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Erwerb der Zweisprachigkeit im Kindesalter

Abstract

Die Phase der kindlichen Sprachaneignung oder des Erstspracherwerbs ist ein lang dauernder Prozess, der bereits mit dem ersten Lebenstag des Kindes beginnt. Jedes gesunde Kind ist von Geburt an mit allen Fertigkeiten ausgestattet, die es zum Erwerb der Sprache benötigt. Spracherwerb ist daher eine besondere menschliche Fähigkeit, die es uns ermöglicht, mithilfe einer speziellen biologischen Ausstattung in eine sprachliche und kulturelle Welt hineinzu-wachsen. Das Faszinierende an dem Phänomen des Spracherwerbs im Kindesalter ist die „ra-sante und stürmische Entwicklung“ von Sprache und Sprecher in den ersten drei Lebens-jahren. Die Ergebnisse der Spracherwerbsforschung zeigen deutliche Differenzen in der Sprachan-eignung einsprachig aufwachsender und zweisprachig aufwachsender Kinder. Einsprachig aufwachsende Kinder befinden sich in einer sprachhomogenen Situation, in der das sprachli-che Repertoire im weiteren Sinne einen großen Bestand an Grundgemeinsamkeiten aufweist, und können sich daher vergleichsweise mühelos in ihrer sprachlichen Umwelt orientieren. Zweisprachig aufwachsende Kinder sind in ihrer ersten Phase des Spracherwerbs von der Sprache der Herkunft beträchtlich beeinflusst. Mit zunehmender Beweglichkeit, Eigenstän-digkeit und angesichts der kognitiven und sozialen Entwicklung erfahren die Kinder recht rasch die dominierende Sprache der weiteren Umgebung, die sich nicht nur im sprachlichen Bestand, sondern auch im Sinne der Konventionen und Traditionen bzw. der Kultur von der Herkunfts- oder Muttersprache unterscheidet. Die wichtigste Voraussetzung die konkrete Sprache zu erwerben ist ein intensiver Kontakt mit der Umgebung. Die Eltern – die am nächsten stehende Familie – sind die primären Bezugspersonen in der Eltern-Kind Kommunikation, von welchen das Kind zunächst seine Sprache gewinnt. Bei zweisprachig aufwachsenden Kindern wird in vielen Bereichen der familiären Kommunikation die Sprache der Herkunft gepflegt, da die Herkunftssprache der Eltern oft als Sprache der Gefühle und die Sprache des Erziehens fungiert. Die Erziehung zur Zweisprachigkeit gelingt jedoch nicht in allen Fällen, da sich die Eltern in vielen Familien nicht dessen bewusst sind, wie wichtig der Gebrauch der Muttersprache bzw. der Erstsprache innerhalb der Familie ist. Damit das Kind eine angemessene Kompetenz in beiden Sprachen ausbilden kann, bedarf es des simultanen Erwerbs zweier oder mehrerer Sprachen und einer bewussten Förderung aller erzieherischen Instanzen: Einerseits der Familie und auf der ande-ren Seite einer spielerischen Förderung bereits im Vorschulalter und später dann auch in der Schule. Im Prozess der gesamten sprachlichen Entwicklung sind der Besuch eines Kindergar-tens und die ersten Schuljahre auf jeden Fall zu berücksichtigen, da der Erstspracherwerb mit dem Schuleintritt noch nicht abgeschlossen ist, sondern wesentliche Bereiche der Grammatik, der Lexik und die Orthografie in den ersten Jahren der schulischen Sozialisation weiterentwi-ckelt werden. Die Umwelteinflüsse, wie zum Beispiel eine geordnete Familienstruktur, Zeit für das Kind, soziale Anregungen in der Gruppe usw. haben prägende Auswirkungen auf die Entwicklung des kindlichen Spracherwerbs, da sie unmittelbar mit dem Lebensraum des Kindes verbunden sind. Die Behauptung, dass zweisprachiges Aufwachsen als solches den Spracherwerb ge-fährdet, trifft nicht zu. Die Forschung zum frühkindlichen Spracherwerb und die Ergebnisse der