1933-1945), Rekonsolidierungsphase (1945-1955) und eine fachliche Ausweitungsphase (1970-1979). In fünf zusätzlichen Exkursen werden anhand von problemspezifischen Fragestellungen die Auswirkungen der Modelle auf fachinterne Debatten dargelegt. Für die Identifizierung der Modelle werden methodische und technische Mittel aus den Digital Humanities eingesetzt. Dabei wird für die Analyse ein fachhistorischer Korpus ausgewertet: Der Theaterwissenschaftler Helmar Klier veröffentlichte 1981 einen Sammelband, in dem neunzehn programmatische Beiträge aus dem Zeitraum von 1906 bis 1974 enthalten sind. Diese Texte bilden verschiedene Positionen zum fachlichen Selbstverständnis der Theaterwissenschaft ab. Dem Sammelband beigelegt ist eine von Helmar Klier zusammengestellte chronologische Übersicht zur Fachentwicklung von 1900 bis 1979. Dieser Beitrag wurde für Visualisierungen der Fachgeschichte der deutschsprachigen Theaterwissenschaft ausgewertet. Gemeinsam mit den neunzehn Texten bildet dies den Korpus, der mit digitalen Methoden untersucht und für die Modellerstellung verwendet wurde. Die dabei entstandene Datensammlung soll in einer digitalen Forschungsplattform weiterverarbeitbar gemacht werden. Im abschließenden Kapitel wird darauf eingegangen, wie eine digitale Theaterwissenschaft eine Vermittlungsrolle zwischen der traditionellen Theaterwissenschaft und den Digital Humanities einnehmen kann. Zudem wird eine digitale Forschungsplattform für die Theaterwissenschaft vorgestellt, um Daten zur Fachgeschichte zusammenzuführen und weiter zu bearbeiten.This work deals with the transformation of the academic discipline Theatre Studies in the German-speaking countries into a combination of Theatre and Media Studies. The period of investigation extends from 1900 to 1979. Around 1920, the first departments for Theatre Studies were founded in Germany, while in the late 1970s the first changes to Theatre and Media Studies took place. Reflections on the integration of media as a field of investigation can already be found in early Theatre Studies. In national socialism not only the independence of the subject was achieved, but also the integration of film as an area of research began. In order to understand the transformation to Theatre and Media studies, media discourses in Theatre Studies until 1979 are discussed. Moreover, five models of the academic debate are identified, which at the same time allow a historical classification. This models are marked under the terms: independence, media competition, media hierarchy, interdisciplinarity and media studies. Each of these five models is assigned to a period in which the respective model was of particular importance: preparatory phase (1900-1919), stabilization phase (1920-1932), expansion phase (1933-1945), re-consolidation phase (1945-1955), and expansion phase (1970-1979). Additionally, the impact of the models on academic debates is presented by means of problem-specific questions. Methods and tools from the Digital Humanities are used to identify the models. For this analysis, a discipline relevant corpus is evaluated. The Theatre Studies scholar Helmar Klier published an anthology in 1981, which contains nineteen programmatic contributions from the period 1906 to 1974. These texts contain different positions on the conception of Theatre Studies. The collection is accompanied by a chronological overview of the development of the academic discipline from 1900 to 1979, compiled by Helmar Klier. This overview was evaluated for visualizations of the history of the German-speaking Theatre Studies. Together with the nineteen texts, this forms the corpus, which has been investigated with digital methods. The resulting data collection is to be processed in a digital research platform. The final chapter discusses how digital Theatre Studies can play a mediating role between traditional Theatre Studies and Digital Humanities. In addition, a concept for a digital research platform for Theatre Studies is presented, in order to compile and further process data on the history of the discipline

    Miriam Drewes: Theater als Ort der Utopie. Zur Ästhetik von Ereignis und Präsenz.: Bielefeld: transcript 2010. ISBN 978-3-8376-1206-6. 456 S. Preis: € 33,80.

