47 research outputs found
Demonstrationsbefragungen : Grenzen und Potenziale einer Forschungsmethode
Seit Anfang der 1990er Jahre gehören Befragungen von Demonstrierenden zum methodologischen Repertoire der sozialwissenschaftlichen Protest- und Bewegungsforschung. Sie erhalten ihren besonderen Charakter dadurch, dass sie Momentaufnahmen in einem aktuellen Konflikt sind. Die Aussagen der Befragten erlauben die analytische Verbindung von Einstellungen und soziodemografischem Profil der Beteiligten mit einer konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Das ist ein großer Vorteil gegenüber der Nutzung repräsentativer Bevölkerungsbefragungen in der Protestforschung. In ihnen wird zwar erhoben, welche Formen der Partizipation die Befragten nutzen, aber der Kontext, in dem das geschieht, bleibt offen. Ob sich das Engagement gegen die Unterbringung von Asylsuchenden oder gegen europäische Austeritätspolitik richtet, macht aber für das Verständnis von Protest einen gravierenden Unterschied. Die Befragung ‚im Handgemenge‘ ist allerdings auch mit Ambivalenzen und Nachteilen verbunden, die zu Beginn des Jahres besonders deutlich sichtbar wurden, als gleich mehrere Teams die Dresdener Pegida-Demonstrationen unter die Lupe nahmen
Unterschiede in der Berichterstattung zu #NoG20
Der Beitrag vergleicht die mediale Berichterstattung zu den G20-Protesten in Hamburg und zeigt so journalistische Spielräume jenseits einseitiger Gewaltfokussierungen auf. Der Vergleich von sieben Tageszeitungen in Bezug auf den Umfang und Fokus der Berichterstattung, die Auswahl von Sprecher*innen, die Bewertungen und die Auseinandersetzung mit den Protestmotiven verdeutlicht eine Entgegensetzung von vergleichsweise protestaffinen Zeitungen des liberalen Spektrums und dem Protest deutlich negativ gegenüberstehenden Zeitungen des konservativen Spektrums
Wie ein Fisch im Wasser der Zeichenwelt: Spaßguerilla seit den 1960er Jahren
"Subversive Formen des Protestes haben seit der Studentenbewegung einen festen Platz im Aktionsrepertoire sozialer Bewegungen. Das Konzept der Spaßguerilla, dass in der Kommune I entwickelt und umgesetzt wurde, war der Versuch, Protest neu zu erfinden und seine Grenzen zu überschreiten. Eine in der Form angelegte Macht- und Repräsentationskritik, Verfremdung und die Anstiftung zur Selbsttätigkeit sind die Wesentlichen Elemente subversiven Protestes. Der Aufsatz versucht, die Entstehung und Entwicklung dieser Protestgattung nachzuzeichnen, ihre Formen zu systematisieren und die dahinter stehenden Überlegungen zusammenzufassen." (Autorenreferat)"Since the student movement, subversive forms of protest have become integral part of social movements repertoire of action. The fun guerrilla program, developed and realized in the commune no. I, was an experiment of re-inventing protest and of overstepping its limits. The criticism of power and representation, implemented in its specific own form, the strategy of alienation, and the instigation of self-powered authority are main elements of subversive protest. The paper aims at a tracing of emergence and development of this type of protest, at a systematization of its forms, and at a summary of the considerations at the bottom of it." (author's abstract
Taking to the Streets in Germany – Disenchanted and Confident Critics in Mass Demonstrations
This paper analyses the socio-demographic attributes and political attitudes of protesters in Germany. In doing so, the paper studies participation at demonstrations, one of the key forms of non-electoral political participation in Germany and a central political arena in which to negotiate political and cultural conflicts. Methodologically, we draw on original data from nine protest surveys collected between 2003 and 2020. The demonstrations under scrutiny address a wide variety of issues such as peace, climate change, global justice, immigration, international trade and social policy. Analysing protesters’ profiles, we focus on differences both within and across demonstrations. We show that demonstrators’ socio-demographic and attitudinal characteristics diverge considerably across the surveyed demonstrations. In particular, we identify two clusters of demonstrations, differing most prominently regarding participants’ political trust, satisfaction with democracy, and perceptions of self-efficacy – the ‘disenchanted critics’ and the ‘confident critics’. Based on a regression analysis across all nine demonstrations, we further show that the distinction of these two demonstration clusters is not the result of the presence or absence of certain groups of demonstrators
Einleitung: Das Protestgeschehen in der Bundesrepublik seit den 1980er Jahren zwischen Kontinuität und Wandel
