Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung / Journal of East Central European Studies (ZfO)

Kersken, Norbert

 Schade ist, dass R.s Buch ein Register fehlt – da es aber auch als E-book erhältlich ist, kann man natürlich darauf verzichten. Und schade, aber wohl finanziell begründet, ist, dass sein Buch nur wenig bebildert ist und dass gerade Stadtpläne so klein reproduziert sind, dass ihre Lesbarkeit sehr darunter leidet. Aufgrund seiner umfangreichen Archiv-recherchen bietet R.s Buch jedoch einen so reichen Fundus an Daten und Fakten, dass es für weitere Untersuchungen staatlichen Bauwesens in der Habsburgermonarchie von gro-ßem Nutzen sein wird. Wien Richard Kurdiovsky   Gábor Thoroczkay: The Historical Research on the Árpád Era. From the Austro-Hun-garian Compromise (1867) to the Present Day. (Arpadiana, Bd. 17.) HUN-REN Research Centre for the Humanities. Budapest 2024. 260 S. ISBN 978-963-416-458-6. (Ft. 4500,–.)  Der Autor, Mediävist an der Eötvös-Lorand-Universität in Budapest, gibt einen Über-blick über die Geschichte der ungarischen Mittelalterforschung, ihrer Institutionen, Perso-nen und Themen. Eingeleitet wird die Darstellung mit der Skizzierung der institutionellen Rahmenbedingungen mediävistischer Arbeit in Ungarn, einer Orientierung über die Uni-versitäten und außeruniversitären Einrichtungen, die geschichtswissenschaftlichen Zeit-schriften und das universitäre Qualifikationsmodell. Das zweite Kapitel bietet einen einge-henden Überblick über die Quellenpublikationen zur ungarischen Geschichte (Editionen der erzählenden Quellen und der Urkunden) und die Handbücher zur ungarischen Ge-schichte, wobei auch das Projekt der zehnbändigen Geschichte Ungarns (1976–1989), de-ren zweiter Band für die Zeit von 1242 bis 1526 nie erschienen ist, Erwähnung findet; im Anschluss folgt eine Vorstellung wichtiger Forschungsarbeiten und Monografien zu ein-zelnen geschichtswissenschaftlichen Teilbereichen. Insgesamt wird hier ein erschöpfender Überblick über Forschungsstand und Fragestellungen der ungarischen Mittelalterforschung geboten. Im zweiten Teil des Buches liefert der Autor in fünf zeitlichen Abschnitten einen Ab-riss der Geschichte der ungarischen Forschung zur Árpádenzeit, einsetzend im letzten Drit-tel des 19. Jh. In der Zeitspanne 1867–1920 wurden Fragen der Bewertung der ältesten Geschichtsquellen, der gesellschaftlichen Schichtung und der Goldenen Bulle von 1222 angesprochen; prägende Forscher dieser Zeit waren Gyula Pauler, Henrik Marczali, János Karácsonyi und László Fejérpataky. Die Mediävistik der Zwischenkriegszeit (1920–1944), die unter dem Einfluss des sog. geistesgeschichtlichen Ansatzes stand, erarbeitete Editio-nen der erzählenden Quellen (Scriptores rerum Hungaricarum; Gombos, Catalogus fon-tium), konzentrierte sich auf Forschungen, die die Zeit Stephans des Heiligen betrafen, und konnte in mehreren Publikationsorganen in westlichen Sprachen eine breitere Fachöffent-lichkeit erreichen. Prominente Historiker dieser Zeit waren Bálint Hóman, István Hajnal und Elemér Mályusz sowie die etwas jüngeren Péter Váczy, József Deér und Lóránd Szilágyi. Der dritte Zeitabschnitt betrifft die Jahre von 1945 bis 1956 und beleuchtet die wenigen Ansätze, marxistische Positionen in die ungarische Mediävistik einzubringen, wo-für vor allem das Wirken von Erik Molnár, Emma Lederer und György Székely stand. Der vierte, umfangreichste Abschnitt für den Zeitraum von 1956 bis 1989/90 firmiert unter dem Leitbegriff der Re-Professionalisierung. Dieser Professionalisierungsschub implizierte auch eine allmähliche Lockerung ideologischer Vorgaben für die historische Forschung und eine Beachtung nationalgeschichtlicher Perspektiven auf die ältere Geschichte, was vor allem in der Diskussion um die dako-rumänische Kontinuitätsthese und in der Publika-tion der mehrbändigen, von Béla Köpeczi hrsg. Geschichte Siebenbürgens (1986, engl. Ausgabe 2001/02) Ausdruck fand. Als prägende Mediävisten dieser Jahre wird das Werk von György Györffy, Jenő Szűcs und József Gerics in Budapest skizziert, doch fällt in die-se Jahre auch die Ausbildung mediävistischer Forschungszentren außerhalb der Haupt-stadt, in Debrecen (László Solymosi), in Szeged (Gyula Kristó) und in Pécs (Márta Font). Die ungarische Emigration nach 1943/45 bzw. 1956 betraf auch die Mittelalterforschung;  gewürdigt werden die Arbeiten von János Bak, József Deér, Tamás Bogyay, Szabolcs Vajay und Zoltán Kosztolnyik. Das abschließende Kapitel skizziert die aktuelle Forschergeneration und Forschungen der Jahre von 1990 bis etwa 2020, die unter neuen wissenschaftlichen Bedingungen ent-standen sind. Mit einem ausgesprochen árpádenzeitlichen Arbeitsschwerpunkt stechen vor allem Attila Zsoldos und der Autor selbst hervor; hervorgehoben werden weiterhin die so-zial- und wirtschaftsgeschichtlichen Arbeiten von Boglárka Weisz und die militär- und his-toriografiegeschichtlichen Publikationen von László Veszprémy. Die verschiedenen Wis-senschaftszentren haben sich stabilisiert, wobei an dieser Stelle auch der von János Bak initiierte mediävistische Schwerpunkt an der Central European University (vgl. S. 15 f., 24 f.) eine Würdigung verdient gehabt hätte. Es zeichnet sich aber auch ab, dass neben der Árpádenzeit das spätere Mittelalter ein größeres Forschungsinteresse auf sich zieht. Die einzelnen zeitlichen Abschnitte berücksichtigen neben der historischen Mittelalterfor-schung im engeren Sinn auch entsprechende Anstrengungen im Bereich der mittellateini-schen Philologie (S. 118 f., 176 f.) und der Byzantinistik (S. 82 f., 105 f., 158–160, 179 f.). Der Band ist im Grunde eine chronologische Darstellung der ungarischen Mediävistik – soweit sie sich auf die Árpádenzeit bezieht – seit 1867, nicht ein Überblick über die Erfor-schung der Árpádenzeit insgesamt, da Forschungen nicht-ungarischer Provenienz nur ganz vereinzelt berücksichtigt werden. Die Darlegung folgt dem Wirken prägender Forscher, skizziert deren Themen und Publikationen; wissenschaftliche Kurzbiografien dieser Histo-riker werden an entsprechender Stelle in eingerücktem Satz geboten. Begrüßenswert ist es, dass kein linearer Erkenntnisfortschritt unterstellt wird, immer wieder wissenschaftliche Kontroversen und ihre Exponenten hervorgehoben und offene Fragen, etwa in der Diskus-sion über die Székler (S. 170 f.), markiert werden. Vermissen mag man dabei, dass die Auswirkungen der sog. Mediävisierung der Politik (János Bak) auf die ungarische Mittel-alterforschung nicht angesprochen werden. Die Wahl einer solchen forscherzentrierten an-stelle einer problemorientierten Darstellung führt zu einer deutlichen Darstellung der in den einzelnen Zeitabschnitten dominanten Strukturen und Personen, macht es aber nicht leicht, den Forschungsgang zu immer wieder aufgegriffenen Themen im Blick zu behalten, zumal das Register nur Personennamen und geografische Namen enthält, nicht aber Sach-begriffe, durch die wiederkehrende Forschungsfragen leichter nachzuverfolgen gewesen wären. Das umfangreiche Literaturverzeichnis ist keine erschöpfende Bibliografie der For-schungen zur Árpádenzeit, bietet aber einen verlässlichen Überblick über die wichtigsten Publikationen. Im Ausblick trägt der Autor Gedanken zur Theoriebezogenheit der ungari-schen Mediävistik vor und bedauert mit Blick auf das künftige Forschungspotenzial den Rückgang des Lateinunterrichts an den Schulen. Linden Norbert Kersken   Biopolitics in Central and Eastern Europe in the 20th Century. Fearing for the Nation. Hrsg. von Barbara K l i c h - K l u c z e w s k a, Joachim v o n  P u t t k a m e r  und Immo R e -b i t s c h e k. (Routledge Histories of Central and Eastern Europe). Routledge. London – New York 2022. 276 S., Ill. ISBN 978-0-367-75123-4. (£ 125,–.)  „Biopolitik“ ist durch die global zu beobachtenden staatlichen Maßnahmen während der Covid-19-Pandemie weit über den Kreis derjenigen, die mit der Foucaultschen Frage nach „Biomacht“ arbeiten, als Schlagwort genutzt geworden. Als analytischer Begriff spielt „Biopolitik“ bereits seit längerem in der Forschung vor allem zu Fragen mensch-licher Reproduktion eine Rolle. Wie der auf eine Tagung 2019 am Jenaer Imre Kertész Kolleg zurückgehende Band zeigt, setzte eine Perspektivenerweiterung schon vor Beginn der Pandemie ein.  Grundlegende Prämisse der 13 lesenswerten Beiträge ist, dass Michel Foucault und die ihm nachfolgenden Theoretiker:innen die sozialistische Ausprägung von Biopolitik nicht 

German

Gábor Thoroczkay: The Historical Research on the Árpád Era.