Hirnforschung deuten darauf hin, dass sich frühkindliche Zweisprachigkeit insbesondere positiv auf die Fähigkeit zur Ausbildung grammatischer Strukturen in beiden Sprachen aus-wirken kann. (Kapitel 1.2.1.). Gerade bei mangelnder Berücksichtigung der Muttersprache entwickelt sich die so genannte „Halbsprachigkeit“, die sich dann später in allen Dimensionen schulischer Leistungen negativ auswirken kann. Die Ursachen der Gefährdung des Sprach-erwerbs der Zweisprachigen sind also nicht in der Zweisprachigkeit als solcher zu suchen, sondern in den Bedingungen, unter denen die Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit realisiert wird. Der soziale Kontext einer Familie, wie etwa eine allgemeine Sprach- und Bildungsferne der Familie oder andere entwicklungshemmende Sozialisationsbedingungen, aber auch unge-wünschte Nebenwirkungen von institutioneller Sprachförderung, können den Spracherwerb nicht nur bei Zweisprachigen, sondern auch bei einsprachigen Kindern im weiteren Verlauf ihrer Sprachentwicklung behindern. Die sprachliche Entwicklung eines bilingualen Kindes wird ferner vom Lernumfeld, in dem ein Kind heranwächst, von der Position in der Geschwisterreihenfolge, von der Familiengrö-ße, von Bildungsvoraussetzungen und der Beschäftigungssituation der Eltern bestimmt. (Ka-pitel 4.3.). Weitere Faktoren, die in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen kön-nen, sind der Anregungsgrad der häuslichen Umwelt und der von den Eltern bevorzugte Inter-aktionsstil. Ein Interaktionsstil, der durch Objektorientiertheit, durch viele ergänzende Fragen, Ermutigungen und modellierende Korrekturen gekennzeichnet ist, scheint für den Spracher-werb förderlich zu sein. Als negativ hingegen wirkt sich der verhaltensorientierte Interakti-onsstil aus, der durch lenkendes Eingreifen, wie etwa Direktive und Verbote, Ablehnungen oder Zurückweisungen charakterisiert ist. (Kapitel 4.2.). Die elterlichen Sprechstile können weiter von vielen Faktoren, wie zum Beispiel dem sozia-len, kulturellen oder konfessionellen Hintergrund einer Familie, abhängen. Ferner ist die Art und Weise, wie Mütter und Väter mit ihren Kindern sprechen, situationsabhängig, weshalb die Rolle des jeweiligen Elternteils im Prozess des Spracherwerbs als ein Kontinuum angese-hen werden soll. Um das elterliche Sprachhandeln und die Unterschiedlichkeit der Sprechstile der Mütter und Väter besser verstehen zu können, sollen einerseits die so genannte Differen-zialhypothese, anderseits die individuellen Konstellationen berücksichtigt werden. (Kapitel 4.1.). Die Sprache ist das Ergebnis unablässiger „Mischung im Gespräch“ zwischen Menschen so-weit wir überhaupt in der Geschichte zurückblicken können. Ein perfektes, homogenes Monosystem – in der Form, wie es zum Beispiel Noam Chomsky (1965: 3) in seiner theoreti-schen Konstruktion beschreibt – existiert nirgendwo auf der Welt, da die Sprachen „lebendig“ sind: Sie werden von den Menschen, die sie benutzten, an die eigenen Verhältnisse angepasst. In der mehrsprachigen Kommunikation sind die Sprachen und ihre Sprecher sowohl individu-ell, als auch die Sprachgemeinschaft im Ganzen, in ständigem Kontakt. Die Minderheiten- und Migrantensprachen sind insbesondere einem intensiven Einfluss der sie umgebenden Mehrheitssprache ausgesetzt, wobei sich die einzelnen phonetischen, syntaktischen, lexikali-schen, idiomatischen Register verhältnismäßig unabhängig voneinander bewegen und vermi-schen können. (Kapitel 3.4.). Indem die Sprecher einer Sprachgemeinschaft zueinander in Kontakt treten, kann es in der