Reaktion der Bodenvegetation nach Zielstärkennutzung und Kahlschlag in der Initialphase des Umbaus von Fichtenreinbeständen

Abstract

Die Umwandlung von Fichtenreinbeständen in Mischbestände aus standortsgerechten Baumarten ist eine der waldbaulichen Hauptaufgaben in Mitteleuropa. Es sollen Bestände geschaffen werden, die den Anforderungen des Klimawandels gewachsen sind. Die Umwandlung wird hauptsächlich mit Hilfe von Zielstärkennutzung erfolgen, bei der die einzelstammweise Fichtenernte kleinflächige Lücken erzeugt. Größere Lücken bis hin zu kleineren Kahlschlägen sollen nur in stark störungsanfälligen Beständen auf wechselfeuchten bzw. trockenen Standorten angewendet werden. Die vollständige Entfernung des Kronendaches stellt eine erhebliche Störung dar, die sich vermeintlich negativ auf spät-sukzessionale Pflanzen- und Tiergemeinschaften auswirkt und ökosystemare Prozesse, wie Nährstoffkreisläufe, aus dem Gleichgewicht bringen kann. Die Entnahme einzelner Bäume soll sich hingegen einem moderaten natürlichen Störungsregime annähern, welches ein multifunktionales Waldökosystem aufrecht erhält. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde die Reaktion der Bodenvegetation auf die Durchführung dieser zwei genannten gegensätzlichen Hiebsformen in den ersten fünf Jahren nach der Holzernte beobachtet, um Aussagen über die Anwendbarkeit beider Methoden für den Waldumbau treffen zu können. Ein Vorher/Nachher-Kontrolle/Eingriff-Experiment, welches in zwei, sich im Klima, im Bestandesalter und in der Nutzungs- und Kalkungsgeschichte unterscheidenden, Gebieten des Sollings eingerichtet wurde, bot die Möglichkeit dazu. Der Solling ist seit Jahrtausenden von Wald geprägt, wobei bodensaure Buchenwälder die natürliche Vegetation darstellen. Heute wird dieses Gebiet jedoch von der künstlich eingebrachten Fichte dominiert. Die Betrachtung der Bodenvegetation ist von großer Bedeutung, da sie erheblich zur Biodiversität von Waldökosystemen beiträgt. Je nach Grad und Ausmaß forstwirtschaftlicher Störungen, kann sich die Bodenvegetation negativ auf die zukünftige Bestandesentwicklung auswirken, wenn die Ausbreitung konkurrenzstarker Gras- und Straucharten die Besiedlung, Etablierung und das Wachstum gewünschter Baumarten verhindert. Die Bodenvegetation kann Ökosystemprozesse nach Störungen aber auch positiv beeinflussen, indem eine schnelle und effektive Kopplung von Nährstoffmineralisierung und -aufnahme durch eine schnell wachsende Vegetation erreicht wird. Eine erste Studie beschäftigte sich zunächst mit der Entwicklung der Strauch- und Krautschicht nach beiden Maßnahmen hinsichtlich der Artendiversität und -zu-sammensetzung. Beide Hiebsformen führten zu einer Erhöhung der Artenzahlen und des Deckungsgrades der Vegetationsschichten, die sich im vermehrten Auftreten konkurrenzstarker Generalisten, Offenland-Arten und sich verjüngender Baumarten ausdrückt. Kahlschlagflächen waren dabei in der Regel artenreicher als die Flächen nach Zielstärkennutzung. Kurzlebige Arten waren jedoch auf letzt genannten Flächen länger zu finden. Obwohl die Flächen nach Zielstärkennutzung im Vergleich zu Kahlschlagflächen von einer Vegetationsgemeinschaft gekennzeichnet waren, die der in Kontrollbeständen ähnlich ist, konnte auch nach Kahlschlag kein qualitativer Verlust an Arten, die an geschlossene Wälder gebunden sind, festgestellt werden. Die Ausbreitung konkurrenzkräftiger