In der vorliegenden Arbeit wurden drei verschiedene Schwerpunkte gesetzt:
(a) Phosphonium- und Diphosphanium-Kationen,
(b) Phosphor-Bor-Addukte und
(c) Phosphorazid-Verbindungen.
•= Es konnte gezeigt werden, daß die Phosphortrihalogenide PCl3, PBr3, PI3 und P2I4 wie
auch die Phosphor-Chalkogenide P4S3 und P4Se3 aufgrund ihrer schwachen
Donoreigenschaft nur sehr schwachgebundene Spezies mit Elektronenacceptoren bilden.
So sind die gebildeten Komplexverbindungen X3P⋅BY3 (X = Cl, Br, I; Y = Br, I) und
(P4E3)⋅(BX3) (X = Br, I) wie auch die PX4
+- (X = Br, I) und P2I5
+-Salze nur im Festkörper
stabil. In Lösung hingegen neigen diese Spezies gewöhnlich zur Dissoziation. Die
Donorfähigkeit von Phosphinen hingegen ist aufgrund des positiven induktiven Effekts
der Alkyl- oder Arylgruppen deutlich höher. So konnte z.B. gezeigt werden, daß die
Verbindungen H2PMe2
+AlCl4
− und n-Pr3P⋅BX3 (X = Cl, Br, I) im Gegensatz zu den oben
genannten Komplexen auch in Lösung stabil sind.
•= Die 31P-NMR-Resonanzen der PI4
+-Spezies zeigen in Abhängigkeit vom jeweiligen Anion
ungewöhnlich starke Hochfeldverschiebungen im Bereich zwischen −295 ppm (PI4
+GaI4
−,
∆ δcoord = −532 ppm, Abb. 61) und −519 ppm (PI4
+AsF6
−, ∆ δcoord = −756 ppm, Abb. 61),
welche auf Spinbahn-Effekte zurückzuführen sind. Durch Röntgenstrukturanalyse
(PI4
+AlCl4
−, PI4
+AlBr4
−, PI4
+GaI4
−), 31P-MAS-NMR- und Schwingungsspektroskopie
konnte gezeigt werden, daß das PI4
+-Kation je nach Eigenschaft des Gegenanions
"isoliert" oder polymer vorliegt. Die intermolekularen Kation ⋅⋅⋅ Anion-
Wechselwirkungen in den PI4
+-Komplexen nehmen in der Reihenfolge PI4
+GaI4
− ≥
PI4
+AlI4
− > PI4
+GaBr4
− ≥ PI4
+AlBr4
− > PI4
+AlCl4
− > PI4
+SbF6
− ≥ PI4
+AsF6
− ab. Die
dadurch steigende P-I-Bindungsordnung (kürzere P-I-Bindungslängen, stärkere P-IKraftkonstanten)
im PI4
+-Kation verursacht eine Verschiebung der 31P-Resonanz zu
niedrigeren Frequenzen (höherem Feld) bzw. eine Verschiebung der
Normalschwingungen zu höheren Wellenzahlen (ν1 (PI4
+) = 150 − 180 cm−1). Dieses Phänomen ist in den PBr4
+-Spezies weniger ausgeprägt ( δ = −72 bis −83 ppm, ν1 (PBr4
+)
= 250 − 266 cm−1) (s. 3.1).
•= Durch Auftragen der P-I-Bindungslänge gegen die 31P-chemische Verschiebung bzw.
gegen die ν1-Streckschwingung des PI4
+-Kations konnte zum ersten Mal der P-I-Abstand
in PI4
+AsF6
− abgeschätzt werden (d (P-I) ≈ 2.352(2) Å, s. 3.1).
•= Mit den Reaktionssystemen PBr3 / I3
+MF6
− (M = As, Sb) und PBr3 / IBr / EBr3 (E = Al,
Ga) gelang es erstmalig, die Existenz der bisher unbekannten gemischt substituierten
Bromoiodophosphonium-Kationen PBrnI4−n
+ (0 ≤ n ≤ 3) durch 31P-MAS-NMRSpektroskopie
nachzuweisen. Es konnte sowohl experimentell als auch durch
quantenchemische Berechnungen gezeigt werden, daß der Hochfeldshift für PBrnI4−n
+
aufgrund der anwachsenden Spinbahn-Beiträge entlang PBr4
+ < PBr3I+ < PBr2I2
+ < PBrI3
+
< PI4
+ ansteigt (s. 3.1).
