Die historische Urbanisierung St. Petersburgs und ihre Auswirkungen auf die städtische Gesellschaft im Lichte einer ausgewählten Raumtheorie

Abstract

Innerhalb dieser Diplomarbeit setze ich mich mit einer ausgewählten Phase der St. Petersburger Stadtgeschichte auseinander. Mit der Zeit der historischen Urbanisierung St. Petersburgs (von ca. 1850 – 1917) ging auch ein Prozess der Industrialisierung einher, der tiefgreifende wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen hatte. Zwar wird die Periode der historischen Urbanisierung in der Literatur zur Stadtgeschichte St. Petersburgs eingehend und ausführlich behandelt, jedoch mangelt es diesen Arbeiten, so meine These in dieser Diplomarbeit, an einer Darstellung der Sichtweise „von unten“. So erfährt man über den tatsächlichen Lebensalltag der Menschen, ihre Lebensumstände und –bedingungen oder das urbane öffentliche Leben an sich weit weniger als über die damit zusammenhängenden Entwicklungen wie die große Wohnungsnot, die soziale Kluft zwischen Ober- und Unterschicht, die grassierende Armut oder die Zunahme öffentlicher Konflikte und Verbrechen (deren Ursachen aber eben oft im Kleinen liegen). Die Tendenz geht eindeutig dahin, diese problematischen Entwicklungen nicht in ihrer Entstehung zu erforschen, sondern nur als bloße „Zustände“ zu beschreiben. Das heißt, dass die ursächlichen Gründe dieser Probleme, die vielfach auf einer mikropolitischen Ebene liegen, in der Erforschung der historischen Urbanisierung St. Petersburgs vernachlässigt werden. Ausgehend von dieser Grundlage widme ich mich im ersten Hauptteil dieser Diplomarbeit einer Beschreibung jener Themen, die für die historische Urbanisierung von Bedeutung sind. Dabei bearbeite ich relevante Punkte wie die Einbettung der Urbanisierung in die damaligen historischen Umstände, die Umbrüche im städtischen Klassensystem oder die Frage nach dem Vorhandensein einer Stadtentwicklungspolitik für diese Zeit, wofür auch ein kurzer Vergleich zu Stadtentwicklungskonzepten in der Zeit der Sowjetunion gezogen wird. Abschließend versuche ich, die Vermittlung der Urbanisierung innerhalb und anhand des „Petersburger Textes“, einem Textkorpus der russischen Literaturgeschichte, in dem die Stadt St. Petersburg ein viel gebrauchtes Sujet darstellt, zu verstehen. Fedor Michailovič Dostoevskij und einige seiner Werke, die er im industrialisierten St. Petersburg jener Zeit angesiedelt hat, bilden die dafür benötigten Quellen. Der zweite Hauptteil ist in seiner Gesamtheit als Versuch einer alternativen Stadtgeschichtsschreibung der Zeit der historischen Urbanisierung zu verstehen. Alternativ deswegen, weil die Forschungsperspektive auf der Untersuchung jener kleiner Prozesse liegt, die vorhin als die Verursacher der erwähnten problematischen Zustände angeführt wurden. Um diese Untersuchung durchführen zu können, stelle ich zuerst aktuelle Konzepte und Definitionen des Raumbegriffes in den kritischen Raumwissenschaften vor. Die den kritischen Raumwissenschften entliehenen Thesen wende ich sodann an, um speziell Fragen, die mit dem öffentlichen Raum (oder zumindest der Vorstellung dessen, wie ich sie aus der Literatur gewonnen habe) im damaligen St. Petersburg zusammenhingen, zu stellen bzw. folglich auch zu beantworten. Der öffentliche Raum ist deswegen wichtig, weil ich in ihm die Möglichkeit sehe, Ursachen für die gesellschaftlichen Probleme und Konflikte zu finden. Das soziale, oft konflikthafte Mikroklima einer Straße, eines Bahnhofes oder sonstigen beliebigen öffentlichen Platzes erweist sich dabei als Spiegelbild der Gesellschaft und dient in dieser Rolle als Schlüssel zum Verständnis für weit größere gesellschaftspolitische Konfrontationslinien. Somit geht es im zweiten Hauptteil darum, ein bestimmtes Bild der Stadt St. Petersburg während der Industrialisierung zu zeichnen. Es ist kein weiteres Bild, das sich auf die Beschreibung ökonomischer Zahlen und Produktionsergebnisse beschränkt, sondern bewusst auf die drastischen sozialen Umstände jener Menschen, deren Arbeit hinter diesen Ergebnissen steht, aufmerksam macht.Within this diploma thesis, I deal with a particular period of the St. Petersburg city history. The so called “historical urbanization of St. Petersburg” (from about 1850 - 1917) was accompanied by a process of industrialization, which had far-reaching economic and social consequences. Although the period of the historical urbanization is covered in detail and at length in the literature dedicated to the urban history of St. Petersburg, it lacks, so I argue in this diploma thesis, a research focus "from below". Compared to general developments like the large housing shortage, the social gap between the upper and lower class, a rampant poverty and the increase of public crimes, the actual everyday life of people, their living conditions or the urban public life as such are far less studied. There is a clear tendency not to focus on the genesis of the mentioned problematic developments, but to describe them as being as “set in stone”. This means that the roots of these problems, which are often to be found on a micro-political level, are somehow neglected in the study of St. Petersburg's historic urbanization. Starting from this basis, in the first main part of this diploma work I concentrate on a description of those topics, which are important for the historical urbanization. In doing so I work on relevant issues such as the embedding of the urbanization in its historical context, the changes in the urban class system or on the question whether the urbanization/industrialization at that time was accompanied by some certain urban policy. In order to answer to the last point, a brief comparison to urban development concepts during the Soviet Union is drawn. Finally, I try to understand how the hisorical urbanization is conveyed in and by the "Petersburg text". The “Petersburg text” is a text corpus in the history of Russian literature, in which the city of St. Petersburg is a much used subject and motive. Fёdor Mikhailovich Dostoyevsky and some of his works settled in the time of industrialized St. Petersburg, serve as my main ressources for that. The second part is to be understood as an attempt to give some insights on an “alternative” writing of the historical urbanization. I call it “alternative writing”, since the research perspective is to study especially those small processes, which were previously cited as the cause of the mentioned problematic developments. To carry out this investigation, I firstly present some of the current concepts and definitions of “space” within the “kritische Raumwissenschaften”. With the help of some theoretical models borrowed from the “kritische Raumwissenschften”, I then pose a few questions concerning public space in St. Petersburg at that time. Public space is insofar important, since it constitutes the urban public and vice versa. The social, often conflict-laden microclimate of a city street, a railway station or any other public place proves to be a reflection of urban society. In this role it serves as a key to understand far greater socio-political confrontations and discussions. Thus this second part of my diploma thesis is about to draw a different picture of the historical urbanization. It’s not supposed to be another picture limited to the description of economic outputs and industrial production results. It rather should make aware of the drastic social circumstances given to these people, which are behind these figures

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