Borromeo Ferri, Rita

Greefrath, Gilbert

Günster, Stephan Michael

Siller, Hans-Stefan

Eldorado - Ressourcen aus und für Lehre, Studium und Forschung

A. Frank, S. Krauss & K. Binder (Hrsg.),Beiträge zum Mathematikunterricht 2019. Münster: WTM-Verlag.Seite 1307Rita BORROMEO FERRI, Kassel, Gilbert GREEFRATH, Münster, Stephan Michael GÜNSTER & Hans-Stefan SILLER, Würzburg ISTRON-Gruppe: Realitätsbezüge im Mathematikunterricht Im Jahre 1990 hat sich in Istron Bay auf Kreta eine Gruppe konstituiert mit dem Ziel, durch Koordination und Initiierung von Innovationen zur Verbes-serung des Mathematikunterrichts beizutragen (Greefrath, Siller & Blum 2016). Diese Gruppe, die sich nach dem Gründungsort genannt hat, möchte Realitätsbezüge im und für den Mathematikunterricht fördern. Konstitutiv in der ISTRON-Gruppe ist die Netzwerk-Idee: Die Verbindung von Aktivitäten und der sie tragenden Menschen auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene. Eine Schriftenreihe, die bis ins Jahr 2013 bei Franzbecker mit 18 Bänden aufgelegt wurde und seit 2014 bei Springer erscheint, ermöglicht der ISTRON-Gruppe mit mittlerweile 22 Bänden auch nachhaltige Präsenz und Sichtbarkeit in der Schulpraxis, sowie für die wissenschaftliche Com-munity. Im Rahmen der ISTRON-Sitzung fanden – wie inzwischen auf den Arbeitskreis-Sitzungen der GDM-Tagung gute Tradition – zwei thematische Vorträge, welche die Interessen der Gruppe treffen, statt.  Rita Borromeo Ferri: Förderung des Selbstkonzeptes und der Einstel-lung zur Mathematik bei Schülerinnen durch Modellierungsaufgaben?! – Erste Ergebnisse einer empirischen Studie Empirische Studien machen regelmäßig darauf aufmerksam, dass erhebliche Differenzen zwischen den Geschlechtern existieren, die den Verlauf der Schullaufbahn maßgeblich mitbestimmen. Während Mädchen im Bereich der Leseleistungen bei PISA deutlich bessere Ergebnisse erreichten als Jun-gen, zeigte sich im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich hingegen ein, je nach Fach und Aufgabenstellung, unterschiedlich ausgeprägter Vor-sprung der Schüler auf ihre Mitschülerinnen. Negative Einstellung zur Ma-thematik von Mädchen lässt sich v.a. auf die Rollen- und Attributzuschrei-bungen zurückführen, die zu einem geringen Selbstkonzept bei Mädchen führt (Kaiser-Messmer 1989). Generell gibt es wenige Studien mit der  Gender-Perspektive auf Modellierung; die existierenden Studien legen den Fokus auf Modellierungskompetenzen bzw. Performanz. Modellierungsauf-gaben laden zum Hinterfragen ihrer Wirkungserfolge mit dem Fokus Gen-der, insb. Selbstkonzept ein, denn Mathematik wird im Kontext lebensnaher Aufgaben ermöglicht (Martignon 2009). Ausgehend davon stand die fol-gende Forschungsfrage im Fokus: Fördern Modellierungsaufgaben das Selbstkonzept von Schülerinnen und Schülern in Bezug auf die Mathematik bereits durch ein kurzes Treatment? A. Frank, S. Krauss & K. Binder (Hrsg.),Beiträge zum Mathematikunterricht 2019. Münster: WTM-Verlag.Seite 1308In einer explorativen Interventionsstudie mit einem Pre- und Post-Test-De-sign nahmen 94 Lernende der Jahrgänge 6 und 8 (Haupt- und Realschule) teil, davon 45 Mädchen und 49 Jungen. Im kurzen Treatment von 90 min wurde eine Modellierungsaufgabe bearbeitet. Als Instrumente dienten die Skalen zur Selbsteinschätzung aus PISA und zudem wurde eine neue Skala zur Selbsteinschätzung zur Modellierung mit 6 Items entwickelt, die sich als reliabel erwies (𝛼𝛼 = .73). Sowohl in den Jahrgängen 6 als auch 8 zeigten sich keine Veränderungen des Selbstkonzepts zur Mathematik und zur Mo-dellierung, was u.a. an der Kürze des Treatments liegen könnte. Bei den de-skriptiv analysierten Items zeigte sich, dass den Mädchen v.a. die Gruppen-arbeit beim Modellieren zusagt. Als interessantes Ergebnis kann konstatiert werden, dass die Skala zum Selbstkonzept Modellieren sich empirisch von der Skala zum Selbstkonzept Mathematik unterscheidet und somit generell für empirische Studien zum Lehren und Lernen von Modellierung eingesetzt werden kann.  Stephan Günster: Modellierung einer Spidercam® – ein Thema für Schule und Hochschule Spidercams ermöglichen es, Fernsehzuschauern noch näher am Geschehen, wie zum Beispiel bei Sportveranstaltungen, Konzerten, etc., sein, indem die Kamera über ein Seilsystem gesteuert die Protagonisten aus verschiedensten Blickwinkeln zeigt. Im Rahmen der Schülerprojekttage des Lehrstuhls für Didaktik der Mathematik an der Universität Würzburg, die jährlich mit be-sonders begabten Schülerinnen und Schülern am Ende der Sekundarstufe 1 und Sekundarstufe II stattfinden, wurde in Anlehnung an Klöckner, Siller & Adler (2016) bzw. Schmidt (2009), ein Modell für eine Spidercam entwickelt und gebaut. Dieses Modell wurde im Zuge eines Seminars zum Modellieren und wissenschaftlichen Rechnens mit Lehramtsstudierenden verfeinert.  