Kommunikation zu Sprachkonflikten kommen, wobei dieses Faktum genauso für die bilingu-ale Spracherziehung in der Familie gilt. (Kapitel 4.3.2.). Manchmal kann die Sprache ein Konfliktpotential auch in einsprachigen Ortsgemeinschaften bilden, wo es keine kommunika-tiven Barrieren gibt. Aus sozialpsychologischem Blickpunkt ist ein Sprachkonflikt mit dem Zusammenstoß unterschiedlicher Systeme von Normen, Werten und Einstellungen verbunden und kann damit Konsequenzen im Hinblick auf Identitäts- und Selbstgefühle, auf Erziehungs-prozesse und auf Gruppenloyalitäten haben. Das Erlernen einer Zweitsprache stößt nicht sel-ten auf interne Widerstände bzw. löst persönliche Konflikte aus, vor allem zwischen Kindern und Eltern, die nicht nur zu Schwierigkeiten im sprachlichen Bereich, sondern auch zu Unsi-cherheiten bei Fragen der Selbstdefinition („Wer und was bin ich?“) führen können. Auch die Gegensätzlichkeit von Elternhaus und Schule kann auffällige Formen annehmen und in einem gewissen Ausmaß als eine Erscheinung von Sprachkonflikt angesehen werden. Für die Kommunikation in einer mehrsprachigen Familie ist es daher in jedem Fall erleichternd, wenn die Partner beide / alle Sprachen ausreichend beherrschen; in der Wirklichkeit wird diese For-derung jedoch nur bei wenigen bilingualen Familien erfüllt. In einer zweisprachigen Famili-ensituation kann das Eingehen auf das Kind in der schwächeren Sprache (Muttersprache) ef-fektiv zum Erwerb und zum Erhalt dieser motivieren. Für die Erhaltung der Muttersprache / -en ist einerseits die Familie, anderseits das soziale Umfeld – Kindergarten und Schule – entscheidend. Aus der Sicht vieler Linguisten, die sich mit Bilingualismusforschung beschäftigen, ist es eindeutig, dass Unterricht in der Erstsprache, d. h. in der Muttersprache, gerade für die Existenz der sprachlichen Minderheiten eine wichti-ge Rolle spielt. (Kapitel 5). Richtig konzipierter Unterricht in der Muttersprache kann den Prozess der Entwicklung eines Individuums und seinen Schulerfolg positiv beeinflussen. Das Erziehungsziel des Unterrichts für Sprachminderheiten sollte sich im besten Fall an die Zwei-sprachigkeit richten. Die Slowakei ist, ähnlich wie viele europäische Länder, ein multiethnisches, mehrsprachiges Gebiet, dessen Sprachpolitik durch das „Prinzip des hegemonialen Ethnozentrismus“ gesteuert wird, d. h. es gilt hier latent das Ideal der ethnischen und lingualen Homogenität. (Dolník 2003: 28). Die heutige slowakische Sprachpolitik basiert auf der Integrationsrolle der slowakischen Schriftsprache, wobei die allgemein bekannten Funktionen der Staatssprache betont werden: Die Integration der Staatbürger, der Beitrag zur inneren Stabilität des Staates, die Erhöhung der Effektivität der Verwaltung des Staates, die Beseitigung der Sprachbarrieren zwischen den Bürgern, sowie die Schaffung der Voraussetzungen zu ihrer Gleichberechtigung. Viele Aspekte der slowakischen Sprachpolitik deuten darauf hin, dass es sich hierbei in der Slowakei um ein „Syndrom der Gefährdung“ handelt. Die Schriftsprache wurde 1843 kodifiziert, sowohl in der Monarchie als auch in der gemeinsamen Tschechoslowakischen Republik wurde der Eindruck der kontinuierlichen Gefährdung der Sprache genügend vermittelt. Als Folge dessen verwurzelte sich eine Art Schicksalsbild, in dem sich der „Zustand des Bedrohtseins“ als ein schicksalhaftes Begleitmerkmal der slowaki-schen Schriftsprache widerspiegelt. Einige neue Aspekte der sprachpolitischen Weltanschauung brachte der Beitritt der Slowakei zur EU, auch wenn die Verhandlungen mehrere