Mathematische Modellierung biochemischer Signaltransduktionswege in tierischen Zellen : ein bindestellenorientierter Ansatz zur Reduktion kombinatorischer Komplexität
Mathematical models of biological processes are becoming more and more important in biology. The goal of mathematical modeling is a holistic understanding of how biological processes like cellular communication, cell division, apoptosis, homeostasis, and adaptation work, how they are regulated and how they react to perturbations. The complexity of the underlying cellular reaction networks barely facilitates an intuitive understanding of how genes, proteins, metabolites and other cellular substances work together. This high complexity of most cellular processes necessitates the generation of mathematical models in order to access the aforementioned processes. In this thesis the focus is set on quantitative and dynamic modeling using ordinary differential equations (ODEs), which allow the transient system behavior to be described. Cellular signal transduction pathways and regulatory networks, in particular, exhibit a very pronounced dynamic behavior and are the main subject of this work.
In modeling cellular signal transduction or regulatory reaction networks one has to face certain problems. Receptors and scaffold proteins, which participate in most of these networks, usually possess a high number of distinct binding domains inducing the formation of large multiprotein signaling complexes. Due to combinatorial reasons the number of distinguishable species grows exponentially with the number of binding domains and can easily reach several millions or even billions. These huge sets of molecular species form highly interconnected reaction networks whose dynamics are restricted by thermodynamic constraints following from the principle of detailed balance.
Using common modeling strategies the resulting ODE models are only in compliance with thermodynamic constraints if the kinetic model parameters fulfill certain mathematical restrictions given by the Wegscheider condition. Systematic analysis reveals that these constraints have a descriptive interpretation when considering receptors and scaffold proteins in signaling cascades. They restrict possible interactions between binding and modification processes.
The first step in the development of new modeling or model reduction techniques is the determination of relevant quantities of signal transduction networks. The goal will be finding mathematical models which describe the dynamics of these quantities with sufficient accuracy. Probably, the most popular quantities to describe the current state of receptors or scaffold proteins are occupancy levels of binding domains. According to this consideration, the conventional mechanistic description of all feasible multiprotein complexes can be replaced by a macroscopic one. Occupancy levels and other characteristics of individual domains like the phosphorylation states of these sites are chosen as new variables. A model using these macroscopic quantities also accounts for limitations in current experimental techniques to measure concentrations of individual multiprotein species. Besides these considerations, this macroscopic description also provides a number of mathematical benefits, such as facilitating the elimination of unobservable and uncontrollable system dynamics which, in most cases, leads to significant model reductions. In this thesis, we introduce methods that facilitate the elimination of unobservable and uncontrollable system states and also discuss new modeling approaches that allow the direct generation of these reduced model structures. Furthermore, a new approximate reduction method, which is especially suited for large models of combinatorial reaction networks, is developed on the basis of existing techniques for general nonlinear systems. In combination these methods facilitate the reduction of vast combinatorial reaction network models to a manageable size. Finally, the developed methods are used to generate a model of ErbB and insulin receptor crosstalk.In der Biologie spielen mathematische Modelle eine immer wichtigere Rolle. Das Ziel der mathematischen Modellierung ist hierbei die Entwicklung eines ganzheitlichen Verständnisses biologischer Prozesse wie Zellkommunikation, Zellteilung, Apoptose, Homeostase oder Adaptation. Dabei soll untersucht werden, wie diese Prozesse auf molekularer Ebene ablaufen, wie sie reguliert werden und wie sie auf Störungen reagieren. Die Entwicklung mathematischer Modelle ist zur Beantwortung der aufgezeigten Fragestellungen erforderlich, da die Komplexität der zugrunde liegenden zellulären Reaktionsnetzwerke nur in den seltensten Fällen ein intuitive Verständnis des Zusammenwirkens von Genen, Proteinen, Metaboliten und anderen zellulären Komponenten erlaubt.
In dieser Arbeit geht es um die Erstellung quantitativer dynamischer Modelle auf der Basis gewöhnlicher Differentialgleichungen (DGLn). Vor allem zelluläre Signaltransduktions- und Regulationsnetzwerke zeigen häufig ein sehr ausgeprägt dynamisches Verhalten, weswegen ausschließlich die Modellierung solcher Systeme betrachtet werden soll.