Pojar, Vojtěch

 Lebensleistung, wie z. B. das Konzept der sog. organischen Arbeit (praca organiczna). Die Werke der jiddischen Autoren enden, anders als die polnischen, in Emigration und Tod. Geschichte als Familiengeschichte scheint die größte Stärke des Familienromans in beiden Sprachen zu sein. Der Band wirkt stellenweise zu schulisch geschrieben, aber das ist ein verzeihlicher Makel von Doktorarbeiten. Weniger verzeihlich ist, dass die Kapitel I und II zu ausführlich sind. Vor allem die Darstellung der einzelnen Protagonisten führt zu Wiederholungen, in weiteren Analysen (Kap. III). Wertvoll ist die sehr gute Übersetzung der jiddischen und polnischen Texte ins Deutsche durch die Autorin. Poznań  Maria Wojtczak  Friederike Kind-Kovács: Budapest’s Children. Humanitarian Relief in the Aftermath of the Great War. Indiana University Press. Bloomington 2022. 358 S., Ill. ISBN 978-0-253-06216-1. ($ 39,–.) The theme of transnational humanitarianism is certainly not new in the overlapping fields of global and transnational history. Yet only recently has it begun to emerge as a prominent issue in the historiography of East Central Europe, with its adoption serving as a strategy for globalizing regional historical narratives. Friederike K i n d - K o v á c s’s Buda-pest’s Children is an exemplary and groundbreaking study in this regard, one that is sure to be emulated by other scholars. It focuses on the international food aid that materialized in Hungary’s metropolis, Budapest, in the early years after World War I, as the city was rav-aged by the collapse of the empire and a vanquished revolution. Articulate and full of vivid details, the nine chapters of this book (accompanied by an introduction and a conclusion) are a compelling read. While the individual chapters focus on specific themes such as migration, institutions, and bodies, K.-K. skillfully weaves them into a narrative about the interplay between internationalism and nationalism. By ex-ploring how transnational food aid was leveraged to lend legitimacy to Hungary’s national conservative regime and to promote its agendas on a transnational level, Budapest’s Chil-dren aligns with authors such as Glenda Sluga,1 who stress the ambiguity of interwar in-ternationalism and its evolution hand in glove with nationalism. The opening chapters set the stage by presenting the stark social challenges facing Bu-dapest in the final years of World War I and the immediate postwar period. Merging social with cultural and institutional histories, K.-K. also analyzes the framing of these challenges in public discourse and reconstructs the local networks responsible for addressing them.  The book begins by examining the massive influx of displaced Hungarians into Buda-pest, showing how the images of their plight and downward social mobility were used to advance Hungarian nationalism and emerging territorial revisionism. Titled “Hunger” and “Degeneration,” the next two chapters address the severe postwar food shortage in Buda-pest. The bodies affected—primarily children—were portrayed as both the future of the nation and a source of its strength, evoking fears that their starvation would cause a collec-tive biological decline. Visual media played a key role in spreading these messages, mak-ing “[t]he story of Budapest’s children […] a visual story” (p. 99). The fourth chapter shifts focus to the germination of child protection and welfare in Hungary during the last decades of the empire, their expanded role in addressing wartime challenges, and the criti-cal involvement of middle-class women in their day-to-day operations. This foundation underpins the heart of this volume, exploring the transformative inter-play between transnational humanitarian efforts and local actors. Chapter five analyzes the creation of an international humanitarian relief infrastructure in Hungary’s capital starting in 1919, mapping connections between Budapest, Great Britain, the United States, and Geneva. Key transnational actors included the American Relief Administration and the                                                                 1  GLENDA SLUGA: Internationalism in the Age of Nationalism, Philadelphia 2013.  Save the Children Fund. The subsequent chapter focuses on practices sponsored by these actors, especially the feeding of a portion of the city’s children. Adopting a Foucauldian lens, K.-K. interprets these medicalized practices as a “transnational biopolitical interven-tion” (p. 184). Chapter seven, a highlight of the book, probes the political rationales behind these relief projects, arguing that local actors used them to advance nationalism and revi-sionism, while transnational philanthropies pursued anti-Communist goals; they also sought to export the rationalization movement, create local dependence, and foster soft power for their states. The final two chapters explore major initiatives focused on children, beyond food distribution, supported by transnational actors: “children’s trains” transport-ing selected children for recuperative stays or placement with families abroad, and educa-tional projects aimed at preventing children’s moral and biological “degeneration.” K.-K. uses these examples to strongly suggest that the emotional and even physical welfare of children was often far from a priority for the actors involved, as it was overshadowed by the pursuit of the perceived national interest. Beyond its main focus, the volume effectively illustrates, through the case of child pro-tection and welfare, how the institutions and expertise that emerged in the Habsburg impe-rial context persisted in the nation-states that succeeded it after its demise, even in the un-likely sphere of biopolitics. In this regard, Budapest’s Children commendably seeks to demonstrate how, in some cases, local knowledge and practices in Budapest contributed to transnational debates, challenging the notion that these exchanges were merely instances of a one-way transfer from “the West.” By foregrounding the interplay of transnational humanitarians with actors beyond the state—primarily the sections of local civil society that were nationalist, and sometimes even illiberal—the volume also offers a striking ex-ample of how biopolitics in East Central Europe operated before and beyond its embrace by the state, even though these observations do not culminate in theoretical reflections. One significant cluster of questions that appears to be largely overlooked in the volume relates to the racialization of Budapest’s children and the role of the concept of “race” in the interaction between internationalist humanitarianism and local nationalist actors more broadly. One is left to wonder, for example, whether the calls for the magnanimity of the international public were limited to emotional appeals to help innocent suffering victims, or if it also mattered that these subjects were framed as being on the “white side” of the global color line. The ensuing dynamic of inclusion and exclusion, particularly with regard to Budapest’s Romani and Jewish inhabitants, also remains underexplored. A greater engagement with the history of eugenics would have added another signifi-cant layer to the volume’s argument. As a discourse centered on reshaping and regenerat-ing the “race,” eugenics had a truly global spread by the early twentieth century, and its goals were widely shared across multiple scientific fields and beyond. A telling symptom of the not fully acknowledged salience of eugenics by the author is that “degeneration”—eugenicists’ preferred specter—is one of the most frequently recurring tropes in the book. Significantly, eugenics in the early twentieth century was far from being limited to the ge-netic determinism with which it is often associated in popular view; rather, it drew on mul-tiple competing assumptions about human heredity. A number of eugenics advocates in Austria-Hungary still held some version of the view that characteristics acquired during one’s life were inherited by subsequent generations, and thus, one’s environment crucially shaped the “race.” These neo-Lamarckian assumptions help explain why doctors and the broader public were so concerned about the biological effects of food shortages and unsan-itary conditions, and why these concerns revolved most strongly around children. Damag-ing children’s bodies, regarded by these eugenicists as most vulnerable to external influ-ences and as generators of future population growth, meant damaging the imagined and racialized collective body. The salience of eugenics is unsurprising here, considering that eugenic ideas thrived in Austria-Hungary long before its collapse and shaped certain prac-tices of food aid and maternal welfare already during the war.  The concept of biopolitics could have played a more central role in the volume, as these points suggest, unifying key themes such as mobility control, nutrition, and the tropes of “degeneracy” and national efficiency. This would also have allowed the author to explore more deeply how these initiatives (re)defined the boundaries and core groups of the imag-ined national community. At a time when Hungarian nationalism increasingly cast the countryside as the wellspring of national identity and biological renewal, while cities (pri-marily Budapest) were viewed as centers of contaminating otherness, the emphatically na-tionalist language framing the aid program for the starving metropolis appeared less self-explanatory than the book assumes. Nonetheless, Budapest’s Children remains a major and innovative contribution to discussions on internationalism, nationalism, and transnational humanitarian aid in East Central Europe. Wien Vojtěch Pojar2                                                                2  The research that this review is part of was supported by a PhD Fellowship from the Centre français de recherche en sciences sociales (CEFRES, UAR3138, UMIFRE 13, CNRS-MEAE) in Prague.   Wars and Betweenness. Big Powers in Middle Europe, 1919–1945. Hrsg. von Aliaksandr P i a h a n a u und Bojan A l e k s o v. Central European University Press. Budapest – New York 2020. VII, 227 S. ISBN 978-963-386-335-0. (€ 56,–.) Der Sammelband enthält eine ganze Reihe von Beiträgen vor allem jüngerer Autorin-nen und Autoren zu konzeptionellen, aber auch zu thematisch eher vereinzelten Themen-bereichen der Geschichte Ostmitteleuropas im beginnenden 20. Jh. Dabei wählen die Hrsg. Aliaksandr P i a h a n a u  und Bojan A l e k s o v eine zeitliche Zuordnung, der sich nur als sehr beliebig bezeichnen lässt: 1918, also vom Ende des Ersten Weltkriegs, bis 1945, dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dieser Zeitschnitt kann von den Hrsg. nicht wirklich konzi-se und einsichtig beschrieben werden. Er mag sich aus dem Blickwinkel auf die vor allem westeuropäischen Akteure erklären, denen das Hauptaugenmerk des Bandes gilt. Für die Geschichte Europas als Ganzes oder gar des östlichen Mitteleuropas bleibt er für eine klare Analyse eher hinderlich. Der Band ist in fünf Cluster unterteilt, die sich gliedern nach: „Balancing (out) of Po-wers“, „Bordering“, „Putting Out Fire with Gasoline“, „Self-Determination?“ und „Cul-turing and Perceiving” mit jeweils zwei Aufsätzen. Diese thematische Breite in einem eher schmalen Band erfordert die Konzentration auf wenige Schwerpunkte. Im ersten Cluster konzentrieren sich die Autoren auf die französische und die britische Seite und deren Poli-tik in den 1920er-Jahren als Versuch der Schaffung einer französischen Einflusssphäre in Ostmitteleuropa 1936 und 1939 (Balkan). Bereits hier sind Probleme hinsichtlich der ge-radlinigen Vergleichbarkeit und damit der Übersichtlichkeit der Beiträge für eine ostmit-teleuropäische Geschichtsschreibung zu bemerken: die Zeitschnitte blenden in allen Clus-tern die Tatsache der Ent-Demokratisierung der meisten ostmitteleuropäischen Staaten aus, die nach 1919 als moderne parlamentarische Demokratien oder konstitutionelle Monar-chien in ihre (wiedererlangte) Selbstständigkeit gestartet waren. Die Hegemonialbestre-bungen und die gerade Ostmitteleuropa bedrohende rassistische Ideologie des national-sozialistischen Deutschland werden in den einzelnen Beiträgen ebenso nur angerissen wie die sowjetische Politik. Damit werden zentrale systemische Strukturen Ostmitteleuropas zu wenig beachtet, und der zeitliche Fokus des Bandes behindert die Autoren. Dem kann auch die Einleitung der Hrsg. keine Abhilfe schaffen. Hier wird ein konzep-tioneller und terminologischer Aspekt zu sehr in den Vordergrund gestellt: die Nutzung des Begriffes big anstatt great für die agierenden Großmächte – mithin soll es um eine rein quantitative anstelle einer auf ihre Machtstrukturen und Einflussmöglichkeiten bezogene qualitative Wirkung vor allem Frankreichs und Großbritanniens gehen. Die Hinzuziehung Deutschlands, Russlands, Italiens und sogar Japans bleibt fragmentarisch und strukturell 

English

Friederike Kind-Kovács: Budapest’s Children.