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    Auch wenn der Titel es nicht unbedingt nahelegen würde, legt Miriam Drewes mit der Veröffentlichung ihrer gekürzten Dissertation (2008 approbiert) eine detailreiche Auseinandersetzung mit einigen Grundpfeilern der modernen Theaterwissenschaft vor. Insbesondere geht es ihr darum, die 'ständigen Erweiterungen' des Faches über das Konzept der Theatralität hinaus hin zu einer 'Kulturwissenschaft' zu analysieren. Dabei zeigt sie Widersprüche, Kurzschlüsse und Denkfehler dieser Entwicklung auf und wirft einen kritischen Blick auf die gegenwärtige, sich dem postdramatischen Theater widmende Theaterwissenschaft. Ein Hauptkritikpunkt von Drewes an den aktuellen Analysemodellen zeitgenössischen Theaters ist die Bevorzugung einer Ästhetik, der eine kausale 'Abstammung' von der 'historischen Avantgardebewegung' attestiert wird. Dies beobachtet die Autorin exemplarisch bei Hans-Thies Lehmann und Erika Fischer-Lichte anhand der von ihnen prolongierten "performativen Wende" der Theaterwissenschaft. Dabei würde "auf Theorieebene der ideologiekritsche Impetus der Künstler[_innen] affirmativ wiederholt" (S. 19). Die Bezeichnung "postdramatisch" geriete dabei zum "Erkennungs- und Vereinheitlichungsmerkmal einer vielschichtigen Ästhetik" (S. 14). In Abgrenzung zu theaterhistoriographischen Zugängen würde in den von Drewes untersuchten Modellen Lehmanns und Fischer-Lichtes die Gegenwart aufgewertet, wodurch Konzepte wie Präsenz und Ereignis ins Zentrum der Analyse rückten (vgl. S. 51). Parallel zur Aufwertung der Gegenwart kann eine "Zunahme der Festivals, die sich explizit auf die Förderung avantgardistischer und innovativer Theaterästhetiken konzentrieren" (S. 20), beobachtet werden. In den von diesen Festivals verbreiteten Diskursen, so Drewes, sei ein ähnlicher Sprachgebrauch wie in der von ihr kritisierten theaterwissenschaftlichen Debatte anzutreffen: "Risikobereitschaft, Innovation und Avantgarde sind auch hier die wichtigsten Parameter" (S. 22). Durch die Herstellung einer Traditionslinie zur Avantgarde, werde die bei Festivals anzutreffende Ästhetik legitimiert, wie Drewes am Beispiel des Münchner Spielart-Festivals darlegt. Mit der Engführung des Fortschrittstopos und der Entwicklungslinie 'Avantgarde – Neoavantgarde – Performance Art/postdramatisches Theater' verschwinde aber "ein erheblicher Teil theaterästhetischer Phänomene zwangsläufig aus dem theoretischen Blickfeld" (S. 25). Die Folge sei zudem, dass die 'jüngere Theaterwissenschaft' Ideologiekritik und Metaphysikkritik bereits in den untersuchten Feldern anzutreffen vermeine und dadurch nicht auf die eigene Theoriebildung anwende, was zu einer "unauflösbare[n] Antinomie" (ebd.) führe. So kann in der theatertheoretischen Debatte eine skeptisch zu betrachtende "Verlagerung von Transzendenz zu Immanenz" (S. 53) festgestellt werden. Diese führe zu methodischen Problemen bei der Analyse von Gegenwartserfahrung, wie Drewes im Kapitel "Fest und Utopie" am Beispiel der Festforschung aufzeigt. Dabei kritisiert die Autorin insbesondere die undifferenzierte Übernahme von Begriffen wie 'Liminalität' aus der anthropologischen Ritualforschung, wodurch die Unterschiede zwischen Ritual und theatraler Aufführung verwischt würden (vgl. S. 146). In der Reduzierung von Festen auf "den Ausnahmezustand der kollektiven Feier" in der "älteren Festforschung" und des "in letzter Konsequenz spirituell aufgeladenen Begriff[s] der ästhetischen Erfahrung in vielen zeitgenössischen Texten zum postdramatischen Theater" zeige sich letztlich, dass "über Funktion und Wirkungsweise von Präsenzerfahrungen" (S. 131) nur