„Ungleichheit wird es immer geben“: Wahrnehmungen und Bewertungen von Ungleichheit durch Führungskräfte der deutschen Wirtschaft

Abstract

Wahrnehmung und Bewertung sozialer Ungleichheit wird zunehmend als zentraler Bestandteil sozialer Ungleichheitsproduktion angesehen. Der Beitrag nimmt die Wahrnehmung und Bewertung sozialer Ungleichheit durch Spitzenführungskräfte der deutschen Wirtschaft in den Blick und fokussiert damit auf eine Gruppe, die maßgeblich an der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung und Bewertung sozialer Ungleichheit maßgeblich beteiligt ist.Empirische Grundlage ist ein Forschungsprojekt, in dem Deutungsmuster von Topmanager/innen, Unternehmer/innen und Vertreter/innen von Wirtschaftsverbänden in Deutschland untersucht wurden.Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Wahrnehmung und Erklärung sozialer Ungleichheit als auch Selbstwahrnehmung und Gerechtigkeitsvorstellungen der Befragten durch zentrale, miteinander verbundene Deutungsmuster geprägt sind. Dominant ist die Vorstellung einer grundsätzlichen Leistungsgerechtigkeit, die sowohl bei der Erklärung sozialer Unterschiede als auch bei der Rechtfertigung hoher Einkommen zum Tragen kommt. Meritokratische Grundvorstellungen werden ergänzt durch die Annahme sozialstruktureller Gegensätze und unüberwindlicher Barrieren zwischen den sozialen Schichten. Bei der Erklärung der Geschlechterungleichheit kommen die Vorstellung einer die Frauen benachteiligenden „Natur“ und traditioneller Geschlechterrollen hinzu. Die Deutungsmuster weisen vielfältige Widersprüche auf; überraschend ist auch die Übereinstimmung in vielen Deutungsmuster von Männern und Frauen, denen geschlechterungleich verteilte Erfahrungen vorausgehen. Alle Führungskräfte gehen davon aus, dass völlige Chancengleichheit nicht realisierbar sei, in Deutschland jedoch weit gehende Chancengleichheit bestehe. Für diese wird ein abstrakter „Staat“ für zuständig erklärt, der sie über wohlfahrtsstaatliche Institutionen und Bildung realisieren soll.Der theoretisch belegte Bezug von Deutungsmustern auf Handlungsprobleme zeigt, wie sich Selbstpositionierungen, Deutungsmuster und Handlungspraxen gegenseitig stützen. Die identifizierten Deutungsmuster tragen dazu bei, das Selbstbild als Leistungselite in einer Leistungsgesellschaft aufrecht zu erhalten und die eigene privilegierte Position zu legitimieren. Die Verantwortung für den Abbau sozialer Ungleichheit wird an die Gesellschaft und die Individuen delegiert, während Forderungen an die Unternehmen, insbesondere gesetzliche Regelungen, abgewehrt werden. Auf der Handlungsebene werden die Deutungsmuster in öffentlichen Äußerungen und der politischen Einflussnahme insbesondere der Wirtschaftsverbände gegen gesetzliche Regelungen manifest

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