Tönsmeyer, Tatjana

 Helene J. Sinnreich: The Atrocity of Hunger. Starvation in the Warsaw, Łódź, and Kraków Ghettos during World War II. Cambridge University Press. Cambridge u. a. 2023. XII, 294 S., Ill. ISBN 978-1-00-910008-3. (£ 29,99.) Dass Hunger in vielen Ghettos im besetzten Polen grassierte und zum Teil für ein Aus-maß an Sterblichkeit verantwortlich war, das phasenweise selbst jene in Konzentrations-lagern übertraf, ist in der Forschung grundsätzlich bekannt. Eine detailliertere Untersu-chung dazu stand jedoch noch aus. Diese hat nun Helene J. S i n n r e i c h  mit dem hier zu besprechenden Buch vorgelegt. Im Kern schreibt sie eine Erfahrungsgeschichte von Hun-ger unter den Bedingungen von Ghettoisierung, somit eine akteurs- und vielfach akteurin-nenzentrierte Untersuchung von Praktiken, mit denen die Verfolgten versuchten, Mangel und Hunger standzuhalten und unter widrigsten Bedingungen zu überleben. Hunger als Form der „langsamen Gewalt“ (der slow violence im Sinne von Rob Nixon) lässt sich nicht aussitzen, sondern Menschen mussten (und müssen) sich dazu verhalten. Die Verhaltens-optionen jedoch, die den Verfolgten zur Verfügung standen, waren für jede historische Epoche spezifisch und differierten auch von Ghetto zu Ghetto, wie die Vf. an den drei als Beispielfälle herangezogenen sog. „jüdischen Wohnbezirken“ Warschau, Lodz und Kra-kau zeigt. Gemeinsam war ihnen u. a., dass sie in großen polnischen Städten lagen und über eine zahlreiche jüdische Bevölkerung verfügten. Bei den Unterschieden ist vor allem darauf hinzuweisen, dass sie sich hinsichtlich des Grades ihres Abschlusses von ihrer Um-gebung unterschieden, was sich für die Überlebenschancen der Eingeschlossenen als ein Umstand von besonderer Bedeutung erwies. Die klug gegliederte Studie beginnt mit einem Kapitel, das die frühe antisemitische Ge-walt der deutschen Besatzer in den Blick nimmt. S. stellt heraus, dass Gewalt, fehlende (internationale) Hilfe bei einer steigenden Zahl von Hilfsbedürftigen sowie Besitzkon-skriptionen und Berufsverbote zu einer Pauperisierung der jüdischen Bevölkerung bereits vor der Ghettoisierung führten. Mangel und Hunger waren somit Erfahrungen, die dem Ausschluss aus den besetzten Gesellschaften der drei Beispielstädte vorangingen. Daran schließen sich Betrachtungen der (eingeschränkten) Möglichkeiten der „Judenräte“ bei der Lebensmittelversorgung der Ghettobewohner:innen an. Herausgestellt werden Rationie-rungssysteme als Form vergemeinschafteter coping-Strategien innerhalb des Ghettos sowie individuelle Versuche (bzw. solche von Kleingruppen wie Haushalts- oder Familienge-meinschaften). Zu letzterer Variante gehörten die Unterstützung durch Pakete von außer-halb, Versuche der Herstellung von Lebensmitteln im Ghetto, Tauschhandel oder den Rückgriff auf sog. Hungeressen. S. schildert gerade die Vielfalt dieser Strategien, aber auch ihr Prekär-Sein, eindrücklich auf der Basis eines umfangreichen Korpus an Ego-Dokumenten. Dabei stellt sie heraus, dass zwar Vorkriegswohlstand und sozialer Status durchaus die Chancen auf Versorgung erhöhen konnten und sich Genderaspekte oft zuun-gunsten von Frauen auswirkten, weil sie ggf. von einflussreichen Zirkeln ausgeschlossen waren, unterstreicht jedoch, dass in der Summe vor allem individuelle Findigkeit und An-passungsfähigkeit das Überleben sicherten (S. 125). Eine der argumentativen Kernachsen des Buches bildet der Befund, dass Mobilität als die typische Strategie, auf die Menschen in Hungerkrisen weltweit zurückgriffen und bis heute -greifen, den in die Ghettos gezwungenen jüdischen Bevölkerungen verwehrt blieb. Somit schufen die deutschen Besatzer durch die Ghettoisierung genozidale Hungerbedin-gungen für jene, die in ihren Augen „nutzlose Esser“ waren. Das Ghetto zumindest zeit-weise verlassen zu können, war daher überlebensnotwendig. S. widmet sich in diesem Zu-sammenhang vor allem zwei zentralen Strategien, dem Schmuggel und der Arbeit außerhalb der Ghettos. Tatsächlich bildeten Nahrungsmittel, die durch Schmuggel in die Ghettos Warschau und Krakau gelangten, hier einen wichtigen Beitrag zur Lebensmittel-versorgung; während im Unterschied dazu die hermetische Abriegelung in Lodz dies ver-hinderte (S. 143 f.). In diesem Zusammenhang wäre ein breiterer Fokus der Studie wünschenswert gewesen. So zitiert die Vf. Berichte jener Personen, denen es gelang, Lebensmittel auf der sog. „ari- schen Seite“ zu besorgen. Diese Schilderungen beschränken sich jedoch oft auf ein „We had a chance to buy“ (z. B. S. 174). Dies sei hier deswegen hervorgehoben, weil es darauf verweist, dass nicht nur das Verlassen des Ghettos essentiell war für die Beschaffung von Lebensmittel, sondern auch für die Bedingungen jenseits der Ghettomauern: Zwar war hier die Versorgung besser als im Ghetto, doch herrschte phasenweise ebenfalls Mangel; viele Lebensmittel gab es nur zu kaufen, wenn man über die notwendigen Lebensmittelmarken verfügte (was bei der ghettoisierten jüdischen Bevölkerung nicht der Fall war). Jene Schmuggler, die Warschau und Krakau mit Waren aus dem ländlichen Umland versorgten, sahen sich mit Razzien konfrontiert (was die Versorgung empfindlich verschlechtern und die Preise auch außerhalb des Ghettos hochtreiben konnte). Zudem brauchten kauf- und tauschwillige Jüd:innen Güter oder Geld für den städtischen Schwarzmarkt. Selbst wenn alle diese komplexen Gegebenheiten erfüllt waren, bestand ein hohes Risiko: Sämtliche damit verbundenen Praktiken, sowie auch grundsätzlich alle Hilfen für Jüd:innen, wurden seitens der deutschen Besatzer kriminalisiert. Nicht zuletzt deswegen liefen jüdische Per-sonen außerhalb des Ghettos Gefahr, denunziert zu werden. Es ist bedauerlich, dass S. die-sem Kontext, den sie für die Versorgung der Ghettos in Warschau und Krakau zu Recht als überaus wichtig herausstellt, so wenig Raum gibt, denn letztlich ist die Geschichte des Überlebens (bis zu den Deportationen) auch eine Geschichte der eingeschränkten Interak-tion innerhalb einer besetzten Gesellschaft. Die hohen Mortalitätsraten in Lodz verweisen exakt hierauf: Der sehr weitgehende Abschluss des Ghettos verhinderte, dass Menschen es verlassen konnten, unterband damit Kontakte zur nichtjüdischen städtischen Gesellschaft und verringerte die Spielräume für die Betroffenen, Strategien gegen genozidalen Hunger zu entwickeln. Für eine Studie, die auch solche Aspekte beinhaltet, hat S. jedoch viel mehr als nur Vorarbeiten geleistet. Dank ihrer Untersuchungen sind wir mit dem Hunger in drei zentra-len Ghettos, vor allem aber mit den vielfältigen Strategien verfolgter Jüd:innen vertraut, mit dieser Form der „langsamen Gewalt“ umzugehen. Das Buch dürfte damit zu einem Standardwerk werden. Wuppertal  Tatjana Tönsmeyer   Aurelia Wyleżyńska: Über nichts schreiben, als was meine Augen sehen. Tagebuch aus dem besetzten Warschau 1939−1944. Hrsg. von Bernhard H a r t m a n n nach der von Grażyna P a w l a k  und Marcin U r y n o w i c z  edierten Fassung des Originaltexts. Ch. Links Verlag. Berlin 2024. 331 S. ISBN 978-3-96289-225-8. (€ 24,–.) Krieg und Besatzung sind ein tiefer Einschnitt in das Leben jedes einzelnen davon be-troffenen Menschen. Diese Tatsache illustriert einmal mehr die vorliegende deutschspra-chige Auswahledition des Tagebuchs der polnischen Schriftstellerin und Publizistin Aure-lia W y l e ż y ń s k a, das Bernhard H a r t m a n n  aus dem Polnischen übersetzt hat.1 Die 1881 geborene W. hatte lange Zeit in Paris gelebt, für polnische Zeitungen berichtet und Romane geschrieben, bevor sie 1937 nach Polen zurückkehrte. Während der deutschen Besatzungsherrschaft arbeitete sie in Warschau in einem Krankenhaus und schrieb heim-lich für die polnische Untergrundpresse. In den ersten Tagen des Warschauer Aufstands, am 3. August 1944, erlag sie einer Schussverletzung, so dass die Spätphase der NS-Besat-zung in ihrem Tagebuch kein Thema mehr ist. Mit der 2022 erfolgten Publikation ihres Tagebuchs in zwei Bänden in Polen erfüllte sich ein Wunsch W.s, den sie explizit geäußert hatte. Dass nichts gestrichen werden solle, wie sie schrieb, wurde zumindest für die deutsche Ausgabe nicht umgesetzt, die im Vergleich zur Originalausgabe auf ein Sechstel zusammengekürzt wurde und durch die Verdichtung einen anderen Charakter erhalten hat.                                                                 1  Polnische Fassung: AURELIA WYLEŻYŃSKA: Kroniki wojenne [Kriegschroniken], Bd. 1–2, hrsg. von GRAŻYNA PAWLAK und MARCIN URYNOWICZ, Warszawa 2022. 

Helene J. Sinnreich: The Atrocity of Hunger. Starvation in the Warsaw, Łódź, and Kraków Ghettos during World War II.

Friedrich, Klaus-Peter

 israelischen Archiven und zeitgenössische Zeitschriften, die es ihr erlauben, ihre plausible Argumentation auszubreiten. Am Ende kann sie deutlich machen, dass die Auflösung des multiethnischen Mitteleuropas zugunsten einer neuen jüdischen Heimat in Palästina kein Selbstläufer und infolge des Kriegsverlaufs keineswegs vorgezeichnet war. Mit ihrer sorg-fältigen Analyse und neuen Interpretation eines kurzen, aber für die europäische Geschich-te in mannigfacher Hinsicht prägenden Zeitraums ist ihr ein großer Wurf gelungen. Marburg Klaus-Peter Friedrich   Ralf Bernd Herden: Helmut Weihenmaier. Vom NS-Kreishauptmann in Polen zum Landrat im Schwarzwald. Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart 2024. 240 S. ISBN 978-3-17-044973-2. (€ 29,–.)  Die für das 20. Jh. nicht untypische berufliche Laufbahn Helmut Weihenmaiers (1905–1995) ist für den Rechtsanwalt Ralf Bernd H e r d e n  Anlass, auf die verhängnisvolle NS-Polenpolitik zurückzublicken. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass die zwischen dem Schwarzwald-Kreis Freudenstadt und dem polnischen Kreis Tomaszów (powiat tomas-zowski) 2002 ins Leben gerufene Partnerschaft durch die Personalie Weihenmaier erheb-lich belastet ist. Der Verwaltungsjurist war nach frühen Stationen in seiner nordwürttem-bergischen Heimat mit Kriegsbeginn 1939 Kreishauptmann im eroberten Polen geworden: Im Distrikt Lublin, einem der vier Verwaltungsbezirke des Generalgouvernements (GG), übernahm er den neugeschaffenen „Landkreis Zamosc“, der neben der polnischen auch ei-nen hohen Anteil jüdischer Bevölkerung aufwies und die Kleinstadt Tomaszów Lubelski mit ihrer Umgebung einbezog.1 Entgegen der hohen Fluktuation, die ansonsten bei den Kreishauptmännern im Distrikt üblich war, blieb er bis 1944 im Amt. In den von Einführung und Schlusswort eingerahmten sieben Kapiteln geht H. zunächst auf diverse Aspekte des historischen Hintergrunds ein: den Rassenantisemitismus, Adolf Hitlers Ansichten über die Polen, die Rolle des SS-Chefs Heinrich Himmler und des Gene-ralplans Ost, den Generalgouverneur Hans Frank, den Distrikt Lublin und dessen Chefs sowie die Kreisverwaltung in Zamość unter der nationalsozialistischen Herrschaft. H. skizziert sodann die Aufgaben eines Kreishauptmanns (also Landrats im besetzten Gebiet), schildert die Tätigkeit der ihm unterstellten Landkommissare in Tomaszów und beschreibt die Lage der Judenräte als Exekutivorgane der deutschen Besatzer sowie die Aufgaben der sog. jüdischen Polizei in Zamość. Angeführt wurde sie von Alwin Lipp-mann, einem in Düsseldorf geborenen Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Weihenmaier kommt als Funktionär des NS-Herrschaftsapparats erst in Kapitel 5 ge-nauer in den Blick. Als Kreishauptmann war er an der Verfolgung und Ermordung der jü-dischen und der brutalen Unterdrückung der polnischen Bevölkerung ganz weitgehend mitbeteiligt. Er war zugleich Standortführer der NSDAP, wenngleich ohne einen „Partei-dienstrang [zu] erhalten“ (S. 104), und SA-Führer in Zamość.  Wie in anderen Kreisen veranstalteten die Besatzer terroristische Vertreibungen und Deportationen. Außerdem wollte die SS 1942/43 im ländlichen Raum um Zamość (volks-) deutsche Siedler unterbringen, was mit der rücksichtslosen Umsiedlung abertausender pol-nischer Familien verbunden war und unendliches Leid hervorrief. In den Kapiteln 6 und 7 stehen Entwicklungen nach 1945 im Vordergrund: Weihen-maiers Entnazifizierung und seine Entlastungstrategien sowie seine Zeit als Landrat in Freudenstadt (1960–1971). Der Vf. ist um eine abwägende Beurteilung bemüht. Zwar sei Weihenmaier „in den Osten“ abgeordnet worden (S. 140) und habe sich nicht auf eigene Initiative ins GG bege-ben, doch finde sich in der Personalakte auch kein Gesuch, in eine andere Stelle versetzt zu                                                                 1  Der heutige Kreis Zamość (powiat zamojski) unterhält eine Partnerschaft mit dem Landkreis Schwäbisch Hall.  werden (S. 159). Ebenso fehlten Beweise, dass er ein „Freund und Retter der Polen [war], als der er sich darstellen wollte“ (S. 165). H. stellt fest, dass der Beamte Weihenmaier „offensichtlich anstandslos Befehlen gehorchte“ (S. 138), und kommt zu dem Schluss, dass er dem Unrechtssystem des Völkermords gedient“ habe und durchaus „wusste, was in Polen geschah“ (S. 186 f.). Seine Frau und die vier zwischen 1938 und 1942 geborenen Kinder ließ er wohlweislich „in der Heimat“ (S. 144).  Der Vf. begründet seine „Teilanonymisierung“ der angeblich kleine(re)n NS-Täter im GG allen Ernstes mit der Absicht, deren Nachkommen vor „einer unerträglichen Sippen-haftung“ zu bewahren (S. 12) – selbst wenn es sich, wie beim Landkommissar Walter „P***r“ in Tomaszów Lubelski, eingestandenermaßen um einen „Exzesstäter“ handelte (S. 88) oder wie beim Landkommissar Hans „L***k“ (S. 87) um den „Judensachbearbei-ter“ in seinem Kreis. H. geht damit einen Schritt zurück hinter das von Bogdan Musial ge-wählte Verfahren, in dessen Studie diese – Panzer und Leibeck – und weitere Besatzungs-funktionäre mit ihrem vollen Namen genannt werden.2 In der Darstellung steht die Analyse wiederholt im Schatten einer bloßen Wiedergabe zeitgenössischer Äußerungen, etwa wenn Weihenmaiers spätere Aussagen zu seiner Zeit als Kreishauptmann oder Ansprachen von ihm und Hans Frank mit seitenlangen Zitaten ungefiltert daherkommen. Das „Register“ ist sehr unvollständig, und leider gibt es außer dem Titelbild keine Fotos. Im Literaturverzeichnis fehlen nicht nur einschlägige Studien von Dieter Pohl, sondern auch solche, die auf Polnisch erschienen sind. Ein Hinweis auf die Quellenedition Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, die in Bd. 4 und 9 auf die Zustände im GG eingeht, wäre hilfreich gewesen. Eine der von H. genutzten Quellen, das Diensttagebuch des Generalgouverneurs, erscheint hier stets als „Tagebuch“ Franks. H.s forsche Behauptung, dass bei der Unterzeichnung der Kreispartnerschaft „niemand [in Freudenstadt] von dieser historischen Verbindung“ (S. 12) gewusst habe, bedarf einer Erklärung, hatte doch Musial schon zuvor über Weihenmaier ohne Umschweife geschrie-ben: „Führte Deportationen von Juden in die Vernichtungslager durch.“3 Gegenüber diesen Mängeln ist positiv hervorzuheben, dass H. einmal mehr die Mitschuld der Besatzungs-verwaltung an den Verbrechen des NS-Regimes aufzeigt.  Marburg Klaus-Peter Friedrich                                                                2  BOGDAN MUSIAL: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouver-nement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939–1944, Wiesbaden 1999, S. 100, 190, 256, weitere S. 93, 331. 3  Ebenda, S. 397.   Konrad Graczyk: Ein anderes Gericht in Oberschlesien. Sondergericht Kattowitz 1939–1945. (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 119.) Mohr Siebeck. Tübingen 2021. XII, 412 S. ISBN 978-3-16-160994-7. (€ 104,–.) Die Justiz in Polen im Zweiten Weltkrieg ist gewiss kein Forschungsgegenstand, der sich zuletzt durch methodische Impulse oder eine breite Rezeption ausgezeichnet hätte. Trotzdem sind in den letzten Jahren mit den Arbeiten von Hubert Melnik und Oscar Szerkus bemerkenswerte Studien zur nichtdeutschen Gerichtsbarkeit im Bezirk Lublin des Generalgouvernements und über die Gerichte des polnischen Untergrundstaats erschienen.1 Konrad G r a c z y k s juristische Dissertation zum (deutschen) Sondergericht im oberschle-                                                                1  HUBERT MIELNIK: Sądownictwo polskie (nieniemieckie) w dystrykcie lubelskim Gene-ralnego Gubernatorstwa w latach 1939–1944 [Die polnische (nichtdeutsche) Justiz im Distrikt Lublin des Generalgouvernements in den Jahren 1939–1944], Lublin 2020; OSCAR SZERKUS: Die Sondergerichtsbarkeit des Polnischen Untergrundstaates, Berlin 2019. 

