Lesekompetenz in PISA 2012 : Veränderungen und Perspektiven

Abstract

Lesen ist eine Schlüsselkompetenz in der Wissensgesellschaft. Der gröte Teil des Wissens wird in Texten unterschiedlicher Art – mündlich, schriftlich, in Dokumenten oder im Internet – gespeichert und transportiert. Über Lesen kann die in Texten enthaltene Information erschlossen und in Wissen umgesetzt werden. Lesekompetenz ist somit auch eine notwendige Voraussetzung für Lernen und für die gesellschaftliche wie kulturelle Teilhabe. Als solche muss sie unterschiedlichen Textsorten und Leseanlässen gerecht werden. So sollen zum Beispiel Zeitungsartikel, amtliche Schreiben, persönliche Briefe oder Verträge genauso erfolgreich erfasst werden wie Fahrpläne, Schulbuchtexte oder Einkaufslisten. Beim Lesen geht es dabei nicht nur um das Entziffern von Texten, sondern auch um das Verstehen und Erkennen der wesentlichen Aussagen sowie das Interpretieren und kritische Reflektieren möglicher Botschaften. Entsprechend reicht die Lesekompetenz, so wie sie bei PISA erhoben wird, weit über eine einfache, technische Lesefertigkeit hinaus. Ein Verdienst der PISA-Rahmenkonzeption zur Lesekompetenz besteht unter anderem darin, auf verschiedene Facetten von Lesekompetenz hinzuweisen, die für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und für Bildungsprozesse von Bedeutung sind. Vor diesem Hintergrund waren die ernüchternden Ergebnisse, die in Deutschland bei PISA 2000 im Test zur Lesekompetenz erzielt wurden, besonders aufrüttelnd. Im Unterschied zu den Testbereichen Mathematik und Naturwissenschaften gab es zudem für die Lesekompetenz in Deutschland keine „Warnung“ durch eine vorangegangene Untersuchung wie TIMSS, die auf Schwächen beim Lesen hingewiesen hätte (vgl. Kapitel 2 und 6; vgl. auch Baumert et al., 1997). Umso größer war der „Schock“, als bei PISA 2000 die Leseleistungen der Fünfzehnjährigen in Deutschland deutlich unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten lagen (Artelt, Stanat, Schneider & Schiefele, 2001). Auf PISA 2000 reagierend formulierte die KMK (2002, S. 6) sieben vorrangige Handlungsfelder im Bildungsbereich, die zum Beispiel mit „Maßnahmen zur Verbesserung der Sprachkompetenz“, „durchgängiger Verbesserung der Lesekompetenz“ oder auch „Maßnahmen zur wirksamen Förderung bildungsbenachteiligter Kinder“ auf die Behebung von Leseschwächen zielten. Verschiedene Initiativen – vorwiegend auf der Ebene einzelner Länder – zur Förderung der Lesekompetenz folgten, wie beispielsweise „Bücherwürmer in NRW“, „Lust auf Lesen“ in Thuringen, „Lesen macht stark“ in Schleswig-Holstein oder auch „Die BremerLeseLust“, die vorrangig in der Grundschule angesiedelt waren beziehungsweise sind (vgl. Artelt et al., 2007; vgl. auch Redder et al., 2011). Eine ebenfalls notwendige Forderung, die über die Grundschulzeit hinausgeht, verlangte jedoch ein Umdenken, da die Entwicklung einer hinreichenden Lesekompetenz häufig als Aufgabe der Grundschulen angesehen wurde (vgl. Staatsinstitut für Schulqualitat und Bildungsforschung, 2005). Dass auch jenseits der Grundschule eine kontinuierliche und weiterführende Leseförderung erforderlich ist, belegen unter anderem Befunde der internationalen Schulleistungsstudie IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung), in der die Lesekompetenz am Ende der vierten Jahrgangsstufe erfasst wird. Hier zeigte sich wiederholt, dass die Leseleistungen der Schülerinnen und Schüler am Ende der Grundschulzeit in Deutschland (statistisch signifikant) über dem mittleren internationalen Leistungsniveau liegen, auch bei Berücksichtigung unterschiedlicher Konstellationen von Vergleichsstaaten (z. B. Bos, Tarelli, Bremerich-Vos & Schwippert, 2012). Damit stellte sich bei der Interpretation der PISA-Ergebnisse immer wieder die Frage, ob die in der Grundschule begonnene Leseförderung in der Sekundarstufe gezielt und wirksam fortgesetzt wird. Ausgehend von einem Verständnis von Lesekompetenz als fächerübergreifender Fähigkeit, die in allen Unterrichtsfächern gefordert wird und gefördert werden sollte, wurde mit dem KMK-Projekt „ProLesen – Auf dem Weg zur Leseschule“ von 2008 bis 2010 ein deutschlandweiter Versuch gestartet, Konzepte und Materialien zur fächerübergreifenden Förderung der Lesekompetenz zusammenzustellen (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus und Staatsinstitut für Schulqualitat und Bildungsforschung, 2010). Die konkrete Umsetzung von umfassenden Maßnahmen zur Leseförderung, aber auch zur Sprachförderung und Sprachdiagnostik, soll allerdings erst jetzt deutschlandweit durch das von Bund und Ländern gemeinsam getragene Projekt BISS (Bildung durch Sprache und Schrift) erfolgen (vgl. Schneider et al., 2013). Ein weiterer zentraler Ansatzpunkt zur Förderung von Lesekompetenz nach PISA 2000 ist in der Festlegung von Zielsetzungen und Kompetenzanforderungen (hier für das Fach Deutsch) in Form von länderübergreifenden Bildungsstandards zu sehen, die verbindlich eingeführt wurden. In den Standards der Kultusministerkonferenz für den Mittleren Schulabschluss (KMK, 2004, S. 13f.) wird das Lesen als ein zentraler Kompetenzbereich im Fach Deutsch herausgestellt, welcher Fähigkeiten wie „Strategien zum Leseverstehen kennen und anwenden“ oder auch „Texte verstehen und nutzen“ umfasst. Das bundesweite „Wachrütteln“ durch PISA 2000 und die damit einhergehende Etablierung von Förderansätzen und bundesweiten Bildungsstandards schien erste, wenn auch kleine Fortschritte mit sich zu bringen. So erreichten die Fünfzehnjährigen in den folgenden PISA-Erhebungsrunden (2003, 2006, 2009) Testergebnisse, die nunmehr im mittleren Leistungsbereich der OECD-Staaten lagen (Schaffner, Schiefele, Drechsel & Artelt, 2004; Drechsel & Artelt, 2007; Naumann, Artelt, Schneider & Stanat, 2010). Dennoch verbesserte sich die Lesekompetenz der Jugendlichen in Deutschland im Vergleich zu den anderen Kompetenzbereichen eher schleppend. Anlass zur Sorge gaben insbesondere die immer noch hohen Anteile von Fünfzehnjährigen, deren Lesekompetenz auf den unteren Kompetenzstufen lag. Dieses Kapitel geht der Frage nach, wie die in PISA 2012 getestete Lesekompetenz der fünfzehnjährigen Schülerinnen und Schüler in Deutschland im internationalen Vergleich ausgeprägt ist, ob Fortschritte in der Entwicklung seit PISA 2000 zu verzeichnen sind und worin weitere Herausforderungen bestehen. Dazu wird zunächst näher erläutert, was unter Lesekompetenz zu verstehen ist und wie diese bei PISA 2012 erfasst wurde. Anschließend werden die Ergebnisse des internationalen Vergleichs vorgestellt, ehe genauer auf die Befunde fur die Schülerinnen und Schüler in Deutschland eingegangen wird

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