Jahre in Anspruch nahmen. Im Vergleich mit dem westlichen Standard hat die Slowakei in den Jahren 1994 bis 1998 viele Bedingungen der EU nicht erfüllt. Einer der Gründe dafür war, dass die früher durchgeführte positive Minder-heitenpolitik durch nationalistische Eingriffe der Regierung Vladimír Mečiar in die grundsätz-lichen Fragen hinsichtlich der Sprache, des Schulwesens und der Verwaltung entwertet wur-de. Erst ab dem Jahre 2003 verbesserte sich die Situation in der Minderheiten- und Sprach-politik in der Slowakei und am 1. Mai 2004 konnte die Slowakische Republik der Europäi-schen Union beitreten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Sprachgebrauch und für den Unterricht der Mut-tersprache / -en in den zwei- und mehrsprachigen Gebieten der Slowakei sind einerseits durch die einfachgesetzlichen und anderseits durch die verfassungsrechtlichen Regelungen gegeben. (Kapitel 7). Von diesen ist das Sprachgesetz über die Rechte des Sprachgebrauchs der natio-nalen Minderheiten vom 10. Juli 1999 und das Schulgesetz über das System der Grund- und Mittelschulen für die sprachlichen Minderheiten und ethnischen Gruppen der Slowakei von großer Bedeutung. Laut dieser Gesetze haben die Bürger der nationalen Minderheiten in der SR einerseits das „Recht auf Bildung in der Staatssprache“, anderseits – in einem bestimmten Umfang – das Recht auf Bildung in ihrer Muttersprache. (Kapitel 7.2.1.). Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates sichert den Angehörigen aller Minderheiten in der Slowakei das Recht auf Schulunterricht in der Mutter-sprache, die Bildung ihrer Lehrkräfte sowie Gründung und Betrieb von eigenen Schulen, wenn der Bedarf an Unterricht in der Muttersprache besteht. Laut dieses Rahmenüberein-kommens ist jede Art von Integrationspolitik, die zu einer erzwungenen Assimilierung der Minderheiten führen könnte, unzulässig. (Kapitel 7.2.1.). Die Europäische Charta der Regio-nal- oder Minderheitensprachen vom 5. November 1992 bezieht sich ausdrücklich nur auf Sprachen, die in einem Gebiet eines Staates traditionell von Angehörigen dieses Staates be-nutzt werden. In der Charta wird der Anteil der Minderheiten aufgrund der Zugehörigkeit zur Nationalität festgelegt, zu der sich die Personen bekannten. Vertreter der Schulpolitik in vielen Ländern erkannten inzwischen, wie wichtig die „interkul-turelle Schule“ ist. Pädagogische Konzepte richten sich in vielen Ländern nach dem Postulat der Mehrsprachigkeit. Sprach- und Schulrechte sollen nicht nur als eine gesetzliche Pflicht gegenüber den Angehörigen der sprachlichen Minderheiten gesehen werden, sondern als eine neue Perspektive in der Denkweise, vor allem jener Fachexperten, die die Verantwortung für die Förderung und Umsetzung der Sprach- und Bildungsrechte der nationalen Minderheiten und ethnischen Volksgruppen auch in der Slowakei übernehmen. Im Bildungskonzept und in den Lehrplänen des slowakischen Bildungssystems ist die Minderheitenfrage nur minimal oder einzeln verankert. Die Frage der Menschenrechte und die Erziehung der Mehrheit zu Toleranz gegenüber den nationalen Minderheiten ist in den folgenden Fächern des Grund-schulunterrichts enthalten: Geschichte, Bürger- und Sozialkunde, Ethik und Religionsunter-richt. In kaum einem osteuropäischen Land werden im Bildungswesen Zeichen gesetzt, die zum Konfliktabbau / zur Konfliktbewältigung im Inneren etwa durch Förderung des Minder-heitenschulwesens, durch interkulturelle Unterrichtsmodelle etc. beitragen. (Fischer 1994: 49). Es wäre empfehlenswert, wenn die Schulmodelle für