Ralf Bernd Herden: Helmut Weihenmaier. Vom NS-Kreishauptmann in Polen zum Landrat im Schwarzwald

Faraldo, José M.

  Researching Memory and Identity in Russia and Eastern Europe. Interdisciplinary Methodologies. Hrsg. von Jade M c G l y n n  und Oliver T. J o n e s. (Palgrave Macmillan Memory Studies.) Palgrave Macmillan. Cham 2022. XX, 218 S., Ill. ISBN 978-3-030-99913-1. (€ 92,99.)  The field of analysis for the most diverse aspects of collective memory has expanded exponentially over the past 30 years. The editors of this volume accurately observe that the intricacy of memory studies has rendered it challenging to address the research problem posed by this field from the perspective of a single discipline. Consequently, those en-gaged in memory research frequently find themselves deficient in the requisite instruments to thoroughly examine their subjects. This deficit is particularly pronounced in area stud-ies, such as those conducted in Eastern Europe and Russia, where the archival revolution of the 1990s has given rise to a resurgence of source-focused positivism. In addressing this need for a more robust methodological framework, Jade M c G l y n n’s and Oliver T. J o n e s’s book presents a series of articles by authors from diverse disciplinary back-grounds. In this regard, the book indisputably fulfills its intended role in fostering interdis-ciplinary analysis. As articulated in the book, “memory studies offer exciting opportunities for scholars in-terested in collaboration between and across the humanities and social sciences, with im-portant work developing out of disciplines including literary and cultural studies, anthro-pology, media studies, history, sociology and political science” (p. 3). However, it is imperative to acknowledge that methodological aspects play a pivotal role in this endeav-or. The authors posit that the prevailing dearth within the field pertains to the absence of comparative analysis of methodological approaches across disciplines, compounded by an unequivocal reluctance to prioritize methodology and its repercussions on findings.  The book under consideration is a compilation of reflections stemming from empirical research in a series of significant domains. Despite the inherent challenge in summarizing a book of multiple authors, whose coherence is predicated on a convergence of research methodologies, we can cite several particularly salient texts. Julianne F ü r s t’s reflection on her own writing style and the notion that subjectivity need not impede research is par-ticularly noteworthy. It draws upon her seminal work on the Soviet cultural margins and the extensive use of oral history. Conversely, Alina J a š i n c a - S c h ä f e r’s analysis of the limitations of the ethnographic discipline provides a broader context for understanding the book as a whole. Her work highlights the inherent partiality of memory research, stem-ming from its inherently subjective and disconnected nature from the outset.  This is exemplified by Karoline T h a i d i g s m a n n’s case study on crossover literature, which offers a nuanced perspective on the potential of literary studies to elucidate the in-tricacies of Central European memory, particularly Polish memory. However, it must be acknowledged that the selected example may not be entirely representative due to its alignment with the proposed methodology (Jacek D u k a j’s novel was from the beginning a memory reconstruction project). The potential for broader applications of this methodol-ogy, particularly in other cases, remains an open question. The study of space, including virtual space as exemplified by the works of Margaret C o m e r, Tadeusz W o y t y c h, and Roma S e n d y k a  (pp. 9–10), stands as a primary focus within contemporary memory research. The juxtaposition of these articles, while each is outstanding in its own right, creates a more illuminating composite than any of the articles considered separately. The convergence of perspectives engenders provocative insights and propositions, particularly within the discourse on Comer’s “dark heritage.” This theo-retical description is especially beneficial for doctoral students and those who are novices in the field of memory studies. A discernible tension between the local and the state has been identified in numerous studies, constituting a pivotal aspect of the experiences of those engaged in the analysis of memory. The cases concerning Russia (Comer’s, as previously referenced, and those of Daria M a t t i n g l y  and McGlynn) offer a particular resolution through the adoption of  new memories by a state with a vested interest in their cultivation (as exemplified in the context of World War II, Travis C. Frederick, Alin Coman, and Howard Amos) (p. 10) or in their eradication and obliteration (the perpetrators of the Stalinist era). However, alternative possibilities exist, as evidenced by Jelena Đ u r e i n o v i ć’s examination of the oblivion experienced by Serbian anti-communists, a phenomenon that has been repeatedly observed in various regions of Central and Eastern Europe.  In sum, this book is significant in its conceptualization and meticulous selection of cases. The book can be regarded as an important and concrete contribution to the study of historical politics and the politics of memory. In this sense, memory is understood as a tool by which states and other actors influence the perception of the past to consolidate national identities and legitimize political power. A notable strength of the volume lies in its em-phasis on the significance of these dynamics in Central and Eastern Europe, a region where collective memories play a pivotal role in understanding democratic transition, European integration, and the rise of right-wing populism. Madrid José M. Faraldo   Małgorzata Hanzl: Jewish Culture and Urban Form. A Case Study of Central Poland before the Holocaust. Routledge. Abingdon 2023. XV, 344 S. ISBN 978-1-00-320463-3. (£ 31,99.) Können aus der Analyse der räumlichen Ordnung jener polnischen Städte, in denen Juden gelebt und gewirkt hatten, Erkenntnisse über die Charakteristiken der jüdischen Gemeinschaften gewonnen werden? Dieser Frage geht die Assistenzprofessorin für Stadt-planung an der Technischen Universität Łódź, Małgorzata H a n z l , in ihrer Monografie nach. H. arbeitet mit einer interdisziplinären Methode, die Techniken aus der Architektur und das Studium von historischem Quellenmaterial wie Karten, Fotografien und Steuer-registern mit raumtheoretischen Zugängen von Denkern wie Henri Lefebvre und Andrea Löw sowie soziologischen Ansätzen von Theodor W. Adorno bis Pierre Bourdieu verbin-det, und fragt nach den „culture specific characteristics“ (S. 47) ehemals jüdischer städti-scher Räume in Zentralpolen. Im ersten Buchteil (S. 47–170) versucht H. zunächst, die „Everyday Jewish Culture“ (S. 57) in der gesamten Region Zentralpolen und ihre Veränderungen vom 11. Jh. bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu rekonstruieren. In diesem äußerst kompakt gestalte-ten Kapitel referiert die Autorin die Geschichten jüdischer Gemeinden in mehreren Städ-ten. Dabei fokussiert sie sich vor allem auf Dynamiken in der Demografie, auf wirtschaft-liche Veränderungen wie die Industrialisierung, auf ideen- und religionsgeschichtliche Prozesse wie das Aufkommen des Chassidismus oder des Zionismus sowie auf politische Brüche wie die Teilungen Polens. Diese im Lichte des behandelten Zeitraums und der Vielzahl der Schauplätze etwas holzschnittartig herausgearbeiteten strukturellen Prozesse und Zäsuren setzt H. daraufhin auf einer übergeordneten Ebene mit den städtebaulichen Dynamiken Zentralpolens in Dialog: So skizziert sie zunächst die Typologie einer Kehilla im frühneuzeitlichen Polen und umreißt die prägende „shtetl culture“ (S. 94), um in der Folge zu veranschaulichen, wie die soziale Auffächerung der jüdischen Gemeinden auch eine Diversifizierung jüdischer Räume zeitigte. Während sie überzeugend aufzeigt, wie sich die Dynamiken des gesellschaftlich-politi-schen Ein- und Ausschlusses von Juden durch räumliche Segregation auch städtebaulich manifestierten, stellt sich an einigen Stellen jedoch die Frage nach der Kulturspezifität der beschriebenen Prozesse: Was die Erschließung neuer Flächen für Produktionsgebäude und der Bau neuer Siedlungen für die Arbeiter durch jüdische Unternehmer in Ozorków und Stryków im 19. Jh. (S. 100 f.) – abgesehen von der Religionszugehörigkeit der handelnden Akteure – über die spezifisch jüdische Prägung dieser städtischen Räume aussagen soll, bleibt unklar. Die von ihr gewählten Beispiele zeigen auf, dass sich H. auf eine breite Konzeption des „jüdischen Raums“ stützt: Sie versteht darunter sowohl Räume, die von 

Researching Memory and Identity in Russia and Eastern Europe. Interdisciplinary Methodologies. Hrsg. von Jade McGlynn und Oliver T. Jones.

