Ausgangspunkt dieser Arbeit war das erste hocheffiziente literaturbekannte PR System: in
situ polbare Komposite auf PVK/ECZ Basis mit Azofarbstoffen als elektrooptische (EO)
Komponente und TNF oder TNFM als Sensibilisatoren. Diese sogenannten "weichen" PR
Komposite ermöglichen es, hocheffiziente Hologramme durch den Effekt der Orientierungsverstärkung,
d.h. durch eine periodische Änderung der Doppelbrechung, aufzuzeichnen.
An diesem Standardsystem wurden grundlegende Experimente durchgeführt, um die
Abhängigkeit der holographischen Eigenschaften von der Zusammensetzung und den
Meßbedingungen zu untersuchen. Danach wurden durch gezielte Variation der chemischen
Zusammensetzung neue Materialien mit höheren Sensitivitäten entwickelt.
Im folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchungen im tabellarischen Stil zusammengefaßt.
Untersuchungen am Standardsystem
& Die Ansprechzeit von in situ polbaren organischen PR Materialien hängt von der Aufbaugeschwindigkeit
des Raumladungsfeldes und von der Beweglichkeit der EO
Chromophore in der Matrix ab. Durch Messungen des PR Gitteraufbaus unter verschiedenen
Anfangsbedingungen wurde erkannt, daß die Ansprechzeit im Standardmaterial
für kleine Schreibintensitäten und kurze Schreibzeiten nicht von der Chromophororientierung
sondern von der Aufbauzeit des Raumladungsfeldes limitiert ist.
Für längere Schreibzeiten ist die Geschwindigkeit des Gitteraufbaus hingegen durch
die Chromophororientierung begrenzt. Nur in diesem Bereich bewirkt eine Vorpolung
der Materialien eine Beschleunigung des Gitteraufbaus. Zudem wurde festgestellt, daß
eine Beleuchtung der Proben vor dem Einschreiben des Hologramms zu einer Verlangsamung
des Aufbaus des Raumladungsfeldes führt.
& Die Dichte der Ladungsträgerfallen von PR Materialien ist ein wichtiger Parameter, da
sie die maximale Größe des Raumladungsfeldes und damit die Stärke des Hologramms
bestimmt. Durch Messung der Phasenverschiebung zwischen dem Interferenzmuster
und der induzierten Brechungsindexmodulation sowie der Anwendung des
Kukhtarev Modells wurde die effektive Fallendichte im Standardmaterial bestimmt.
Sie liegt in der Größenordnung von 1016-1017 cm-3 und hängt zum einen von der Zahl
der ionisierten Sensibilisatormoleküle und zum anderen von der
Glasübergangstemperatur der Komposite ab. Damit konnte bestätigt werden, daß in
PR Kompositen die Fallendichte sowohl durch die Zahl der Rekombinationszentren
als auch durch konformative Fallen in der Lochleiter DOS gegeben ist. Die
konformativen Fallen haben eine dynamische Natur, d.h. ihre Energie ist zeitlich nicht
konstant.
& Die Phasenseparation der EO Komponente wird bislang als größtes Stabilitätsproblem
von PR Kompositen betrachtet. Modifikation des Standardmaterials unter Verwendung
einer ternären Azofarbstoffmischung lieferte ein Material, welches stabil gegen
Phasenseparation ist. Eine Langzeitmessung von einer Woche brachte jedoch einen
weiteren Degradationsprozeß zu Tage: bei Dauergebrauch wurde neben einer geringfügigen
Verbesserung der Beugungseffizienz eine Zunahme der Ansprechzeit (Faktor
4) gefunden. Die Ursache für diese Effekte ist noch nicht geklärt, die Erzeugung von
tiefen Fallenzuständen scheint dabei eine wichtige Rolle zu spielen.
Untersuchungen an vollfunktionalisierten, vorgepolten Polymeren
Vollfunktionalisierte Materialien haben den Vorteil, stabil gegen Phasenseparation zu
sein. Vorgepolte, d.h. nicht in situ polbare Materialien haben aufgrund der sofort auftretenden
Brechungsindexänderung durch den Pockels-Effekt Ansprechzeiten, die nur
vom Aufbau des Raumladungsfeldes limitiert sind.