spekuliert werden könne. Wird nun in der 'jüngeren Theaterwissenschaft' unreflektiert auf die Topoi Innovation, Fortschritt und Utopie Bezug genommen, dann werde damit eine eindimensionale Historiographie produziert, kritisiert Drewes. Die Absage an den "Kanon des mimetischen Theaters" (S. 35) evoziere zudem einen neuen Kanon, der sich an der behaupteten Teleologie von der Avantgarde hin zum postdramatischen Theater orientiere. Dies könne "dem ausdifferenzierten Unterhaltungs- und Sinnangebot postindustrieller Gesellschaften" (S. 147) nicht gerecht werden. Mit einer Diskurskritik auf Basis von Michel Foucault und Pierre Bourdieu versucht Drewes dazu einen Gegenentwurf zu entwickeln. Insbesondere mit Foucaults genealogischem Denken wäre eine Methodik aufzugreifen, die sich gegen Ursprungsdenken und lineare Verlaufsvorstellungen richtet (vgl. S. 37). Anstatt diese Fährte aufzunehmen, widmet sich Drewes in weiterer Folge allerdings einer ausführlichen Analyse und Kritik der "Historisierung und Kategorisierung zeitgenössischer Theoriebildungsprozesse", indem sie "geschichtsphilosophische Denkmuster" (S. 41ff.) unter Rückgriff auf eine Ideengeschichte der Ästhetik aufzudecken versucht. Aus der kritischen Auseinandersetzung mit den Begriffen 'Ereignis' und 'Präsenz' leitet Drewes ab, dass in den damit verbundenen theaterwissenschaftlichen Debatten einer idealistischen, bisweilen quasi-mythischen Ästhetik das Wort geredet wird. Dies habe zur Folge, dass rationale Kriterien der Analyse aufgegeben werden. Für das Fach konstatiert die Autorin daher eine "wissenschaftstheoretische Strategie der Uneindeutigkeit" (S. 31). Dies ist eine durchaus prägnante Feststellung hinsichtlich jener Zugänge der Theaterwissenschaft, in denen die Flüchtigkeit der Aufführung ins Zentrum der Auseinandersetzung gerückt wird. Dieses weite Bereiche des Faches prägende Analyseproblem verleitet zur Beliebigkeit bei den auf die Transitorik des Gegenstandes aufbauenden Theorien. Aufrechterhalten wird dieser zweifelhafte Bezug auf eine transitorische Leerstelle auch im unkritischen Gebrauch der Analysekriterien 'Ereignis' und 'Präsenz' zur Beschreibung von postdramatischer Kunst bzw. nichtrepräsentativer Ästhetik. Ihre Kritik an dieser Entwicklung versucht Drewes in Übereinstimmung zu bringen mit einer Begriffsgeschichte von "Theater als Ort der Utopie". Ausgehend von verschiedenen Ästhetiktheorien, die auf (negative oder positive) Utopien abzielen, gerät auch hier ein ums andere Mal eine – nun utopische – Leerstelle ins Visier, die Drewes in Beziehung setzt zu methodisch-theoretischen Uneindeutigkeiten in der Theaterwissenschaft. Um sowohl vereinfachende wie ideologische Deutungsmuster aufzudecken, argumentiert Drewes maßgeblich unter Bezugnahme auf diese vermeintliche Übereinstimmung von utopischem Horizont und flüchtiger Erfahrung. Besonders problematisch ist für die Autorin, dass in der Historiographie des postdramatischen Theaters "weitgehend linear auf die historische Avantgarde als Ursprungsgeschichte" verwiesen wird (S. 64). Meines Erachtens ist diese Verknüpfung von transitorischer und utopischer 'Leerstelle', wenn nicht ein Trugschluss, so zumindest eine verkürzte Analyse dieser beiden vielleicht ähnlich wirkenden, aber doch klar zu trennenden Konstrukte, insbesondere hinsichtlich ihrer jeweiligen Funktion in den sich darauf beziehenden Theorien. So vermag dann auch das Aufmerksamkeit erweckende Unterkapitel "Die Transitorik: Glück und Dilemma der Theaterwissenschaft" nicht viel zur Klärung des damit verbundenden Methodenproblems beizutragen. Stattdessen konzentriert sich Drewes in Folge auf den Zeit-Begriff, um