Die Lemuren Madagaskars stehen am Ende einer
bemerkenswerten Evolution adaptiver Radiation von
Primaten und bieten somit eine hervorragende
Möglichkeit für Studien über konvergente Evolution in
sozialen Organisationen. Der Theorie zur sexuellen
Selektion und dem sozioökologischem Modell folgend,
sollten kleine Weibchengruppen durch einzelne Männchen
monopolisiert werden, während potentielle Rivalen von
der Gruppe ferngehalten werden. Ein solches System
wurde bereits für viele Primatenarten nachgewiesen. Die
soziale Organisation von Lemuren weicht dagegen vom
theoretischen Modell ab. Potentielle Rivalen werden
nicht von den Weibchengruppen ferngehalten und dies
führt zu einem unausgewogenen Geschlechterverhältnis,
nämlich zum Männchenüberschuss. Auch zeigen die Lemuren
trotz hohem Konkurrenzkampf um den Zugang zu rezeptiven
Weibchen keinen Sexualdimophismus. In der vorliegenden
Studie wurden neun habituierte Gruppen von
Larvensifakas (Propithecus verreauxi)
untersucht. Es wurden kontinuierliche
Fokusbeobachtungen durchgeführt und Kotproben
gesammelt. Die Kotproben wurden für Hormonanalysen der
Weibchen herangezogen, um Informationen auch zu
männlichen Reproduktionsstrategien zu erlangen. Die
Hauptergebnisse dieser Studie zeigen, dass Weibchen
einer gemeinsamen sozialen Gruppe asynchron östrisch
werden, und dass dominante Männchen einzelne Weibchen
durch Bewachung monopolisieren können. Diese proximaten
Mechanismen können somit den hohen reproductive skew
bei dominanten Männchen erklären, welcher in dieser
Population beobachtet werden konnte. Das überzählige
Auftreten von subordinaten Männchen innerhalb kleiner
sozialer Gruppen wurde bei Primaten durch mögliche
Leistungen dieser Männchen an die Gruppe erklärt. Die
Anzahl subordinater Männchen stand jedoch nicht in
Zusammenhang mit der Sterblichkeitsrate bei Säuglingen,
noch führte die Überzähligkeit zu einer Risikosenkung
bezüglich potentieller Kindstötung durch Männchen
anderer Gruppen. Da ihre Präsenz im Konkurrenzkampf um
Futterressourcen zwischen den Gruppen jedoch von
Vorteil ist, wurden Subordinate dennoch toleriert. Die
ungewöhnliche soziale Organisation von Larvensifakas
kann möglicherweise auch durch alternative
Reproduktionsstrategien von subordinaten Männchen
erklärt werden, wie einen Reproduktionsaufschub und das
Warten auf Reproduktionsmöglichkeiten, um innerhalb
ihrer Gruppe in der sie geboren wurden zu bleiben. Eine
weitere Alternative ist das Einreihen in eine andere
Gruppe mit der Möglichkeit die Reproduktionsposition zu
übernehmen. Zusammenfassend tragen die Ergebnisse
dieser Studie zum Verständnis des hohen reproductive
skew innerhalb der Sifakapopulation in Kirindy bei und
sie liefern Erklärungen für die Toleranz für das
überzählige Männchenaufkommen innerhalb sozialer
Gruppen. Durch diese Studie wird die Bedeutung
weiblicher Reproduktionsstrategien hervorgehoben,
welche die soziale Organisation der Lemuren bestimmt.
Daher sollte eine Tendenz zu einem ausgeglichenen oder
zum Männchen-Überschuss hin verschobenem
Geschlechterverhältnis in kleinen Gruppen von Lemuren
stets im Zusammenspiel von dominanten Männchen,
subordinaten Männchen und weiblichen
Reproduktionsstrategien gesehen werden