autochthone Minderheiten und für Migranten eine gleichberechtigte bilinguale Erziehung garantieren, d. h. den Erhalt und die Weiterentwicklung der Muttersprache und die gleichzeitige Förderung der Entwicklung der Zweitsprache. Die Behauptung, dass der muttersprachliche Unterricht das Erlernen der Zweit-sprache / Staatssprache behindere und störe, ist fehl am Platz. Gerade bei mangelnder Berück-sichtigung der Muttersprache im Unterricht kommt es zur so genannten Halbsprachigkeit, die sich dann später in vielen, wenn nicht in allen Dimensionen der schulischen Leistungen nega-tiv auswirken kann. Das Bildungssystem der Slowakei bietet mehrere Möglichkeiten für den Unterricht in den Sprachen der Minderheiten. (Kapitel 7.2.3.). Grundsätzlich werden drei Typen von Schulen für Sprachminderheiten mit muttersprachlichem Unterricht unterschieden: 1.) Die einsprachigen Schulen und Klassen, in denen die Minderheitensprache die einzige Unterrichtssprache ist, die Staatssprache wird als obligatorisches Fach in den Unterricht ein-gebettet. Nach diesem Modell werden die meisten Schüler der ungarischen Minderheit unter-richtet; 2.) Die zweisprachigen Schulen und Klassen, in denen ein Teil der Fächer in der Minderhei-tensprache, der andere in der Staatssprache und ein Teil in beiden Sprachen unterrichtet wird. Diese Schulen werden auch als sog. „kombinierte zweisprachige Schulen“ genannt; der Un-terricht wird in der Kombination Deutsch-Slowakisch und Deutsch-Ukrainisch realisiert; 3.) Schulen, in denen zusätzlich zur Staatssprache auch die Minderheitensprache und Literatur als obligatorisches Fach in den Schulplan eingegliedert wird. Dieses Modell des Unterrichts gebrauchen zwei Minderheiten in der Slowakei: Die Russinen und die Karpatendeutschen. Das Recht auf Bildung in der Muttersprache nützten im Schuljahr 2007/2008 vier nationale Minderheiten in der Slowakei: Die ungarische, ukrainische, russinische und die deutsche Minderheit. (Kapitel 7.2.3.). Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass die Minderheiten in Europa bilingual und bikulturell sein sollten, anders werden sie einfach verloren gehen. In früheren Studien der Soziolinguistik wurden die Sprecher von Gruppensprachen, die die Standardsprache in Drucksituationen verwendeten, als „lames“ , als Abtrünnige der Gruppenkultur bezeichnet. Im Gegensatz dazu betrachtete die weltbekannte Chicago School of Sociology gerade diesen Typus als „marginal man“ , als Brückenbauer, den mobilen Migranten, den Vermittler, der zwischen Minderheit und Mehrheit vermittelt und der die Minderheitenkultur durch ihre nachgewiesene „Vereinbarkeit“ erst attraktiv macht. Minderheitensprachen sind zahlreich, aber sie gehen zurück. Eine relativ kleine slawische Sprach- und Volksgruppe – die Russinen – lebt in der Karpaten-region auf dem Gebiet der östlichen Slowakei im Gebiet der Stadt Prešov. (Kapitel 8.2.). Die russinischen Siedlungsgebiete existieren schon seit Jahrhunderten zerstreut entlang des Kar-patenbogens auch in Polen, der Ukraine, Ungarn, Rumänien und in der Vojvodina. Allen die-sen slawischen Gruppen ist der Umstand gemeinsam, dass es keinen Staat gibt, den man als ihre Mutternation bezeichnen kann. Umso wichtiger ist die Vermittlung der eigenen Sprache und Kultur einerseits durch Elternhaus und Schule, auf der anderen Seite sollen die rechtli-chen und politischen Rahmenbedingungen dazu beitragen, den Russinen und ihrer Sprache eine förderliche Zukunft zu sichern. Die nationale Frage der in der Ostslowakei lebenden Russinen und die damit zusammenhängende Sprachfrage