daraus "temporale Ordnungsmuster" zu entwickeln, die sie ihren Aufführungsanalysen zur Seite stellt (vgl. S. 316ff.). Dabei bezieht sie sich hauptsächlich auf Gérard Genettes Die Erzählung und ergänzt dessen Thesen mit Erkenntnissen der neueren Narrationsforschung. Die damit verbundene Absicht, ein empirisches, rational begründetes Analysemodell zu erstellen, vermag in den abschließenden Beispielen nicht zu überzeugen. Zu deskriptiv, wenn sie der Transitorik mit temporalen Ordnungsmustern beizukommen versucht und zu sehr in sich abgeschlossen, wenn sie die Luhmann'sche Systemtheorie heranzieht. Zwar werden zu Beginn der jeweiligen Analysen (Jérôme Bel: The Show must go on; Forced Entertainment: First Night; Alexeij Sagerer: Götterdammerung; Station House Opera: Roadmetal, Sweatbread) sowohl das jeweilige Thema der untersuchten Aufführung als auch die aufführenden Künstler_innen/Gruppen kontextualisiert, diese Darstellungen bleiben aber großteils darauf beschränkt, historische Linien abseits der Avantgarde zu legen. Unklar bleibt zudem, gegen wen oder was sich Drewes' Kritik konkret richtet. Beispielsweise verwehrt sie sich in einem ausführlichen Kapitel zur historischen Avantgarde allgemein gegen "Ausschlusskriterien", die in der "Debatte um die Funktion der Kunst" (S. 202) ein einseitiges Bild der Avantgarde zur Norm erklären. Das hält Drewes aber nicht davon ab, in Folge eine ebenso – wenngleich andere Nuancen setzende – wirkmächtige Traditionslinie zu entdecken: nämlich jene der bedingungslosen Hinwendung zu utopischen Entwürfen, die zu einem "ideellen Absolutheitspathos avantgardistischer Teleologie" (S. 211) führe. Diese grundsätzliche Aversion der Autorin gegenüber allem 'Utopischen' durchzieht die gesamte Argumentation und der Verdacht liegt nahe, dass damit unausgesprochen auf eine andere Diskussion verwiesen wird, nämlich: Wie politisch soll/darf Theaterwissenschaft sein? Hier gibt es auf jeden Fall noch viel Diskussionsbedarf. Es ist aber fraglich, ob dies allein über eine Auseinandersetzung mit Theatertheorie abgehandelt werden kann. Meines Erachtens wäre es genauso wichtig, hier die Wirkmächtigkeit institutioneller Strukturen zu analysieren und die Positionen der Akteur_innen der deutschsprachigen Theaterwissenschaft in einem wissenschaftshistorischen und -theoretischen Kontext zu problematisieren. Fazit: Alles im allem ist Theater als Ort der Utopie eine Arbeit, die einige wichtige Beiträge und Anstöße für die fachinterne Diskussion über theaterwissenschaftliche Theorie und Methodik bereithält, hingegen aber keine überzeugende Alternative zu den kritisierten Konzepten aufzeigt. Einige der von Drewes ins Feld geführten Punkte können dennoch nachhaltig überzeugen. Leider hält sie ihren kritischen Ansatz nicht konsequent durch; besonders bei von ihr favorisierten Theorien tendiert sie zu einer affirmativen Abhandlung. Zudem hätten Kürzungen und Straffungen der gut 450 Seiten starken Publikation der Thesenentwicklung gut getan. So sind besonders die ideengeschichtlichen Darstellungen zwar durchwegs kompetent, aber nicht immer erschließt sich deren Relevanz für das von der Autorin anvisierte Thema. Bisweilen gelingt es Drewes zudem nicht, die argumentativen Zusammenhänge konzise darzustellen, worunter die Entfaltung ihrer Position leidet. Abgesehen von diesem Manko gibt diese Analyse aber reichlich Stoff zur Diskussion und Hinterfragung aktueller Tendenzen der Theaterwissenschaft

    Till A. Heilmann: Textverarbeitung. Eine Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine.: Bielefeld: transcript 2012. (MedienAnalysen: 10). ISBN 978-3-8376-1333-9. 290 S. Preis: € 29,80.

