Karpinski-Siebold, Nadja

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Nadja KARPINSKI-SIEBOLD, Martin-Luther-Universität Halle-Witten-berg, DE   Problemlösen im Bereich der frühen Algebra In einer kürzlich von mir durchgeführten Interviewstudie mit Kindern einer vierten und fünften Jahrgangsstufe zum Umgehen mit Unbekannten wurden von mir mathematische Probleme mit ein oder mehreren Unbekannten ein-gesetzt. Die Bearbeitung dieser Problemstellungen fällt Kindern nicht nur wegen des Umgehens mit Unbekannten schwer, sondern auch weil ihnen wenig Strategien zur Verfügung stehen. Wenn SuS dennoch erfolgreich die Aufgaben lösten, nutzten sie die heuristische Strategie des systematischen Probierens. Diese Strategie erweist sich als kognitiv sehr anspruchsvoll. Ein erfahrener „Problemlöser“ würde den Werkzeugkoffer des Problemlösens öffnen und zu algebraischen Mitteln greifen. „Die Möglichkeit, mit Variab-len Sachverhalte allgemein darzustellen, lässt sich einsetzen zu allgemeinem Problemlösen ...“ (Malle, 1993, S. 10). Kinder im Grundschulalter müssen nach Strategien suchen. Beim Einsatz von Aufgaben die sowohl arithmetisch als auch algebraisch bearbeitet werden können, haben wir die Chance algeb-raische Kompetenzen der SuS zu identifizieren. Darauf habe ich mich in mei-ner Forschung zum algebraischen Denken von Grundschulkindern kon-zentriert. Im Folgenden möchte ich einen knappen Einblick geben (ausführ-lich dazu Karpinski-Siebold, 2016). Algebra und algebraisches Denken Ein bedeutendes Teilgebiet der Fachwissenschaft Mathematik und des Ma-thematikunterrichts ist die Algebra. Algebra wird unter anderem beschrieben als Werkzeug zur Repräsentation und Analyse quantitativer Beziehungen, als Fachsprache, die das Modellieren sowie Formulieren und Beweisen er-möglicht (Ball, 2003). Schwerwiegend sind demzufolge vielfältige Schwie-rigkeiten von SuS mit algebraischen Inhalten, die sich in zahlreichen Ver-gleichsstudien und größeren Untersuchungen immer wieder zeigen (u.a. Car-raher & Schliemann, 2007; Kieran, 2007). Als wesentliche Ursache der viel-fältigen Schwierigkeiten gelten die Diskontinuitäten zwischen Arithmetik und Algebra. Der Bruch beim Übergang von der Arithmetik zur Algebra wird beispielsweise von Herscovics & Linchevski (1994) als „cognitive gab“ und bei Filloy & Rojano (1989) als „didactic cut“ bezeichnet. Darüber hinaus beschreibt u.a. Malle (1993) an vielen Beispielen die Veränderung der Bedeutung von Zeichen und Schreibweisen, der Sichtweise auf Terme und Formeln sowie der heuristischen Aktivitäten im Übergang von Arithme-tik zur Algebra als Ursache für Missverständnisse. Um Schwierigkeiten von SuS zu reduzieren, die sie mit der Algebra offensichtlich haben, gibt es un-terschiedliche Ansätze. So könnte man sich um einen früheren leichteren U. Kortenkamp & A. Kuzle (Hrsg.),  Beiträge zum Mathematikunterricht 2017. Münster: WTM-Verlag. Seite 529  Einstieg in die Algebra in dem Sinne bemühen, indem man an die umfang-reichen Erfahrungen der SuS bezüglich des Arithmetikunterrichts Anknüp-fung findet und so einen leichteren Übergang zwischen Arithmetik und Al-gebra entstehen lässt, Pre-Algebra. Ein weiterer Ansatz ist das Verbinden von arithmetischen und algebraischen Perspektiven zur Entwicklung des al-gebraischen Denkens. Für die weitere Ausarbeitung beider Ansätze scheint es jedoch wichtig, die Entstehung des algebraischen Denkens bei jüngeren Schulkindern zu untersuchen. Daraus ergibt sich meine erste Forschungs-frage: 1. Wie kann algebraisches Denken im Grundschulalter theoretisch beschrie-ben werden? Ausgehend von der breit geführten Diskussion zum algebraischen Denken wird das Konstrukt algebraisches Denken mit folgenden sechs Komponenten umrissen: Umgehen mit Operationen als Objekten und ihren Umkehrungen; Herstellen von Beziehungen zwischen Zahlen, Mengen und Relationen; Verallgemei-nern; Umgehen mit Unbekannten; Umgehen mit Veränderungen; Nutzen von (symbolischen) Repräsentationen Diese Komponenten sind nicht auf Algebra beschränkt, sie erfahren in al-gebraischen Konstellationen allerdings eine spezifische Ausprägung. Mit ihnen erscheint algebraisches Denken als ein sehr reichhaltiges spezifisches Konstrukt, wobei nicht alle Komponenten trennscharf voneinander sind (ausführlich dazu Fritzlar & Karpinski-Siebold, 2011). Aus der oben aufgeführten ersten Forschungsfrage und deren theoretische Beantwortung resultiert die folgende zweite Forschungsfrage: 2. Welche Fähigkeiten bezüglich des algebraischen Denkens