blieb in der Vergangenheit jedoch über mehrere Jahrzehnte ungelöst. Erst nach der Wende 1989 begann in der Tschechoslowa-kei und ab dem Jahre 1993 in der neu entstandenen Slowakei der Prozess der russinischen Erneuerung. (Kapitel 8.3.). Die Angehörigen der im Jahre 1991 offiziell anerkannten russini-schen nationalen Minderheit konnten somit ihre kulturelle und sprachliche Eigenständigkeit, welche ihnen in der Zeit des Sozialismus verwehrt geblieben war, wieder aufbauen. Die Kodi-fizierung der russinischen Sprache in der Slowakei 1995 ist einer der wichtigsten Schritte zur Einführung dieser Sprache in verschiedenen funktionalen Sphären des Lebens der Russinen: der medialen, konfessionellen, offiziellen sowie schulischen Sphäre. (Kapitel 8.4.). Gerade die schulische Sphäre hat die größte Bedeutung für die russinische Sprache, da sie eine Per-spektive für die Existenz der russinischen ethnischen Gruppe und für die Erhaltung ihrer Sprache darstellt. Im Jahre 1996 formulierten die Russinen in der Slowakei zum ersten Mal ein eigenes Programm und Konzept für den Unterricht in deren Muttersprache. (Kapitel 8.6.). Bis zum Jahre 1997 existierte für diese, auf dem Gebiet der Slowakei lebende Minderheit keine Form der muttersprachlichen Bildung. Auf Grund der ausgearbeiteten Unterrichtskonzepte und gemäß der Verordnung des Ministeriums für Schulwesen der SR (Nr. 2917/97-154) begann im Schuljahr 1997/1998 der Unterricht der russinischen Sprache in jenen Gemeinden, in denen die Eltern der Kinder dafür Interesse zeigten. (Kapitel 8.6.1.). In der heutigen Praxis wird der „Unterricht der russinischen Sprache und Kultur“ als freies Wahlfach im Ausmaß von 1 bzw. 2 Wochenstunden in sieben Grundschulen in der Ostslowakei angeboten, womit dieser – im Vergleich zum Unterricht aller Pflichtfächer in der Staatssprache – in der Lehrpraxis eine periphere Position annimmt. Im Schuljahr 2008/2009 begann in einer Grundschule des Bezirks Medzilaborce der Unterricht „in der russinischen Sprache“, d. h. die Pflichtfächer werden teilweise in der Staatsprache und zum Teil in der Muttersprache gelehrt, womit diese Grundschule die erste bilinguale russinisch-slowakische Schule in der Slowakei ist. Für die Ausbildung und Erziehung der Schülerinnen und Schüler sind die Entscheidungen der Eltern besonders wichtig. Die Eltern und die Lehrer sind diejenigen, die gemeinsam eine Ini-tiative entwickeln können, die zur Stärkung des nationalen Bewusstseins der russinischen Kinder und im Rahmen dessen zur Stärkung der Bedeutung der Muttersprache beitragen kann. Für die Erhaltung dieser Minderheitensprache ist es ebenfalls notwendig, dass die russi-nische Muttersprache in die Kategorie der Pflichtfächer an den Schulen jener Gemeinden, in denen die Einwohnerzahl mindestens 20% der Bevölkerung ausmacht, eingeführt wird. (Kapi-tel 8.6.2.). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Erwerb der allgegenwärtigen Staats-sprache Slowakisch keineswegs durch die Förderung der russinischen oder anderer Mutter-sprachen in der Schule verzögert wird, sondern diesen unterstützt. Analog dazu schließe ich mich der Meinung von De Cillia an, dass den Kindern zu untersagen, sich in der Schule in ihrer Muttersprache zu unterhalten, sei es in der Pause, sei es im Unterricht, nicht nur von mangelnder Sensibilität und einer gehörigen Portion ethnozentrischem Chauvinismus zeugt, es verhindert auch, dass das Verständnis des Unterrichtsstoffs gesichert wird, dass die Kinder einander helfen und voneinander lernen

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