Untersuchungen zur Biodiversität, biogeographischen Verbreitung und Phylogenie von Choanoflagellaten - unter besonderer Berücksichtigung der polaren Regionen
Seit über 200 Jahren ist die Morphologie das ausschlaggebende Kriterium für die Bestimmung von Protisten. Aber besonders innerhalb der Gruppe der HNF stößt eine rein morphologisch basierte Taxonomie mangels erkennbarer Merkmale an ihre Grenzen. Der hohe Anteil an morphologisch nicht identifizierbaren oder kryptischen Arten, legt die Vermutung nahe, dass hinter der Fassade dieser `Morpho-Arten´ eine gewaltige Menge an kryptischen Arten verborgen ist (Cairns 1993). Aktuelle molekular biologische Untersuchungen haben gezeigt, dass sowohl durch allopatrische als auch sympatrische Artbildung eine hohe Anzahl an kryptischen Arten entstanden ist. In der Diskussion um die biogeographische Verbreitung von Protisten stellt das Artkonzept einen wichtigen Aspekt dar. Anhand der Untersuchung der biogeographischen Verbreitung acanthoecider Choanoflagellaten konnte demonstriert werden, dass die Hypothese �everything is everywhere � the environment selects� (Finlay 2004) nur zum Teil auf die untersuchte Gruppe zutrifft. Von 103 Morpho-Arten zeigte ein Drittel eine begrenzte biogeographische Verbreitung wobei besonders die polaren Regionen hervorstachen. Trotz der vergleichbaren ökologischen Bedingungen zeigten die nördliche und die südliche polare Provinzen jeweils eine sehr charakteristische Artzusammensetztung. Die morphologischen und molekular biologischen Untersuchungen an zwei bipolaren Kaltwasserarten, Acanthocorbis nana und A. unguiculata, zeigten deutlich, dass selbst innerhalb einer Gruppe mit wohl definierten morphologischen Charakteristika, eine Anzahl an kryptischen Arten verborgen ist. Die Untersuchung der SSU rRNA von 74 Klonen enthüllte drei Genotypen innerhalb der Morphoart A. nana und weitere zwei Genotypen in A. unguiculata. Dabei zeigte sich bei A. nana nicht nur ein Hinweis auf eine allopatrische Artbildung zwischen den Polen sondern auch eine Sympatrie innerhalb der nördlichen Hemisphäre. Innerhalb der Morphoart A. unguiculata zeigten sich ebenfalls unterschiedliche Genotypen, räumlich und zeitlich im Miozän durch die Tropen getrennt. Untersuchungen der SSU rRNA einer kosmopolitischen Art aus beiden polaren Regionen, Diaphanoeca grandis, zeigten geringe bis keine Unterschiede im Genotypus und weisen auf einen kontinuierlichen Genfluß zwischen den Populationen hin. Die Funde von drei neuen Choanoflagellatenarten zeigen, dass die Artenzahl der Protisten möglicherweise unterschätz wird. Diplotheca elongata, eine große und morphologisch signifikante Art aus der Flussmündung des Danshui in Nordtaiwan erfüllt die Bedingungen für die Bezeichnung Flaggschiff-Art im Sinne von Foissner (1999). Diese neue Art wurde bis jetzt nur in dieser speziellen Region gefunden, nicht aber in anderen Flussmündungen in Taiwan. Das legt den Schluss nahe, dass diese Art möglicherweise endemisch ist. Mit der Beschreibung zweier weiterer neuer Arten wurden zum ersten Mal Choanoflagellaten aus der Tiefsee unterhalb von 2.500m nachgewiesen. Lagenoeca antarctica aus dem Abyssal des Weddell Meers und Salpingoeca abyssalis aus dem abyssalen Cap Becken. Die Tatsache, dass die Tiefsee den größten Teil der Erdoberfläche bedeckt, lässt darauf schließen, dass eine hohe Anzahl an HNF und damit auch Choanoflagellaten in der Tiefe verborgen sind. Zur Untersuchung der Phylogenie innerhalb der Choanoflagellaten und ihrer phylogenetischen Position in der Gruppe der Opisthokonta wurden Sequenzen der SSU und LSU rRNA aller untersuchten Arten herangezogen. Die bootstrap Analyse zeigte, dass die codonosigiden und salpingoeciden Choanoflagellaten polyphyletisch sind. Innerhalb des Clusters der acanthoeciden Choanoflagellaten gibt es eine Trennung in zwei Gruppen, die morphologisch durch die Lorica-Bildung während der Zellteilung widergespiegelt wird. Die phylogenetische Untersuchung der Position der Choanozoa innerhalb der Opisthokonta deutet darauf hin, dass die Choanozoa zusammen mit den Pilzen einer Schwestergruppe zu den Metazoa bilden. Weiters unterstützt sie die Hypothese, dass sie Metazoa monophyletisch sind. Diese Untersuchung zeigt, dass selbst in einer morphologisch gut definierten Gruppe wie den acanthoeciden Choanoflagellaten eine vermutlich hohe Anzahl an kryptischen, zum Teil biogeographisch getrennter Arten, verborgen ist und damit auch die Hypothese der weltweiten Verbreitung von Protisten allgemein in Frage zu stellen ist. Dies bestätigt, dass die Diversität der Protisten durch ein rein morphologisches Artkonzept stark unterschätzt wird. Die hohen intraspezifischen genetischen Unterschiede sollten nicht nur als ein Ergebnis neutraler Mutation, wie von Fenchel und Finlay (2004) interpretiert werden. Vielmehr zeigt sich, dass eine rein morphologisch basierte Systematik angesichts der Ergebnisse aus molekular biologischen und ökologischen Studien keinen Bestand haben kann