Comparativ (E-Journal)

Berger, Stefan

Rezensionen | Reviews | 497of power, and “civilizing missions” on the global scale. By turning empires into transnational sites for theoretical observa-tion and practical experimentation, social science contributed to shaping a “global knowledge regime” characterized by the coexistence of a multiplicity of actors who, more or less intentionally, demonstrated that knowledge production was never neu-tral because it was inseparable from justifi-cations of power relations and from the in-vention and reproduction of social, racial, and political hierarchies (p. 6).Rather than conceiving of empire as a mere topographical expansion of the so-cial sciences’ traditional state boundaries, the book adopts empire as a methodologi-cal category. This reframing of empire is, indeed, the work’s most original scholarly contribution. While the book’s chapters focus on several empires, its title points to empire as method – an epistemologi-cal rather than geographical framework of analysis. Understood this way, the notion of empire subsumes the most distinctive feature common into all historical impe-rial formations: the fact of being unitary yet not internally uniform.In empires, aspirations to and accomplish-ments of unity have coexisted with inner differentiation and fragmentation. Asym-metries in scales (between metropole and colonies, the self-arrogated centre and alleged peripheries), as well as racial and political inequalities forged within impe-rial structures, could never be reduced to stable hierarchies but instead produced conflictual processes that shaped polycen-tric assemblages (p. 217). As historical imperial polities, by encapsulating this polycentrism, featured that combination of integration and heterogeneity which would become the most distinctive char-acteristic of the global world, empire thus can be understood as an epistemological category that can be employed as a crucial instrument in the methodological tool-box of global history (p. 9). By adopting an imperial perspective that incorporated “home” and “abroad” into a single analyti-cal frame, social scientists historically stim-ulated the creation of “cross-border sys-tems” of understanding and ruling, which scholars can study as intellectual bricks in the expanding edifice of the “global history of knowledge” (pp. 3–4).Florian Bieber: Debating Nationalism. The Global Spread of Nations,  London: Bloomsbury Academic, 2020, 246 S.Rezensiert von  Stefan Berger, Bochum Seit den 1980er Jahren hat das Thema Na-tionalismus in der Wissenschaft Konjunk-tur und es gibt mittlerweile eine Vielzahl von guten Überblicken, die die zahllosen Debatten und die fast unüberblickbaren empirischen Arbeiten zum Thema ver-ständlich und konzise zusammenfassen. Florian Bieber reiht sich mit seinem Buch in diese Literatur ein. Die Einleitung bietet eine gute Problema-tisierung der leider besonders in der Politik immer noch weit verbreiteten, aber eben in die Irre führenden Unterscheidung zwi-schen Patriotismus und Nationalismus. 498 | Rezensionen | ReviewsDen eigentlichen Gegenpart zum Natio-nalismus macht Bieber im Universalismus aus, wobei auch hier anzumerken wäre, dass es Nationalismen gibt, die sich uni-versalistisch gebärden. Der französische Nationalismus und seine Berufung auf die universalistischen Werte der Französischen Revolution von 1789 ist hier nur ein be-sonders prägnantes Beispiel. Bieber lässt Definitionen und Typologien des Natio-nalismus Revue passieren, wobei er über-raschend die klassische Unterscheidung von „ethnic“ und „civic“ nationalism mit Modifikationen bestehen lässt, während es doch in der Literatur einen fast überwäl-tigenden Konsens gibt, dass diese binäre Konstruktion eher nicht hilfreich ist, um Nationalismus zu verstehen.Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Anfängen von Nationen und Nationalis-men. Er informiert hier über die Debatte um die Ursprünge von Nationen und die Vorformen von Nationalismen, wobei er sich, wie die große Mehrzahl der Forscher, auf die Seite der Modernisten schlägt. Al-lerdings widmet er auch einige Seiten den Proto-Natonalismen, die er nicht nur in Europa, sondern auch im vormodernen China lokalisiert. Nachdem das zweite Kapitel schon einige spannende Blicke in die außereuropäische Welt geworfen hat, ist das dritte Kapitel ganz eurozentrisch strukturiert, was mit der Auffassung des Autors zu tun hat, dass der Nationalismus in Europa erfunden wurde und von hier aus die Welt erobert hat. Im 18. und 19. Jh., so zeigt Bieber, verbreitet sich der Nationalismus, wenn auch nicht einheitlich und zeitgleich, über den ganzen Kontinent. Er betont die Be-deutung von Nationalstaaten für die In-tensivierung nationalistischer Diskurse und zeichnet nach, wie der Nationalismus die Imperien des 19. Jhs. unterminierte. Leider geht er kaum darauf ein, dass die meisten Imperien des 19. Jhs. selbst zu Förderern des Nationalismus im Zent-rum der Imperien wurden, ein spannen-des Forschungsfeld, auf dem immer noch viel Arbeit zu tun bleibt. Stattdessen be-lebt er, zumindest in Ansätzen, die doch etwas müde gewordene Unterscheidung zwischen „civic“ und „ethnic nationalism“ wieder, was in den Augen des Rezensenten nicht ganz zu überzeugen vermag. Im vierten Kapitel geht es um die globale Ausweitung des Nationalismus im Kontext der Dekolonisierung. In der Debatte um die Frage, ob der Nationalismus ein letzt-endlich europäisches Konzept ist, das sich über die europäischen Imperien weltweit verbreitete, oder ob Nationen und Nati-onalismus unabhängig voneinander welt-weit auftauchten, tendiert Bieber zu der Auffassung, dass oftmals europäische For-men des Nationalismus durch antikoloni-ale nationalistische Bewegungen appropri-iert und transformiert wurden, z.T. unter Zuhilfenahme von regionalen Konzepten und Ideen zu Nation und Nationalismus. Überzeugend ist seine Darstellung, wie der Kolonialismus und die ihn begleitende zunehmende Globalisierung von Handel und Kommunikation, unterschiedliche, z.T. miteinander in Wettbewerb tretende Nationalismen generierte. Dabei betont der Autor, dass bis heute viele postkolo-niale Nationen damit zu kämpfen haben, dass die Kolonialmächte die Grenzen der Kolonien und damit oft auch der postko-lonialen Nationalstaaten willkürlich und ohne Aufmerksamkeit auf vorkoloniale ethnische und politische Identitäten gezo-gen haben.Rezensionen | Reviews | 499Im fünften Kapitel steht der Nationalstaat im Mittelpunkt der Analyse. Hier weitge-hend John Breuilly folgend, sieht Bieber in ihm einen wesentlichen Treiber des Nationalismus, der eben für die National-staatsbildung eine entscheidende Bedeu-tung hatte. Der „banale Nationalismus“ (Michael Billig) des Alltags mit seinen vielfältigen Symbolen, Traditionen und Praktiken prägte die unterschiedlichen so-zialen Gruppen und trug ganz wesentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Besonders gut gelingt es Bieber in diesem Kapitel, die Intersektionalität der nationa-len Identität mit einer Reihe von anderen Identitätskonstruktionen nachzuzeichnen, unter denen Geschlecht, Religion, Klasse und Ethnizität die Bedeutendsten waren.Das sechste Kapitel widmet sich dem Verhältnis von ethnischen Konflikten und Nationalismus. Diversität war und ist eine der großen Herausforderungen für die Nationalstaatsbildung. Dabei, so Bieber, war es immer wieder gerade die Konstruktion von ethnischen Identitäten und die Versuche, selbige in Einklang zu bringen mit nationalen Identitäten, die zu Gewalt führten. Formen wirtschaftlicher Ungleichheit, der Kampf um Ressourcen innerhalb und zwischen Nationalstaaten und eine ganze Reihe von soziodemogra-fischen Faktoren wurden oftmals ethnisch-identitär aufgeladen, wobei Bieber sehr differenziert und abwägend darauf schaut, inwiefern diese Aufladungen von unten über nationalistische Graswurzelbewegun-gen erfolgte oder inwiefern sie von oben, also von politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Eliten instrumenta-lisiert wurden, um Mobilisierungen von unten zu generieren. Das siebte Kapitel bringt die Geschichte des Nationalismus in die Gegenwart und fokussiert sich auf den Stellenwert der Migration in Debatten über nationale Identität – sowohl in Gesellschaften mit einem starken Selbstverständnis als Mig-rationsgesellschaften als auch solchen, die sich eher als ethnisch homogen definieren. Wie im sechsten Kapitel stehen auch hier Fragen von Diversität im Mittelpunkt der Diskussion. Wie Nationalstaaten und nationalistische Bewegungen mit Min-derheiten und Einwanderern umgehen, unterscheidet sich im weltweiten Vergleich erheblich, und es ist nicht ganz nachzu-vollziehen, warum Bieber sich hier auf die Alternativen liberale und multikulturelle Zugänge zu Einwanderung konzentriert, wenn doch ganz viele Nationalstaaten il-liberale und homogenisierende Zugänge bevorzugen. Das achte Kapitel beschäftigt sich mit den populistischen Nationalismen der letzten Jahrzehnte, die in vielen gegenwärtigen Gesellschaften auf der Welt hochaktuell sind. Bieber diskutiert hier wiederum sehr kenntnisreich sowohl die wirtschaftlichen als auch die kulturellen Gründe für die Entstehung dieser populistischen Natio-nalismen und ihre Verbindung zu Globali-sierungsdiskursen und den neuen sozialen Medien.Etwas kurz geraten ist das letzte Kapitel des hier anzuzeigenden Bandes, das sich mit den zentralen Texten zur Geschichte des Nationalismus auseinandersetzt und ein besonderes Augenmerk hat auf Texte, die zu wichtigen Debatten rund um das Phänomen Nationalismus beigetragen haben. Hier hätte man einen wesentlich fundierteren Literaturbericht erwarten können.500 | Rezensionen | ReviewsInsgesamt kann man den Band als globale Einführung in die Geschichte des moder-nen Nationalismus durchaus empfehlen, auch wenn sicher viele Leser nicht mit allen Einschätzungen des Autors d’accord sein werden. Dazu ist eben die Geschichte des Nationalismus bis heute viel zu kont-rovers und spannungsreich diskutiert wor-den, was aber nach wie vor den Reiz dieses Forschungsfeldes ausmacht.Fabian Scheidler: The End of the Megamachine: A Brief History of a Failing Civilization, Winchester/Washington: Zero Books, 2020,  427 pp.Reviewed by Felipe Fernández-Armesto,  Notre DameMaybe Karl Marx was right, after all. De-fects as a prophet undermined confidence in his critique of capitalism. When the revolutions he predicted failed to occur in highly industrialized economies, it looked for a while as if capitalism’s capacity for self-correction was as great as its apolo-gists claimed. Bosses heeded dangers, re-strained exploitation, and boosted wages to increase their own markets. After the first decade or so of the twentieth century, living standards began to converge. Em-bourgeoisement of proletarians and prole-tarization of bourgeois eased class conflict. Social democratic modifications of capital-ism made the system easier to live with. Revolution receded because, as William Cobbett said, you cannot “agitate a fellow with a full stomach”.[1]In the last 40 years or so, however, ex-pectations of indefinite social peace have weakened. Wealth gaps have widened to levels unexperienced since before the First World War. Greed has become “good”. As Thomas Piketty shows, the decades of convergence in the twentieth century were the result not of the benevolence of the master class but of war, driving up wages and increasing regulation.[2] Meanwhile, economic growth, which provides the modern equivalent of bread and circuses, has come to look unsustainable, as madcap consumption threatens resources, pollutes the planet, and aggravates climate change. Problems of controlling climate and dis-ease seem to demand more regulation of what Étienne Girard calls “spiralling de-sire”.[3]Fabian Scheidler is among writers who have described this new crisis of capital-ism with minatory glee. Part of his object is to denounce a “system” he deems “crazy” and “sick” (p. 3); a further part, less con-sistently foregrounded, is to hear “voices drowned by the megaphone of power” (p. 4). He warns that current practices con-demn the world to conflict and ecological disaster (p. 6). So far, so familiar.Less convincing are his attempts to place current problems in a millennia-long con-text and, more particularly, to blame Eu-ropean expansion for current woes. Em-pire bashing is a popular sport but, like others (say bear baiting or cock fighting), lacks both subtlety and moral authority. Empires, Scheidler avers, have been “as-sociated with expulsion, impoverishment, 

