Zu den Minderheitenreligionen in Spanien zählt in der Gegenwart auch der Protestantismus, eine Reformbewegung, die bereits im 16. Jahrhundert entstanden ist. Die spanische Inquisition schaffte es damals innerhalb kürzester Zeit, alle so genannten „Ketzer“ zu vernichten oder aus dem Land zu vertreiben, sodass aus den folgenden Jahrhunderten kaum Spuren des Protestantismus in Spanien zu finden sind.
Erst Anfang des 19. Jahrhundert, während der so genannten „Zweiten Reformation“, wurde der evangelische Glaube in Spanien wieder ins Leben gerufen. Missionare begannen ihr Evangelisationswerk in Gibraltar und schafften, anfänglich noch im Geheimen, evangelische Bibeln nach Spanien. Mehrere ausländische Organisationen nahmen die Aufgabe in Spanien zu missionieren in Angriff, mussten aber bis 1868 mit vielen Hindernissen kämpfen. Die katholische Religion war Staatsreligion und gegen andere Konfessionen sprach die Regierung zahlreiche Verbote aus. Viele Gottesdienststätten mussten nach wenigen Jahren des Bestehens wieder geschlossen werden, die evangelischen Pfarrer wurden aus dem Land verbannt.
Erst der Sturz der Monarchie unter Isabella II. während der berühmten Revolution „La Gloriosa“ veränderte die Situation. Die anschließende liberale Regierung verabschiedete eine Verfassung, in welcher das Recht auf freie Religionsausübung erstmals garantiert wurde. Die zwangsausgewanderten Protestanten konnten in das Land zurückkehren und ihre zurückgelassene Arbeit wieder aufnehmen. Vor allem in Andalusien, Katalonien und Madrid konnte die Reformbewegung Fuß fassen und sich ausbreiten. Zu den berühmtesten Vertretern des spanischen Protestantismus dieser Zeit zählten Francisco de Paula y Ruet und Fritz Fliedner, die in Madrid wirken, und Juan Bautista Cabrera Ivars, der mit seinen Predigten in Andalusien hervortrat.
Nachdem die Protestanten während der Diktatur von Miguel Primo de Rivera (1923-1930) erneuter Unterdrückung ausgesetzt waren, konnten sie erstmals nach Ausruf der Segunda República volle Freiheiten genießen. Der folgende Bürgerkrieg und die anschließende Diktatur Francos dezimierte die Zahl der Anhänger aber wieder beachtlich. Unter Franco kam es zur Schließung der evangelischen Kirchen, Schulen und anderen Institutionen.
Erst nach seinem Tod und mit Beginn der Demokratie 1978 konnte die Evangelische Kirche endlich aufatmen und sich entfalten. Die heute noch aktuelle Verfassung gewährleistet erstmals Religionsfreiheit ohne jegliche Einschränkungen und betont den überkonfessionellen Charakter des Staates. Die Zahl der Protestanten und der Gemeinden steigt seit dieser Wende kontinuierlich an.
Fritz Fliedner, Mitbegründer der „Zweiten Reformation“ in Spanien, wurde 1870 vom Verein zur Förderung des Evangeliums in Spanien nach Madrid gesandt um vor Ort die evangelisch-christliche Sendung und Mission zu verbreiten. Er engagierte sich sehr im Ausbildungsbereich, gründete mehrere Schulen und Hilfswerke. Seine berühmte Schule El Colegio El Porvenir erfährt bis heute erstaunliche Beliebtheit, auch unter der katholischen Bevölkerung. Die Stiftung Fundación Federico Fliedner, der neben dem El Colegio El Porvenir auch die Schule El Colegio Juan de Valdés, die Bücherei La Librería Calatrava, das Altersheim Hogar evangélico de Ancianas und das theologische Seminar SEUT in El Escorial angehören, wird oft als Identitätswerk des spanischen Protestantismus bezeichnet.
Der Protestantismus in Spanien begegnet als vielgestaltige Größe. Ihr gehören in der Gegenwart folgende Denominationen an: Die Evangelische Spanische Kirche, die Presbyterianische/Reformierte Kirche, die Anglikanische Kirchengemeinschaft, die Baptistische Kirche, die Brüdergemeinde, die Pfingstgemeinde, die Philadelphiakirche, die Charismatische Kirche und die Adventistenkirche. Zusätzlich existieren auch zahlreiche Gemeinden, die sich als unabhängig deklarieren und sich keiner bestimmten Denomination zugehörig fühlen. Insgesamt beläuft sich die Zahl der evangelischen Christen laut FEREDE auf etwa 400.000, zu denen noch 800.000 Zuwanderer hinzugezählt werden.
Von den etwa 2.800 existierenden Gemeinden, gehörten im Jahre 2010 2.374 dem Verband FEREDE (Federación de Entidades Religiosas Evangélicas de España) an, welcher seit 1986 die Repräsentation des spanischen Protestantismus übernimmt. Neben organisatorischen und rechtlichen Hilfestellungen bietet die FEREDE religiöse Begleitung in öffentlichen Einrichtungen, koordiniert den evangelischen Religionsunterricht an Schulen und verwaltet das Sozialwerk La Diaconía und die Medienarbeit.
Am spanischen Pressewesen in seiner Vielfalt beteiligen sich heutzutage 43 verschiedene evangelische Zeitungen und Zeitschriften. Ebenso tragen evangelische Fernseh- und Radioprogramme, sowie regelmäßig aktualisierte Internetseiten zur Öffentlichkeitsarbeit bei.
Die Präsenz des spanischen Protestantismus wird dem/r Leser/in in neun Kapiteln zugänglich gemacht. Einem historischen Kapitel folgt die Darstellung des Lebens und Werkes des Vertreters Fritz Fliedner, die Gesetzeslage der Minderheitenreligionen ab dem 19. Jahrhundert, die geographische Verbreitung und Struktur innerhalb der Evangelischen Kirche, ihre Beteiligung am Bildungswesen und ihre Öffentlichkeitsarbeit von einst und heute