Kosiol, Timo

Rach, Stefanie

Ufer, Stefan

Eldorado - Ressourcen aus und für Lehre, Studium und Forschung

 Stefanie RACH, Paderborn, Stefan UFER & Timo KOSIOL, München Interesse an Schulmathematik und an akademischer Mathematik: Wie entwickeln sich diese im ersten Semester? Fachspezifisches Interesse wird als wichtige Lernvoraussetzung, als wichti-ges Prozessmerkmal in Lernprozessen und als essentielles Ziel von Lernpro-zessen gesehen. Während für den schulischen Mathematikunterricht schon Ergebnisse zur Bedeutung von individuellem Interesse vorliegen, ist die For-schungslage im universitären Bereich noch dürftig. Insbesondere ist die Ent-wicklung in der Studieneingangsphase zu beachten, da hier zwei Interessens-objekte, die Schul- und die Hochschulmathematik, differenziert werden müssen. In diesem Beitrag wird die individuelle Interessensentwicklung in der Eingangsphase eines Mathematik- bzw. gymnasialen Lehramtsstudium mit Hilfe eines neu entwickelten Instrumentes untersucht. Hintergrund Interesse als eine besondere Beziehung zwischen einer Person und einem Objekt ist durch einen Emotions- und einen Wertbezug geprägt (Krapp, 2002). Fachspezifisches Interesse wird als wichtiges individuelles Merkmal in Lernprozessen (Wigfield & Cambria, 2010) und die Entwicklung von in-dividuellem (fachspezifischem) Interesse wird als wichtiges Ziel fachlichen Lernens angesehen. Empirische Ergebnisse weisen jedoch insbesondere in der Sekundarstufe 1 und 2 auf sinkendes Interesse am Fach Mathematik hin (Frenzel, Goetz, Pekrun & Watt, 2010). Für die Studieneingangsphase liegen bisher wenige empirische Ergebnisse vor (z. B. Liebendörfer & Schukajlow, 2017). Die bisherigen Studien zur Interessenentwicklung verwenden Instrumente, die das Interessensobjekt, die Mathematik, nicht näher spezifizieren (z. B. Köller, Trautwein, Lüdtke & Baumert, 2006). In der Studieneingangsphase im Fach Mathematik lässt sich jedoch prototypisch unterscheiden zwischen der Schulmathematik, die schematisches Rechnen und außermathematisches Anwenden fokussiert, und der Hochschulmathematik, die durch Beweisen und formales Definieren von Begriffen geprägt ist (Rach, Heinze & Ufer, 2014). Aufgrund des Berufsziels ist anzunehmen, dass Lehramtsstudierende stärkeres Interesse an Schulmathematik und geringeres Interesse an Hoch-schulmathematik berichten als Fachstudierende.  In Fachgruppe Didaktik der Mathematik der Universität Paderborn (Hrsg.)Beiträge zum Mathematikunterricht 2018. Münster: WTM-Verlag 1447 SISMa Das Projekt SISMa (Selbstkonzept und Interesse in der Studieneingangs-phase Mathematik) verfolgt das Ziel, differenzierte Interessens- und Selbst-konzeptmaße im Mathematikstudium zu erheben (Ufer, Rach & Kosiol, 2017). Dafür werden die Objekte, die die Studierenden bezügliches ihres In-teresses und Selbstkonzeptes einschätzen sollen, explizit benannt. Für diesen Beitrag werden Interessensmaße verwendet, in denen das Interessensobjekt einen Bezug zur Institution – entweder Schule oder Hochschule – aufweist. Fragestellungen ─ Wie verändert sich das Interesse an Schulmathematik bzw. Hoch-schulmathematik in den ersten Wochen des Mathematikstudiums? ─ Unterscheidet sich die Interessensentwicklung von Studienanfängerin-nen und Studienanfänger abhängig vom gewählten Studiengang? ─ Können Profile der Interessensentwicklung identifiziert werden? ─ Inwiefern hängt die individuelle Interessensausprägung mit der Studi-enzufriedenheit zusammen? Methodisches Vorgehen Für diese Längsschnittstudie berichteten über 200 Studierende der Fachma-thematik, der Wirtschaftsmathematik und des gymnasialen Lehramts zu Stu-dienbeginn (T1) und in der achten Vorlesungswoche (T2) ihr Interesse an Schulmathematik (Beispielitem: „In der Schule war Mathematik für mich immer sehr wichtig“, 5 Items) und an Hochschulmathematik (Beispielitem: „Mich interessiert die Mathematik, wie sie an der Hochschule betrieben wird“, 5 Items). Die Reliabilitäten der Skalen sind akzeptabel bis gut: α = .77-.89, N = 156-199. Zusätzlich berichteten die Studierenden in der ach-ten Vorlesungswoche ihre Studienzufriedenheit (7 Items, α = .83, N = 187, Schiefele & Jacob-Ebbinghaus, 2006). Die Einschätzungen erfolgten auf ei-ner vierstufigen Likert-Skala von 0 (trifft nicht zu) bis 3 (trifft zu) ein. Ergebnisse Die Ergebnisse einer ANOVA mit Messwiederholung zeigen, dass das Inte-resse an Schulmathematik während der ersten Semesterwochen stabil bleibt (hohe Korrelation der beiden Interessenswerte von .75), während das Inte-resse an Hochschulmathematik mit mittlerem Effekt abnimmt. Interaktions-effekte mit dem Studiengang können nicht identifiziert werden. 