An nahezu allen Signaltransduktions- und Regulationsnetzwerken sind Rezeptoren oder sogenannte Adaptorproteine beteiligt. Diese weisen meist eine hohe Anzahl von Bindestellen auf, wodurch die Bildung sehr großer Multiproteinkomplexe ermöglicht wird. Die Zahl der unterscheidbaren Molekülspezies wächst dabei exponentiell mit der Anzahl der Bindedomänen und kann auf mehrere Millionen oder gar Milliarden ansteigen. Die daraus resultierenden hochvernetzten Reaktionsnetzwerke sind unüberschaubar groß und komplex. Ihre Dynamik wird zudem durch thermodynamisch begründete Zwangsbedingungen eingeschränkt, die sich aus dem Prinzip der mikroskopischen Reversibilität ergeben.
Aus den genannten Gründen ist es notwendig, zum einen neue systematische Verfahren zur Modellreduktion und zur reduzierten Modellierung zu entwickeln und zum anderen Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die eine einfache Einbeziehung thermodynamischer Beschränkungen ermöglichen.
Bei der Verwendung üblicher kinetischer Modellierungsansätze wie beispielsweise dem Massenwirkungsansatz müssen die Modellparameter die sogenannte Wegscheiderbedingung erfüllen, damit das erstellte Modell dem thermodynamischen Grundprinzip der mikroskopischen Reversibilität nicht widerspricht. Im Rahmen dieser Dissertation werden systematische Analysen dieser Zwangsbedingungen bei großen kombinatorischen Reaktionsnetzwerken durchgeführt, die eine anschauliche Interpretationsmöglichkeit dieser Restriktionen liefern. Letztere schränken die Interaktionsmöglichkeiten unterschiedlicher molekularer Binde- oder Modifikationsprozesse ein.
Der erste Schritt in der Entwicklung neuer Modellierungs- und Modellreduktionsmethoden ist die Bestimmung charakteristischer Kenngrößen zur Beschreibung von Signaltransduktionssystemen. Anschließend folgt die Erstellung eines mathematischen Modells, das die Dynamik dieser Kenngrößen hinreichend genau wiedergeben kann. Die gebräuchlichsten Größen, die zur Zustandsbeschreibung eines Rezeptors oder Adaptorproteins verwendet werden, sind Belegungs- und Phosphorylierungsgrade einzelner Bindestellen. In Anlehnung daran wird in dieser Arbeit die konventionelle, mechanistische Beschreibung kombinatorischer Reaktionsnetzwerke auf Molekülebene durch eine makroskopische Sichtweise auf Bindestellenebene ersetzt. Die so modifizierten Modelle, deren
Zustandsvariablen nicht mehr einzelne Molekülkonzentrationen sondern Belegungsgrade sind, werden auch eher den gegenwärtigen Restriktionen bei
experimentellen Messungen gerecht.
Darüber hinaus bringt die Einführung neuer Zustandsvariablen auch eine Reihe mathematischer Vorteile mit sich. Die in dieser Arbeit vorgeschlagene Wahl der Systemkoordinanten ermöglicht die Elimination nicht beobachtbarer und nicht steuerbarer Systemzustände, woraus ein nicht unerhebliches Potential für Modellreduktionen entsteht. Außerdem werden neue Modellierungsansätze diskutiert, die eine direkte Generierung der sich ergebenden reduzierten Modellstrukturen erlauben. Zur weiteren approximativen Reduktion dieser Modelle werden ebenfalls neue Verfahren vorgestellt, die auf bereits existierenden Methoden für allgemeine nichtlineare Systeme basieren und speziell an die Anforderungen kombinatorischer Reaktionsnetzwerke angepasst sind. Die Kombination all dieser neuen Methoden ermöglicht schließlich die signifikante Reduktion sehr großer Signaltransduktionsmodelle. Die abschließende Anwendung dieser Modellierungs- und Modellreduktionsmethoden bei der Erstellung eines Crosstalk-Modells von EGF- und Insulinrezeptor zeigt beispielhaft, welchen großen praktischen Nutzen die hier entwickelten Verfahren bieten