English

Florian Bieber: Debating Nationalism. The Global Spread of Nations, London: Bloomsbury Academic, 2020, 246 S.

Maruschke, Megan

ANNOTATIONEN | ANNOTATIONSTrevor Burnard: The Atlantic in World History, 1490–1830, London: Blooms-bury Academic, 2020, 344 pp. Trevor Burnard’s synthesis addresses many of the issues faced by scholars of the Atlan-tic world. The Atlantic in World History offers a fresh historiographical perspective on a well-trodden area of research: Atlantic history and its position vis-à-vis world his-tory. In this book, Burnard situates Atlantic history as integral to world history. New frames of reference can complement rather than supplant national, hemispheric, or lo-cal histories, which helps to “problematize the issue of spatial scale instead of working at the national, colonial or imperial scale by inertia or tradition (p. 4).” And central to his understanding is not just the connec-tions of mobile actors in the Atlantic, but also the vast majority of people who re-mained in place, even in inland locations. Their lives were impacted by Atlantic cir-culations, rivalries, and economies. He fo-cuses on how people at the time thought about and perceived the Atlantic and their place in it. Burnard’s book is organized into four sec-tions. The first one is on the historiogra-phy of the Atlantic in world history. He covers major controversies and debates in the field. The second section deals with the Atlantic over time and is organized chrono-logically. The third section examines the At-lantic from the perspective of various places – West Africa, Western Europe, South American and the Caribbean, and North America. It further positions plantations and the plantation economy more generally as a key site and system that bound the At-lantic together. The fourth section is organ-ized around themes: warfare and violence, the movement of things, and the “Atlantic in Global Consciousness.”His book manages to highlight histories that have often not been privileged in general histories of the Atlantic, especially some of the more recent work on African actors and societies. He therefore brings lesser-known histories and places into the synthesis and his analysis. His work can be read for both undergraduate and graduate students, but the specialist will also find that his book expands – rather than merely summarizes – the existing state of the art on the Atlantic world and its relationship to world history.Megan Maruschke, Leipzig

Trevor Burnard: The Atlantic in World History, 1490–1830, London: Bloomsbury Academic, 2020, 344 pp.

