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Paul Tillich und Emanuel Hirsch : Wingolfiten im Spannungsfeld der Politik
âWie sehr Werturteile die Geschichtsdeutung prĂ€gen, zeigt sich an der Langlebigkeit lĂ€ngst widerlegter Moralklischees. Das gilt besonders fĂŒr die kirchliche Zeitgeschichte. Die Bilder des Kirchenkampfes wirken immer noch auf die ForschungsatmosphĂ€re ein, obwohl die strikte GegenĂŒberstellung von Guten -der Bekennenden Kirche- und Bösen -den âDeutschen Christenâ - sich sachlich lĂ€ngst nicht mehr halten lĂ€Ătâ â so unlĂ€ngst Johann Hinrich Claussen in der FAZ unter dem Titel: âSozialistisch unentschieden. Paul Tillichs Theologie und die Zeitgeschichteâ. Differenzierungen mit dem Ziel, auch in der Theologie simple bipolare Systematisierungen aufzulösen, sind angesagt. So hat es âunter dem Namen âDeutsche Christenâ eine in sich homogene Gruppierung dieses Namens nicht gegeben. Vielmehr handelte es sich um zahlreiche Klein- und Kleinstgruppen, die als lockere Sammlungsbewegung ihren Höhepunkt im Umfeld der Machtergreifung [Hitlers] erreichten und ab 1934 wieder in die Zersplitterung zurĂŒckfielenâ (Jochen-Christoph Kaiser: Die Deutschen Christen im Spannungsfeld von kirchlichem Hegemonieanspruch und völkischem Neuheidentum auf dem Weg zur Sekte? In: Hartmut Lehmann [Hg.], Religiöser Pluralismus im vereinten Europa. Freikirchen und Sekten. [Bausteine zu einer EuropĂ€ischen Religionsgeschichte im Zeitalter der SĂ€kularisierung; Bd. 6, 49-71; hier 49]). Die VielfĂ€ltigkeit des deutschchristlichen Spektrums bewegte sich zwischen einem eher nationalprotestantisch-konservativen, tradierte religiöse Standards beachtenden Strang und unterschiedlichen AusprĂ€gungen âvölkischerâ Auffassungen, die das âDritte Reichâ fĂŒr das âneue Jerusalemâ hielten. âZwischen diesen beiden Positionen bewegten sich im Grundsatz alle deutsch-christlichen Vereinigungen. Sie konnten dabei ihr jeweiliges Credo situativ, d. h. in Anpassung an die jeweilige Zeitlage oder ihr Auditorium modifizieren, so daĂ es schon einen Unterschied macht, ob wir von âDeutschen Christenâ Ende der 1920er Jahre, im Jahr 1933, in der Periode der KirchenausschĂŒsse [1935-1937] oder im Zweiten Weltkrieg sprechenâ
Mystik im Protestantismus
Ob die wenigen Protestanten RĂŒdesheims, denen die nassauische Landesregierung in der ersten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts im sĂ€kularisierten Eibinger Kloster einen Raum fĂŒr ihre Gottesdienste ĂŒberlassen hatte, ob der UrgroĂvater meiner Frau, der von 1870-1904 evangelischer Pfarrer in Bingen war, die Mystik als mögliche Form einer protestantischen Frömmigkeit anerkannt hĂ€tten? Schon Friedrich Schiller war da skeptisch! Im ersten Band seiner âGeschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierungâ (Leipzig 1788) schrieb er, spĂ€tere religionssoziologische Positionen vorwegnehmend: âEinem romantischen Volke ... war eine Religion angemessener, deren prĂ€chtiger Pomp die Sinne gefangen nimmt, deren geheimnisvolle RĂ€tsel der Phantasie einen unendlichen Raum eröffnen, deren vornehmste Lehren sich durch malerische Formen in die Seele einschmeicheln. Einem Volke im Gegenteil, das, durch die GeschĂ€fte des gemeinen bĂŒrgerlichen Lebens zu einer undichterischen Wirklichkeit herabgezogen, in deutlichen Begriffen mehr als in Bildern lebt und auf Unkosten der Einbildungskraft seine Menschenvernunft ausbildet - einem solchen Volke wird sich ein Glaube empfehlen, der die PrĂŒfung weniger fĂŒrchtet, der weniger auf Mystik als auf Sittenlehre dringt, weniger angeschaut als begriffen werden kann. Mit kĂŒrzeren Worten: Die katholische Religion wird im ganzen mehr fĂŒr ein KĂŒnstlervolk, die protestantische mehr fĂŒr ein Kaufmannsvolk taugenâ. ..