Kończal, Kornelia

 risch-landeskundlichen Forschung in Deutschland bzw. der institutionalisierten „Ostkun-de“ nach 1945 dar. Dabei werden in einigen Bereichen auch neue Fakten präsentiert, etwa im Aufsatz von Spannenberger in Bezug auf die Biografie von Valjavec, die in Ermange-lung einer umfangreicheren Studie bis heute ein Desiderat darstellt. Auch Feests Studie zu der Baltischen Historischen Kommission und ihrer Transformation von einer erlebnis-geschichtlichen zu einer von Erkenntnisinteresse getragenen Institution ist ein lesenswerter Beitrag hinsichtlich der Professionalisierung der Beschäftigung mit dem östlichen Europa nach der Wiedererlangung der staatlichen Autonomie der baltischen Republiken nach der Zeit der Bevormundung durch die UdSSR. Dieser Beitrag wie auch die Darstellung von Gehrke zur Historischen Kommission für Schlesien zeigt letztlich, wie stark Kontinuitäten der Zeit vor 1945 in der Nachkriegszeit nachwirkten. In dieser Hinsicht unterschieden sich auch die west- und die „ostdeutschen“ Historischen Kommissionen nur wenig voneinander. In einer Zeit aber, in der die Histori-schen Kommissionen zunehmend mit internationalen Expert:innen besetzt werden, dürfte die Frage nach „mit“ oder „ohne Land“ ohnehin immer mehr an Relevanz verlieren. München Tobias Weger   Melissa Feinberg: Communism in Eastern Europe. Routledge Taylor & Francis Group. London – New York 2022. X, 229 S., Ill., Kt. ISBN 978-0-367-08609-1. (£ 36,99.)  In Communism in Eastern Europe, Melissa F e i n b e r g  provides a concise yet insight-ful history of the countries that adopted Communist governments while remaining outside the Soviet Union after World War II. These include Albania, Bulgaria, Czechoslovakia, East Germany, Hungary, Poland, Romania, Yugoslavia, and their successor states. F.’s narrative, rooted in the politics of everyday life, strikes a thoughtful balance between depth and accessibility. Rather than overwhelming readers with excessive details, the book offers a thorough overview of the major developments that shaped the post-war history of East-ern Europe. Communism in Eastern Europe serves as an excellent introduction for both undergraduate and graduate students seeking to understand this region’s complex history.  The book opens with a succinct introduction that sets the stage for the subsequent chap-ters. Organized chronologically, the eight chapters discuss the major phases of the region’s history: the establishment of communist regimes (chapter 1), the transformation of socie-ties under Stalinism (chapter 2), the dynamics of socialist modernity (chapter 3), post-Stalinist reform and retrenchment (chapter 4), the rise of consumer culture (chapter 5), the crises of the 1980s (chapter 6), the shift from late socialism to neoliberalism (chapter 7), and the post-communist developments following the eastward enlargements of the Euro-pean Union (chapter 8).  The study is built upon two central premises. First, F. argues that communism granted Eastern Europe “a larger degree of unity than it has ever known before. Under Com-munism, the countries of Eastern Europe had similar forms of governments and similar economic systems. They shared some of the same vacation spots, consumer goods and tel-evision programs. Even more significantly, they were joined by the same guiding ideology and set of values” (p. 6). This claim is compellingly demonstrated throughout the book. Through cross-country comparisons and exploration of the region’s complex ties with both the Soviet Union and the West, F. effectively shows how shared structures and practices forged a regional identity distinct from both the Soviet Union and the capitalist West. By highlighting common political frameworks, economic policies, and cultural touchpoints, F. makes a convincing case for the unifying role of communism across diverse national con-texts.  The second premise, however, is somewhat less fully realized. F. characterizes Eastern Europe under communism as “a world of seeming contradictions” and observes that it “censored books but also ended illiteracy. It put some people in jail for their political beliefs but gave women legal equality with men and access to a wide range of new careers.  It was a world where bananas were almost impossible to find in the stores, but where on average people had more to eat than ever before” (p. 3). While these contradictions are touched upon in the book, they are not as thoroughly explored as the first premise. The no-tion of a contradictory reality under communism, though compelling, often appears more as a background theme than a central analytical thread.  The author’s treatment of women’s history (pp. 81–85, 129–133) and the role of media (pp. 123–129, 136–140) stands out for its depth and nuance. Her exploration of women’s experiences under communism is particularly impressive. F. highlights the profound socie-tal changes prompted by policies promoting gender equality, such as increased access to education, employment opportunities, and legal rights. She illustrates how these measures, though often ideologically driven and inconsistently implemented, reshaped gender roles and challenged traditional norms, even as they coexisted with persistent inequalities and limitations. Similarly, the discussion of media under communism is insightful. F. captures the dual nature of media as both a tool of state propaganda and a space for shared cultural experiences that transcended national boundaries. Through examples of popular television programs, films, and consumer advertisements she shows how media reflected socialist modernity, illustrating both the aspirations and contradictions of the era. Together, these sections of the book offer fresh perspectives on the everyday lives and cultural dynamics of Eastern Europe under communism.  Crafting a synthesis inevitably requires prioritizing certain topics while leaving others less explored, and F.’s book navigates this balance thoughtfully. Some readers might hope for a more in-depth exploration of the socio-economic policies introduced during the war by the Nazi and Soviet occupiers and their long-term impacts. Others may wish for a clos-er examination of regional differences within individual countries, whereas those with a particular interest in the history of entanglements between the Second and Third Worlds might find the discussion of the global dimensions of socialism (pp. 189–195) somewhat brief. That said, F.’s broad and inclusive approach to Eastern Europe’s post-war history serves as a highly valuable resource for both students and scholars, offering a rich founda-tion for further readings.  The book’s usability in academic settings is further enhanced by two features: a well-organized and comprehensive index, which makes it a practical tool for students and re-searchers interested in specific topics within the history of Eastern Europe after 1945, and references to iconic cultural representations—such as Milan Kundera’s novel The Joke or the Czechoslovak TV series A Hospital on the Edge of Town—which complement the book’s narrative and provide readers with cultural perspectives that bring the historical context to life.  Bielefeld Kornelia Kończal   Rüdiger Ritter, Britta Albers: Haren/Maczków 1945–1948. Zwei Perspektiven auf die emsländische Gemeinde Haren in der Nachkriegszeit. / Haren/Maczków 1945–1948. Dwa spojrzenia na miejscowość Haren w rejonie Emsland po II wojnie światowej. Stadt Haren (Ems). Haren 2023. 255 S., Ill. ISBN 978-3-00-074934-6. (€ 19,95.)  Rüdiger R i t t e r, der Vf. dieses zweisprachig deutsch-polnischen Buches, leitet das Dokumentationszentrum Haren/Maczków in der niedersächsischen Kleinstadt Haren (Ems). Die Ko-Autorin, Britta A l b e r s, arbeitet im dortigen Stadtarchiv. Das Dokumenta-tionszentrum und das Stadtarchiv sind Abteilungen des Hauses der Harener Geschichte „Inselmühle“. Der Band ist überaus reich illustriert und überhaupt sehr sorgfältig gestaltet. Die Zweisprachigkeit des Buches ist – angesichts der Nachkriegsgeschichte der Schif-ferstadt Haren an der Ems – naheliegend. An Pfingsten, dem 20. Mai 1945 (also wenige Tage nach Kriegsende), wurden die etwas 5.000 Einwohner Harens auf Anordnung der britischen Militärverwaltung in die umliegenden Ortschaften ausgesiedelt. In der Stadt wurden dafür in Deutschland befreite Polen einquartiert – ehemalige Zwangsarbeiter, KZ-

Melissa Feinberg: Communism in Eastern Europe.

Müller, Uwe

 religiösen Angelegenheiten zu regeln; auch wurde die Union zwischen Polen und Litauen von dem litauischen Adel nach dem Tod Sigismunds II. in Frage gestellt. Die Union blieb jedoch bis zu den Teilungen der Rzeczpospolita bestehen (also noch für fast 200 Jahre), auch ohne die Herrscher aus der litauischen Jagiellonen-Dynastie. Dies alles zeuge, schreibt C.-M., von einer hohen politischen Kultur der polnischen Gesellschaft des 16. Jh., die auf eine lange Tradition der Toleranz und des Parlamentarismus verweisen könne (S. 122, Anm. 134). Insgesamt ist das Buch eine wertvolle Studie, in der ein wichtiger Abschnitt der polni-schen Geschichte (1572–1587) beschrieben und erklärt wird. Anhand zahlreicher bislang wenig bekannter Details wird die Atmosphäre dieser dramatischen Zeit anschaulich und nuanciert wiedergegeben – sie schwankte nach dem Tod des letzten Jagiellonen zwischen einer Art Schockstarre, in die große Teile des Landes verfielen, und den fieberhaften Akti-vitäten des Adels zu einer möglichst raschen Beendigung des Interregnums. Bonn  Georg Ziaja   The Economic History of Central, East and South-East Europe. 1800 to the Present. Hrsg. von Matthias M o r y s. Routledge. London – New York 2021. 505 S. ISBN 978-1-138-92197-9. (£ 135,–.)  Nach mehreren Jahrzehnten ist endlich wieder eine Überblicksdarstellung zur Wirt-schaftsgeschichte des östlichen Europas erschienen. Das letzte vergleichbare Werk stammt aus den 1980er Jahren.1 Seit dieser Zeit sind nur wenige Gesamtdarstellungen zu bestimm-ten Perioden oder Subregionen sowie Artikel in Handbüchern publiziert worden.2 Synthe-sen der Wirtschaftsgeschichte einzelner ost-, ostmittel- und südosteuropäischer Länder in westlichen Sprachen sind ebenfalls sehr rar. Der zu besprechende Band mit seiner kurzen Einleitung und 17 jeweils ca. 25 Seiten langen Beiträgen stellt also eine hochwillkommene Lektüre für die universitäre Lehre dar.  Innerhalb der Forschung richtet sich „the first quantitative economic history of Eastern Europe“ (S. 2) vorrangig an die Historiografie zur globalen oder europäischen Wirtschafts-geschichte, in der diese Region zumeist wenig beachtet wird. Die Kapitel beschäftigen sich mit Wirtschaftswachstum und sektoralem Wandel, Wirtschaftspolitik, dem Verhältnis zur westeuropäischen, teilweise auch globalen Wirtschaft, sowie Bevölkerungsentwicklung und Lebensstandard. Diese vier Themen werden für vier Zeitperioden behandelt: das lange 19. Jh. bis 1914, die Zwischenkriegszeit 1918–1939, die staatssozialistische Periode 1945–1989/91 sowie die Periode der Transformation seit 1989.     Fast alle Beiträge diskutieren die Frage, inwiefern es der Wirtschaft im östlichen Euro-pa oder wenigstens einigen Regionen und Branchen gelang, den Abstand zum westlichen Europa in Bezug auf Produktivität und Wohlstand zu verringern, und welche Rolle dabei innere Faktoren einerseits sowie die Verflechtung mit der Weltwirtschaft andererseits spielten. Die Grundlage der Debatte liefert ein Artikel von Stephen B r o a d b e r r y  und Mikołaj M a l i n o w s k i  über „Living Standards in the Very Long Run: The Place of Cen-tral, Eastern and South-Eastern Europe in the Divergence Debate“. Der Vergleich der Re-allöhne in verschiedenen Städten während der frühen Neuzeit zeigt ein Wohlstandsgefälle                                                                 1  M. C. KASER, E. A. RADICE (Hrsg.): The Economic History of Eastern Europe, 1919–1975. 3 Bde., Oxford 1985–1987.  2  DEREK H. ALDCROFT, STEVEN MOREWOOD: Economic Change in Eastern Europe since 1918, Aldershot 1995; DAVID TURNOCK: The Economy of East Central Europe, 1815–1989. Stages of Transformation in a Peripheral Region, London – New York 2006; Vgl. exemplarisch: JERZY ŁAZOR, BOGDAN MURGESCU: Economic Development, in: WŁODZIMIERZ BORODZIEJ, STANISLAV HOLUBEC u. a. (Hrsg.): The Routledge History Handbook of Central and Eastern Europe in the Twentieth Century. Volume 1: Chal-lenges of Modernity, London – New York 2023, S. 313–384.  zwischen Nordwest- und Ostmitteleuropa, das sich zwar nicht in den Getreidepreisen, je-doch in der Zugänglichkeit zu gewerblichen Produkten niederschlug und im Laufe des 18. Jh. zugenommen hat. Dessen Ursachen sehen die Autoren vorrangig in der Abwesenheit wichtiger das Wirtschaftswachstum im Nordseeraum befördernder Faktoren, wie dem eu-ropäischen Heiratsmuster, das durch ein relativ hohes Heiratsalter, einen größeren Anteil von Ledigen an der Bevölkerung und einen stärkeren Zusammenhang von Heirat und Be-sitz gekennzeichnet wurde, der Nähe zu globalen Handelsrouten sowie inklusiven politi-schen Institutionen. Die Herausbildung der zweiten Leibeigenschaft in Ostelbien wirkte sich ebenfalls negativ aus, wird aber angesichts von Arbeitskräfteknappheit als rationale Lösung interpretiert. Die im Zusammenhang mit der Wallersteinschen Weltsystemtheorie entwickelte These ausbeuterischer Handelssysteme lehnen B. und M. ab, indem sie darauf verweisen, dass der seit dem 17. Jh. zu beobachtende Rückgang der Handelsintegration zwischen West- und Osteuropa das Wohlstandsgefälle eher vergrößert habe.  Für das lange 19. Jh. stellen Michael K o p s i d i s  und Max-Stephan S c h u l z e  in ihrem Beitrag über Wachstum und Strukturwandel kein generelles catch-up des östlichen Euro-pas fest. Nur in wenigen Regionen sei es zu strukturwandelnden Industrialisierungsprozes-sen gekommen. Das durchaus vorhandene Wirtschaftswachstum fand überwiegend im Ag-rarsektor statt, wofür während der ersten Globalisierung seit ca. 1870 vorrangig die äußere Nachfrage verantwortlich war. Angesichts einer stark wachsenden Bevölkerung, die durch die schwache Industrie nicht absorbiert werden konnte, erhöhte sich die Zahl agrarischer Arbeitskräfte, wurden neue landwirtschaftlich nutzbare Flächen erschlossen, während die Produktivität stagnierte. Steven N a f z i g e r  und Matthias M o r y s  analysieren in ihrem Beitrag „Economic Integration with Western Europe and the Global Economy, 1800–1914“ grenzüberschreitende flows des Handels, des Kapitals und der Arbeitskräfte, konsta-tieren zunächst, die Effekte der Integration „were not always smooth even though on ba-lance they were helpful“ (S. 102), und müssen auch in der Zusammenfassung vage blei-ben: „the net effects of 19th-century globalization remain hard to identify“ (S. 120). Dies liegt – wie N. und M. einräumen – nicht zuletzt daran, dass sich einige dieser Effekte nicht quantifizieren lassen.  Im Gegensatz zur bisherigen Historiografie stellt Morys für die Periode von 1918 bis 1939 einen Trend der Annäherung der osteuropäischen Wirtschaftsleistung an das west-europäische Niveau fest. Diesen bereits in der Einleitung hervorgehobenen Befund verbin-det er mit einer Rehabilitierung der Zwischenkriegszeit im Vergleich zu den Verhältnissen vor dem Ersten Weltkrieg (S. 171) und insbesondere auch im Staatssozialismus (S. 9). Al-lerdings basieren diese Aussagen auf nur bedingt geeigneten Daten. Erstens bezieht Morys die eigentlich vorhandenen Angaben zu Polen, Rumänien und Estland nicht ein, da er sie für problematisch hält. Weil zudem Daten über Albanien, Lettland und Litauen fehlen, kann man bezweifeln, ob die Berechnungen auf die ganze Region übertragbar sind. Zwei-tens beruht die These im Wesentlichen auf Angaben für 1921 und 1938. Der Rückgang des Sozialprodukts während des in Teilen der Region bis 1921 anhaltenden Krieges wird also bei der Interpretation der Daten ebenso ausgeklammert wie die Wirkung der Nachkriegs-rekonstruktion. Drittens sind die in Tabelle 7.4. (S. 175) präsentierten Daten, die die Kon-vergenzthese belegen sollen, widersprüchlich, etwa bei einem Vergleich der west- und ost-europäischen Wachstumsraten für die Gesamtperiode sowie für einzelne Zeitabschnitte. Insofern überrascht es nicht, dass die anderen Beiträge des Bandes die Zwischenkriegszeit deutlich kritischer sehen als M., auch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise anders bewerten etc.  Natürlich haben die Weltkriege die Qualität der Wirtschaftsstatistik gemindert. Im öst-lichen Europa wurde die Datenlage durch die umfangreichen territorialen Veränderungen, insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg, zusätzlich erschwert. Diese Probleme haben of-fensichtlich dazu geführt, dass im Buch die beiden Kriegsperioden weitgehend ausge-klammert worden sind. Dies wird bereits bei einem Blick auf das Inhaltsverzeichnis deut-lich. Wünschenswert wäre jedoch auch eine kritische Reflexion der Möglichkeiten und  Grenzen quantitativer Wirtschaftsgeschichte gewesen. Ärgerlich sind auch einige sachliche Fehler, etwa die These, Polen habe im Russländischen Reich vor dem Ersten Weltkrieg weitgehende Autonomie genossen, und seine Grenzen seien nach 1918 durch die Nachbar-staaten problemlos anerkannt worden (S. 236), oder die Verlegung der EU-Osterweiterung (ohne Polen und Ungarn) und sogar der Auflösung des RGW auf das Jahr 2008 (S. 384, 388).  Dennoch werden neben Studierenden sowohl Wirtschaftshistoriker als auch Osteuropa-historiker viele Beiträge des Bandes mit großem Gewinn lesen. Dabei sollte die auf den ersten Blick strenge thematische Arbeitsteilung Leser mit speziellen Erkenntnisinteressen nicht davon abhalten, mehrere Beiträge zu lesen. Zum einen sind viele Entwicklungspro-zesse. wie etwa der Strukturwandel, auch von der Wirtschaftspolitik und der internationa-len Verflechtung geprägt worden. Zum anderen findet man sowohl sehr faktenreiche Bei-träge mit auch für Experten neuen Informationen als auch anregende theoretische Aus-führungen, beispielsweise über das Verhältnis von Wirtschaftswachstum und Staats-interventionismus (Michael P a m m e r, Ali C o ş k u n  T u n ç e r, S. 90 f.), die systemi-schen, politischen und externen Ursachen für den ökonomischen Zusammenbruch des Staatssozialismus (Andrei M a r k e v i c h , Tamás V o n y ó, S. 315–319) sowie die Frage, warum einige Länder die nach 1989 historisch einmalige Chance der Konvergenz zum Westen nutzen konnten und andere nicht (László C s a b a, S. 413–430).  Leipzig  Uwe Müller  Doing Memory. Medieval Saints and Heroes and Their Afterlives in the Baltic Sea Re-gion (19th–20th Centuries). Hrsg. von Cordelia H e ß  und Gustavs S t r e n g a. De Gruyter. Berlin – Boston 2024. 300 S., Ill. ISBN 978-3-11-135062-2. (€ 99,95.) Diese Anthologie ist das Ergebnis des Projekts „Saints and Heroes from Christianiza-tion to Nationalism: Symbol, Image, Memory (Nord-West Russia, Baltic and Nordic countries)“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Gleich zu Beginn sollte hervorgehoben werden, dass die Autoren der Publikation weit über die tradi-tionellen Studien zu Heiligenkulten und der Erinnerung an Helden hinausgehen, die übli-cherweise auf die Analyse von Legenden und hagiografischen Überlieferungen sowie die Bedeutung solcher Kulte in früheren Jahrhunderten fokussiert sind. In der riesigen Fülle derartiger Veröffentlichungen stellt das von Cordelia H e ß  und Gustavs S t r e n g a  her-ausgegebene Buch eine äußerst interessante Sammlung von Beiträgen dar. Die Autoren der zwölf Studien enthüllen die Prozesse hinter der Heroisierung und Sak-ralisierung mittelalterlicher Figuren im Ostseeraum im 19. und 20. Jh. Allgemein gespro-chen geht es um die Neuinterpretation der Bedeutung von Heiligen und Helden im histori-schen Gedächtnis ausgewählter Gemeinschaften und infolgedessen um ihren Einfluss auf die Gestaltung moderner Identitäten. Dass es gelingt, ein facettenreiches Bild von diesen Transformationen zu gewinnen, wird durch die Integration unterschiedlicher lokaler Per-spektiven in den globalen Kontext der Forschung zum Mediävalismus des 19. und 20. Jh. ermöglicht. Die Hrsg. verbinden nicht ohne Grund die Persönlichkeitstypen „Heilige“ und „Helden“, da sie eine äußerst wichtige gemeinsame Eigenschaft besitzen: Sie sind außer-gewöhnlich – oder werden zumindest so wahrgenommen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um reale oder fiktionale Figuren handelt. Die Prozesse ihrer Sakralisierung und He-roisierung verlaufen ähnlich: Eine Person wird aus dem Bereich der alltäglichen Sorgen (profanum) in den Bereich des Außergewöhnlichen (sacrum) erhoben. Trotz der tiefgrei-fenden Unterschiede in ihren Biografien genießen mittelalterliche Heilige und Helden ho-hes Ansehen, das die Erinnerung an sie über Jahrhunderte fortbestehen lässt. Viele von ihnen erlangten den Status eines „Nationalhelden“ oder zumindest einer Figur von großer Bedeutung für die Geschichte einer Nation. Dies verbindet scheinbar so unterschiedliche Figuren wie William Wallace und die Hl. Brigitta oder Jeanne d’Arc und dem lettischen 