•= Die Verbindungen P2I5
+EI4
− (E = Al, Ga, In) sind auf zwei unterschiedlichen
Synthesewegen darstellbar. Das P2I5
+-Kation wird im Festkörper durch schwache I ⋅⋅⋅ IKontakte
mit den EI4
−-Anionen stabilisiert. Die 31P-Resonanz des Phosphoratoms des PI3-
Fragments zeigt eine deutliche Hochfeldverschiebung von der Resonanz von P2I4 (∆ δcoord
= δ (−PI3
+, P2I5
+) − δ (−PI2, P2I4) = −267 ppm, Abb. 61), welche − wie auch in den PI4
+-
Spezies − auf Spinbahn-Beiträge der schweren Iodsubstituenten zurückzuführen sind (s.
3.2).
•= Durch Röntgenstrukturanalyse von H2PMe2
+AlCl4
−, welches aus HPMe2, HCl und AlCl3
dargestellt wurde, konnte die strukturelle Aufklärung der Dimethylphosphonium-Kationen
HnPMe4−n
+ (0 ≤ n ≤ 3) vervollständigt werden (s. 3.3).
•= Die Umsetzung von PBr3 mit Ph3P führte zu einer definierten Verbindung, welche durch
31P-MAS-NMR-Spektroskopie als Ph2P−PBr2
+Br− identifiziert wurde. Im Gegensatz zu
früheren Arbeiten, in denen oft über die Zusammensetzung und Struktur der durch die
Umsetzungen von Phosphorhalogeniden mit Alkyl- oder Arylphosphinen erhaltenen
Reaktionsprodukte (orange Niederschläge) spekuliert wurde, konnte hier gezeigt werden, daß die Festkörper-Spektroskopie eine geeignete Methode zur Untersuchung derartiger
Verbindungen darstellt (s. 3.4).
•= Im Zusammenhang mit der Untersuchung des Koordinationsverhalten von Phosphor-
Basen (Elektronendonoren) gegenüber Lewis-Säuren (Elektronenacceptoren) wie BX3 (X
= Cl, Br, I) konnten zahlreiche Addukt-Verbindungen dargestellt werden (Gleichung 20).
Base + BX3 → Base⋅BX3 (20)
für X = Br, I: Base = PCl3, PBr3, PI3, n-Pr3P, P4S3, P4Se3
für X = Cl: Base = n-Pr3P
•= Strukturell konnten die zum Teil sehr schwachgebundenen Komplexe Br3P⋅BBr3, I3P⋅BBr3
und n-Pr3P⋅BBr3 durch Röntgenstrukturanalyse am Einkristall bestimmt werden (s. 3.5 −
3.6).
•= Aufgrund der 31P-MAS-NMR- und Schwingungsdaten und konnte gezeigt werden, daß
die Reaktion von BX3 (X = Br, I) mit P4S3 zu apikalen Addukten, mit P4Se3 jedoch zu
basalen Addukten führt. Zusätzlich konnten die Molekülstrukturen von (P4S3)⋅(BBr3) und
(P4S3)⋅(BI3) durch Röntgen-Pulverbeugung eindeutig bestimmt werden (s. 3.7).
•= In Analogie zu früheren Arbeiten konnte bestätigt werden, daß die Acceptorstärke (Lewis-
Acidität) von BX3 (X = Cl, Br, I) in der Reihenfolge BCl3 < BBr3 < BI3 ansteigt. So bildet
die schwache Lewis-Säure BCl3 nur noch mit starken Phosphor-Basen wie Alkyl- oder
Arylphosphinen stabile Komplexe. Bezüglich der Stabilität der Reaktionsprodukte konnte
für die BX3-Addukte (X = Br, I) sowohl theoretisch (quantenchemische Berechnungen)
als auch experimentell folgende Reihenfolge beobachtet werden: P4S3 < PCl3 < PBr3 <
P4Se3 < PI3 < n-Pr3P (s. 3.5 − 3.7).