Trakulhun, Sven

486 | Rezensionen | Reviewsden. Ob im Languedoc und in Bengalen populäre Wissenskulturen sich tatsächlich vergleichbarer Referenzen bedienten, wäre genauer zu untersuchen. Im Kontext glo-balhistorischer Diskussionen verfolgt er dennoch wichtige Anliegen, indem er da-für wirbt, Regionen jenseits der Hafenme-tropolen nicht nur einzubeziehen, sondern deren eigenständige ökonomische Ent-wicklung zu betonen. Ebenso ist sein An-spruch, häufig getrennt betrachtete Felder wie Wissenschaft, populäres praktisches Wissen und wirtschaftliche Praxis in Zu-sammenhang zu setzen, sinnvoll. Liveseys Buch bietet daher interessante Anregun-gen, die jedoch vom methodischen Kon-zept wie von der empirischen Grundlage her weiter ausgebaut werden sollten.Anmerkungen1 E. Le Roy Ladurie, Les Paysans de Languedoc, Paris 1966.2 D. Chakrabarty, Provicializing Europe. Post-colonial Thought and Historical Difference, Princeton 2000.Junko Thérèse Takeda: Iran and a French Empire of Trade, 1700–1808. The Other Persian Letters (= Oxford University Studies of the Enlighten-ment), Liverpool: Liverpool Univer-sity Press, 2020, 265 S. Rezensiert von  Sven Trakulhun, HamburgVor genau dreihundert Jahren erschien ein Schlüsselwerk der europäischen Auf-klärungsliteratur zum ersten Mal: die Per-sischen Briefe (Lettres persanes) des fran-zösischen Philosophen Charles-Louis de Secondant, baron de Montesquieu. Das Buch besteht aus einer Sammlung von 161 Briefen des persischen Prinzen Uzbek und seines Freundes Rica, die sich für einige Jahre in Frankreich aufhalten und ihren Freunden, Ehefrauen und Verwandten da-heim von ihren Erfahrungen in der Frem-de berichten. Allerdings sind alle Figuren und Briefe in Montesquieus Roman fiktiv. Der Standpunkt des exotischen Beobach-ters, der die Verhältnisse in Frankreich scheinbar unvoreingenommen von außen betrachtet, ist eine literarische Verklei-dung, die es Montesquieu gestattete, seine Kritik an Absolutismus, Kirche und gesell-schaftlicher Ungleichheit unbefangener zu formulieren, als es sonst im zensurfreu-digen Frankreich Ludwigs XV. wohl mög-lich gewesen wäre. Dabei machten gerade die literarische Form des Briefromans und die fingierte fremde Sicht auf die eigene Kultur für das europäische Publikum den Reiz des Buches aus. Rezensionen | Reviews | 487Die amerikanische Historikerin Junko Thérèse Takeda erinnert in Iran and a French Empire of Trade daran, dass hinter dem Maskenspiel des französischen Lite-raten tatsächlich eine greifbare Geschich-te französisch-persischer Beziehungen im 18. Jh. steht, die von der historischen Forschung bisher noch kaum gewürdigt worden ist. Die „anderen persischen Brie-fe“, auf die der Untertitel ihres Buches anspielt, handeln von echten Persern und führen zugleich zu den Anfängen franzö-sisch-iranischer Wirtschafts- und Diplo-matiegeschichte zurück. 1664 gründete Finanzminister Jean-Baptiste Colbert eine französische Ostindien-Kompanie (Com-pagnie française pour le Commerce des Indes orientales), um so zu den bis dahin im eu-ropäischen Asienhandel führenden Expan-sionsmächten England und die Nieder-lande aufzuschließen. In diesem Rahmen geriet auch das Reich der Safawiden in den Blick französischer Kompaniekaufleute und wagemutiger Privathändler, die syste-matisch die politischen Machtverhältnisse und Handelsstrukturen der Region zu er-kunden begannen. Die Reiseberichte von Jean-Baptiste Tavernier (1675) und Jean Chardin (1711) sind die bekanntesten li-terarischen Zeugnisse dieser ersten Phase französischer Expeditionen in Asien. Takeda hat für ihre Studie ein breites Spektrum an gedruckten und ungedruck-ten Quellen ausgewertet. Dabei stehen zwei Perspektiven im Vordergrund. Ers-tens geht es ihr um die konkreten Akteure persisch-französischer Verhandlungen, um Kaufleute, Diplomaten und Übersetzer mit bi-kulturellem Familienhintergrund; um skrupellose Piraten, halbseidene Waf-fenhändler und katholische Missionare, die zusammen die Beziehungen beider Länder in der Praxis unter oft abenteuerli-chen Bedingungen in Gang hielten. Dabei kommen heute weitgehend vergessene Er-eignisse wieder ans Licht, wie etwa die Ge-sandtschaftsreise des persischen Diploma-ten Mohammed Reza Beg, der 1715 von Sultan Hosein nach Versailles entsandt worden war. Auch auf die Rolle von Frau-en im Prozess der europäischen Expansion kommt Takeda zu sprechen, insbesondere im Zusammenhang mit der Französin Ma-rie Petit, der Besitzerin eines Spielcasinos in Konstantinopel. Sie verwandelte sich im frühen 18. Jh. durch Geschäftssinn, Verhandlungsgeschick und einige merk-würdige Zufälle von der Tochter einer Wä-scherin aus Moulins in eine wohlhabende Kauffrau und trat schließlich im Namen des französischen Botschafters als semi-of-fizielle Diplomatin am persischen Hof auf. So entsteht in den ersten drei Kapiteln des Buches ein detailreiches Bild interkulturel-ler Begegnungen und ihrer Trägerschich-ten, die unser Verständnis der Geschichte persisch-französischer Beziehungen im „langen“ 18. Jahrhundert erweitern und vertiefen. Zweitens bettet Takeda ihre Erzählung in weiterreichende Überlegungen zur Rolle Persiens im politischen Diskurs der eu-ropäischen Aufklärung ein. Das 18. Jahr-hundert ist eine unruhige und wechsel-volle Epoche der iranischen Geschichte. Im Jahr 1722 brach die einst glänzende Safawiden-Dynastie unter dem Ansturm afghanischer Reiterheere zusammen. Der ehrgeizige General Tahmasp Quli Khan vertrieb die fremden Invasoren jedoch wenige Jahre später wieder, stieß anschlie-ßend den schwachen Safawiden-Schah Tahmasp II vom Thron und ließ sich 1736 selbst die Krone antragen. Danach 488 | Rezensionen | Reviewsunternahm er unter dem Herrschernamen Nadir Schah eine Reihe blutiger Erobe-rungsfeldzüge, die 1739 mit der Plün-derung der indischen Mogulhauptstadt Delhi ihren Höhepunkt erreichten. Die von Nadir Schah begründete Afscharen-dynastie war kurzlebig, ist aber sowohl in Europa als auch im indo-persischen Raum als wahre Schreckensherrschaft in Erinne-rung geblieben. Nach der Ermordung des Tyrannen im Jahr 1747 stürzte Persien in einen dreijährigen Bürgerkrieg, der mit der Machtübernahme der Zand-Dynastie endete. Nach dem Sturz des letzten Zand-Herrschers Lotf Ali Khan (1794) kamen die Kadscharen an die Macht, die bis 1925 in Persien regierten. Europa blickte mit Schaudern und Fas-zination auf die zahllosen Kriege, Erobe-rungen und Herrscherwechsel, die den indo-persischen Raum im 18. Jh. erschüt-terten. Sie wurden in der zeitgenössischen Literatur oft summarisch „Revolutionen“ genannt. Damit fand ein Begriff Eingang in den politischen Diskurs, der später eine besondere Bedeutung erlangen sollte. Takeda geht darum im zweiten Teil ihres Buches der Frage nach, inwieweit die Er-eignisse in Persien Rückwirkungen auf das Revolutionsverständnis in Europa gehabt haben. Dieser Blick ist zumindest in der französisch- und englischsprachigen Ge-schichtsschreibung noch ungewöhnlich, denn gemeinhin wird die Französische Revolution als ein genuin europäisches, höchstens transatlantisches Phänomen behandelt. Takeda zeigt dagegen, wie die Berichte über die Revolutionen in Persien im 18. Jh. einen gleichsam eurasischen Resonanzraum schufen, in dem sich die Ereignisse im Orient mit jenen in Europa verbanden. Es wurde möglich, persische Herrschafts-formen mit denen des Westens zu verglei-chen. Dabei zeigten sich mitunter viele Gemeinsamkeiten, etwa die Neigung des Adels zu Dekadenz und Verweichlichung, oder die Auswüchse fanatischer Frömme-lei am safawidischen Hof, die vor allem kirchenkritischen Aufklärern wie Voltaire sehr bekannt vorkamen. Andererseits aber konnte im transkulturellen Vergleich auch der Eigensinn des europäischen Entwick-lungspfades stärker hervortreten. Wer das politische Geschehen in Persien zum Beispiel durch eine republikanische Brille betrachtete, konnte in den Herrscherfigu-ren der jüngeren persischen Vergangenheit kaum Vorbilder für Europa erkennen. Die europäische Berichterstattung war wider-sprüchlich. Am Beispiel von Nadir Schah zeichnet Takeda nach, wie der persische Eroberer in der europäischen Literatur mal als revolutionärer Reichserneuerer erschien, um dessen männliche Tatkraft manche Franzosen die Perser beneideten, während andere zeitgenössische Kommen-tatoren in ihm geradezu die Quintessenz des orientalischen Despoten zu erkennen glaubten. Für Takeda ergibt die europäi-sche Berichterstattung über Persien im 18. Jh. daher kein einheitliches Bild, sondern zerfällt in viele Einzelbilder. Lässt sich aber nicht doch eine allgemei-ne Tendenz im europäischen politischen Denken erkennen? Frühere Studien zum Thema haben gezeigt, dass die „Revolu-tionen“ in Persien in den Jahrzehnten nach 1789 geschichtsphilosophisch entwertet wurden, weil sie in ihren Ablauffolgen und politischen Zielvorstellungen nicht län-ger dem modernen, auf gesellschaftlichen Fortschritt bezogenen Revolutionsbegriff entsprachen. Asien wurde zu einem Ort Rezensionen | Reviews | 489politischer Stagnation umgedeutet, von dem sich das progressive Europa immer deutlicher abzuheben schien: die Revo-lutionen in Asien führten nur von einer Tyrannenherrschaft zur nächsten, die in Europa hingegen in ein Reich der Freiheit. Bis zu dieser eigentümlichen ideenge-schichtlichen Pointe dringt Takedo in ih-rem Buch nicht vor.[1] Es fehlt auch eine Auseinandersetzung mit der reichhaltigen persischen Überlieferung zum Thema, die freilich noch zu selten in verlässlichen Übersetzungen in europäische Sprachen greifbar ist. Das ist Takeda methodisch nicht vorzuwerfen, schränkt die Reichwei-te ihrer Aussagen aber auch ein. Iran and a French Empire of Trade ist eine sehr gelungene Studie zur iranisch-franzö-sischen Geschichte, die besonders durch ihre quellennahen Analysen transkulturel-ler Prozesse überzeugt, die teilweise eine gleichsam mikrohistorische Tiefenschär-fe erreichen. Das Buch ist daher allen zu empfehlen, die sich für die französische Kolonialexpansion in Asien und ihre Rückwirkungen auf Europa im 18. Jh. in-teressieren.Anmerkung1 Gerade die deutschsprachige Forschung hat auf diesen Umdeutungsprozess aufmerksam ge-macht; Siehe etwa K.-H. Bender, Revolu tionen. Die Entstehung des politischen Revolutionsbe-griffes in Frankreich zwischen Mittelalter und Aufklärung. München 1977; S. Trakulhun, Asiatische Revolutionen. Europa und der Auf-stieg und Fall asiatischer Imperien, 1600–1830, Frankfurt am Main/New York 2017; auch J. Os-terhammel, Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998, enthält eine Reihe von Be-obachtungen zum europäischen Persiendiskurs im 18. Jh., die einige von Takedas Argumenten bereits vorwegnehmen; eine englische Überset-zung des Buches erschien 2018.Sarah Lentz: „Wer helfen kann, der helfe!“. Deutsche Sklaverei-gegnerInnen und die atlantische Abolitionsbewegung, 1780–1860 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz/Abtei-lung Universalgeschichte, Bd. 261), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2020, 456 S.Rezensiert von  Michael Zeuske, Bonn Der Rezensent hält aus der Perspektive der globalen Geschichte von Sklavereien, Skla-venhandelssystemen, aber vor allem aus Perspektive der Geschichten der Versklavten sowie ehemals Versklavten die „Abolitions-bewegung“ Ende des 18. und im 19. Jh. eher für einen Elitendiskurs der Selbstdarstellung Europas, vor allem Großbritanniens. Dieser Selbstdarstellungsdiskurs, der auch noch mit der Verbreitung von religiösen Werten und neuem Kolonialismus einherging, ist aus globalhistorischer Sicht auch Teil des „work of forgetting slavery“.[1]Trotzdem oder gerade deswegen ist das vor-liegende Buch eine ganz hervorragende Ar-beit im Sinne des new materialism, der sich auf Akteure und Akteurinnen sowie die Politisierung von Netzwerken konzentriert. Die Verfasserin kann zeigen, dass trotz der im globalen Makroblick quantitativ margi-nalen Rolle, die deutsche Gebiete als Hin-terländer des atlantischen Sklavenhandels und der Sklavereien in AAA (Afrika, At-lantik, Amerikas) spielten, es in Bezug auf die Thematisierung zentraler Probleme, 

Junko Thérèse Takeda: Iran and a French Empire of Trade, 1700–1808. The Other Persian Letters (= Oxford University Studies of the Enlightenment), Liverpool: Liverpool University Press, 2020, 265 S.