The Economic History of Central, East and South-East Europe.

Krzenck, Thomas

 sozialen Bindungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaften versinnbildlicht – wenngleich sie von nichtjüdischen Beobachtern oft negativ als Unordnung konnotiert wurde. H.s Mo-nografie offeriert einen dichten, systematischen Überblick über den urbanen Wandel Zen-tralpolens aus jüdischer Perspektive. Ihr interdisziplinäre Zugang offeriert neue Erkennt-nisse, etwa durch die raumsoziologische Deutung der informellen Passagen, hat aber auch das Potential, eine geschichtswissenschaftlich geschulte Leserschaft zu überfordern, etwa wenn auf S. 242 f. architektonische Berechnungsmodelle der Korrugation von Gebäude-fassaden detailreich erklärt werden.  Basel Luca Thoma  Vojtěch Bažant, Jaroslav Svátek: Středověké cestopisy v českých zemích. [Mittelalter-liche Reiseberichte in den böhmischen Ländern.] (Opera Facultatis Philosophicae Univer-sitatis Carolinae Pragensis, Bd. 21.) Filozofická fakulta Univerzity Karlovy. Praha 2024. 451 S., 18 Ill. ISBN 978-80-7671-136-5. (Kč 495,–.) Der böhmische Adelige Johann II. von Lobkowitz auf Hassenstein (~1450–1517) hin-terließ der Nachwelt einen Bericht über seine 1493 durchgeführte Pilgerreise ins Heilige Land, die heute, wie die Autoren der hier anzuzeigenden Monografie betonen, zum festen literarischen Kanon der tschechischen Mittelalterliteratur gehört (S. 346). Durch seinen Umfang, zugleich aber auch seine Detailtreue, ragt dieser in einer einzigen Prager Hand-schrift überlieferte Bericht aus dem Kanon der meisten anderen Reiseberichte des Spätmit-telalters heraus.1 Ungeachtet der Sesshaftigkeit des weitaus größten Teils der zumeist bäuerlichen Be-völkerung zeichnete sich die (spät)mittelalterliche Gesellschaft auch durch ein beachtliches Maß an Mobilität aus. Letztere bezeugen – neben Heerfahrten, Kriegs- und Kreuzzügen, Gesandtschafts- und Handelsreisen von Kaufleuten – seit dem 14. Jh. in wachsender Zahl überlieferte Reiseberichte, die dabei sowohl die eigenen Vorstellungen der jeweiligen Ver-fasser als auch fremde Denk– und Handlungsweisen reflektieren.2 Was wiederum den Terminus selbst betrifft, hat Petr Vojt darauf verwiesen, dass es sich bei „Reisebericht“ (Book of travel, récit de voyage) um die Genrebezeichnung für ein Werk der Sach- oder schöngeistigen Literatur handelt, dessen Hauptthema die Deskription einer authentischen oder fiktiven Reise in fremde Länder bildet, wobei die Beschreibung geografisch, religiös, folkloristisch, kulturell, sozial oder politisch ausgerichtet sein kann.3 Die Fragen, die an diese Quellengattung gestellt werden können, decken ein breites Spektrum ab: Was zeichnet derartige Reiseberichte aus? Welche Stilisierungen und Motive verwenden die Berichterstatter? Wer hat die handschriftlich überlieferten Quellen gelesen, kompiliert und bearbeitet? Welcher Platz gebührt den in den böhmischen Ländern verfass-ten Reiseberichten im europäischen Kontext jener Zeit? Den Vf. geht es in erster Linie um die literarischen Mittel und Motive, um die mit den jeweiligen Werken verbundenen Be-deutungen sowie die literarischen Strukturen der Reiseberichte. Diese Reiseberichte bilden mittlerweile den Gegenstand spezieller Forschungen, einschließlich einer bereits vor drei                                                                 1  Vgl.: FERDINAND STREJČEK (Hrsg.): Jana Hasišteinského z Lobkovic putování k svaté-mu hrobu, Praha 1902. 2  Exemplarisch zu Quellen, Entstehung, Zweck und Inhalt sowie zur Literatur: ENNO BÜNZ: Reiseberichte (Spätmittelalter), in: Historisches Lexikon Bayerns, https://www. historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Reiseberichte_(Spätmittelalter) (17.07.2025). 3  PETR VOJT: Cestopis [Reisebeschreibung], in: Encyklopedie knihy. Starší knihtisk a příbuzné obory mezi polovinou 15. a počátkem 19. století, Praha 2006, https://www. encyklopedieknihy.cz/index.php/cestopis (17.07.2025).   Jahrzehnten erstellten, detaillierten Bibliografie.4 Die beiden Prager Historiker Vojtěch B a ž a n t  und Jaroslav S v á t e k  sind geradezu prädestiniert für das Thema: Während sich B. bereits in seiner Diplomarbeit von 2010 mit der Wahrnehmung des Raumes in böhmi-schen Reiseberichten des 15. Jh. befasste, ist S. u. a. bekannt durch einen Aufsatz über tschechische Übersetzungen deutscher Reiseberichte im späten 15. Jh. sowie eine Mono-grafie über französische Reiseberichte im ausgehenden Mittelalter.5 Die von der tschechischen Forschungsagentur geförderte Monografie, der eine Welt-karte aus dem Prager Exemplar der 1475 in Lübeck anonym erschienenen und mit 150 Holzschnitten ausgestatteten Weltchronik Rudimentum noviciorum gleichsam als Hinlei-tung zum Untersuchungsgegenstand vorangestellt ist, gliedert sich in zwei große Blöcke. Diese folgen auf eine breite Einleitung, in der die Autoren den Forschungsstand resümie-ren und einen Überblick über die analysierten Texte bohemikaler und nichtbohemikaler Provenienz präsentieren. Das Ziel besteht darin, mit Hilfe einer Analyse der verwendeten Erzählstrategien und des möglichen Leserpotentials im Kontext der literarischen Kultur mittelalterlicher Kommunitäten auf der einen sowie der Erforschung der überlieferten Handschriften, deren Spezifika sowie der Beziehung zu den konkreten Einstellungen der Kopierer auf der anderen Seite die jeweilige diskursive Bedeutung zu ermitteln (S. 28).  In einem ersten analytischen Block geschieht dies in zwei langen Kapiteln. Im Fokus steht hier die Frage: „Wie werden Reiseberichte erzählt?“. Die Vf. meinen hier den narra-tiven Rahmen der Reise, die Akzentuierung der dabei drohenden Gefahren, den autobio-grafischen Charakter des Reiseberichts sowie das Staunen und die Faszination der Pilger bzw. Reisenden angesichts sagenhafter Orte oder von Kultur- und Naturphänomenen. Ein zweiter Fragenkomplex handelt von dem, worüber die Reiseberichte Auskunft geben. Hier stehen kulturelle Konfrontation und Vergleiche, die immer wieder heraufbeschworene und geschilderte sog. „Türkengefahr“, die Rolle des Erzählers als Augenzeuge, das Heilige Land, kulturelle und religiöse Alterität, Barbarentum und Sklaverei sowie die Sicht auf Frauen im Blickpunkt. Dies geschieht unter Heranziehung des internationalen Forschungs-diskurses zu einzelnen Fragen wie auch durch die Einbindung von beredten Quellenbei-spielen. Der zweite, fast 250 Seiten umfassende Block unterscheidet drei Gruppen überlieferter Reiseberichte, beginnend mit den ursprünglich nichtbohemikalen Texten und deren Über-setzungen im böhmischen Milieu. Hierzu zählen zehn Reiseberichte, darunter das nach 1137 entstandene und weit verbreitete Werk Descriptio Terrae sanctae des Priesters Rorgo Fretellus (1119–1154), der im Königreich Jerusalem lebte und hier die heiligen Stätten der Christen beschrieb, von der vor 1397 Wilhelm, Pfarrer im nordböhmischen Bělina, eine Abschrift anfertigte, oder die Darstellung Peregrinatio in terram sanctam des Juristen und erzbischöflichen Mainzer Beamten Bernard von Breydenbach (~1440–1497), dessen 1486 in Mainz gedruckter, umfangreicher und kulturgeschichtlich wertvoller Pilgerbericht früh ins Deutsche übertragen wurde und auch im böhmischen Milieu beachtliche Verbreitung fand. Dies belegen auch die von den Autoren kurz beschriebenen 16 Drucke. Noch deut-licher zeigt sich der Einfluss in dem 1498 in Pilsen von Nikolaus Bakkalar gedruckten Traktát o zemi svaté, der über eine Reise zweier Pilger aus Nürnberg und Regensburg ins Heilige Land informiert. Für den Leser besonders interessant ist die in der zweiten Gruppe vereinte Übersicht über zwölf Texte bohemikaler Provenienz, darunter das lediglich in einer Prager Perga-                                                                4  Vgl. hierzu beispielhaft: WERNER PARAVICINI (Hrsg.): Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie. Teil 1: Deutsche Reiseberichte, bearb. von CHRISTIAN HALM, Frankfurt am Main u. a. 1994. 5  JAROSLAV SVÁTEK: Tschechische Übersetzungen deutscher Reiseberichte im späten 15. Jahrhundert, in: Bohemia 58 (2018), S. 324–342; JAROSLAV SVÁTEK: Prier, com-battre et voir le monde. Discours et récits de nobles voyageurs a fin de Moyen Âge, Rennes 2012.  menthandschrift erhaltene und kaum bekannte Itinerar eines in Diensten König Wenzels IV. stehenden Ritters Václav/Wenzel (De locis praecipuis in Francia et Gallia, 1402/03), der Commentarius des böhmischen Edelmanns und Diplomaten in Diensten des Jaroslav Lev von Rosenberg, Václav Šašek von Bířkov, der halb Europa bereiste und seine Erinne-rungen in tschechischer Sprache festhielt, sowie der eingangs schon erwähnte Bericht des Adeligen Johann. Eine dritte Gruppe präsentiert drei kurze anonyme Itinerare und Ver-zeichnisse, die Reiseberichtfunktionen erfüllten, praktische Informationen enthielten und als Ergänzung anderer Werke dienten (u. a. die Beschreibung heiliger Stätten in Palästina). Auch hier ist die gut lesbare handschriftliche Überlieferung zu erwähnen. Eine knappe Zusammenfassung, eine immerhin 25 Seiten umfassende Bibliografie so-wie zwei ausführliche Register stehen am Ende dieses gut lesbaren, methodisch klug kon-zipierten und im aktuellen interdisziplinären Forschungsdiskurs verorteten Bandes.  Leipzig Thomas Krzenck  Martin Pjecha: Theo-politics of the Hussite Movement. From Reform to Revolution. (Studies in Medieval and Reformation Traditions, Bd. 246.) Brill. Leiden – Boston 2024. VIII, 284 S. ISBN 978-90-04-70053-6. (€ 112,–.) This is an important book. Studies of the Hussite period have increased exponentially in the past 25 years. This one stands out. What Martin P jecha  achieves is a new intellectual history advancing from revolt to revolution and reform to reformation. Eschewing the well-worn paths of Waldensian, Free Spirit, Joachite, Wyclifite or Marxist explanations, P. proposes a political theology of the Hussite movement. Of special note is the role of Chris-tian Platonism in the intellectual dimensions of the Czech experiment, drawing well-deserved attention to Matěj of Janov and succeeding in elaborating a convincing argument for its significance. Most importantly, the pessimistic Augustinian world view recedes and is eclipsed by a Platonically-inspired Hussite emphases on individual activism, historical optimism, and confidence in human ability. This is a dramatic shift. P. argues that Hussi-tism cannot be limited to leaders like Jan Hus, Jerome of Prague, Jakoubek of Stříbro and others. Instead, a bevy of secondary figures deserve careful consideration.  The fundamental question is this: “What is the intellectual context which Hussite radi-cals draw from, and what are the norms, symbols, and assumptions that they inherit” (p. 13)? What drifts from the center is the ambivalent intellectual legacy of Augustine and his reluctance to assign meaningful roles to human agency in terms of cultural advance, religious reform or soteriological outcomes. For all the emphasis upon Scripture, ontologi-cal identity of cosmic truth resides in the eucharist. Janov departs from the Augustinian emphasis on sin and draws attention to the incarnation that provides a connection between creation and the law of God. In vain one searches the corpus of Janov’s work for traces of predestination and arguments for pathological sin within humanity. Instead Janov comes close to the idea of apocatastasis found in Christian Platonism. Creation is imprinted with divine will. The disruption of sin is temporary. Incarnation, Scripture and Eucharist pro-duce everything required for renewed humanity. P. argues that many Hussites reflected these convictions. Coupled with traditions of re-alism within philosophy and theology, and embracing Christian Platonism more broadly, Hussite thinkers settled upon ideas of social order, paradigms of authority, and solutions aimed at reforming corruption in faith, politics and the church. This results in a theo-political revolution. Wyclif’s lex dei and Janov’s regula principalis are central motifs, by-passing the sola fide Biblicism of other reformers, proposing the law of God as a theologi-cal, social and political program. Truth is dynamic rather than static. Continuing biblical authority is interpreted in a sense that may be significantly different from the original. Hussite reformers maintained confidence in the human capacity to know God with a com-mensurate impatience for human (including ecclesiastical) traditions thought to be respon-sible for the corruption of faith. This included traditional exegesis and dogmatics. Put into 