•= Durch Analyse der Bindungsorbitale (NBO) von X3P⋅BY3 (X = Cl, Br, I, Me) konnte
gezeigt werden, daß: (a) die Bindungsordnung entlang der BCl3- < BBr3- < BI3-Addukte
zunimmt und (b) der Ladungstransfer in der gleichen Reihenfolge ansteigt.
blaue Balken: Koordinationsshift ∆ δcoord = δ (Komplex) − δ (PI3); roter Balken: Koordinationsshift ∆ δcoord = δ
(Komplex) − δ (P2I4); grüne Balken: Koordinationsshift ∆ δcoord = δ (Komplex) − δ (PBr3); brauner Balken:
Koordinationsshift ∆ δcoord = δ (Komplex) − δ (PCl3); orangefarbene Balken: Koordinationsshift ∆ δcoord = δ (Pap;
Komplex) − δ (Pap; P4S3); lila Balken: Koordinationsshift ∆ δcoord = δ (Pbas; Komplex) − δ (Pbas; P4Se3).
•= Die bei der Koordination in der Reihe Cl3P⋅BBr3 (∆ δcoord = −110 ppm) < Br3P⋅BBr3
(∆ δcoord = −149 ppm) < I3P⋅BBr3 (∆ δcoord = −268 ppm) < I3P⋅BI3 (∆ δcoord = −278 ppm)
ansteigende Hochfeldverschiebung der 31P-Resonanz (Abb. 61) ist ebenfalls (vgl. PI4
+-
und P2I5
+-Salze) auf Schweratomeffekte zurückzuführen (s. 3.5).
•= Ein entgegengesetzter Trend wurde für die Addukte (P4E3)⋅(BX3) (X = Br, I) und
(P4Se3)⋅(NbCl5) gefunden: Der Koordinationsshift der Phosphor-Chalkogenid-Komplexe
ist im Gegensatz zu den Komplexen X3P⋅BY3 positiv (Verschiebung zum tieferen Feld)
und liegt für die apikalen P4S3-Addukte bei ca. 50 − 60 ppm (Abb. 61). Für die basalen
P4Se3-Addukte ist der Tieffeld-Koordinationsshift deutlich größer und steigt in der Reihe
NbCl5 (∆ δcoord = +64.2 ppm) < BBr3 (∆ δcoord = +104.1 ppm) < BI3 (∆ δcoord = +177.0 ppm)
an (s. 3.7, Abb. 61).
•= Durch die Umsetzung von [PhNPCl3]2 und [(C6F5)NPCl3]2 mit TMS-N3 konnten die
Phosphorazid-Spezies [PhNP(N3)3]2 und [(C6F5)NP(N3)3]2 dargestellt werden. Durch
Kernresonanz- und Schwingungsspektroskopie konnte gezeigt werden, daß [PhNP(N3)3]2
sowohl in Lösung als auch im Festkörper als dimere Verbindung zweier monomerer
PhNP(N3)3-Einheiten vorliegt, während das analoge Pentafluorphenylderivat durch die
elektronenziehende Wirkung der perfluorierten Phenylgruppen in Lösung überwiegend
monomer als (C6F5)NP(N3)3, im Festkörper jedoch als Dimer [(C6F5)NP(N3)3]2 vorliegt (s.
3.8).
•= [PhNP(N3)3]2 und [(C6F5)NP(N3)3]2 konnten durch Röntgenbeugung am Einkristall
charakterisiert werden (Abb. 62) und sind somit die ersten strukturell charakterisierten
Phosphorazid-Spezies, in welchen das Phosphoratom verzerrt trigonal-bipyramidal von
drei Azidgruppen umgeben ist. Die Molekülstruktur von [PhNP(N3)3]2 zeigt eine
ungewöhnliche Bindungssituation mit vier deutlich unterschiedlichen Phosphor-
Stickstoff-Bindungslängen. Sowohl im 14N-NMR-Spektrum als auch in den
Schwingungsspektren (Raman, IR) konnte eine Aufspaltung durch die chemisch nicht
äquivalenten Azidgruppen (eine axiale, zwei äquatoriale N3-Gruppen) beobachtet werden
(s. 3.8).