Im Folgenden werden zunächst einige Aspekte der Funktionsweise einer Spidercam erläutert und stoffdidaktisch aufgearbeitet. Anschließend werden ausgewählte Ergebnisse der Projektarbeit beider Veranstaltungen als Aus-blick auf eine erneute Durchführung eines komplexen Modellierungspro-jekts mit Schülerinnen und Schülern präsentiert. A. Frank, S. Krauss & K. Binder (Hrsg.),Beiträge zum Mathematikunterricht 2019. Münster: WTM-Verlag.Seite 1309 Abbildung 1: a) Datenflussdiagramm Spidercam Modell        b) Geradlinige Bewegung zwischen zwei Punkten Zunächst wird das Modell anhand des Datenfluss-Diagramms (siehe Abb. 1 a), welches eine Darstellung einer Modellierung im Sinne der Bil-dungsstandards der Gesellschaft für Informatik (GI 2008) darstellt, beschrie-ben. Für eine Bewegung zwischen zwei Punkten (siehe Abb. 1 b) müssen aus den Koordinaten der Start- bzw. Zielposition für jeden der vier Pfosten die entsprechenden Seillängen berechnet werden. Dies kann – je nach Vor-wissen – über den Betrag des Verbindungsvektors der beiden Punkte oder über den Satz des Pythagoras erfolgen. Die Differenz der Längen, welche angibt wie viel Seil ab bzw. aufgerollt werden muss, wird anschließend in die passende Anzahl an Umdrehungen der Winden und damit der Schrittmo-toren übersetzt. Mit dieser Information können die Motoren dann angesteuert werden. Hierbei kann über die Wahl der Programmierumgebung (z. B. Scratch oder Python) bzw. über Vorgabe bestimmter Teile des Codes im Sinne einer Black-Box auf das Vorwissen und die Interessen der Schülerin-nen und Schüler eingegangen werden. Ein Problem stellt die Nicht-Linearität der Funktion der Seillängen dar. Wenn alle Motoren mit der gleichen Geschwindigkeit Seil auf- bzw. abrol-len, beenden sie ihren Vorgang nicht gleichzeitig und es ergibt sich keine geradlinige Bewegung zwischen zwei Punkten. Als erste Verbesserung kann die Geschwindigkeit der Motoren auf die größte Längenänderung normiert werden; die Motoren mit weniger Umdrehungen laufen dabei entsprechend langsamer. Alternativ könnte der Weg zwischen den beiden Punkten mehr-fach unterteilt werden. Anstelle direkt vom Start- zum Zielort zu fahren, wer-den dann die berechneten Zwischenpunkte nacheinander angefahren.  Das Spidercam Modell stellt ein Beispiel für ein fächerkoordinierendes Pro-jekt (vgl. Labudde 2014) im MINT-Kontext dar, welches insbesondere Ele-mente der mathematischen und informatischen Modellierung verbindet. Der A. Frank, S. Krauss & K. Binder (Hrsg.),Beiträge zum Mathematikunterricht 2019. Münster: WTM-Verlag.Seite 1310gewinnbringende Einsatz digitaler Werkzeuge zur Unterstützung der Model-lierung ergibt sich dabei auf natürliche Weise. Das Projekt bietet dabei zahl-reiche Möglichkeiten der Differenzierung und vertiefenden Erweiterungen, die weitere MINT-Fächer, wie zum Beispiel Physik, mit einbinden könnten. Dadurch ist es nicht nur als Thema für die Schule, sondern ebenso für die Hochschule geeignet. Literatur Gesellschaft für Informatik (2008), Grundsätze und Standards für die Informatik in der Schule, Bildungsstandards Informatik für die Sekundarstufe I, Beilage zu LOG IN, 28(150/151). Greefrath, G., Siller, H.-S., Blum, W. (2016). 25 Jahre ISTRON – 25 Jahre Arbeit für einen realitätsbezogenen Mathematikunterricht. Mitteilungen der Gesellschaft für  Didaktik der Mathematik, 100, S. 19-22. Kaiser-Messmer, G. (1989). Frau und Mathematik - ein verdrängtes Thema der Mathe-matikdidaktik. ZDM - Zentralblatt für Didaktik der Mathematik, 21(2), S. 56-66. Klöckner, V., Siller, H.-St., & Adler, S. (2016). Wie bewegt sich eine Spider-Cam? Eine technische Errungenschaft, die nicht nur Fußballfans begeistert. In Praxis der Mathematik in der Schule, 58(69), S. 26-30. Labbude, P. (2014): „Fächerübergreifender naturwissenschaftlicher Unterricht –  Mythen, Definitionen, Fakten“. In Neumann, K. & Rumann, S. (Hrsg.), Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften (ZfdN), 20(1), S. 11-19.  Martignon, L. (2009). Mädchen und Mathematik. In Wyrobnik, I. & Matzer, A. (Hrsg.), Handbuch für Mädchenpädagogik, S. 148-158 Schmidt, U. (2009). Eon Flug mit der Spidercam. Anwendungsaufgaben entwickeln. In mathematik lehren, 152, S.50-58. Schukajlow, S., Kaiser, G., & Stillmann, G. (2018). Empirical research on teaching and learning of mathematical modelling: a survey on the current state-of-the-art. ZDM Mathematics Education, 50(1-2), https://doi.org/10.1007/s11858-018-0933-5. 

ISTRON-Gruppe: Realitätsbezüge im Mathematikunterricht

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