Arten verhinderte auch nicht die Ansiedlung von Baumarten auf Kahlschlägen, wohingegen eine überdauernde Moosschicht, die Ausbreitung von Rubus idaeus und eine geringere Lichtverfügbarkeit eine arten- und deckungsärmere Baumartengemeinschaft auf Flächen der Zielstärkennutzung bedingte. Insbesondere die höhere Abundanz hochwüchsiger, konkurrenzkräftiger Arten in Verbindung mit einer verstärkten Ausbildung von Blütenständen kann den Verlust an Nährstoffen nach aufgetretener Störung durch eine erhöhte Nährstoffaufnahme verringern bzw. komplett verhindern. Daher wurde die Bodenvegetation auch hinsichtlich der Veränderungen in der oberirdischen Biomasse und des Stickstoffvorrates betrachtet. Für die Bestimmung dieser beiden Größen wurde das Schätzmodell PhytoCalc eingesetzt. Dieses Modell ermöglicht eine zerstörungsfreie Bestimmung der oberirdischen Biomasse und Nährstoffvorräte von Wald-Arten, indem die Beziehung zwischen der Biomasse einer Art, ihres Deckungsgrades und ihrer Sprosslänge in Form allometrischer Funktionen genutzt wird. Das Modell wurde bereits erfolgreich mit Hilfe unabhängiger Daten in verschiedenen deutschen Wald-Typen validiert; unter Kahlschlagbedingungen unterschätzte es die Biomasse verschiedener Arten jedoch deutlich und lieferte unzuverlässige Nährstoffvorräte. Die Gewebedichte, die annähernd durch den Trockensubstanzgehalt (Leaf Dry Matter Content; LDMC) quantifiziert werden kann, ist in der Regel höher unter voller Belichtung im Vergleich zu einer geringeren Lichtverfügbarkeit. Aus diesem Grund wurde das Verhältnis aus LDMC unter Kahlschlag zu LDMC unter Waldbedingungen als Korrekturfaktor genutzt um das PhytoCalc-Modell an Kahlschlag-Bedingungen anzupassen. Mit Hilfe dieser Korrektur konnten modellierte Biomasse-Werte für fünf Beispiel-Arten zwischen 60 und 90 % der Varianz der beobachteten Werte erklären. Für morphologisch ähnliche Wuchsgruppen wurden ebenfalls signifikant verschiedene Korrekturfaktoren gefunden. Diese wurden auf den Kahlschlagflächen des Sollings angewendet um Biomasse und Nährstoffvorräte der Bodenvegetation zu bestimmen. Das ursprüngliche PhytoCalc-Modell wurde auf Kontroll- und Zielstärkennutzungsflächen angewendet. Seit jüngster Zeit gibt es auch allometrische Funktionen zur Biomasse-Schätzung der Verjüngung in Wäldern. Diese wurden ebenfalls währe nd dieser Studie angewendet, während auf Kahlschlägen neue Funktionen ermittelt wurden. Die anhand der Nutzung bereits vorhandener und neu ermittelter allometrischer Funktionen bestimmten Biomasse und Stickstoffvorräte der Bodenvegetation auf Kontroll-, Zielstärken- und Kahlschlagflächen entsprachen Werten, die im Zuge anderer Studien in Mitteleuropa ermittelt wurden. Auf beide Hiebsformen reagierten die Biomasse und der Stickstoffvorrat der Bodenvegetation mit einem Anstieg, wobei auch hinsichtlich dieser Größen die Kahlschlagflächen die höchsten Werte aufwiesen. Dies impliziert eine erhöhte Nährstoffverfügbarkeit und -aufnahme, insbesondere nach Kahlschlag, was durch die Entwicklung ausgewählter Pflanzenmerkmale, die eine schnelle Nährstoffaufnahme und Wachstumsrate kennzeichnen (eine hohe spezifische Blattfläche, eine krautige Wuchsform, das Auftreten von Arten stickstoffreicher Standorte) unterstützt wird. Das verstärkte Auftreten dieser funktionalen Merkmale scheint auch den Stickstoffverlust in Folge von Kahlschlag zu verringern. Doch bereits in den ersten fünf