Hier wurden Polymere mit einem inerten Rückrad untersucht, an welches Azofarbstoffe
und Carbazoleinheiten als funktionelle Gruppen angebunden waren. Als Sensibilisator
diente TNF. Die Materialien zeigten eine ausgezeichnete Stabilität gegen
dielektrisches Durchschlagen und Phasenseparation, die erreichten Brechungsindexmodulationen
waren jedoch eine Größenordnung kleiner als in vergleichbaren nieder-
Tg Materialien. Dies ist durch die Abwesenheit der Orientierungsverstärkung in
"harten" Materialien bedingt. Die Ansprechzeiten waren ähnlich denen in nieder-Tg
Materialien. Dies bestätigt, daß die Ansprechzeit in den ausreichend weichen Standardmaterialien
nicht von der Chromophororientierung limitiert ist.
Die Sensitivität der vorgepolten Materialien ist aufgrund der geringen
Brechungsindexmodulationen vergleichsweise niedrig. Insgesamt bieten vorgepolte PR Materialien daher außer ihrer hohen Stabilität keine Vorteile gegenüber nieder-Tg
Materialien.
Komposite mit DBOP-PPV als Lochleiter
Durch Ersetzen des PVK Polymers im Standardsystem durch das PPV-Ether Derivat
DBOP-PPV gelang es, den Aufbau des Raumladungsfeldes zu beschleunigen. Dies ist
auf die im Vergleich zu PVK höhere Lochmobilität des konjugierten DBOP-PPV
zurückzuführen. Diese Materialien reagierten im Gegensatz zum Standardsystem mit
PVK nicht mit einer Verlangsamung des Gitteraufbaus bei Vorbeleuchtung.
Diese Studie zeigte auch, wie wichtig neben der Photoleitfähigkeit die Matrixqualität
eines Polymers für die Anwendung in PR Kompositen ist. Die DBOP-PPV Materialien
waren wegen ihrer schlechten Kompatibilität zu den verwendeten Farbstoffen nicht
stabil gegen Phasenseparation.
Komposite mit TPD-PPV als Lochleiter
& Der Einsatz des Polymers TPD-PPV, dessen Lochmobilität höher als die der Polymere
DBOP-PPV und PVK ist, ermöglichte es, PR Komposite zu entwickeln, die bei
633 nm Schreibwellenlänge Ansprechzeiten im Bereich von Millisekunden zeigten.
Gegenüber dem Standardsystem wurde eine zwanzigfache Beschleunigung des
Raumladungsfeldaufbaus sowie eine Verbesserung der Brechungsindexmodulation im
Gleichgewichtzustand um 30 % erreicht. Die Sensitivität war durch die hohe Absorption
des Materials einschränkt und lag im Bereich der besten literaturbekannten
Materialien.
& Das TPD-PPV Material zeigte trotz geringer Absorption auch im NIR Bereich (hier
830 nm) eine ausreichende Photosensitivität. Es wurde ein großer Einfluß der
Beleuchtung des Materials vor dem Einschreiben des Hologramms gefunden. Die
Ansprechzeit nimmt stark ab (Faktor 40), während gleichzeitig eine etwas höhere
Brechungsindexmodulation im Gleichgewichtszustand erreicht wird. Diese Effekte
hatten sich schon bei den DBOP-PPV Kompositen angedeutet. Ursache für diesen
"Gating"-Prozeß ist die hohe Dichte von Ladungsträgern, die beim Vorbeleuchten
erzeugt wird. Der Prozeß der Umverteilung dieser Ladungsträger durch das NIR
Interferenzmuster ist wesentlich schneller als die Erzeugung und Umverteilung nur
durch das NIR Licht. Wie hier zum ersten Mal gezeigt werden konnte, kann die Vorerzeugung von Ladungsträgern auch chemisch durch partielle Oxidation des
Lochleiters erfolgen.
Der Gating Effekt tritt allgemein in Materialien auf, die in ihrer Ansprechzeit durch
die Ladungsträgererzeugung bei der Schreibwellenlänge limitiert sind, und in welchen
durch Vorbeleuchtung relativ langlebige Ladungsträger erzeugt werden können.