Bažant, Jaroslav Svátek: Středověké cestopisy v českých zemích. [Mittelalterliche Reiseberichte in den böhmischen Ländern.]

Gawlitta, Severin

 (Erz-)Bistum Breslau 1821 bis 2021. Aus einem werden viele. Hrsg. von Rainer B e n -d e l. (Vertriebene – Integration – Verständigung. Themen & Impulse, Bd. 20.) LIT-Verlag. Münster 2024. 128 S. ISBN 987-3-643-15540-5. (€ 14,90.) Die päpstliche Bulle De salute animarum vom 16. Juli 1821 gehört zu den wichtigsten kirchlichen Dokumenten für das Königreich Preußen. Mit ihr wurden die dortigen katholi-schen Bistümer neu errichtet bzw. neu umrissen und in einen rechtlichen Rahmen einge-passt. Die tiefgreifenden Umwälzungen der napoleonischen Herrschaft und die anschlie-ßende politische Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress erforderten auch eine Neuregelung der kirchlichen Verhältnisse, insbesondere im Hinblick auf die Säkularisation und die veränderten Staatsgrenzen nach 1815. So erfuhr auch das Bistum Breslau durch die Zirkumskriptionsbulle eine Neudefinition. Für den Historisch-Politischen Arbeitskreis im Heimatwerk schlesischer Katholiken bot der 200. Jahrestag von De salute animarum einen willkommenen Anlass, die kirchliche Neuordnung zu Beginn des 19. Jh. zu themati-sieren und die verschiedenen Etappen und Folgen der Veränderungen von Verwaltungs-grenzen auf dem Gebiet der ehemaligen Erzdiözese Breslau nachzuzeichnen.  Die vier informativen Beiträge der Tagung konzentrierten sich vor allem auf die kirch-lichen Strukturen und deren Veränderungen. Einleitend skizziert Piotr G ó r e c k i  die schwierigen Verhandlungen zwischen der preußischen Regierung und dem Heiligen Stuhl, die der Zirkumskriptionsbulle vorausgegangen waren. Die Bulle von 1821 löste das Bis-tum Breslau aus der Kirchenprovinz Gnesen heraus und unterstellte es direkt der Apostoli-schen Kurie. Zudem wurde die Diözese territorial erheblich erweitert, indem ihre pastorale Zuständigkeit auf die katholischen Diasporagebiete Pommern, Landsberg und Branden-burg (einschließlich Berlins) ausgedehnt wurde. Diese Verwaltungsstruktur bestand bis zum Abschluss des Preußenkonkordats 1929, das für das schlesische Bistum einen tiefen Einschnitt bedeutete. Zwar wurde es 1930 durch die Erhebung zum Erzbistum aufgewertet, verlor aber mit der gleichzeitigen Errichtung des Bistums Berlin seine Delegatur Branden-burg-Pommern. Hier setzt Michael H i r s c h f e l d  an, der den Einfluss des Erzbistums auf das neu gegründete Bistum Berlin behandelt. Dabei wird deutlich, dass der Erzbischof von Breslau kaum Einfluss auf die erste Besetzung des Bischofsstuhls in Berlin nehmen konn-te. Klar und selbstbewusst zog die Päpstliche Nuntiatur in Berlin in dieser Personalfrage alle Fäden. Dennoch gelang es, wichtige Schlüsselpositionen im Berliner Ordinariat mit schlesischen Geistlichen zu besetzen. Auch die Tatsache, dass das Patrozinium des Berli-ner Doms der schlesischen Heiligen Hedwig gewidmet ist, zeugt von der ideellen Nähe zur „Mutterdiözese“. Jan K o p i e c  befasst sich mit der Zäsur des Jahres 1945 und ihren Fol-gen für die seither polnisch verwaltete Erzdiözese Breslau. Erst 1972, im Zuge der Ratifi-zierung des Warschauer Vertrages durch den Bundestag, passte der Heilige Stuhl die bis dahin provisorischen Kirchenstrukturen an die Oder-Neiße-Grenze an und errichtete or-dentliche Bistümer in Wrocław (Breslau), Opole (Oppeln) und Gorzów (Landsberg). Nach der Wende wurden 1992 die Diözesen Gliwice (Gleiwitz) und Legnica (Liegnitz) aus dem Bistum Opole bzw. dem Erzbistum Wrocław gegründet. Die jüngste Zirkumskription fand 2004 statt mit der Errichtung des niederschlesischen Bistums Świdnica (Schweidnitz). Ab-schließend stellt Clemens B r o t k o r b  die Entwicklung des Kirchensprengels Görlitz dar, der als westlich der Oder-Neiße gelegenes Restgebiet des alten Erzbistums Breslau nach 1945 unter deutscher kirchlicher Verwaltung verblieben war. Unmittelbar nach Kriegsende als Erzbischöfliches Amt Görlitz errichtet, später in eine Apostolische Administratur mit bischöflichen Vollmachten umgewandelt, blieb diese bis 1989 in die ideologische Ausei-nandersetzung mit dem atheistischen SED-Regime hineingezogen. Damit war sie auch Gegenstand der vatikanischen Ostpolitik, die eine bereits 1972 mögliche Erhebung zum Bistum kirchlichen Interessen unterordnete. Als schließlich 1994 das Bistum Görlitz gebil-det wurde, ging die in den Jahrzehnten nach 1945 erworbene und gewachsene Eigenart des Kirchensprengels in das neue Bistum Görlitz ein. Entsprechend der Themenstellung konzentrieren sich die Beiträge vor allem auf Fragen der Zirkumskription und deren Veränderungen in den letzten 200 Jahren. Vor diesem Hin- tergrund ist es zwar verständlich, dass andere Teilaspekte dieser überaus spannenden Ge-schichte unberücksichtigt bleiben, doch hätte es sicherlich einen zusätzlichen Ertrag ge-bracht, wenn auch weitere mit der Jurisdiktion verbundene Fragen behandelt worden wären. Fast von selbst drängt sich in allen Beiträgen die Frage nach den Diözesanen und einer möglichen Bistumsidentität auf. Nicht minder interessant wäre es zu erfahren, in-wieweit der Kirchenbau, insbesondere in der Blütezeit zwischen 1890 und 1914, das Schaffen der jeweiligen Diözesanbaumeister und die bis heute weitgehend erhaltene Sak-ralarchitektur eine Breslauer „Handschrift“ tragen. Diese und andere Fragen bleiben wohl späteren Untersuchungen vorbehalten, die ebenso anregend dargestellt werden mögen wie die Bulle De salute animarum in diesem Band. Essen  Severin Gawlitta    Die Tagebücher des preußischen Hof- und Staatsbeamten Rudolf Graf von Stillfried-Alcántara 1827 bis 1882. Eine historisch-kritische Edition. Hrsg. von Joachim B a h l c k e  und Roland G e h r k e. (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Quellen, Bd. 75/1–5.) Duncker & Humblot. Berlin 2023. 5 Bde., 3890 S., Ill. ISBN 978-3-428-19014-0. (€ 399,90.) Das Erscheinen dieser Edition zu besprechen, ist eine angenehme Aufgabe, besteht sie doch im Wesentlichen in der Empfehlung an die forschende Zunft, sich des umfangreichen Tagebuchs zu bedienen, das nun allgemein zugänglich ist. Aufgrund des Anschaffungs-preises und der beanspruchten 23 Regalzentimeter kommt dafür wohl meist eine einschlä-gig sortierte Bibliothek in Frage. Es liegen fünf voluminöse Bände vor, die hauptsächlich den Tagebuchtext umfassen, der sich über gut drei Jahrzehnte des 19. Jh. erstreckt. Außer-dem wurden Stillfrieds autobiografische Notizen über den vorausgehenden Zeitabschnitt aufgenommen. Dem Ganzen voran stehen nicht weniger als 180 Seiten mit verschiedenen Einleitungen, und den Schluss bilden 300 Seiten mit Registern.  Rudolf v o n  S t i l l f r i e d - R a t t o n i t z  (1804–1882), seit 1861 Graf von Alcántara, gehörte zu den Prominenten des damaligen Preußen. Er fungierte als Hofcharge und Ge-sellschaftsgröße und war über die Grenzen Preußens hinaus als wissenschaftlich ambitio-nierter Intellektueller und Publizist bekannt. Dem aus dem schlesischen Hirschberg (Jelenia Góra) stammenden katholischen Adligen war der Weg an den preußischen Hof keinesfalls vorgezeichnet gewesen. 1830 war er mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm (später IV.) in Kontakt gekommen, was sich über die schlesische Nachbarschaft auf Schloss Fischbach (Karpniki) ergab, das sich im Besitz des Prinzen Wilhelm von Preußen (1783–1851) befand. Eine biografische Weichenstellung war es, als Stillfried 1833 nach Berlin ging und sich dort historiografischen Rechercheaufträgen Friedrich Wilhelms zur Dynastiegeschichte der Hohenzollern widmete. Damit teilten die beiden Männer ein Pro-jekt miteinander, das für das Legitimationsdenken der preußischen Monarchie immer grö-ßere Bedeutung erlangen sollte. Gerade Stillfrieds Neuanfang in Berlin fällt leider in die chronologische Lücke zwischen den autobiografischen Notizen (bis 1833) und den Tage-buchaufzeichnungen (ab 1849). Aus demselben Grund bleibt auch der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. 1840 ausgespart.  Stillfrieds Verbindung zum preußischen Hof hielt jedenfalls für den Rest seines Lebens. Ihre Ausprägung unterlag den Konjunkturen, die vor allem durch die Person des jeweiligen Monarchen bestimmt wurde. Stillfried stimmte mit den historistischen Auffassungen Friedrich Wilhelms so weitgehend überein, dass er der ideale Partner für den Monarchen war, um dessen bezügliche Projekte voranzutreiben und umzusetzen. Im Gleichklang da-mit machte er nicht nur Karriere bei Hof, sondern prägte diesen wiederum auch selbst für Jahrzehnte. Stillfried avancierte zum Oberzeremonienmeister, zum Direktor des seit 1848 gebildeten Königlichen Hausarchivs und zum Leiter des 1855 eingerichteten Berliner Heroldsamtes. Die Neugestaltung der Staatswappen war ebenso seine Sache wie die Wie-deraufbauprojekte der Burg Hohenzollern sowie der Hohenzollern-Grablegen Heilsbronn 