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    Mit Blick auf die historische Übersicht, die Till A. Heilmann in seiner überarbeiten Dissertationsschrift von 2008 vorlegt, ist die Entwicklung des Schreibens am Computer eine faszinierende Erfolgsgeschichte. Auch weil die dabei entstandenen Produkte dazu fähig sind, unseren Alltag weitreichend mitzuprägen. Besonders im akademischen Bereich gehen damit vollkommen veränderte Möglichkeiten einher, Texte nicht nur zu erstellen, sondern auch zu recherchieren, weiterzubearbeiten und zu distribuieren. Neben den damit verbundenen Vor- und Nachteilen, stellt sich die Frage, wie diese veränderten Schreibweisen auch das Denken bzw. Denkarbeit erweitern. Als Grundlage einer Reflexion darüber, was Schreiben am Computer ist, vermag eine historische Darstellung der Entwicklung vom Manuskript über das Typoskript zum Digiskript wichtige Einsichten zu erbringen. Heilmann interessiert sich in seiner "Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine" weniger für die anthropologischen Auswirkungen dieses Medienwandels, sondern er zeigt vorrangig in Form einer Technikgeschichte auf, wie komplex die Vorgänge sind bei dem, "was heutzutage Schreiben heißt" (S. 2). Nicht nur deswegen ist die Entwicklung von Computern zu "Werkzeuge[n] des Schreibens" (ebd.) weder ein selbstverständliches noch unbedingt ein in den Geräten selbst angelegtes Potential. Insofern – und darauf weist Heilmann nachdrücklich hin – ist die Rede vom Computer als Schreibmaschine, wie es die Medientheorie speziell nach Friedrich Kittler postuliert, eine verkürzte und irritierende Darstellung. Die Folge dieser Gleichsetzung führe dazu, dass "kaum Ansätze zu einer Geschichte der Textverarbeitung" in der Medienwissenschaft verwirklicht wurden, da dies als Nebensächlichkeit vorausgesetzt wurde (S. 46). Als Basis seiner Darstellung betrachtet Heilmann zunächst die "drei medialen Grundfunktionen" von Schrift, die im "Speichern, Übertragen, Verarbeiten" bestehen. Damit ist bereits der dieser Studie zugrundeliegende Medienbegriff formuliert, wonach "Medien […] Welt erfahrbar und denkbar" machen (S. 13). Es zeigt sich nun eine "tiefer liegende Verbindung" von Schrift und Computer, dessen Merkmal ebenfalls die Umsetzung einer "Medientechnik zur Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Information" ist (S. 17). Dies sei auch der Grund, weswegen in der Medienwissenschaft, die sich in den 1980er-Jahren "an der Auseinandersetzung mit der Schrift aufgerichtet" habe (S. 16), Computer zu einem neuen bevorzugten Untersuchungsfeld erhoben wurden: "Was einst an unterschiedlichen Medien aus einem Zusammenhang, dem der Schrift, hervorgegangen war, geht tendenziell wieder in einen Komplex, den des Computers, ein" (S. 20). Wird daraus aber der Rückschluss gezogen, dass Computer bereits von Beginn an Schreibmaschinen waren, dann ist dies ein medienwissenschaftlicher Kurzschluss, der durch den von Heilmann vorgenommenen Blick auf die historische Entwicklung von Computern revidiert wird. So werde häufig Computergeschichte "als Fortschrittsgeschichte der Schrift" geschrieben, und zwar nicht nur in der Medienwissenschaft sondern auch in der Informatik (S. 54). Dem hält Heilmann eine Vielzahl von Argumenten entgegen, wobei er bemüht ist, die Geschichte der Entwicklung von Digitalcomputern in ihrer Ausrichtung auf Textverarbeitung abzuklopfen. Es zeigt sich, dass das Schreiben am Computer erst in den 1970er-Jahren so weit entwickelt war, dass ernsthaft dessen Verwendung zur digitalen Textverarbeitung möglich schien (S. 170). Dazu trugen neben dem Monitor als Ausgabegerät und der Tastatur als Eingabegerät, das interactive computing als Modell und der Erfolg des Personal Computer (PC) – auch auf Grund sinkender Materialkosten – bei. Heilmann zeigt auf, wie sich diese für das heutige Schreiben am Computer maßgeblichen Komponenten ausprägten, wobei klar ersichtlich wird, dass deren