Zusammenfassend sind die in der vorliegenden Arbeit dargestellten Verbindungen und ihre
Charakterisierung in Tabelle 58 aufgeführt. Sofern die Verbindungen bereits publiziert
wurden sind die Orginalarbeiten als Literaturstelle angegeben.
Tabelle 58 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit dargestellte Verbindungen
Verbindung Schwingungsspektroskopie Kernresonanzspektroskopie Röntgenstrukturanalyse Lit.
PBr4
+AsF6
− Raman, IR 31P-MAS-NMR 14
PI4
+AlBr4
− Raman, IR 31P-MAS-NMR Einkristall 14
PI4
+GaBr4
− Raman, IR 31P-MAS-NMR, 71Ga-MAS-NMR 14
PI4
+AlCl4
− Raman, IR 31P-MAS-NMR Einkristall 14
PI4
+GaI4
−
Einkristall 6,7,14
P2I5
+AlI4
− a Raman, IR 31P-MAS-NMR 27,31
P2I5
+GaI4
− Raman, IR 31P-MAS-NMR Einkristall 31
P2I5
+InI4
− Raman, IR 31P-MAS-NMR 31
H2PMe2
+AlCl4
− Raman, IR 31P-, 13C-, 1H-NMR Einkristall 45
Ph3P−PBr2
+Br− Raman 31P-MAS-NMR
Cl3P⋅BBr3
b
Raman, IR 31P-MAS-NMR 54,73
Cl3P⋅BI3
b Raman 54,73
Br3P⋅BBr3
b Raman, IR 31P-MAS-NMR Einkristall 52,73
Br3P⋅BI3
b Raman 54,73
I3P⋅BBr3
b Raman, IR 31P-MAS-NMR Einkristall 56,73,74
I3P⋅BI3
b Raman, IR 31P-MAS-NMR 57,73
n-Pr3P⋅BCl3 Raman, IR 31P-, 11B-, 13C- ,1H-NMR
n-Pr3P⋅BBr3 Raman, IR 31P-, 11B-, 13C-, 1H-NMR Einkristall 74
n-Pr3P⋅BI3 Raman, IR 31P-, 11B-, 13C-, 1H-NMR
(P4S3)⋅(BBr3) Raman, IR 31P-MAS-NMR Pulver 119
(P4S3)⋅(BI3) Raman, IR 31P-MAS-NMR Pulver 119,120
(P4Se3)⋅(NbCl5)a Raman, IR 31P-MAS-NMR 112,119
(P4Se3)⋅(BBr3) Raman, IR 31P-MAS-NMR 119
(P4Se3)⋅(BI3) Raman, IR 31P-MAS-NMR 113,119
[PhNP(N3)3]2 Raman, IR 31P-, 14N-, 13C-, 1H-NMR Einkristall 142
[(C6F5)NP(N3)3]2 Raman, IR 31P-, 14N-, 13C-{19F}-, 19F- NMR Einkristall 143
a Verbindung bekannt, bisher nur durch Röntgenstrukturanalyse charakterisiert; b Verbindung bereits bekannt,
wurde aber in der Literatur nur schlecht charakterisiert.
Durch die vorliegende Dissertationsschrift konnten neue Aspekte und Einblicke über die
vielfältigen chemischen Eigenschaften und Bindungsverhältnisse binärer und ternärer
kationischer Phosphor-Spezies sowie Phosphor-Bor-Addukt-Komplexe und Phosphorazide
gewonnen werden. Insbesondere gibt diese Arbeit einen Überblick über den Einfluß und das
Ausmaß relativistischer Effekte am Phosphor in Gegenwart schweren Halogensubstituenten,
denn:
"Aufgabe der Naturwissenschaft ist es nicht nur, die Erfahrung stets zu erweitern, sondern in
diese Erfahrung eine Ordnung zu bringen."
Niels Bohr (1885 − 1962), dänischer Physiker, Nobelpreis für Physik (1922)