Heinrich, Thomas

508 | Rezensionen | Reviewsproblems well into the time of the fabi, at least until rampant inflation obliterated the issue.Dean’s book is a very welcome and valu-able contribution not only to monetary history but also to Chinese history in gen-eral from a new perspective, namely “fol-lowing the money”, as stated in the title of the introduction. This well-researched book tells a compelling story in a very readable, at times gripping, way, placing monetary debates within the context of well-known historical events without ne-glecting the impact of contingencies, such as the tenacity of the Yuan Shikai dollar or the enduring lobbyism and oversized influence of uncouth US senators from re-mote states who put the facts where their pockets were.Notes1 T. Shiroyama, China during the Great Depression, Market, State, and the World Economy, 1929–1937, Cambridge, MA 2008, pp. 168–199; R. C. K. Burdekin, China’s Monetary Challenges: Past Expe-riences and Future Prospects, Cambridge 2008.2 Akinobu Kuroda, A Global History of Money (Routledge, 2020), 183–194.3 A. N. Young, China’s Wartime Finance and Inflation, 1937–1945, Cambridge, MA 1965, pp. 310–312; E. Helleiner, Forgot-ten Foundations of Bretton Woods: In-ternational Development and the Making of the Postwar Order, Cornell 2014), pp. 184–200. Here we find another alignment of interests with Mexico that also demon-etized silver after the Silver Purchase Act of 1934 in the US had sent silver prices skyrocketing (E. Helleiner, The Making of National Money: Territorial Currencies in Historical Perspective, Cornell 2018, p. 156).Harald Fischer-Tiné / Stefan Huebner / Ian Tyrrell (Hrsg.): Spreading Protes-tant Modernity: Global Perspectives on the Social Work of the YMCA and YWCA, 1889–1970 (= Perspectives on the Global Past), Honolulu: University of Hawai‘i Press 2021, 280 S.Rezensiert von  Thomas Heinrich, LeipzigDer Sammelband porträtiert die Young Men’s Christian Association (YMCA) und Young Women’s Christian Association (YWCA) als globale Akteure der Verbrei-tung westlicher Begrifflichkeiten, Kon-zepte und Praktiken. Eine historische Rah-mung und programmatische Einordnung bieten die Herausgeber in der Einleitung, die auch eine thematische Verortung der folgenden zehn Beiträge vornimmt. Vor dem visionären Horizont einer globalen Gesellschaft betrieben die Y’s ihr im „social gospel“ wurzelndes Projekt einer „prote-stantischen Moderne“. Der Sammelband stellt dies in zehn Studien innerhalb ver-schiedener globaler Gesellschaften dar, in denen die Organisation insbesondere zwi-schen Ende der 1880er bis in die 1970er Jahre hinein aktiv war. Der Fokus liegt dabei auf dem Bereich sozialer Arbeit und wie die Y’s innerhalb dieses „säkularen“ Feldes ihre christlich fundierten Vorstel-lungen von Wissenschaft, Erziehung, Ge-nder, Nation, Identität usw. transformativ zur Geltung brachten und dabei – wie die Beiträge nachdrücklich zeigen – selbst „globalisiert“ wurden.Rezensionen | Reviews | 509Die YMCA und YWCA agierten paral-lel zu den protestantischen Missionsver-einen. Auf der Basis christlich fundierter Programme konstruierten diese Vereine und Organisationen einen vereinheitlich-ten Welthorizont. Die Y’s ließen dabei als überdenominationale Einrichtung sowohl staatskirchliche wie auch nationale Gren-zen hinter sich und entwickelten eine Organisations- und Operationsform, die die christliche Botschaft in alle Welt trug und dem Anspruch des Christentums als Universalreligion zur Geltung verhalf. Die Arbeit der in angelsächsischem Kon-text gründenden YMCA analysieren die Autor:innen auf deren reziproke Einbet-tung in einen globalen Bezugsrahmen. Die Herausstellung der wechselseitigen transformativen Einflüsse zwischen Ko-lonisierenden und Kolonisierten und die Prozesse kultureller Globalisierung, wie sie etwa Homi Bhabha und Arjun Appadurai beschreiben, sind integrale Ausgangsposi-tionen der präsentierten Beiträge. Sieben konstitutive Kernthemen markie-ren die „säkulare“ Arbeit der Y’s (S. 6) und durchziehen die zehn Beiträge des Buches, die sich mit jeweils individuellem regio-nalem und historischem Fokus in vier Teile gliedern. Der erste, mit fünf Beiträgen um-fangreichste Teil, behandelt die Aktivitäten im asiatischen Raum, insbesondere ab Ende des 19. bis Mitte des 20. Jhs. Neben einer Beschreibung der organisationalen Netzwerkstrukturen und des Kontakts der Social Gospel Bewegung mit Asien im ersten Beitrag (Tyrrell) beschreibt Lou Antolihao im zweiten Beitrag das durch technologische Entwicklung ermöglichte Zusammenrücken globaler Gesellschaften in ständige Nachbarschaft. Er führt dafür den Begriff der „proxetechs“ (S. 62) ein, der sich aus dem kommunikationswissen-schaftlichen Modell der Proxemik ableitet. Die nachfolgenden drei Beiträge widmen sich spezifischen Themen der Region. So beleuchtet etwa Dolf-Alexander Neuhaus die Propagierung christlicher Maskulini-tätsvorstellungen in Japan und Korea als Werkzeuge sozialer Transformation und des nation-building durch Selbstdiszipli-nierung und physische Kultivierung durch Leibeserziehung. Neuhaus zeigt, wie das Konzept des Bushido europäischen Ideen von Ritterlichkeit und Gentlemantum entgegengestellt wurde und, um ein „feh-lendes“ „codified concept of morality“ (S. 86) erweitert, zu einer konstruierten japa-nischen Tradition wurde, die ihren Beitrag zur Demonstration der Überlegenheit der japanischen gegenüber der koreanischen Gesellschaft leisten und deren Anschluss ans japanische Reich ideologisch arran-gieren sollte. Neuhaus legt dar, wie sich das YMCA Konzept der „muscular chris-tianity“ im japanischen Protestantismus fruchtbar mit einer nationalistischen Konstruktion des Bushido verband und sich Japan so als maskuliner Lehrer eines femininen koreanischen Protestantismus positionierte. Die koreanische YMCA hingegen blieb ein Hort des koreanischen Nationalismus und Widerstands gegen die japanische Herrschaft. Die Autor:innen des zweiten Teils wid-men sich dem „social engineering“ der Y’s in der Tschechoslowakei und Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg. So behandelt Ondřej Matějka, wie im säkularsten Land der Welt (S. 147), der nach dem Krieg un-abhängigen Tschechoslowakei, die YMCA um Unterstützung bei der sozialen und re-ligiösen Erziehung der jungen Demokratie gebeten wurde. Die ursächlich im langen 510 | Rezensionen | ReviewsLeid während der Habsburger Monarchie verankerte Kirchenablehnung der Bevöl-kerung ließ einen weiteren Kernaspekt der Arbeit der Y’s zur Geltung kommen: die Betonung und der Rückgriff auf wis-senschaftliche Ansätze, mit dem weltweit eine organisationsstrukturbedingte Bevor-zugung westlichen Expertentums einher-ging. Matějka zeigt, wie die ethisch liberale Haltung die Arbeit der Organisation in diesem Umfeld erleichterte, indem sie sich etwa mit dem Konzept der muscular chris-tianity auf die Dimensionen des „body“ und „mind“ fokussierte, während die des „spirit“ soweit möglich außen vorgelassen wurde, um dem Verdacht der Kirchennä-he zu entgehen. Der Charakter der Jugend sollte ohne christliches Vokabular geformt und die Gesellschaft zu einer positiven Haltung gegenüber Minderheiten und anderen Nationen erzogen werden. Die Arbeit der Y’s lief kongruent zur US-ame-rikanischen Geopolitik, die einen Wall ge-gen den Bolschewismus errichten wollte. Der omnipräsente Antiklerikalismus miss-fiel jedoch zunehmend gerade jungen In-tellektuellen, die eine neue Orientierung in der neo-orthodoxen Theologie des jun-gen Professors Josef L. Hromádka fanden, der mit der Gründung der Akademischen YMCA eine neue Ausrichtung anstrebte. Matějka legt die Reziprozität offen und zeigt, wie die YMCA auch hier nicht nur als Agentin gesellschaftlicher Transforma-tion auftrat, sondern diese ebenfalls selbst erfuhr.Auf die besondere Relevanz linguistischer Aspekte richtet sich Teil III des Bandes, mit einem Beitrag von Lance Cummings und einem weiteren von Paul Hillmer und Ryan Bean. Letztere erzählen die Geschichte der „Y-Indian Guides“, die Joe Friday, ein kanadischer First Nati-on, und Harold Keltner um Vater-Sohn-Beziehungen herum konstruierten. An-hand deren historischer Entwicklung demonstrieren die Autoren anschaulich die Formbarkeit von Ideen wie „Modern“, „Amerikaner“ und „Indianer“. Cummings behandelt die Rolle der Erziehungsarbeit der Y’s, insbesondere im Rahmen von Englisch-Sprachkursen, die seit ca. Mitte des 19. Jhs. in Nordamerika für Migranten angeboten wurden. Diese sollten eine dienliche geistige Haltung formen, die durch die Einflüsse des Americanization Movement befruchtet war. Die YMCA trug maßgeblich zur Entwicklung einer Ideologie des „native speaker“ bei, wo-durch Vorstellungen von „language, race, and nationality became co-constitutive and difficult to unlink in the minds of tea-chers, missionaries, and other YMCA sta-keholders“ (S. 194). Missionare betrachte-ten Englisch oft als die geeignetste Sprache um den Geist der „Heiden“ für das Chri-stentum zu bereiten. Cummings stellt dar, wie im Kontakt und durch Erfahrungen mit anderen Kulturen bislang gültige, hie-rarchisierende Theorien, wie die „universal grammar“ und die „comparative ethnolo-gy“ (S. 196) in Frage gestellt wurden. Den Dissonanzen zwischen diesen Konzepten und erlebtem Alltag wurde mit einer An-passung der Programme begegnet, womit man etwa von der Vorstellung einer inhä-renten rassischen Überlegenheit abrückte. Die wechselseitige Beeinflussung mündete in der Erkenntnis, dass mehr als nur eine legitime Art von Kultur, Zivilisation und Sprache existiert.Katrin Bromber behandelt in Teil IV ab-schließend die Arbeit der YMCA in Äthi-opien, das nach jahrelanger italienisch-fa-Rezensionen | Reviews | 511schistischer Okkupation seiner künftigen intellektuellen Führungskräfte beraubt war. Kaiser Haile Selassie trat 1946 an die YMCA World Alliance heran in der Hoff-nung, deren Leadership-Training würde das Defizit beheben und den Wiederauf-bau und die Modernisierung des Landes ermöglichen. Bromber fragt, inwieweit die Organisation ihr Leadership-Programm an entwicklungspolitischen Überlegungen sozioökonomischen und moralischen Fortschritts orientierte (S. 238). Neben dem Leadership-Training und einherge-henden Erziehungsprogrammen behan-delt der Beitrag damit die Kooptierung der Y’s durch die äthiopische Regierung – als weiteren Kernaspekt der organisationalen Aktivitäten. Bromber argumentiert, dass die Y’s ähnlich wie andere amerikanische Programme und Institutionen operierten (z.B. das Peace Corps, oder das Fulbright Programm), die ein explizit US-amerika-nisches Fortschrittsmodell vorantrieben und verbreiteten. Auch das von ihr be-schriebene Beispiel zielt auf das Bewerben amerikanisch-demokratischer politischer Werte, um junge Führungskräfte zu for-men oder zu beeinflussen.Spreading Protestant Modernity bietet In-teressierten aus historischen Fächern, der (De-) Kolonialgeschichte, aus Bereichen der Global Studies ebenso wie aus der Religionswissenschaft und Ethnologie aufschlussreiche Einblicke. Eine tieferge-hende organisationstheoretische Betrach-tung nimmt das Werk zwar nicht vor, bietet aber auch hier allerhand fruchtbare Anknüpfungs- und Ausgangspunkte. Das Sammelwerk geht über die Behandlung der Y’s als parallel zum Imperialismus verlau-fenden, eingleisigen Kolonialismus hinaus und vermeidet es, die Arbeit der Organisa-tion mit einem Projekt der Verwestlichung gleichzusetzen. Die hier gesammelten Darstellungen der vielfältigen Tätigkeiten der YMCA und YWCA machen die Kom-plexität der zugrundeliegenden globalen Wechselbeziehungen greifbar und ihr bis heute wirksames Erbe sichtbar. Alfred Schlicht: Das Horn von Afrika. Äthiopien, Dschibuti, Eritrea und Somalia: Geschichte und Politik, Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2021, 212 S.Rezensiert von Ulf Engel, Leipzig„Das Horn von Afrika“ von Alfred Schlicht reiht sich ein in den Reigen jüngerer Ver-öffentlichungen zu einer von zahlreichen gewaltsamen Konflikten heimgesuchten Region Afrikas, die in unmittelbarer Nach-barschaft zu Zentralafrika und der ara-bischen Halbinsel liegt.[1] Das öffentliche Interesse auch in Deutschland am Horn von Afrika ist durch den aktuellen Kon-flikt in Äthiopien deutlich angewachsen. In Schlichts historischem Überblick wird der geographische Raum des Horns tradi-tionell mit Blick auf Äthiopien, Dschibu-ti, Eritrea und Somalia geworfen, während aktuelle politische Debatten sich häufig auf das „erweiterte Horn“ beziehen – also die Mitgliedstaaten der Intergovernmen-tal Authority on Development (IGAD), zu denen zusätzlich auch Kenia, der Süd-Sudan, Sudan und Uganda gehören.