Napoleon I., ein Kirchenvater der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau? : Zu einem Nebenprodukt der SĂ€kularisation von 1803
ZunĂ€chst hielt der als âReichserztambourâ verspottete hessen-darmstĂ€dtische Soldaten-Landgraf Ludwig IX. die Französische Revolution offenbar fĂŒr eine Nebensache! Der Erstbesteiger der âBastilleâ in Paris sei ein Gardekorporal aus Rufach im ElsaĂ gewesen: Dieser erste Hinweis auf den âSturm auf die Bastilleâ am 14.07.1789 im Tagebuch des Landgrafen am 16.07.1789 steht dort zwischen den Routine-EintrĂ€gen ĂŒber die tĂ€glich komponierten MilitĂ€rmĂ€rsche (â4 MĂ€rsche gemacht, damit 91.197 ĂŒberhauptâ) und ĂŒber GichtanfĂ€lle der landgrĂ€flichen MĂ€tresse âMadame de Bickenbachâ. Allerdings ist schon am 23.07.1789 an gleicher Stelle eine Prophetie des durchreisenden Marquis de Montasqui zu lesen, demzufolge âdie groĂe Rebellion in Frankreich... wĂŒrde viele Köpfe kostenâ. In einem Brief an Christoph Martin Wieland in Weimar schreibt Kriegsrat Johann Heinrich Merck im Februar 1791 aus Paris: âEine ganze Nation, die nach Besserung der Sitten dĂŒrstetâ, âdie Mörgenröte einer besseren Erziehung, ... und in allem diesem das groĂe Beispiel fĂŒr Europa, was der Mensch und die Menschen cumulatim vermögenâ. In seiner âKampagne in Frankreich 1792â schreibt Jo-hann Wolfgang Goethe am 19.09.1792 nachts unter dem Eindruck der âKanonade von Valmyâ: âVon hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.â ..
Musik als Religionskultur : Johann Christian Heinrich Rincks (1770 - 1846) Bedeutung fĂŒr die hessische Religionskultur und Schulgeschichte
Bekanntlich ist zumindest in territorialer Hinsicht Kaiser Napoleon I. ein "Kirchenvater" nicht nur der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Seine Neuordnung der Landkarte Deutschlands hatte auch erhebliche Auswirkungen auf die Religionskultur - bis hin zur Kirchenmusik! Als das Kasseler Konsistorium sich von dem Hanauer Konsistorium je ein Exemplar der in seinem Bezirk gebrĂ€uchlichen GesangbĂŒcher erbat, erhielt es von Hanau am 15.8.1837 die Antwort, "daĂ in der hiesigen Provinz [der 1736 an Hessen-Kassel gefallenen Grafschaft/FĂŒrstentum Hanau-MĂŒnzenberg] 12 GesangbĂŒcher bestehen, von deren jedem ein Exemplar zu verschaffen deswegen schwierig sei, weil in den Gemeinden selbst ein solches kaum zu entbehren ist"
Die ganze Kirchengeschichte: Mischmasch von Irrtum und Gewalt! : Johann Wolfgang von Goethe denkt ĂŒber Terror und Gewalt nach
In seinem Werk âDie Absolutheit des Christentums und die Summe der Anthropologieâ (2. Aufl., Heidelberg 1966) hat Wolfgang Philipp die provokante These vertreten: âDie âPolitische Arenaâ ist in Wirklichkeit eine religiöse Arena. Die Leidenschaft, mit der politische Probleme durchgefochten werden, lĂ€Ăt darĂŒber hinaus vermuten, daĂ religiöse Elementarstrukturen sich in diesem Felde mit besonderer Konsequenz abzeichnen. Und in der Tat erweist sich die Metaphysik des Politischen als eine der strukturreinsten Einkörperungen der Reinen Religion ... Die oft zu hörende Klage der Politologen, daĂ es schwer, bzw. unmöglich sei, politische Strukturen exakt zu definieren, beruht auf deren metaphysischem Charakterâ. Im Folgenden will ich versuchen, diese These vor allem anhand des VerstĂ€ndnisses von Kirchengeschichte, wie wir es bei Gottfried Arnold und Johann Wolfgang von Goethe finden, zu ĂŒberprĂŒfen. ..