1448 Um einen genaueren Einblick in die Interessensentwicklung der Studieren-den zu erhalten, wurde eine Clusteranalyse basierend auf den beiden Interes-sensfacetten zu T1 und T2 durchgeführt. Mit Hilfe des Single-Linkage-Ver-fahrens wurden drei Ausreißer identifiziert und entfernt. Die Clusterbildung wurde mit dem Ward-Verfahren vorgenommen, wobei sich aus methodi-schen (Scree-Plot) und inhaltlichen Gründen (nicht zu große Cluster) eine fünf-Cluster-Lösung als günstig herauskristallisierte (M – Fachmathematik, WM – Wirtschaftsmathematik, LA – gymnasiales Lehramt; siehe auch Ab-bildung 1): Cluster 1: Hochinteressiert (13 M, 6 WM, 4 LA, n = 23) Cluster 2: Primär an der Hochschulmathematik interessiert (14 M, 4 WM, 1 LA, 1 keine Angabe, n = 20) Cluster 3: Interessiert, von der Hochschulmathematik enttäuscht (8 M, 7 WM, 21 LA, 2 keine Angabe, n = 38) Cluster 4: Undifferenziert interessiert (22 M, 19 WM, 11 LA, 1 keine Angabe, n = 53) Cluster 5: Primär an der Schulmathematik interessiert (2 M, 8 WM, 19 LA, 2 keine Angabe, n = 31)   Abbildung 1: Interessenausprägungen der Cluster. Einzelitems von 3 (trifft zu) bis 0 (trifft nicht zu). Die Cluster unterscheiden sich in der berichteten Studienzufriedenheit. Die beiden Cluster „Hochinteressiert“ und „Primär an der Hochschulmathematik interessiert“ berichten signifikant höhere Studienzufriedenheit als die Clus-ter „Interessiert, von der Hochschulmathematik enttäuscht“ und „Undiffe-renziert interessiert“, die wiederum signifikant höhere Studienzufriedenheit berichten als Studierende des Clusters „Primär an der Schulmathematik in-teressiert“. 1449 Diskussion Durch die differenzierte Messung von Interesse zeigt sich erwartungsgemäß, dass sich die Ausprägungen des Interesses an Schulmathematik im ersten Semester im Mittel nicht verändern, das Interesse an Hochschulmathematik im Mittel jedoch abnimmt. Die Studierenden unterscheiden sich deutlich in ihrer Interessensentwicklung. Einige Cluster wie z.B. „Interessiert, von der Hochschulmathematik enttäuscht“ und „Primär an der Schulmathematik in-teressiert“ zeigen deutlich ungünstige Verläufe. Zu beachten an diesen Er-gebnissen ist, dass nur die Studierenden in die Auswertungen eingehen, die noch in der Semestermitte an der Veranstaltung „Analysis“ teilgenommen haben. Insgesamt stützen die Ergebnisse die Forderung nach einer Beach-tung der Interessensentwicklung und -förderung direkt im ersten Semester, die beispielsweise durch eine stärkere Verknüpfung von Schul- und Hoch-schulmathematik geschaffen werden könnte (vgl. Bauer, 2013). Literatur Bauer, T. (2013). Schnittstellen bearbeiten in Schnittstellenaufgaben. In C. Ableitinger, J. Kramer & S. Prediger (Hrsg.), Zur doppelten Diskontinuität in der Gymnasiallehr-erbildung. (S. 39–56). Wiesbaden: Springer Fachmedien. Frenzel, A. C., Goetz, T., Pekrun, R. & Watt, H. M. G. (2010). Development of Mathe-matics Interest in Adolescence: Influences of Gender, Family, and School Context. Journal of Research on Adolescence 20(2), 507–537. Köller, O., Trautwein, U., Lüdtke, O. & Baumert, J. (2006). Zum Zusammenspiel von schulischer Leistung, Selbstkonzept und Interesse in der gymnasialen Oberstufe. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20(1/2), 27–39. Krapp, A. (2002). Structural and Dynamic Aspects of Interest Development: Theoretical Considerations from an Ontogenetic Perspective. Learning and Instruction, 12(4), 383–409. Liebendörfer, M. & Schukajlow, S. (2017). Interest developmemt during the first year at university: do mathematical beliefs predict interest in mathematics? ZDM Mathema-tics Education, 49(3), 355–366. Rach, S., Heinze, A. & Ufer, S. (2014). Welche mathematischen Anforderungen erwarten Studierende im ersten Semester des Mathematikstudiums? JMD, 35(2), 205–228.  Schiefele, U. & Jacob-Ebbinghaus, L. (2006). Lernermerkmale und Lehrqualität als Be-dingungen der Studienzufriedenheit. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20(3), 199–212. Ufer, S., Rach, S. & Kosiol, T. (2017). Interest in mathematics = Interest in mathematics? What general measures of interest reflect when the object of interest changes. ZDM Mathematics Education, 49(3), 397–409. Wigfield, A. & Cambria, J. (2010). Students’ achievement values, goal orientations, and interest: Definitions, development, and relations to achievement outcomes. Develop-mental Review, 30, 1–35. 1450

Interesse an Schulmathematik und an akademischer Mathematik: Wie entwickeln sich diese im ersten Semester?

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