(Erz-)Bistum Breslau 1821 bis 2021. Aus einem werden viele. Hrsg. von Rainer Bendel

Marsheva, Anastasiia

 Off white. Central and Eastern Europe and the Global History of Race. Hrsg. von Catherine B a k e r, Bogdan C. I a c o b, Anikó I m r e  und James M a r k. Manchester Uni-versity Press. Manchester 2024. 357 S., Ill. ISBN 978-1-526-17220-4. (£ 95,–.) „The little peoples of the troubled earth, the little nations that are weak and white: for them the glory of another birth […] But we, the blacks […] must still be offered up as sac-rifice” (S. 31). Mit diesen Zeilen des Gedichts „The Little Peoples“ von Claude McKay, einem Vertreter der Harlem-Renaissance, beginnt James M a r k  seinen Beitrag. McKay meint hier auch die kleinen osteuropäischen Nationalstaaten, die nach dem Ersten Welt-krieg entstanden und als „weiß“, aber politisch schwach galten. Er bringt mit seinem lyri-schen Text auf den Punkt, was in der Ost- und Ostmitteleuropaforschung vernachlässigt wird – die Beteiligung Osteuropas an der als rassifiziert eingeschätzten globalen Weltord-nung. Die Hrsg. des Sammelbands, der zu einem großen Teil aus einer Tagung im Jahr 2019 in Bukarest hervorgegangen ist, erheben den Anspruch, die Geschichte und Gegen-wart Ost- und Mitteleuropas aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und die Rolle von whiteness1 und race darin aufzuzeigen. Die Beiträge reichen von der Artikulation von whiteness in den intellektuellen Elite-Diskursen über die Manifestation des Themas in der Kunst bis hin zur Analyse zwischenmenschlicher Interaktionen.  Die hinsichtlich Ihrer Theorie und Methode heterogenen Beiträge des Sammelbandes werden durch drei Grundannahmen zusammengehalten, die die Hrsg. in ihrer Einleitung hervorheben (S. 6 f.). Erstens sei race keine biologische Eigenschaft, sondern im Sinne von Stuart Hall ein System von Bedeutungen und eine Art und Weise, wie die Welt orga-nisiert und klassifiziert wird. Zweitens unterteile die globale rassifizierte Weltordnung den Planeten in zivilisierte und unzivilisierte Regionen und bringe diese mit bestimmten kör-perlichen Merkmalen in Verbindung, denen wiederum bestimmte Eigenschaften zugeord-net werden. Drittens sei das Erbe des Kolonialismus und der Sklaverei global und gehe über die Grenzen der tatsächlichen Kolonisatoren und Kolonien hinaus. Die Autor:innen gehen in ihren Beiträgen davon aus, dass es eine rassifizierte Weltordnung gebe und die Geschichte Ost- und Ostmitteleuropas nicht isoliert davon betrachtet werden könne. In der Einleitung weisen die Hrsg. darauf hin, dass die postkoloniale Theorie aus der anglopho-nen Welt stamme, in der die sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen wesentlich durch koloniale Herrschaft geprägt wurden, und dass sich diese Ausgangslage erheblich von den historischen Erfahrungen Ost- und Mittelosteuropas unterscheide. Dennoch sei die Katego-rie whiteness auch für die Geschichte Ost- und Ostmitteleuropas wichtig (S. 20), wenn auch in ihren Erscheinungsformen instabil und neuen Aushandlungen unterworfen. Die vielfältigen Verflechtungen zwischen Imperien und ihren Teilgebieten, zwischen Ost- und Westeuropa, zwischen Mehrheiten und Minderheiten sowie zwischen verschiedenen Gruppen von Migrant:innen unterliegen nun einer Dekonstruktion. So zeigt Zoltán G i n e l l i , dass vor 1989 die Solidarität mit unterdrückten Völkern in den Ländern Ostmittel- und Osteuropas – insbesondere in Ungarn – von den politischen Eliten instrumentalisiert wurde. Um ihre moralische Überlegenheit gegenüber dem Westen zu demonstrieren, inszenierten sich diese Akteure als vermeintlich unschuldige Osteuro-päer:innen, die an der Seite der Unterdrückten stehen (S. 114). Mark zeigt in seinem Bei-trag, dass auch die Solidarität mit unterdrückten Völkern gewissen Bedingungen unterliegt – wenn sie nicht mehr den eigenen Bedürfnissen diene, distanziere man sich wieder davon. So beschreibt er, wie sich z. B. polnische und ungarische Nationalisten zu Beginn des 20. Jh. in ihren Unabhängigkeitsbestrebungen von ähnlich ausgerichteten Initiativen in den                                                                 1  Die Begriffe whiteness und race werden im Folgenden im Sinne sozialer Konstrukte verwendet. Whiteness bezeichnet in diesem Verständnis keine Hautfarbe, sondern eine soziale Position, die in einem bestimmten Machtgefüge mit Vorteilen verbunden ist. Ebenso ist race keine rein biologische oder genetische Kategorie, sondern eine gesell-schaftlich hergestellte und historisch wandelbare Form von Zugehörigkeit, Macht und Privilegien.  Kolonien distanzierten, weil sie fürchteten, dass insbesondere die kolonialen Führungs-mächte Großbritannien und Frankreich sie dann nicht mehr unterstützen würden (S. 38). Die globale rassifizierte Weltordnung manifestiert sich aber nicht nur in globalen Ver-flechtungen, sondern auch innerhalb der Länder selbst. So beschreibt Celsi W e s t  O h u e -r i, wie der Anspruch Albaniens, zu Westeuropa zu gehören, durch die Stigmatisierung als „post-osmanisch“, „balkanisch“ und „post-kommunistisch“ (S. 148) erschwert werde. In öffentlichen Diskursen und alltäglichen Interaktionen zwischen Albaner:innen, Rom:nja und Balkan-Ägypter:innen würden rassistische Zuschreibungen vorgenommen (S. 149). Ein weiterer erwähnenswerter Punkt, der in mehreren Beiträgen thematisiert wird, ist die Manifestierung der rassifizierten Weltordnung durch Migration. Dies zeigt z. B. Daria K r i v o n o s  in ihrem Beitrag, der aus einer qualitativen soziologischen Studie in Finnland hervorgegangen ist. Sie beschreibt, wie sich whiteness und race in Interviews mit post-sowjetischen Migrant:innen zeigen, wenn diese sich von anderen Migrant:innen abgrenzen – etwa mit dem Hinweis auf eine andere Kultur und ihren höheren Fleiß (S. 282 f.).  Hervorzuheben ist die Vielfalt der Beiträge, die verschiedene Schwerpunkte, wie z. B. Nationsbildung und Migration, aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und Zeit-räume zusammenführen. Es wäre aber wünschenswert gewesen, wenn auch alternative Theorien aus der Region, u. a. die polnische Postdependenztheorie, Berücksichtigung ge-funden hätten.  Generell zeigt der Sammelband, wie stark die Konzepte whiteness und race in der Re-gion präsent waren und sind und wie sie – wie auch in anderen Teilen Welt – die For-schung zu Ostmitteleuropa beeinflusst haben. Obwohl der Region oft ein Narrativ voll-kommener Unschuld zuerkannt wird, blieb sie nicht unberührt von global rassifiziertem Denken. Der Sammelband ist nicht nur für die Ost- und Ostmitteleuropaforschung von In-teresse, sondern bettet die Region auch in die Diskurse der critical race theory ein. Damit ist er allen zu empfehlen, die sich mit Fragen von Rassismus und globalen Machtstruktu-ren auseinandersetzen. Gießen  Anastasiia Marsheva  Die katholische Kirche in Ostmitteleuropa nach dem Ersten Weltkrieg. Neuordnung der Staaten – Neuordnung der Seelsorge. Hrsg. von Michael H i r s c h f e l d. (Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa, Bd. 27.) Aschendorff Verlag. Münster 2020., 310 S., Ill., Kt. ISBN 978-3-402-10185-8. (€ 19,90.) Der vorliegende Band enthält vierzehn Beiträge einer internationalen Tagung des Tübinger Instituts für Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa (IKKDOS) in Leipzig 2018. Aus Anlass des 100. Jahrestages des Endes des Ersten Weltkriegs wurden verschiedene Aspekte der politischen und kirchlich-administra-tiven Grenzziehung in Ostmitteleuropa zwischen 1918 und 1926 vorgestellt. Der gewählte knappe Zeitrahmen der Umbruchsituation wird von den Autoren jedoch oft überschritten, soweit es die Zusammenhänge erfordern. Den thematischen Schwerpunkt bilden fünf Bei-träge zur Neuordnung der Grenzen und der Seelsorge in den preußischen Diözesen (Dan-zig/Westpreußen, Ostpreußen, Ermland, Schlesien und die Generalvikariate Glatz und Kat-scher). Vier weitere beschäftigen sich mit Ordensgeschichte sowie theologischen und pas-toralen Fragen. Die letzte, ergänzende Textgruppe behandelt Nachkriegsprobleme in der Tschechoslowakei, Slowenien und Passau. Im einleitenden Beitrag plädiert der Hrsg. Michael H i r s c h f e l d für eine stärkere Be-rücksichtigung des spatial turn in der Forschung zur Geschichte der katholischen Kirche in Ostmitteleuropa. Zugleich bietet er einen kompakten Überblick über die bisherige For-schung. Er weist auch darauf hin, dass bereits die ältere Forschung diese Methode ange-wandt habe, ohne dass dies explizit erwähnt worden wäre. Der postulierte spatial turn kommt im vorliegenden Sammelband allerdings nur ansatzweise zum Tragen – am ehesten dann, wenn Ortsfremde oder Zugezogene über ihre Raumwahrnehmung berichten. 

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