Mit dem TPD-PPV/PCBM Komposit wurden unter Ausnutzung des Gating-
Mechanismus eine von organischen PR Materialien bislang unerreichte Sensitivität im
NIR Bereich erzielt. Im Vergleich zum Standardmaterial wurde die Sensitivität um
einen Faktor von ~240 erhöht. So konnte das Schreiben von Hologrammen mit hohen
Wiederholungsraten (> 100 Hz) im NIR demonstriert werden.
ATOP Chromophore als EO Komponente
ATOP Chromophore sind Farbstoffe, die speziell für den Einsatz als EO Komponente
in nieder-Tg PR Materialien entwickelt wurden. Sie zeigen im Vergleich zu den im
Standardsystem verwendeten Azofarbstoffen eine wesentlich höhere Anisotropie der
Polarisierbarkeit, wodurch die Orientierungsverstärkung der Brechungsindexmodulation
effizienter wird.
Mit diesen Chromophoren wurden zum einen PR Komposite auf PVK/ECZ/TNFM
Basis hergestellt, zum anderen konnte eines der ATOP Derivate ohne jeden Zusatz als
PR Glas eingesetzt werden. Diese Materialien zeigen die zur Zeit höchsten literaturbekannten
Brechungsindexmodulationen bei niedrigen Polungsfeldern (∆n= 0.012 bei
Eext= 28 V/µm). Die ATOP Chromophore erwiesen sich als vollfunktionale Komponenten,
die auch die Erzeugung und Umverteilung von Ladungsträgern und damit das
Raumladungsfeld beeinflussen. Das Ansprechverhalten dieser Materialien war
dadurch sehr komplex, hier sind noch weitere Untersuchungen nötig.
Trotz der hohen Brechungsindexmodulationen ist die Sensitivität der ATOP-Materialien
aufgrund der langsamen Ansprechzeit und der hohen Absorption nicht besser als
die des Standardsystems.
Phasenkonjugation mit PR Polymeren bei 532 nm
Das Einschreiben von Hologrammen in einen Langzeitspeicher mit Hilfe von phasenkonjugierten
Objektstrahlen ist eine vielversprechende Architektur zur Verwirklichung
von holographischen Massenspeichern. Für diese Technik sind reversible holographische Kurzzeitspeicher nötig, die als "virtuelle Strahlmodulatoren" dienen
können. Für diese Anwendung wurden PR Komposite entwickelt, die sich zur
Erzeugung von phasenkonjugierten Objektstrahlen bei 532 nm Schreibwellenlänge
eignen. Mit einem auf dem Chromophor 7DCST basierenden Komposit konnte die
Phasenkonjugation erfolgreich demonstriert werden. Die Übertragung und
Speicherung des phasenkonjugierten Objektstrahls konnte allerdings noch nicht
erfolgreich durchgeführt werden. Ein Grund hierfür ist das zu schnelle Löschen des
Hologramms im PR Komposit während des Auslesens.
Demonstrationsaufbauten
Die Praxistauglichkeit von PR Polymeren konnte mit zwei Demonstrationsaufbauten
gezeigt werden. Mit dem Standardmaterial konnte ein „Matched Filter“ Korrelator mit
einem LCD-Display als Eingabemaske verwirklicht werden. Das TPD-PPV Material
erlaubte durch Anwendung des Gatings das holographische Abbilden eines Objektes
in Videorate (30 Hz) bei 830 nm und kleiner Schreibleistung (6 mW).
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß in dieser Arbeit durch den Einsatz neuer funktioneller
Substanzen und die Weiterentwicklung der Meßmethodik die Sensitivität von amorphen,
organischen photorefraktiven Materialien als holographische Speichermedien
entscheidend verbessert wurde. Auch Fragen der Stabilität und Alltagstauglichkeit wurden
adressiert.
Diese Arbeit liefert eine Reihe von Antworten, wirft aber ebenso viele Fragen auf. Vom
umfassenden Verständnis des PR Effekts in Polymeren ist man noch weit entfernt, vor
allem was die theoretische Beschreibung des Aufbaus des Raumladungsfeldes anbelangt.
Hier wurde ein eher pragmatischer Ansatz gewählt: Ein auf chemischen Konzepten basierendes
empirisches Vorgehen erwies sich als guter Weg die Materialien zu verbessern