Harald Fischer-Tiné / Stefan Huebner / Ian Tyrrell (Hrsg.): Spreading Protestant Modernity: Global Perspectives on the Social Work of the YMCA and YWCA, 1889–1970 (= Perspectives on the Global Past), Honolulu: University of Hawai‘i Press 2021, 280 S.

Biçer-Deveci, Elife

Medicalizing the “Alcohol Problem” in the Ottoman Empire: Expert Networks and Exchanges between Istanbul, Munich, and Zurich

Jeggle, Christof

482 | Rezensionen | ReviewsBelege fehlen oder die beschriebenen Phänomene nur knapp kontextualisiert werden. Dies betrifft beispielsweise die Analyse der Rechtspraktiken, die zwar anschaulich ist, aber teilweise Bezüge zur aktuellen Forschung vermissen lässt. Zu Korruption, Amtsprüfungsverfahren und der Anpassung der Gesetze des Königs an die Umstände vor Ort gibt es mittler-weile eine reiche Forschungsliteratur, die vom Autor stärker berücksichtigt hätte werden können. Bei der Bedeutung, die den Amtsprüfungsverfahren bei Freeman zukommt, fällt zudem auf, dass hier Hin-weise zum methodischen Vorgehen bei der Quellenauswertung und ein Beleg fehlen. Während die Amtsprüfungsverfahren der Gouverneure Jacinto Lariz (1645–1653) und Baigorrí ausgewertet wurden, fehlt ein Hinweis auf die Amtsprüfungsver-fahren von Alonso Mercado y Villacor-ta (1660–1663) und Andrés de Robles (1674–1678), weshalb unklar bleibt, wa-rum sie nicht berücksichtigt wurden. Auf S. 184 wird zwar das Amtsprüfungsver-fahren von Gouverneur Juan Martínez de Salazar (1763–1674) erwähnt, allerdings ohne Quellenangabe.Diese Einwände mindern aber nicht den Wert von Freemans Untersuchung, die den makrohistorischen Kontext überzeu-gend mit mikrohistorischen Fallanalysen kombiniert. Das Ergebnis ist ein sehr gut lesbares und empfehlenswertes Buch, das anhand reichhaltigen Quellenmaterials anschaulich zeigt, wie niederländische Kaufleute den handelspolitischen Re-striktionen Spaniens zum Trotz in Buenos Aires einen globalen, von Potosí bis China reichenden Handel betrieben. Damit hat Freeman ein informatives Buch verfasst, das über die Untersuchung von Handels-praktiken die Funktionsweise der spa-nischen Kolonialherrschaft in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. beleuchtet.James Livesey: Provincializing Global History. Money, Ideas, and Things in the Languedoc, 1680–1830, New Haven/London: Yale University Press, 2020, 214 S.Rezensiert von  Christof Jeggle, Bamberg Das Buch von James Livesey befasst sich mit dem Verhältnis von globalen und lo-kalen Prozessen im Languedoc zwischen 1680 und 1830. In der Einleitung geht er von der Fragestellung aus, weshalb in dieser Zeit eine neue Qualität wirtschaft-licher Entwicklung entstehen konnte. Seit dem späten 18. Jh. könne man einen ersten Moment einer tatsächlichen wirt-schaftlichen Globalisierung beobachten, wobei die Auswirkungen von intensivier-tem internationalem Handel und einer industrious revolution, also dem Phänomen steigender Produktivität in traditionellen Ökonomien, nicht auf Europa beschränkt gewesen seien. Macht und globale Reich-weite dieser Transformation seien so ein-deutig, dass sie aus Sicht des Autors zu zwei Fragen führen: Warum trat die nach-haltige Transformation eher zu dieser denn zu einer anderen Zeit auf? Warum waren die Institutionen und Konzepte, die diese neue Welt regierten, in europäischen Er-fahrungen verankert?Rezensionen | Reviews | 483Die Spezifik der wirtschaftlichen Trans-formation sieht der Autor nicht nur in der globalen Dimension, sondern auch in de-ren Qualität. Es habe immer wieder Pha-sen der Entwicklung neuer wirtschaftli-cher Formen im lokalen Rahmen gegeben, deren Ertrag jedoch durch persönlichen Opportunismus oder durch rent-seeking ausgebeutet worden sei und der damit zu keiner nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung geführt habe. Um zu verste-hen, wie nun eine nachhaltige Transforma-tion habe stattfinden können, ließen sich einige kontingente Eigenschaften von Po-litik, Wirtschaft, Kultur oder Gesellschaft erkennen, die Ausbeutung beschränkten und die Möglichkeit von nachhaltigem Wachstum schufen. Dazu sei ausgehend von der Forschungslage die Idee einer Wissenskultur zwingend, wobei der Au-tor den in der Forschung zur Erklärung modernen Wachstums dominierenden Fokus auf wissenschaftlichen und techno-logischen Eliten ablehnt, da diese Art von kultureller Außergewöhnlichkeit von der Globalgeschichte zu Recht kritisiert wür-de. Institutionen, die auf kontinuierliche Innovationen ausgerichtete Gesellschaften ermöglichen, wären diejenigen, die es den Eliten unmöglich machten, die Macht zu monopolisieren. Daher bestünde das Pro-blem nicht darin, innovative Eliten oder Unternehmer zu identifizieren, sondern den Kontext, den Subalternen die Mobi-lisierung und zugleich die Limitierung des rent-seeking der Eliten erlaubte: Wie lern-ten die Menschen jenseits der Metropolen in der Provinz, sich an eine sich verändern-de Welt anzupassen, neue Möglichkeiten zu nutzen, neue Arten des Risikos einzu-hegen und sich in neuen Formen kollek-tiver Aktion zu vereinen? Das Argument des Buches ist, diese Entwicklungen und andere derartige Erfahrungen nicht als Abfolge von Ereignissen der Geschichte öffentlicher Finanzen, der Wissenschafts-geschichte und der Agrargeschichte, son-dern als kollektiven Lernprozess zu sehen, um so eine Geschichte der Wissenskultur des Languedoc zu schreiben.Livesey verweist zwar darauf, dass sein Buch der Intellectual History, der Wirt-schaftsgeschichte und noch mehr der Wissenschaftsgeschichte viel verdanke, er das Problem aber auf keinem dieser Wege, sondern vielmehr mittels der Pro-vincial History angehen würde. Leider wird diese als heuristischer Ansatz nicht weiter erläutert. Da es keine typische Pro-vinz an sich gäbe, sei das Languedoc ein gutes Beispiel, denn es bestünden keine besonderen Vorteile hinsichtlich der ent-stehenden Netzwerke von globalem Han-del und Kommunikation: Es liege nicht an der Atlantikküste, habe keine besonderen Verbindungen nach Asien und der Textil-handel über Marseille ins östliche Mittel-meer sei gefährdet gewesen. Dennoch sei-en Kreditinstrumente, um öffentliche und private Ziele zu verfolgen, und Netzwerke von Naturhistorikern und Agrarinnovato-ren, die neue Pflanzen und neue Vorstel-lungen von wissenschaftlicher Autorität einführten, etabliert und die Formen der Landnutzung verändert und mit neu-er Agrartechnik experimentiert worden. Das Buch versteht sich damit auch als Gegenentwurf zur These der „immobilen Gesellschaft“ von Emmanuel Le Roy La-durie in „Les paysans de Languedoc“.[1] Methodisch stellt der Autor lediglich fest, dass der Prozess des kollektiven Lernens nur indirekt erschlossen werden könne. Steuerverzeichnisse, die Korrespondenz 484 | Rezensionen | Reviewswissenschaftlicher Gesellschaften und ag-ronomischer Vereine, botanische Handbü-cher und Beschreibungen würden gegen den Strich gelesen, dabei entstünde jedoch aus diesen schwierigen Quellen eine um-fassende und klare Kultur der Vernunft, ein überraschend grundlegender Prozess intellektueller und kultureller Verände-rung. Trotz umfassender Positionierung des Vorhabens wird hier eine methodische Schwäche des Buches sichtbar, da ein ex-plizit wissenshistorischer Ansatz einer Pro-vincial History elaborierter hätte ausfallen können.Hinsichtlich der globalhistorischen Per-spektive geht Lifesey unter anderem von Dipesh Chakrabarty aus, auf dessen Buch-titel „Provincializing Europe“ er in seinem eigenen Titel anspielt.