Habitus der Aktivierung in weberianischer Perspektive

Abstract

Als Antworten auf die neuen sozialen Herausforderungen durch die heraufziehende kapitalistische Wirtschaftsordnung begannen europäische Gesellschaften teilweise bereits im späten 19. Jahrhundert, Wohlfahrtsstaaten zu entwickeln und institutionell auszubauen. Eine besondere Dynamik erhielt die Wohlfahrtsstaatsentwicklung im Europa der Nachkriegszeit, als viele der mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in Verbindung gebrachten sozialen Probleme in Sozialgesetzgebungen adressiert wurden. Dies geschah durch den Auf- und Ausbau sozialstaatlicher Leistungen und Sicherungen. Die Beschränkung des Primats des Ökonomischen und die Dekommodifizierung der Arbeit wurden seit den 1970er Jahren gleichwohl zunehmend in Frage gestellt – in besonders scharfer Form in Großbritannien unter Margaret Thatcher, die umfassende Deregulierungen der Märkte, Privatisierungen von Staatsbetrieben und Sozialwohnungen sowie Flexibilisierungen der Arbeit betrieb. Mithin kam es zu einer (Re-)Ökonomisierung der Sozialgesetzgebungen. Bis heute ist der britische Wohlfahrtsstaat in dieser Tradition durch ökonomischen Liberalismus, Individualismus und Austerität bei den Staatsausgaben bestimmt. Dieser „neoliberale“ Sozialstaat wurde als politisches Programm in den 1990 Jahren von Thatchers Nachfolgern weiter unterstützt und auch in andere Länder exportiert. Häufig war das verbunden mit einer Individualisierung der Verantwortung, rigiden Sanktionierungsprogrammen und einer die Armen treffenden Strafverfolgung (Wacquant 2009). So fand seit den 2000er Jahren das Programm einer Aktivierung von arbeitslosen Sozialleistungsempfängern in vielen Ländern Verbreitung, in Deutschland beispielsweise im Rahmen der „Hartz“-Gesetze. Durch „Fordern und Fördern“ sollten insbesondere Langzeitarbeitslose in ihrer Arbeitssuche unterstützt werden. Begleitet wurde dies durch Sanktionsandrohungen, die ein Verbleiben in der „sozialen Hängematte“ erschweren sollten. Die Inklusion von arbeitsmarktfernen Leistungsbeziehern in die kapitalistische Wirtschaftsordnung sollte damit nach dem Motto „Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit“ gefördert und erzwungen werden.Anhand von Gruppendiskussionen mit Teilnehmenden an Aktivierungskursen für Arbeitssuchende insbesondere zum Self-Employment in Großbritannien mit einer rigide sanktionierenden Aktivierungspolitik, in der Republik Irland mit einer eher assistierenden Aktivierungspolitik (Schünemann & Boyle 2011) sowie in Deutschland untersuchen wir, wie unternehmerische Tätigkeit und (Selbst-)Aktivierungsbemühungen von Langzeit-Arbeitslosen – und damit den Schwächsten in der kapitalistischen Wirtschaft – konzipiert und ein unternehmerischer Habitus entworfen und performiert werden. Dabei kann man pars pro toto den Einzug kapitalistischer Logiken in die Institution des Wohlfahrtsstaats wie auch in die Identitätsentwürfe exkludierter sozialer Gruppen beobachten

    Similar works