sind bei Ler-nenden im vierten Schuljahr ohne vorherige spezifische Programme zu er-fassen? Einblicke in die empirische Untersuchung In 45-minütigen halbstandartisierten Interviews bearbeiteten 78 SuS neun Aufgaben mit Subaufgaben, deren Passung zu den Komponenten algebrai-schen Denkens schon in der Vorstudie erprobt wurde. Zu einer Komponente wurden zum Teil mehrere Aufgaben konstruiert. Die Probanden wurden be-züglich des Leistungsspektrums ausgewählt (siehe Tabelle 1). Schülergruppe Beschreibung Schülergruppe A mathematisch begabte SuS Schülergruppe B SuS mit sehr guten Leistungen in Mathematik U. Kortenkamp & A. Kuzle (Hrsg.),  Beiträge zum Mathematikunterricht 2017. Münster: WTM-Verlag. Seite 530  Schülergruppe C SuS mit durchschnittlichen Leistungen in Mathematik Schülergruppe D SuS mit Leistungen, die unter dem Durchschnitt liegen Tabelle 1: Leistungsspektrum der Probanden Auswertung der Daten und ausgewählte Ergebnisse Die Auswertung der Daten soll u. a. begründete Aussagen darüber treffen, ob und inwieweit SuS beim Bearbeiten der Aufgaben algebraisch vorgehen bzw. inwieweit algebraische Denkprozesse zu identifizieren sind. Deshalb wurde ein aufgabenspezifisches Kategoriensystem entwickelt, welches zu-nächst das Vorgehen der Probanden beschreibt. Diese Kategorien wurden anschließend bezüglich der Fragestellung interpretiert, das heißt inwieweit ist die Bearbeitung algebraisch, teilweise algebraisch bzw. nicht algebraisch zu werten. Alle Bearbeitungsweisen der SuS bezüglich jeder Aufgabe wur-den zunächst komponentenbezogen ausgewertet und anschließend zusam-mengeführt. Das folgende Diagramm 1 zeigt alle Vorgehensweisen der ein-zelnen Probanden, die als algebraisch interpretiert wurden. Es wird deutlich, dass algebraisches Denken bezüglich der Komponenten unterschiedlich aus-geprägt ist. Auch innerhalb einer Komponente gibt es Unterschiede.  Diagramm 1: algebraisches Vorgehen aller SuS Das Diagramm 2 zeigt zusammenfassend die algebraische Bearbeitung über alle Aufgaben in prozentualer Verteilung der Probanden im Leistungsspekt-rum. Die zu erwartenden Unterschiede zwischen den Schülergruppen wer-den deutlich. In der Zusammenfassung der Vorgehensweisen der Probanden zeigt sich, dass bei mathematisch begabten SuS (A) die Bearbeitung ver-mehrt algebraisch ist, im Vergleich zu den anderen Schülergruppen. Der Un-terschied zwischen der Schülergruppe A und B ist auffallend groß. Diese U. Kortenkamp & A. Kuzle (Hrsg.),  Beiträge zum Mathematikunterricht 2017. Münster: WTM-Verlag. Seite 531  Befunde bekräftigen die Hypothese nach einem Zusammenhang der Kon-strukte „mathematische Begabung“ und „algebraischen Denken“.  Diagramm 2: algebraische Bearbeitungen im Leistungsspektrum In Bezug auf das algebraische Denken kann das Problemlösen als eine wich-tige Möglichkeit zur Entwicklung diesbezüglicher Fähigkeiten angesehen werden.   Literatur Ball, D. L. (2003). Mathematical proficiency for all students: Toward a strategic research and development program in mathematics education. Santa Monica, CA: RAND. Carraher, D. W., & Schliemann, A. D. (2007). Early Algebra and Algebraic Reasoning. In F. K. Lester (Ed.), Second Handbook of Research on Mathematics Teaching and Learning (pp. 669–705). Charlotte, NC: Information Age Publishing. Filloy, E., & Rojano, T. (1989). Solving Equations: The Transition from Arithmetic to Algebra. For the Learning of Mathematics, 9(2), 19–25. Fritzlar, T. & Karpinski-Siebold, N. (2011). Algebraic thinking of primary students. In B. Ubuz (Ed.), Proceedings oft he 35th Conference oft he International Group fort he Psychology of Mathematics Education (vol. 2, pp. 345-352). Ankara: PME. Herscovics, N. & Linchevski, L. (1994). A Cognitive Gap between Arithmetic and Alge-bra. Educational Studies in Mathematics, 27(1), 59–78. Karpinski-Siebold, N. (2016). Algebraisches Denken im Grundschulalter. Münster: WTM-Verlag  Kieran, C. (2007). Learning and Teaching Algebra at the Middle School through College Levels. In F. K. Lester (ED.), Second Handbook of Research on Mathematics Teaching and Learning (pp. 707–762). Charlotte, NC: Information Age Publishing. Malle, Günther; Bürger, Heinrich; Wittmann, Erich Ch (1993): Didaktische Probleme der elementaren Algebra. Mit vielen Beispielaufgaben. Braunschweig [u.a.]: Vieweg U. Kortenkamp & A. Kuzle (Hrsg.),  Beiträge zum Mathematikunterricht 2017. Münster: WTM-Verlag. Seite 532

Problemlösen im Bereich der frühen Algebra

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