[2] Eine Kultur-geschichte der Mobilisierung von Subal-ternen und Provinzlern in einer Periode signifikanter Veränderungen habe zwar schon für sich einen Wert; der Fokus auf Innovationen, insbesondere auf die Art, wie neue Formen kultureller Fähigkeiten geschaffen würden, führe jedoch auf das Terrain einer der schwierigsten Fragen der Globalgeschichte. Bestimmte Konzepte gesellschaftlicher Organisation ließen sich nicht ohne Bezug auf ihren europäischen Entstehungskontext aufrufen. Chakrabar-tys kritische Zerstörung des mythischen „Europa“ der erreichten Modernität als ein erklärendes Beispiel und normativer Stan-dard sei für französische oder bretonische Geschichte genauso befreiend wie für in-dische oder bengalische Erfahrungen. Das Problem der „universellen“ oder exempla-rischen Natur der europäischen Kategori-en komme durch das empirische Fenster zurück, nachdem ihm die theoretische Tür gewiesen worden sei. Die einflussreichs-ten Ideen zur Organisation des modernen Lebens seien universell, denn modernes Leben sei von seiner Natur her univer-salistisch. Das Problem der Kommuni-zierbarkeit lokaler Erfahrungen mittels universeller Kategorien sei nicht nur ein abstraktes Problem gewesen, das Natur-philosophen hinsichtlich der Verlässlich-keit der Beobachtungen und Instrumente, die andere gemacht hatten, beschäftigte, sondern auch Denker in Bengalen auf der Suche nach Referenzkategorien zur Bewer-tung ihres eigenen Denkens. Ebenso sei es auch ein tiefgehend praktisches Problem, das sich in so bodenständigen Feldern wie der Agronomie bemerkbar machte. Ohne geteilte Normen konnten lokale Normen nicht verallgemeinert und der Wert lokaler Erfahrung nicht wahrgenommen werden.Zur Einlösung seiner Anliegen folgen vier empirische Kapitel mit unterschiedlichen thematischen Ausrichtungen. Im Kapitel über Kredit, Schulden und Geld betont Livesey die Eigenständigkeit der Stände im Languedoc, die im 18. Jh. eine relativ stabile und innovative Organisation ihrer Finanzen etabliert hätten, um im allgemei-nen Interesse öffentliche Güter zu finan-zieren. Die ganze Bevölkerung habe dabei anhand der öffentlichen Finanzen gelernt, wie das Verhältnis zwischen Eigeninteres-se, Risiko und Entwicklung zu handhaben sei. Die kognitive Fähigkeit, die notwen-dig sei, um das Verhältnis zwischen unmit-telbar konkreten lokalen Umständen und einem abstrakten, universellen Horizont herzustellen, sei ein unschätzbarer Vorzug gewesen, den die Bevölkerung genossen habe. Im folgenden Kapitel werden, aus-gehend von der bekannten medizinischen Fakultät der Universität von Montpellier, intellektuelle Netzwerke vor allem anhand Rezensionen | Reviews | 485der Société royale des sciences nachver-folgt. Der Schwerpunkt der Netzwerk-beziehungen lag in Europa mit einzelnen Kontakten darüber hinaus und sorgte für eine Einbindung des Languedoc in die zeitgenössische Wissenschaft. Dieser An-satz wird mit dem Fokus auf botanisches Wissen im nächsten Kapitel fortgesetzt. Neben den Verflechtungen der Gelehrten werden lokale Einrichtungen der botani-schen Forschung vorgestellt und die breite-re Diffusion des Wissens zur Verbesserung der Agrarwirtschaft, insbesondere bei der Urbarmachung von verwildertem Land, diskutiert. Es folgt eine weitere Annähe-rung an die Aneignung und Nutzung von praktischem Wissen in der landwirtschaft-lichen Praxis durch eine Untersuchung der Verbreitung und Nutzung des Schwing-pflugs und den vielfältigen Hindernissen, auf die der Import dieser als grundlegend empfundenen Innovation der Pflugtech-nik im Languedoc stieß. Das nun folgende Kapitel stellt einen Bruch zu den vorher-gehenden dar, denn Livesey diskutiert den Einfluss der Französischen Revolution auf die Wissenskulturen im Kontext der ge-sellschaftlichen Veränderungen in einer eher abstrakten und nicht immer leicht nachvollziehbaren Weise. Der Schlussteil betont noch einmal die Positionen des Au-tors anhand eines Ausblicks der Entwick-lung Frankreichs im 19. Jh. und fällt ange-sichts der ambitionierten Ausgangsthesen zu skizzenhaft aus.Das Buch ist dicht geschrieben und in Anbetracht der angestrebten empirischen Tiefe der Analyse lokaler Verhältnisse im globalen Kontext zu sehr verdichtet. Leider fehlt ein Literaturverzeichnis, weshalb die nur in den Endnoten enthaltenen Referen-zen etwas unübersichtlich bleiben. Live-seys Blick ist stark auf Institutionen wie die Stände, Bildungseinrichtungen und die Verwaltung gerichtet. Das Languedoc als Provinz bildet daher einen etwas abs-trakten Rahmen. Unterschiede innerhalb der Region bleiben unscharf und leider wurde auf Karten zur anschaulichen Ver-ortung verzichtet. Der Anspruch, den Fo-kus auf Subalterne und deren Praxen zu richten wird nur im Ansatz verwirklicht, am ehesten im Kapitel über die Pflü-ge. Dies war sicherlich auch praktischen Grenzen der Materialauswertung geschul-det, hätte aber etwas stärker reflektiert werden können, denn die dargestellten Personen waren überwiegend besser situ-iert. In den empirischen Kapiteln entsteht zudem der Eindruck, dass die inhaltliche Darstellung und Bewertung des Materials sehr stark auf die Bestätigung der Thesen Liveseys ausgerichtet ist und Ambivalen-zen oder Gegentendenzen zwar erwähnt, aber kaum gewichtet werden. Obwohl die Darstellung auf historischem Materi-al basiert, ist das Buch insgesamt von den Thesen des Autors geprägt und muss als Beitrag zu einer angelsächsisch geprägten Diskussion der Globalgeschichte gesehen werden. Der Ansatz, ausgehend von Cha-krabarty etablierte moderne Vorstellungen sozialer Ordnung zu dekonstruieren und im Kontext historischer lokaler Praxen zu untersuchen, ist für die europäische Ge-schichte nicht grundsätzlich neu. Mit sei-ner Vorstellung von universell geltenden Ideen, die weltweit ihre lokale Ausprägung fanden und damit neue Impulse gesell-schaftlicher Entwicklung setzten, nimmt Livesey zwar eine dezidiert globale Pers-pektive ein, jedoch entsteht der Eindruck, dass diese Zusammenhänge eher postuliert als empirisch genau nachvollzogen wer-486 | Rezensionen | Reviewsden. Ob im Languedoc und in Bengalen populäre Wissenskulturen sich tatsächlich vergleichbarer Referenzen bedienten, wäre genauer zu untersuchen. Im Kontext glo-balhistorischer Diskussionen verfolgt er dennoch wichtige Anliegen, indem er da-für wirbt, Regionen jenseits der Hafenme-tropolen nicht nur einzubeziehen, sondern deren eigenständige ökonomische Ent-wicklung zu betonen. Ebenso ist sein An-spruch, häufig getrennt betrachtete Felder wie Wissenschaft, populäres praktisches Wissen und wirtschaftliche Praxis in Zu-sammenhang zu setzen, sinnvoll. Liveseys Buch bietet daher interessante Anregun-gen, die jedoch vom methodischen Kon-zept wie von der empirischen Grundlage her weiter ausgebaut werden sollten.Anmerkungen1 E. Le Roy Ladurie, Les Paysans de Languedoc, Paris 1966.2 D. Chakrabarty, Provicializing Europe. Post-colonial Thought and Historical Difference, Princeton 2000.Junko Thérèse Takeda: Iran and a French Empire of Trade, 1700–1808. The Other Persian Letters (= Oxford University Studies of the Enlighten-ment), Liverpool: Liverpool Univer-sity Press, 2020, 265 S. Rezensiert von  Sven Trakulhun, HamburgVor genau dreihundert Jahren erschien ein Schlüsselwerk der europäischen Auf-klärungsliteratur zum ersten Mal: die Per-sischen Briefe (Lettres persanes) des fran-zösischen Philosophen Charles-Louis de Secondant, baron de Montesquieu. Das Buch besteht aus einer Sammlung von 161 Briefen des persischen Prinzen Uzbek und seines Freundes Rica, die sich für einige Jahre in Frankreich aufhalten und ihren Freunden, Ehefrauen und Verwandten da-heim von ihren Erfahrungen in der Frem-de berichten. Allerdings sind alle Figuren und Briefe in Montesquieus Roman fiktiv. Der Standpunkt des exotischen Beobach-ters, der die Verhältnisse in Frankreich scheinbar unvoreingenommen von außen betrachtet, ist eine literarische Verklei-dung, die es Montesquieu gestattete, seine Kritik an Absolutismus, Kirche und gesell-schaftlicher Ungleichheit unbefangener zu formulieren, als es sonst im zensurfreu-digen Frankreich Ludwigs XV. wohl mög-lich gewesen wäre. Dabei machten gerade die literarische Form des Briefromans und die fingierte fremde Sicht auf die eigene Kultur für das europäische Publikum den Reiz des Buches aus. 

