Nicht selten entwickeln sich gesellschaftliche Diskurse im gewollten Spiel von provokanter Zuspitzung und eitler Inszenierung zum grotesken Zerrbild. Ein Beispiel ist die seit einigen Jahren in Österreich geführte Debatte über das Thema von Erinnern, Vergessen und Moralisierung. Kaum scheint diese zu verebben, wird sie mit neurotischer Beharrlichkeit und Zwanghaftigkeit wieder aufgegriffen. Es ist nicht ganz leicht, die wesentlichen Thesen dieser semantisch diffusen Auseinandersetzung eindeutig zu benennen. Die Quintessenz scheint zu sein: Wir tun gut daran, die Erinnerung an bestimmte Episoden der Geschichte aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, da sich die öffentlich verordnete Erinnerungskultur längst in eine moralisierende und verlogene Gesinnungskontrolle durch selbsternannte Tugendwächter verkehrt hat. Vergessen scheint angebracht, ja notwendig. \ud
So weit, so gut. Das Problem ist, dass sich der "Aufruf zum Vergessen" auf die historisch sensibelste Periode Österreichs bezieht: die Zeit von 1938-1945, somit auch auf die Mitwirkung am Holocaust. \ud
Was soll man zu solchen Thesen sagen? Wie soll man dazu Stellung beziehen? Vor allem: Wie soll man sich zu einer Debatte äußern, in der sich der Sachgehalt von Aussagen längst verwischt hat und - wie der bisherige Verlauf zeigt - sämtliche Versuche der Denkredlichkeit an den Immunisierungsstrategien einer wendigen Beliebigkeit der Argumente abgleiten? Es empfiehlt sich der Rückzug auf Trivialitäten und Bekanntes