Zur Religion des jungen Goethe
Die Behandlung einiger Aspekte der ReligiositĂ€t des jungen Goethe unter besonderer BerĂŒcksichtigung der damaligen Frankfurter religiösen VerhĂ€ltnisse hat zunĂ€chst die Vieldeutbarkeit der ĂuĂerungen des Dichters zu unserem Thema, ihren Metapher-Charakter zur Kenntnis zu nehmen: Goethe wurde (und wird) fĂŒr ganz verschiedene Interessen in Anspruch genommen, die die Interpretation jeweils "kanalisieren"! So pries das freigeistige 19. Jahrhundert in ihm den ReligionsverĂ€chter und groĂen Heiden; David Friedrich StrauĂ und Ernst Haeckel haben sich auf ihn berufen. Der liberale Kulturprotestantismus wieder-um sah im Dichter des "Faust" eher einen modernen Christen, wĂ€hrend neoklassische Ausleger Goethes Religion als eine neue Offenbarung des weltimmanenten Göttlichen und Goethe als BegrĂŒnder einer vom Christlichen gelösten "Welt-frömmigkeit", ja eines neuen Heidentums priesen [1]. Inzwischen gelten solche Versuche, Goethes religiöses Denken als Doktrin zu fassen, trotz seiner Empfehlung, seine Schriften als "BruchstĂŒcke einer groĂen Confession" zu lesen, als problematisch. Schon der Titel seiner Autobiographie "Dichtung und Wahrheit" deutet auf den poetischen Anteil an der Selbstreflexion hin. ..
Beten und Verstehen : eine religionswissenschaftliche AnnÀherung an Friedrich Heiler (1892 -1967)
'Friedrich Heiler als Religionswissenschaftler' - so lautete die ursprĂŒnglich vorgesehene Formulierung des Themas. Im ProzeĂ des Nachdenkens gab es gute GrĂŒnde fĂŒr eine Modifikation. ZunĂ€chst ist die begriffliche NĂ€herbestimmung von 'Religionswissenschaft' weithin zu einem positionellen Unternehmen geworden. Der Bogen spannt sich von einem aufklĂ€rerisch-religionskritischen Impetus bis hin zu einer theologischen Indienstnahme der Religionswissenschaft. Welcher Position ist Heiler hier zuzuordnen? Die Frage, welches VerstĂ€ndnis von Religionswissenschaft bei Friedrich Heiler anzutreffen ist, hĂ€ngt offenbar auch von persönlichen EinschĂ€tzungen seines Gesamtwerkes und seiner Biographie ab. WĂ€hrend Studenten in Marburg nach Selbstzeugnissen "Heiler nur als Religionswissenschaftler, nicht als Kirchenmann" kannten, konnte Wolfgang Philipp 1967 in einem "ökumenischen Portraits"[1] Heilers gerade das Gottesdienstlich-Liturgische in den Mittelpunkt stellen. Beide Aspekte haben ihren Anhalt auch an Heilers Biographie: 1929 wurde er Vorsitzender der Hochkirchlichen Bewegung; in dem 1948 gegrĂŒndeten 'Bund fĂŒr Freies Christentum' war er Vorstandsmitglied. In seinem BĂŒchlein SchlĂ€ft ein Lied in allen Dingen schreibt Rudolf Irmler: "Heilers Ziel war die Erneuerung des Gottesdienstes unter Wort und Sakrament"[2]. Udo Tworuschka, positionell eher dem 'Freien Christentum' verpflichtet, sieht in Heiler "in erster Linie den Theologen"; aber er ist fĂŒr ihn "ein Theologe ganz besonderen Zuschnitts": "ein GrenzgĂ€nger zwischen Wissenschaften, Konfessionen, ja Religionen. Man kann den Religionswissenschaftler nicht ohne den Theologen, Liturgen, Musiker, Menschen- und Tierfreund verstehen. ..
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