Jahren nach Kahlschlag zeigte die Vegetation eine Verschiebung von Arten, gekennzeichnet durch eine exzessive Nährstoffaufnahme, hin zu Arten, die häufig auf nährstoffarmen Böden zu finden sind und daher Nährstoffe effektiv speichern. Dies ist das Ergebnis einer Nährstoffverarmung des Bodens und des Pflanzengewebes aufgrund eines andauernden Pflanzenwachstums unter hoher Lichtverfügbarkeit. Die Reaktion der Vegetation nach Zielstärkennutzung war ähnlich der auf Kahlschlägen, doch von geringerem Ausmaß. Eine geringere Lichtverfügbarkeit und eine beständige Moosdeckung behinderten die Ausbreitung stickstoffliebender Arten, sowie von Baumarten. Die langsamere Reaktion der Bodenvegetation kann mit höheren anorganischen Stickstoffkonzentrationen im Sickerwasser verglichen zu Kontroll- und Kahlschlagflächen über den gesamten Untersuchungszeitraum in Verbindung gebracht werden. Die kürzer zurückliegende Kalkung eines Untersuchungsgebietes führte zu einer schnelleren Reaktion der Bodenvegetation hinsichtlich der Entwicklung relevanter Pflanzenmerkmale im Vergleich zum zweiten Gebiet. Die Kalkung erhöhte den Pool an, teilweise nitrophilen, Krautschicht-Arten, die sich unter den veränderten Umweltbedingungen schnell ausbreiten konnten. Eine letzte Studie untersuchte den potentiellen Einfluss der Bodensamenbank zu Beginn der Umwandlung von Fichtenreinbeständen. Die Bodensamenbank war vor allem eine Quelle für die Arten Carex pilulifera und Juncus effusus, die in der Lage sind eine lang-persistente Samenbank aufzubauen. Sie spielte jedoch keine Rolle bei der Ausbreitung von Arten, die verjüngungshemmend wirken können (e.g. Calamagrostis epigejos, Rubus-Arten). Der Aufbau einer persistenten Samenbank nach Störung, wie zu beobachten bei Rubus idaeus und R. fruticosus, kann jedoch bei einem wiederholten Störungsregime, wie es Zielstärkennutzung darstellt, zu Problemen führen. Eine frühe und erfolgreiche Integrierung von gewünschten Baumarten ist in diesem Falle wichtig um ihnen Wachstumsvorteile gegenüber den genannten Straucharten zu geben. Arten, die nur in geschlossenen Wäldern vorkommen wurden in der Samenbank kaum gefunden. Arten alter Waldstandorte, die für die natürlicherweise vorherrschenden bodensauren Buchenwälder charakteristisch sind, waren jedoch in größerer Zahl vorhanden und können zur zukünftigen Waldgesellschaft beitragen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass kleinflächige Kahlschläge im Solling keine weitreichenden negativen Auswirkungen auf die Diversität der Bodenvegetation, die Entwicklung der Verjüngung oder den Stickstoff-Kreislauf hatten im Vergleich zur Hiebsform der Zielstärkennutzung. Die Zusammensetzung der Bodenvegetation zu Beginn forstlicher Maßnahmen muss jedoch beachtet werden, da die Ausbreitung verjüngungshemmender Arten vorrangig vegetativ bedingt ist, während die Samenbank unter Fichtenaltbeständen nur eine geringe Rolle spielt. Kleinflächige Kahlschläge können daher eine sinnvolle Ergänzung zu Hiebsformen mit einer moderaten Störungsintensität sein und so die Ansiedlung einer diversen Verjüngung ermöglichen. Die Nutzung eines Mosaiks an Managementstrategien kann eine Struktur- und Artendiversität sowohl auf kleiner Fläche als auch auf Landschaftsebene fördern und zum Aufbau von Wäldern führen, die hinsichtlich des erwarteten Klimawandels anpassungsfähig sind

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