Integration und Entfaltung weder selbstverständlich noch linear vor sich gingen. Vielmehr zeigt sich hinsichtlich von Produzent_innen geäußerter Absichten und unterschiedlich entwickelter Techniken eine Vielzahl von möglichen Entwicklungslinien für den Einsatz von Computern. Für die Simulation der Praktiken von Schreibmaschinen werden jene von Heilmann herausgearbeiteten Episoden entscheidend, "in denen die Genealogie des Personal Computers sich mit derjenigen der Textverarbeitung kreuzt" (S. 169). Die Computergeschichte bietet reichlich Anekdoten zu dieser Thematik. Für den Bereich Textverarbeitung ist es besonders die Forschungsabteilung PARC von Xerox, in der der Kopiermaschinen- und zugleich Kopierpapierhersteller Modelle für das Büro der Zukunft konzipieren ließ. Dabei wurden entscheidende Komponenten für die PCs von heute entwickelt, sowohl im Bereich der Hard- als auch Software. Vieles davon wurde später von Apple und Microsoft übernommen und ermöglichte deren unternehmerische Erfolge. Nun könnte auf die Ironie verwiesen werden, dass Xerox Forschungen finanzierte, die in Folge das eigene Geschäft gefährden sollten. Aber – und dies gelingt Heilmann nachvollziehbar aufzuzeigen – in vielen der dabei entwickelten Komponenten findet sich der Bezugspunkt zu Papier, beginnend mit dem Monitor des dabei entwickelten Computers Alto, der – im Gegensatz zu heute üblichen Monitoren – in die Länge gestreckt war und mit dem US-Standardpapierformat Letter übereinstimmte. Auch wenn es Xerox aus verschiedensten Gründen nicht gelang, mit den vorhandenen Mitteln zum bestimmenden Unternehmen der Computertextverarbeitung aufzusteigen, ist der Bezug zum Papier bzw. zur Schrift bis heute in PCs integriert. Dabei sind es drei von Xerox entwickelte Techniken, die "die mediale Verschränkung von Papier und Computer" prägten: Grafische Benutzungsoberflächen (GUI), das "What you see is what you get"-Prinzip (WYSIWYG) und der Laserdrucker (S. 173). Die Forschungsergebnisse von Xerox PARC sind am Ende von Heilmanns "Streifzug durch die Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine" (S. 195) angesiedelt, bevor er sich im abschließenden Kapitel mit der Simulierung "traditioneller Formen von Schrift" durch Digiskripte auseinandersetzt (S. 196). Prinzipiell folgt seine historische Übersicht einer traditionellen Computergeschichte mit bekannten Etappen. Zwar gelingt es ihm, mit seinem spezifischen Erkenntnisinteresse an der Entwicklung des Schreibens am Computer neue Einblicke zu eröffnen. So werden durchaus auch wenig bekannte oder nur rudimentär abgehandelte Figuren und Produkte der Computergeschichte porträtiert. Heilmann bleibt dabei aber durchwegs einer linearen, chronologisch aufgebauten Entwicklungsgeschichte verpflichtet. Dies ist durchaus nachvollziehbar für sein Anliegen, auch weil er es vermag, technische Sachverhalte kompakt und zugleich verständlich darzustellen. Trotzdem wäre an manchen Stellen eine stärkere Verschränkung mit medientheoretischen und -historischen Debatten wünschenswert. So bleiben diese lohnenswerten Auseinandersetzungen einigen wenigen Themen vorbehalten. Eines dieser Themen ist der häufig bemühte Hinweis auf die militärische Herkunft des Computers. Heilmann relativiert die starke Bedeutung dieser einseitigen Lesart und zeigt auf, dass damit die komplexe und von vielen Um- und Irrwegen gekennzeichnete Entwicklung von Computern nachlässig vereinfacht wird. Sicher stimmt es, dass die Grundlagenforschung, die zu den ersten universellen Rechenmaschinen führte, hauptsächlich durch das US-Militär gefördert war. Aber an einigen Beispielen zeigt Heilmann auf, wie rudimentär die militärischen Einflüsse in den dabei entwickelten Systemen abgebildet waren. Selbst Geräte wie eine Lichtkanone und die ersten "Monitore" in Form von Oszilloskopen dienten keinem militärischen Interesse, sondern wurden dazu eingesetzt, den Rechner auf Beschädigungen überwachen zu können (S. 