Abstract

In immer mehr Bereichen der modernen Humanwissenschaften wird die Evolutionstheorie als maßgebliches Erklärungsmodell angewendet. Die Attraktivität dieses Modells für andere Wissenschaften besteht in der Verbindung der historischen Entwicklungsdimension mit einer naturwissenschaftlich-nüchternen Betrachtungsweise, in der Phänomene funktional als auf Anpassung ausgerichtete Zusammenhänge begriffen werden. Mit Blick auf die Moral scheint dies jedoch auf die Alternative hinauszulaufen, entweder die Moral auf evolutionäre Anpassungsleistungen zurückzuführen oder moralische Normativität als irreduzibel anzukennen, was dann aber dazu führt, dass Ethik und Evolutionstheorie als zwei Perspektiven, unter denen menschliches Verhalten betrachtet werden kann, unvermittelt nebeneinander stehen. Dieser Befund ist jedoch insofern defizitär, als in der gegenwärtigen philosophischen Ethik in zunehmendem Maße die Notwendigkeit gesehen wird, menschliches Verhalten an die Natur zurückzubinden. Daher wird im modernen ethischen Diskurs nicht nur die Vernünftigkeit des Menschen, sondern auch seine biologische Verfassung zum Gegenstand der Untersuchung. Dieser Perspektivwechsel ist maßgeblich mit einer Wiederaufnahme aristotelischer Grundfiguren verbunden, so dass sogar von einer ‚Re-Aristotelisierung der praktischen Philosophie‘ (Höffe) gesprochen wird. Was diese antike Ethik so attraktiv erscheinen lässt, ist die Verwendung eines Naturbegriffs (physis), der zugleich die Grundlage der aristotelischen Naturphilosophie darstellt. Es scheint somit, dass die aristotelische Philosophie die Möglichkeit eröffnet, den Menschen sowohl als natürliches als auch als moralisches Wesen zu begreifen, ohne die moralische Dimension auf Naturvorgänge zu reduzieren. Der Sammelband diskutiert unter anderem die Frage, inwieweit Aristoteles’ Philosophie mögliche Lösungsansätze für das oben beschriebene Problem der Disparität von Moral und Evolutionstheorie anbieten kann

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