In der Zeit des Verbotes des Protestantismus in den habsburgischen Erblanden und im Erzstift Salzburg hielt sich das evangelische Bekenntnis bei der ländlichen Bevölkerung in Form eines Laienchristentums. Die in der Forschung so genannten Geheimprotestanten nahmen als offizielle Angehörige der römisch-katholischen Kirche an deren Frömmigkeitsleben teil – sofern dieses mit ihren Überzeugungen konform ging. Daneben jedoch führten sie ihr religiöses Glaubensleben in Eigenverantwortung. Im Zentrum dieser Glaubenspraxis stand die Lektüre evangelischer Erbauungsliteratur – allein oder im Rahmen von kollektiven Hausandachten, zu denen sich die jeweilige Hausgemeinde unter Führung des Hausvaters oder einer anderen lesekun- digen Person zusammenfand. Auf diesen von Generation zu Generation weiter vererbten Büchern gründeten die Geheimprotestanten ihre evangelische Identität. Sie dienten ihnen zur Erbauung und Unterweisung und standen deshalb im Zentrum obrigkeitlicher Vorgehensweise gegen die lutherische „Ketzerei“.
Die Bücher zum einen und Laienprediger aus den eigenen Reihen der Geheimprotestanten zum anderen zeichnen dafür verantwortlich, dass es sich bei den Geheimprotestanten um reflektierte und kundige Anhänger der lutherischen Konfession handelte, wovon sie im Rahmen von Verhören eindrücklich Zeugnis ablegten.
Die Erfahrungen aus der Zeit des Geheimprotestantismus waren so prägend, dass sie die Jahre nach dem Erlass des Toleranzpatents unter Josef II. (1781) maßgeblich be- einflussten. Jene Frauen und Männer, die bereits davor in der geheimprotestantischen Gemeinschaft Verantwortung übernommen hatten, spielten auch im Kontext der Gründungen der Toleranzgemeinden eine wichtige Rolle. Manche Bücher, die bei den Geheimprotestanten in Verwendung waren, boten in den ersten Jahren für die neue Kirchenleitung ein Konfliktpotential, da sie den Ideen der Aufklärung und der Toleranz entgegenstanden.
Dass es seit dem 16. Jahrhundert bis zur Duldung von 1781 auf dem Gebiet des heutigen Österreichs kontinuierliches evangelisches Leben gab und damit eine authochtone Tradition des Protestantismus, ist das Resultat jenes illegalen, eigenverantwortlichen religiösen Lebens von Geheimprotestantinnen und Geheimprotestanten