116). Mathematisch-logische Rechenvorgänge waren zunächst das vorrangige Einsatzgebiet, was zwar auch Ballistikberechnungen beinhaltete, aber bei weitem nicht das gesamte Spektrum der Möglichkeiten abdeckte. So wurden viele Projekte an Universitäten übertragen und dort meist unter veränderten zivilen Vorzeichen fortgeführt. Erstaunlich ist vor allem, wie eng die Entwicklung des Computers und speziell des PCs zur Textverarbeitung mit tayloristischer Arbeitsökonomie verknüpft war. Dies wird von Heilmann leider nicht weiter thematisiert, wäre aber sicher eine eigene Untersuchung wert. In vielen der dargestellten Positionen ist zudem durchwegs festzustellen, wie die Vorstellung von Effizienzsteigerungen durch Computer strapaziert wurde. Nicht nur lassen sich solche Argumente in den Werbematerialien und Benutzungsanleitungen diverser Computermodelle finden, sondern diese wurden auch meist unhinterfragt von einer Vielzahl an Forscher_innen und Techniker_innen als leitendes Konstruktionsprinzip herangezogen. Insofern wäre es gerechtfertigt, die dabei entwickelte Architektur von Computern als wichtigen Aspekt 'neoliberaler' Entwicklungstendenzen zu problematisieren. Denn es liegt auf der Hand, dass solche ideologischen Vorstellungen in die technischen Konstruktionen 'eingeschrieben' werden. Im Fall des Computers als Schreibmaschine wären damit überprüfenswerte Konsequenzen für die Produktion von Texten verbunden, wie jene des 'Publish or Perish' im Wissenschaftsbetrieb. Weil Technikgeschichte selten ohne Zukunftsperspektiven auskommt, setzt sich Heilmann zum Abschluss seiner Untersuchung in aller Kürze mit der "Vorstellung eines Wesens digitaler Objekte" auseinander (S. 245). Dies ist ein seit vielen Jahren in Umlauf gebrachtes Postulat, um damit die Weiterentwicklung des Internets zu einem Semantic Web zu skizzieren. Heilmanns Hinterfragung dieser Begrifflichkeit eignet sich hervorragend für weitere, tiefer greifende Debatten über die damit verbundene Vernetzung und Transformation möglichst vieler Lebensbereiche in die Domäne digitaler Objekte. So zeigt eben auch die Textverarbeitung am Computer, dass sich das Ende des 19. Jahrhunderts "von der mechanischen Schreibmaschine […] hergebrachte Modell der modernen 'Schreibszene' […] allen technologischen Neuerungen gegenüber als äußerst widerständig erwiesen" hat (S. 253), erkennbar daran, dass sich "das grundlegende Schema aus Tastenfeld und Schreibfläche" trotz aller technologischen Errungenschaften nicht wesentlich verändert hat (ebd.). Häufig bleiben bei Darstellungen der Computergeschichte die "erheblichen technischen, ökonomischen, funktionalen und kulturellen Veränderungen" unberücksichtigt, die den Wandel "im Verständnis von Rechenmaschinen" begleiteten (S. 50). Leider werden solche weiterreichenden Untersuchungen auch von Heilmann oft nur angedeutet, da sein Zugang letztlich in einem diskursiven Nacherzählen von Technikgeschichte verharrt. Andererseits hätte eine multiperspektivische Diagnose wohl den Rahmen seiner Untersuchung gesprengt. Als Basis für weitere Analysen in diese Richtung stellt seine Darstellung aber wertvolles Material zur Verfügung. Versehen mit einem nützlichen Index, werden die technischen Voraussetzungen und Entscheidungen dargelegt, die die (Weiter-)Entwicklung von Textverarbeitung am Computer vorantrieben. Eine Geschichte, die sich nach Heilmann "vermutlich noch länger fortsetzen" wird. Denn auch wenn eine immer größere Anzahl an Computern oft unbemerkt in diversen alltäglichen Geräten integriert sind, die entgegen dem Prinzip der universalen Rechenmaschine auf spezifische Einsatzgebiete eingeschränkt sind, wird der "Schreibtisch-Computer – mehr denn je – als Medium der Schrift" bleiben (S. 253, H. i. O.). Es ist auch dieser unaufgeregte Tonfall, der Heilmanns Untersuchung von vielen anderen Geschichtsdarstellungen des Computers wohltuend unterscheidet
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