James Livesey: Provincializing Global History. Money, Ideas, and Things in the Languedoc, 1680–1830, New Haven/London: Yale University Press, 2020, 214 S.

Kleinschmidt, Harald

Ethiopia and India as Neighbours: Notes on the Relevance of Perceptions for Global Historiography

Völker, Tobias

Two Generations of Mordtmanns in Istanbul. Diplomatic and Scholarly Lives in Times of German and Ottoman Transformations

Ryad, Umar

Berlin through Arab-Ottoman Eyes in the Wake of Defeat

Engel, Ulf

Rezensionen | Reviews | 511schistischer Okkupation seiner künftigen intellektuellen Führungskräfte beraubt war. Kaiser Haile Selassie trat 1946 an die YMCA World Alliance heran in der Hoff-nung, deren Leadership-Training würde das Defizit beheben und den Wiederauf-bau und die Modernisierung des Landes ermöglichen. Bromber fragt, inwieweit die Organisation ihr Leadership-Programm an entwicklungspolitischen Überlegungen sozioökonomischen und moralischen Fortschritts orientierte (S. 238). Neben dem Leadership-Training und einherge-henden Erziehungsprogrammen behan-delt der Beitrag damit die Kooptierung der Y’s durch die äthiopische Regierung – als weiteren Kernaspekt der organisationalen Aktivitäten. Bromber argumentiert, dass die Y’s ähnlich wie andere amerikanische Programme und Institutionen operierten (z.B. das Peace Corps, oder das Fulbright Programm), die ein explizit US-amerika-nisches Fortschrittsmodell vorantrieben und verbreiteten. Auch das von ihr be-schriebene Beispiel zielt auf das Bewerben amerikanisch-demokratischer politischer Werte, um junge Führungskräfte zu for-men oder zu beeinflussen.Spreading Protestant Modernity bietet In-teressierten aus historischen Fächern, der (De-) Kolonialgeschichte, aus Bereichen der Global Studies ebenso wie aus der Religionswissenschaft und Ethnologie aufschlussreiche Einblicke. Eine tieferge-hende organisationstheoretische Betrach-tung nimmt das Werk zwar nicht vor, bietet aber auch hier allerhand fruchtbare Anknüpfungs- und Ausgangspunkte. Das Sammelwerk geht über die Behandlung der Y’s als parallel zum Imperialismus verlau-fenden, eingleisigen Kolonialismus hinaus und vermeidet es, die Arbeit der Organisa-tion mit einem Projekt der Verwestlichung gleichzusetzen. Die hier gesammelten Darstellungen der vielfältigen Tätigkeiten der YMCA und YWCA machen die Kom-plexität der zugrundeliegenden globalen Wechselbeziehungen greifbar und ihr bis heute wirksames Erbe sichtbar. Alfred Schlicht: Das Horn von Afrika. Äthiopien, Dschibuti, Eritrea und Somalia: Geschichte und Politik, Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2021, 212 S.Rezensiert von Ulf Engel, Leipzig„Das Horn von Afrika“ von Alfred Schlicht reiht sich ein in den Reigen jüngerer Ver-öffentlichungen zu einer von zahlreichen gewaltsamen Konflikten heimgesuchten Region Afrikas, die in unmittelbarer Nach-barschaft zu Zentralafrika und der ara-bischen Halbinsel liegt.[1] Das öffentliche Interesse auch in Deutschland am Horn von Afrika ist durch den aktuellen Kon-flikt in Äthiopien deutlich angewachsen. In Schlichts historischem Überblick wird der geographische Raum des Horns tradi-tionell mit Blick auf Äthiopien, Dschibu-ti, Eritrea und Somalia geworfen, während aktuelle politische Debatten sich häufig auf das „erweiterte Horn“ beziehen – also die Mitgliedstaaten der Intergovernmen-tal Authority on Development (IGAD), zu denen zusätzlich auch Kenia, der Süd-Sudan, Sudan und Uganda gehören.512 | Rezensionen | ReviewsDer Autor ist der Region akademisch und biographisch eng verbunden: Der in München promovierte Islamwissen-schaftler Alfred Schlicht war viele Jahren im Auswärtigen Dienst der Bundesrepu-blik Deutschland tätig, unter anderem mit Stationen in Kairo, Beirut, Sanaa und Amman sowie in den USA. Er hat zu den historischen Beziehungen zwischen dem arabischen Raum und Europa (Stutt gart 2013), der Geschichte der arabischen Welt (Stuttgart 2013) und dem Islam in Deutschland (Zürich 2017) publiziert. In letztgenannter Schrift wird der islamischen Religion ein Gewaltpotenzial zugeschrie-ben, das in einem Spannungsverhältnis zu modernen Islaminterpretationen gesehen wird. Andere Publikationen des Autors beschäftigen sich vor allem mit den Hin-tergründen des Bürgerkrieges im Libanon. In seinem jüngsten Buch entfaltet Schlicht in zehn Kapiteln eine Geschichte des Horns von Afrika, das sich vor allem an ein allgemeines Publikum außerhalb der Fachkreise im Wissenschaftsbetrieb und der Politik richtet. In Kapitel 1 wird die Frühgeschichte des Horns rekonstruiert, bis zur Gründung erster Staaten – etwa dem Reich von Aksum im 1. Jahrtausend oder der abessinischen Sklavendynastie der Nadschahiden im 11. Jh. Im sehr kurzen zweiten Kapitel steht die Zagwe-Dynastie in Lalibela im heutigen Äthiopien im Zen-trum der Darstellung. In Kapitel 3 wird ein konziser Überblick zur „salomonischen Dynastie“ gegeben. Dem folgt ein Kapitel, in dem die Vielfalt von Herrschaftsformen und religiösen Identitäten am Horn von Afrika zwischen Mittelalter und Kolonial-zeit eingefangen werden soll. Die folgenden Kapitel sind der Zeitge-schichte Eritreas, vor allem aber Äthio-piens gewidmet. In Kapitel 5 steht die Schaffung Äthiopiens zwischen 1855 und 1908 unter den Regenten Tewodros II., Yohannes IV. und Melinek II. im Zen-trum der Darstellung, in der auch immer wieder die vielfältigen Verbindungen zu diversen europäischen Akteuren – Missi-onaren wie Militärs – thematisiert wird. Die Periode ist geprägt von Binnenkolo-nisierung einerseits und Abwehr imperia-listischer Bestrebungen der europäischen Mächte andererseits. In Kapitel 6 werden die in unterschiedlichem Maße erfolg-reichen imperialistischen Ambitionen von Frankreich (Dschibuti), Großbritannien (Somaliland), Italien (Somalia und Eri-trea) sowie Deutschland am Horn von Afrika diskutiert. Kapitel 7 ist der Herr-schaft von Teferi (oder Tafari) Mekonnen (1930–1975), dem späteren Haile Selassie, in Äthiopien gewidmet. In Kapitel 8 zeich-net Schlicht nach, wie Eritrea sich von der Kolonisierung Italiens im Jahr 1890 über den Befreiungskampf gegen zunächst das kaiserliche Regime und ab 1974 gegen den „Roten Terror“ des sozialistischen Derg per Referendum 1993 die Unabhängig-keit von Äthiopien gesichert hat. Und in Kapitel 9 rekapituliert der Autor, wie die Geschichte Äthiopiens nach dem Mili-tärputsch gegen den Kaiser 1974 in zwei gewaltigen Schüben weiter dynamisiert worden ist: von dem Scheitern des sozia-listischen nation-building-Projekts und der militärischen Niederlage des Derg sowie der Machteroberung der Viererkoalition der Ethopian People’s Revolutionary De-mocratic Front (EPRDF) im Jahr 1991 hin zum Scheitern auch dieses hegemoni-alen Projekts unter dem Vorzeichnen eines von der Tigray People’s Liberation Front (TPLF) dominierten „Ethno-Föderalis-Rezensionen | Reviews | 513mus“, dessen Transformation nach dem Tod von Premier Meles Zenawi (2012) die Amhara- und Oromo-Fraktionen der EPRDF nicht mehr in den Griff bekom-men haben. Dies schließt die Machtüber-nahme durch Abiy Ahmed 2018 und den Konflikt zwischen der aus der Restmasse der EPRDF neu gegründeten Prosperity Party einerseits und der TPLF andererseits ein, der 2020 in einem noch andauernden Bürgerkrieg eskaliert ist (hierzu auch das mahnende Interview des Autors im Spiegel Anfang 2021).