Ich habe in meiner Diplomarbeit, die ich als einen feministischen und sozialphilosophischen Beitrag bezeichnen möchte, versucht darzustellen, wie innerhalb der Gender-Forschung die Weiblichkeit zum Gegenstand einer gesellschaftlich gerechten wissenschaftlichen Erkenntnis werden kann. JUDITH BUTLER war in den Untersuchungen jene Denkerin, die mir die grundlegendsten Einsichten vermittelt hat. Sie gilt als eine der führenden Feministinnen, und ihre theoretischen Überlegungen haben mich dazu verleitet, sie ins Zentrum frauenrechtlicher Forderungen zu rücken. Nicht alles, was BUTLER schreibt und sagt, mag man als kritischer Forscher gutheißen, aber in den grundlegenden Fragen von Konstruktion geschlechtsspezifischer Rollenbilder und imaginärer Fantasien hat sie substantielle Mithilfe für den sozialwissenschaftlichen Fortschritt – auch innerhalb der Philosophie – geleistet.
Der rationale Zweck einer feministischen Theoretisierung kann also nur darin liegen, die Weiblichkeit als solche zu einem autonomen Gegenstand der universitären Ausbildung zu machen, damit die machtpolitische diskursive Schieflage nicht mehr hingenommen wird. Die Frau soll selbst zu Wort kommen und systematische Überlegungen über ihr eigenes Wesen aufstellen dürfen. Diese von BUTLER aufgestellte Forderung impliziert natürlich auch einen Wechsel im politischen Selbstbewusst-sein der Gesellschaft. Es soll möglich sein, dass Frauen verantwortungsvolle Berufe wählen, um so verstärkt den öffentlichen Alltag mitbestimmen zu können. Die Wissenschaft ist dabei ein optimales Arbeits- und Experimentierfeld für maßvolle Alternativen – die sozialen Optionen sollen letztlich zu einer Veränderung im Denken führen sowie die traditionellen patriarchalen Strukturmängel aufzeigen und auflösen.
Im Zentrum eines neuen Selbstverständnisses von Geschlechtern soll „gender“ stehen. BUTLER hebt immer wieder hervor, dass nicht die Sexualität, sondern die Sozialität in den Mittelpunkt der Forschung rücken muss, um von einer neutralen Position ausgehend politische Diskurse anzufangen. So nämlich wird auch gewährleistet, dass niemand aufgrund seines Geschlechts oder seiner Herkunft rechtlich benachteiligt oder gar respektlos behandelt wird. Demokratiepolitisch ist es von großer Wichtigkeit, die Frage der Geschlechter in eine solche nicht-natürliche Mitte zu transportieren, um mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Chancengleichheit für Frauen zu ermöglichen. Vor allem die junge Generation von Feministinnen soll in den öffentlichen Alltag, sprich auch in die Wissenschaft, eindringen, um sich selbst entwickeln und entfalten zu können, denn auf diese Weise kann es zu einer sozialpsychologischen Öffnung kommen, die als eine gute und vernünftige Lebensführung beschrieben werden kann.
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Über BUTLER hinaus wurden auch andere sozialphilosophische Denker zitiert. Vor allem FREUD, LACAN und FOUCAULT sind hier konstruktive Ideengeber gewesen. BUTLER greift grundsätzlich oft auf diese gesellschaftskritischen Intellektuellen zurück, so dass es aus Gründen der Objektivität immer wieder notwendig war, selbst auf deren Primärwerke einzugehen, auch wenn etwa FREUD oder LACAN die Frage der geschlechtsspezifischen Machtverteilung nicht so radikal forciert haben wie BUTLER.
Nichtsdestotrotz zählt der Feminismus zu einer aufkommenden Strömung innerhalb der Sozialphilo-sophie. Fragen der politischen Macht- und Herrschaft gehören dabei ebenso dazu wie die Thematik „Sexualität im Kontext eines wissenschaftlichen Unbewussten“. BUTLER fordert in diesem Zusammen-hang die Enttabuisierung der Sexualität, weil die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Rollenbilder in dieser Form, wie sie existieren, leider zum Leidwesen der Frau beitragen.
Wer den sexuellen Akt ins Zentrum einer machtpolitischen zweckrationalen Diskussion stellt und dabei die traditionellen Gesellschafts- und Rollenbilder von Mann und Frau in Frage stellt, übt natürlich auch fundamentale Kritik an etwas Bestehendem. BUTLER provoziert und greift manchmal vielleicht zu stark und zu rasch nach Veränderung, aber sie gibt der feministischen Philosophie auch immer wieder fruchtbare Anstöße mit neuen Forderungen.
So gesehen verlangt sie nach alternativen Liebesformen, die wissenschaftlich auch an Akzeptanz genießen sollen, denn wer die Macht hat, die universitäre Bildung zu bestimmen, herrscht im Grunde genommen über das Verhältnis von Wissen und Sexualität. Die Bürger sollen nach BUTLER tolerant und offen für gesellschaftskritische Optionen sein. Es kann nicht sein, dass immer nur ein einziges kulturpolitisches System vorgibt, was Liebe, Kultur und Wissenschaft ist. Insofern plädiert sie auch für Pluralismus und Mannigfaltigkeit in der Gesellschaft.
Am Ende der Forschungsarbeit muss man aber auch kritisch einwenden, dass BUTLER ein bestimmtes Modell von gesellschaftlicher Konstruktion neben anderen ist, denn die feministische Forschung ist weiter aufgerufen, neue innovative Ideen zu theoretisieren und in die Praxis umzusetzen. Hierbei könnten systematische Antworten im Kontext von Gewaltausübung oder das Aufdecken sozialpsycho-logisch unbewusster Faktoren ein Grundstein für vertiefende Arbeiten sein