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"Vor dem Gesetz"
Theoretischer Ausgangspunkt der Diplomarbeit ist der psychoanalytische Text Sigmund Freuds Totem und Tabu (1913), der das „grund-legende“ Verhältnis zwischen Natur und Kultur behandelt. Freud unternimmt darin den Versuch, die gesellschaftliche (moralische) „Ordnung“ auf eine „natürliche“ Begebenheit zurückzuführen und stützte sich dabei auf die Geschichte der „Urhorde“ bei Charles Darwin: Diese wäre in „prähistorischer Zeit“ von einem autoritär auftretenden „Übervater“ bestimmt worden, der sich alleine mit den weiblichen Hordenmitgliedern fortpflanzte, während er potentielle Rivalen beseitigte. Indem die Brüder eines Tages ihren Vater töteten und verzehrten, machten sie der Vaterhorde zwar ein Ende, nach der Position des „Alphatieres“ strebten sie hingegen vergeblich. Als Folge ihres Schuldbewusstseins wäre die „Übervater-Figur“ nachträglich stattdessen derart überhöht worden, dass sie eine stärkere Gewalt ausübte als zuvor: Das Verbot des Vaters wurde zum Gesetz, der Totem für die Söhne tabu. In der kollektiv empfundenen Reue – genauer: dem Ödipus-Konflikt – glaubt Freud daher den Ursprung sozialer Organisation sowie sittlicher Beschränkung zu erkennen, d.h. den Ursprung der „Gesetzeskraft.“ Die Darstellung dieser spekulativen Theorie Freuds durchläuft bei Jacques Lacan eine „herabsetzende“ Rekonstruktion, da seine Infragestellung des Vatermythos zur Erniedrigung der Namen-des-Vaters (1963) in den Rang eines Symptoms oder Werkzeugs führt. Lacan weist darauf hin, dass der Ödipus-Konflikt eine sprachliche Fiktion ist, die die Unterwerfung unter die symbolisch-kulturelle Ordnung (Sprache) beschreibt, in welche das Subjekt eintreten muss, um überhaupt als Subjekt ins Gewicht zu fallen. Wie Jacques Derrida macht er in seiner Lektüre darauf aufmerksam, dass die Erzählung an der Inanspruchnahme des Beweisgrundes scheitere, weil der Text zu rechtfertigen versuche, was in den Prämissen bereits vorweg genommen wurde: der Vater als Gesetzgeber – das Gesetz des Vaters – die Rechtmäßigkeit der (väterlichen) Gesetzesgewalt. Das Entstehen eines Schuldbewusstseins nach dem kollektiven Töten des Vaters sowie der nachträgliche Gehorsam, den dieses herbeiführt, bedingt, dass die Tat (von den Mördern) bereits als gesetzlicher Verstoß gelesen werden musste. Derrida zeigt hier die Unmöglichkeit auf, das Gesetz im Sinne einer „history“ bzw. einer „story“ fassbar zu machen. Es könne keine Geschichte des Gesetzes geben. Denn ist das Gesetz ein „phantastisches“, ist jede Erzählung des Verbotes eine verbotene Erzählung (tabu) – und Vor dem Gesetz (1982) heißt immer schon am Prozess beteiligt zu sein, dessen Grundlage das Gesetz selbst bildet. In diesem Sinne wird mit Friedrich Nietzsche (Zur Genealogie der Moral, 1887) und Judith Butler (Psyche der Macht, 1997) eine Annäherung („assumption“) zum Gesetz beschrieben, die sich als „annähernde“ Aktualisierung seiner selbst versteht. Es gibt demgemäß keine Macht die handelt, sondern einen (gewaltigen, gewalttätigen) Prozess, der die Macht gleichzeitig hervorbringt, zitiert und ebenso festigt wie das Subjekt, dessen Existenz den Diskurs bestätigt, der es hervorbringt. Bezug nehmend auf Butler ist das Motiv des Vatermordes für die theoretische Zugangsweise, als auch das praktisches Ziel der Arbeit bestimmend, vor allem in Hinsicht auf die Problematisierung „vordiskursiver Gegebenheiten.“ Andererseits ging es nicht um eine historische Analyse von Diskurspolitiken oder eine Einführung in unterschiedliche „Philosopheme,“ sondern eine Befragung grundbegrifflicher Voraussetzungen, und zwar in Verbindung mit der Figur des „Übervaters“ und dem Ziel, die „einfache“ Frage nach dem „Ur“ oder „Vor“ (dem Gesetz [des Vaters]) auseinanderzunehmen, zu demontieren.The theoretical starting point of this paper is Sigmund Freud’s text Totem and Taboo (1913), which examines the “foundation-al” relation between nature and culture. With regard to this assignment Freud tries to trace social (morally) “order” back to a single “natural” event bases on the story about the “primal horde” of Charles Darwin: In “prehistoric times” this was dominated by an authoritarian “father-figure”, who reserved the sole right to reproduce and drove away any potential rivals. Freud imagines that after killing and eating their father, his sons broke off from the father’s horde, yet strove to attain his position as Alpha-male. As a result of their guilty conscience the position held by the “father figure” was deeply reinforced: what was forbidden became an act of law, for his sons the totem was taboo. In their consequent collective feelings of remorse – or: the Oedipus complex – Freud believes to have identified the beginning of social organisation as well as moral restriction, that is to say the origin of the “force of law.” In Jacques Lacan’s interpretation, this speculative theory of Freud’s is challenged in the Name-of-the-Father (1963) to the degree that it is a symptom or instrument. Lacan draws attention to the fictional element of the Oedipus complex and maintains that it illustrates the subjection to the symbolic/cultural order (linguist system), that a subject has to assume in order to matter (socially). Like Jacques Derrida, Lacan points out that the tale fails to live up to the proposition of its own argument, because the text tries to justify something that the premise already anticipates: the father as legislator – the law of the father – the legitimacy of the force of law (of the father). The development of feelings of guilt after collectively murdering the father and consequent obedience presupposes that the deed was taken as legal violation (by assassins). In this context Derrida highlights the impossibility of grasping law in terms of “history” or “story”. There can’t be a narrative of the law. For the law is “fantastic”, every narration of its forbiddance is outlawed (taboo) – and to be Before the Law (1982) always means to be part of the process that forms the law’s fundament. In this sense an assumption of the law can be pictured as effectiveness “in approach”, in accordance with Friedrich Nietzsche (On the Genealogy of Morality, 1887) and Judith Butler (The Psychic Life of Power, 1997). Hence there is no law of enforcement, but a (powerful, violent) process, which at the same time originates, quotes and strengthens the power as it stabilizes a subject whose existence confirms the discourse, from which it emanated. Referring to Butler, the motive of the murder of the father becomes vital in terms of the theoretical approach as well as the practical ambition of this thesis, most notably in consideration of “prediscursive realities.” On the other hand, it is neither about a historical analysis of the politics of discourse nor about introducing different “philosophical theorems,” but a survey of conceptual preconditions, namely in connection with the figure of the father and the intention to take apart or dismantle the “simple” question on the “Pre” or “Before” (the law [of the father])