Der einleitende Beitrag vermittelt einen knappen Überblick zum Wandel des Protestgeschehens der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten. Im Mittelpunkt stehen dabei vier Fragen: Zu welchen Themen wird protestiert? Wer protestiert und mobilisiert? Wie wird protestiert? Wie wird Protest kommuniziert? Antworten auf diese Fragen beruhen auf sekundäranalytischen Betrachtungen und auf eigenen empirischen Arbeiten der Verfasser. Zentrale Thesen sind: 1) Themen und Träger des Protests werden vielfältiger, teilweise auch spezifischer. 2) Die Grundformen des Protests bleiben relativ stabil, aber sie werden in ihren konkreten Erscheinungsformen und in der Nutzung durch unterschiedliche Gruppen variabler. 3) Die öffentliche Darstellung von Protest richtet sich immer stärker an medialen Erwartungen aus. Die Nutzung sozialer Medien erlaubt aber auch reichweitenstarke Kommunikation, die professionellen Journalismus umgeht. 4) Sowohl die logistische Organisation des Protests als auch dessen Inszenierung unterliegen einer Professionalisierungstendenz, die sich auch in der Nutzung neuer Medien spiegelt
Eskalation: Dynamiken der Gewalt im Kontext der G20-Proteste in Hamburg 2017
Die Ereignisse um den G20-Gipfel im Juli 2017 haben viele Menschen
schockiert und die Hamburger Stadtgesellschaft gespalten. Sie stehen in
starkem Kontrast zu dem Sicherheitsversprechen, das der Senat im Vorfeld
abgegeben hat, ebenso wie zu der Ankündigung, der Gipfel werde ein
„Festival der Demokratie“. Dass ein Gipfelprotest in Unruhen mit breiter
Beteiligung überging aber auch das teils gewaltsame polizeiliche Vorgehen
gegen Protestierende ist erklärungsbedürftig. In der anhaltenden Diskussion
über die Hintergründe der Auseinandersetzungen werden zumeist
entweder die Polizei oder „gewaltbereite Gruppen“ für das Ausmaß der
Gewalt verantwortlich gemacht. Letzteres lässt sich jedoch nur bedingt aus
Motiven und vorgefassten Plänen bestimmter Akteure ableiten. Ein großer
Teil der Gewalt entsteht – dies gerät allzu oft aus dem Blick – maßgeblich
in Prozessen der Eskalation, in denen die Handlungen der verschiedenen
Beteiligten miteinander verflochten sind, insofern sie auf Grundlage ihrer
Deutung vorangegangener Erfahrungen und ihrer Wahrnehmung des Gegenübers
aufeinander reagieren. Situationen der Gewalt haben zudem ihre
eigene, in manchen Fällen kaum steuerbare, Dynamik.
Der Bericht rekonstruiert, wie und warum die Gewalt in Hamburg in dieser
Form eskalierte. Er enthält sich weitgehend einer moralischen Einordnung.
Er beleuchtet konkrete Situationen des Aufeinandertreffens der Konfliktparteien
und bettet sie in einen größeren Kontext ein, unter anderem
in Hinblick auf die Konstitution der beteiligten Gruppen und in Hinblick
auf die mediale Deutung des Geschehens.
Der Bericht fasst die ersten Ergebnisse eines Forschungsprojektes zusammen,
an dem über acht Monate mehr als 20 Gewalt-, Protest- und Polizeiforscher*innen
mitgewirkt haben. Er beruht auf einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen:
Interviews mit Beteiligten, Dokumente, Filmaufnahmen und Fotografien,
die Kommunikation auf Twitter und die Berichterstattung in ausgewählten
Tageszeitungen, Beobachtungsprotokolle aus der Protestwoche und danach.
Die Analyse gliedert sich in drei Teile.
(1) Die Ausgangskonstellation, in der sich die unmittelbar Beteiligten, Polizei
und Protestierende, auf die Protestwoche einstellen und prägende Grundkonflikte
sichtbar werden.
(2) Schlüsselsituationen, in denen Konflikte ausgetragen werden und die
Muster der Eskalation im Kleinen sichtbar machen.
(3) Die mediale Deutung und Formung der Ereignisse, über die der Fokus
auf „Gewalt“ verstärkt und die jeweils eigene Wahrnehmung bestätigt wird.
Für die Analyse der Entstehung von Gewalt ist der Fall ein eindrückliches
Beispiel für die Verkettung von Ereignissen ebenso wie für die Eigendynamik
situativer Konfrontationen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Planungen,
Erwartungen und Entscheidungen der Handelnden keine Rolle
spielen würden. Die Dynamik des Geschehens verwirklicht sich, im Gegenteil,
gerade darin, dass die Beteiligten in der Verflechtung ihrer Handlungen
ihre Kalkulationen verändern und Situationsdeutungen entwickeln,
welche Gewalt möglich oder notwendig erscheinen lassen
Brückennarrative - verbindende Elemente für die Radikalisierung von Gruppen
Radikale Gruppen stellen nicht nur die Sicherheitsbehörden, sondern die gesamte Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Dieser Report arbeitet aus der bestehenden Forschung heraus, wie Radikalisierungsprozesse innerhalb und zwischen Gruppen ablaufen und welche Rolle derartige Gruppenprozesse im gesamtgesellschaftlichen Kontext spielen. Er fokussiert insbesondere auf die Schnittmengen bestimmter ideologischer Elemente unterschiedlicher radikaler Gruppen. Diese Gemeinsamkeiten werden im Report als Brückennarrative bezeichnet. Das erste dieser Narrative umfasst Anti-Imperialismus, Anti-Modernismus und Anti-Universalismus und hat als gemeinsamen Fluchtpunkt den Antisemitismus. Im zweiten Brückennarrativ, dem Antifeminismus, treffen sich völkische Nationalisten, christliche und islamische Fundamentalisten und islamistische Dschihadisten. Das dritte Brückennarrativ bildet die Vorstellung, im (legitimen) Widerstand zu handeln und dadurch Gewalt zu rechtfertigen. Der Report legt dar, wie wichtig es ist, diese Narrative in der Präventionsarbeit zu berücksichtigen, das heißt, Maßnahmen zu entwickeln, die das gemeinsame ideologische Muster verschiedener radikaler Gruppen ansprechen