[2] Im letzten kurzen Kapi-tel wird ein Schlaglicht auf die rezenten Entwicklungen in Somalia und Dschibuti (Djibouti) geworfen.Schlicht genügt seinem Anspruch, eine all-gemein verständliche und sehr gut lesbare Geschichte des Horns von Afrika verfasst zu haben (dies geht zuweilen leider zu La-sten einer präzisen Belegstruktur). Die wis-senschaftliche Diskussion in der deutsch-, französisch- und englischsprachigen Wis-senschaftscommunity wird weitgehend rezipiert – auch wenn einige der jüngeren Beiträge nur selektiv Berücksichtigung finden. Und so liegen die Stärken der Pu-blikation zweifelsohne in der Verdichtung der relevanten historiographischen Veröf-fentlichungen, während die sozialwissen-schaftliche Diskussion zum Thema nur in Ausschnitten zur Geltung kommt. Die Komplexität der Entwicklungen am Horn von Afrika stellt allerdings auch eine besondere Herausforderung für jede Art von Geschichtsschreibung oder politischer Analyse dar. Besonders deutlich wird dies in der kurzen Passage zum Aufstieg von Abiy Ahmed (S. 170–174), der im April 2018 gegen die Ambitionen der TPLF zum Parteichef der EPRDF gewählt wurde und danach als Premierminister umfang-reiche Reformen eingeleitet hat: von der Freilassung politischer Gefangener und der Einführung einer Frauenquote im Kabi-nett hin zum Ausgleich mit der politischen Diaspora, vor allem aber die Beendigung des Kriegszustandes mit Eritrea und die Anerkennung des Schiedsspruchs der Ver-einten Nationen zum Grenzverlauf (letzte-res führte am 10. Dezember 2019 zur Ver-leihung des Friedensnobelpreises an Abiy). Die Zeitläufte können bei Buchprojekten sehr undankbar sein: Schlichts sehr kurzer und hinsichtlich des Hintergrundes auch sehr unvollständiger Verweis auf den Krieg zwischen der Zentralregierung und der TPLF im Regionalstaat Tigray endet mit der Einnahme von Mekelle durch Regie-rungstruppen im November 2020. Seither hat sich die Konfliktdynamik mehrfach dramatisch verändert: Die TPLF hat diese Truppen im Juli 2021 wieder aus Tigray vertrieben und Teile der angrenzenden Regionen Amhara und Afar erobert. Nach dem Ende der Regenzeit hat die Regie-rung im Oktober 2021 eine großangelegte Offensive begonnen, deren Ausgang sehr ungewiss ist. Fest steht lediglich, dass das abermalige Scheitern eines hegemonialen nation-building-Projekts in Äthiopien weitreichende Auswirkungen auch auf die staatliche Fragilität am Horn von Afrika insgesamt sowie die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse nicht nur in Äthi-opien haben wird. Am Ende des Buches fehlt leider ein abschließendes, einord-nendes Kapitel des Autors zur Bedeutung dieser Entwicklungen für die Rolle des Horns von Afrika in der weiteren Region.Anmerkungen1 Siehe z.B. die Veröffentlichungen von R. Tetzlaff zu Äthiopien (Springer, 2021), J. Markakis et al. zum Nationalstaat am Horn (Max-Plank-Ge-514 | Rezensionen | Reviewssellschaft, 2021) oder K. Mengisteab zur Krise der Demokratie am Horn (James Currey, 2020).2 Interview, Der Spiegel, 20. Januar 2021. URL: <https://www.spiegel.de/ausland/aethi-opien-orientalist-alfred-schlicht-ueber-den-krisenherd-am-horn-von-afrika-a-94032b91-ae8a-42c6-89d8-a2c5856af21e> (Zugriff: 31. Oktober 2021).Marie Huber: Developing Heritage – Developing Countries. Ethiopian Nation-Building and the Origins of UNESCO World Heritage, 1960–1980 (= Africa in Global History, vol. 1), Berlin/ Boston: De Gruyter  Oldenbourg, 2021, 204 S.Rezensiert von  Andrea Rehling, AugsburgSeit die Kämpfer der Tigray People’s Li-beration Front in Äthiopien im August 2021 Lalibela erobert haben, erfreut sich das äthiopische Welterbe in der inter-nationalen Medienöffentlichkeit neuer Aufmerksamkeit. Sorgenvoll richtet die Berichterstattung den Blick auf eine et-waige Gefährdung der „heiligen Stadt“ und UNESCO Welterbestätte durch die „Tigray-Rebellen“ und reklamiert so einen internationalen Mitspracheanspruch über die Zukunft der Stadt.[1] Lalibela ist eine der ersten zwölf Stätten, mit denen die Welterbeliste 1978 eröffnet wurde. Auch der Sämen-Nationalpark in Äthiopien gehört dazu. Mit ihnen gelang es der äthiopischen Regierung, sich in das UNESCO-Welterbeprogramm einzu-schreiben. Trotzdem hatten sich die äthi-opischen Vertreter wahrscheinlich mehr erhofft, denn sie hatten nicht weniger als elf Nominierungen ins Rennen geschickt und etablierten sich so als absoluter Spit-zenreiter im Bewerberfeld.[2] Warum aber war das Interesse der äthiopischen Re-gierung am Welterbeprogramm so groß? Und inwiefern gelang es den äthiopischen Vertretern, das Programm, dessen Euro-zentrismus sogar von der UNESCO selbst regelmäßig problematisiert wird, in ihrem Sinne zu prägen bzw. wie wurde der äthi-opische Denkmal- und Naturschutz durch die internationale Organisation geprägt? Diese Fragen sind bisher weitgehend un-beachtet geblieben. Es ist das Verdienst dieser Arbeit, quellengesättigt erste Ant-worten auf diese Fragen zu liefern. Sie gewährt so wichtige Einblicke in die Be-deutung von „Heritage“ in afrikanischen nation-building-Prozessen, verliert darüber aber nicht die in der Literatur zum UN-ESCO-Welterbeprogramm sonst häufig vernachlässigte ökonomische Dimension des Welterbetitels und sein geradezu sym-biotisches Verhältnis zum Tourismus aus den Augen.[3]Entsprechend beginnt Marie Huber ihre Analyse mit der Entwicklung Äthiopiens zur touristischen Destination, die gleich-zeitig der ökonomischen Entwicklung die-nen sollte. Sie kann zeigen, dass der Touris-mus in den 1960er Jahren als Branche galt, in der sich ohne große Investitionen Ge-winne erzielen ließen. Tourismus galt des-halb nicht nur in Äthiopien als Motor für ökonomische Entwicklung. Entsprechend vermarktbare Natur- und Kulturgüter wa-ren schnell identifiziert und Wissenschaft-ler aus Europa bzw. den USA wurden als Experten herangezogen, um sie gezielt für 

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