Beschädigtes Zelluloid

Abstract

Die Geringschätzung und Ablehnung des Materiellen in der Kunsttheorie und -praxis bis hin zur Moderne erschließt sich zum einen aus einem geschichtsphilosophischen Gesichtspunkt. Nicht das Material, sondern die Idee steht hier maßgeblich im Zentrum des Kunstwerks, d. h. die/der KünstlerIn verleiht dem Material die entsprechende Form, um ihre/seine Idee zu verwirklichen. Ein weiterer Blick auf die gesellschafts- sowie kunsthistorischen Bewegungen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts soll zum anderen wesentlich zur Veranschaulichung der veränderten Auffassung von Dingen und deren Materialität in der Kunst dienen, um anschließend einen Bogen zur Wahrnehmung des künstlerischen Materials als eigenes Wesen zu spannen. Fotografie und Film sind es, die die Hinwendung zum Material in der bildenden Kunst auslösen. Sie vermögen es die Realität vermeintlich wirklichkeitsgetreuer wiederzugeben als die Malerei. Diese antwortet zunächst mit der Betonung der Farbe. Als Folge legt die Malerei zunehmend die gewohnten Grundregeln tiefensperspektivischer Illusion und ikonischer Abbildung der Realität ab und beweist damit, dass sie auch ohne eindeutige Referenz auskommen kann (Impressionismus, Expressionismus, Fauvismus etc.). Später finden neben traditionsreichen Materialien wie Holz, Bronze, Stein und Farbe erstmalig Fremdmaterialien und Dinge aus nicht-künstlerischen Bereichen in der Kunst Verwendung (Kubismus, Futurismus, Kubofuturismus, Dadaismus, Surrealismus, Nouveau Réalisme etc.). Auch wenn sich die Kunstgeschichte dem Material durch die Forschung zur Materialikonologie bereits stark genähert und erwähnenswerte Anschauungen erlangt hat, zeigt sich das Material meist immer noch als Beiwerk des Kunstwerks. Erst wenn die Kunstschaffenden dem Material eine formale, künstlerische Gestaltung verleihen, kommt die Bedeutung des Materials zur Geltung. Durch diese „Distanzierung“ der KünstlerInnen von ihren Kunstwerken (vermehrt seit den 1960er Jahren), machen sie das Material auf unterschiedliche Art ästhetisch erfahrbar. Im Zusammenhang von Film und bildender Kunst werden in dieser Arbeit die Praktiken Found Footage (Verwendung von bereits belichtetem Zelluloid) und Handmade bzw. Direct Film (Physische Bearbeitung von Found Footage und/oder Blankfilm) in einen kunsthistorischen Kontext eingebettet und analysiert, um sich dem Zelluloid als künstlerischem Material zu nähern. Die Kombination von Found Footage und Handmade bzw. Direct Film betont gleich auf zwei unterschiedliche Weisen die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Filmstreifen, die so stets im Zentrum dieser Arbeit steht. Sowohl die intendierte Materialmanipulation als auch der vergängliche Filmstreifen (Nitrofilm) als Ausgangspunkt rücken die Fragilität und Instabilität des Filmstreifens in den Vordergrund und präsentieren das Zelluloid als materiellen Akteur im Sinne eines Objekts, das physisch bearbeitbar ist und/oder eines Subjekts, das selbst zu Wort kommt

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This paper was published in OTHES.

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