Der Grundgedanke der zur vorliegenden Untersuchung führte, bestand darin, die
Strukturen in den Wänden der Testaepidermiszellen repräsentativ für die ganze
Tribus Lactuceae mit einem geeigneten, neu zu entwerfenden Präparationsverfahren
zu untersuchen und sie damit der Systematik zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist in
diesem Zusammenhang, nicht nur das Vorhandensein diverser Strukturen in der
Testaepidermis zu erkennen, sondern auch ihre Stabilität zu erforschen. Wichtig war
auch zu klären, ob die oft sehr unterschiedlichen Strukturen durch Übergangsformen
miteinander verbunden werden können – dies war nicht immer möglich.
Da der Umfang der Tribus sehr groß ist, war es nötig, sich nach einem ersten
Überblick auf einige interessante Bereiche zu konzentrieren, die dann besonders
intensiv untersucht wurden. Andererseits wurden bei einigen größeren Gattungen oft
nur einige wenige Arten untersucht, da das Umfeld der Gattung keine neuen
Erkenntnisse erwarten ließ.
Es wurden über 300 Arten von ca. 90 (von insgesamt ca. 100) Gattungen der
Lactuceae und weitere 18 Arten anderer Tribus (Liabeae, Arctoteae, Vernonieae)
überprüft, wobei von vielen Arten mehr als ein Beleg für die Präparation
herangezogen wurde, so dass insgesamt ca. 400 Belege erfolgreich ausgewertet
werden konnten.
Die gewonnenen Ergebnisse sollen zwar in Bezug zu anderen Arbeiten gesehen
werden, jedoch nicht an bisherige Vorstellungen angepasst werden, auch wenn
dadurch einige Ungereimtheiten bestehen bleiben müssen.
Die Ergebnisse sollen, so wie sie sich aus der Zielsetzung der Arbeit ergeben haben,
in erster Linie zur Diskussion anregen. Es wird nicht angestrebt, mit der
Untersuchung dieses Merkmalskomplexes die ganze Systematik der Lactuceae zu
revolutionieren. Da aber der hohe systematische Wert dieser Strukturen in der
Testaepidermis durch diese Untersuchungen bewiesen wurde, sollten diese Daten
doch bei zukünftigen Revisionen eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen.
Für eine Übersicht der Verteilung der unterschiedlichen Strukturen auf die Tribus wurden schematisch die bei den untersuchten Gattungen gefundenen Strukturen auf
das Tribuskonzept von BREMER (1994) aufgetragen.
Es konnte gezeigt werden, dass die Strukturen in der Testaepidermis im Allgemeinen
äußerst stabil sind, da sie anscheinend durch die Evolution nur wenig beeinflusst
werden und damit einen hohen systematischen Wert besitzen. Es bereitet außerdem
keine Probleme, auch sehr altes Herbarmaterial zu untersuchen, wodurch der für
diese Art der Untersuchung nutzbare Bestand eines Herbars sehr hoch ist.
Insgesamt konnten vier Hauptstrukturtypen der Testaepidermiszellwände
unterschieden werden (unstrukturierter, fenestrater, retikulater und helicoider Typ)
denen man aber eine gewisse natürliche Variationsbreite zugestehen muss.
Daneben gibt es einige Strukturtypen, die oft nur für eine einzige Gattung
charakteristisch sind (Cichorium –, Taraxacum –, Lapsanastrum –, Krigia wrightii –
und Pyrrhopappus – Typ).
Bis auf zwei Ausnahmen, Cicerbita alpina (L.) Wallr. und Krigia biflora (Walter)
S.F.Blake, konnten keine Variationen der Zellwandstrukturen innerhalb einer Art,
geschweige denn innerhalb eines Individuums, festgestellt werden. Die Stabilität der
Strukturen über die Gattungsebene hinaus ist bewiesen worden; manchmal sind
bestimmte Strukturen für ganze Subtribus charakteristisch. So scheinen die
Scorzonerinae auch nach dieser Untersuchung monophyletisch zu sein, da keine
andere Gattung innerhalb der Tribus außer der monotypischen Gattung Rothmaleria
den helicoiden Typ zeigt. Anderseits scheinen jedoch die Hypochaeridinae heterogen
zusammengesetzt zu sein, weil im Wesentlichen ein Teil dem fenestraten Typ, ein
anderer Teil dem davon sehr gut zu unterscheidenden retikulaten Typ zuzuordnen
ist.
Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass man im Allgemeinen relativ wenig
Unterschiede innerhalb und zwischen den Subtribus Crepidinae, Hieraciinae,
Sonchinae und Lactucinae finden kann, obwohl es in diesen Subtribus auch einige
Gattungen gibt, welche nicht in das übliche Schema der sonst auftretenden
Strukturen passen.
Wie Übergänge zwischen den verschiedenen Strukturen zu verstehen sind, konnte
gut an der Gattung Scorzonera gezeigt werden.
Jedoch ließen sich nicht, wie erwartet, alle Probleme lösen: Es gibt viele Gattungen,
bei welchen man aussagekräftige Ergebnisse bekommen kann – bei vielen jedoch
muss man sich damit abfinden, dass auch mit diesen Untersuchungen manche
Probleme nicht zu lösen sind. Es müssen auch gewisse Variationsbreiten der
Merkmale akzeptiert werden. So sind zum Beispiel Unterschiede zwischen nicht oder nur leicht strukturierten Zellwänden nicht sehr gewichtig; ebenso können die
verschiedenen Varianten des fenestraten Typs nicht unbedingt als trennendes
Merkmal verwendet werden, obwohl sie gewisse Präferenzen für bestimmte
Subtribus zu haben scheinen.
Einige Gattungen sind durch ihre Strukturen von den anderen Gattungen deutlich
isoliert: dazu zählen insbesondere Cichorium, Taraxacum und Lapsanastrum
[zusammen mit Youngia japonica (L.) DC.]. Auch die drei Gattungen Krigia
[Ausnahme: K. virginica (L.) Willd.], Pyrrhopappus und Phalacroseris kann man nicht
mit den restlichen Microseridinae verbinden. In einigen Fällen konnte aufgrund der
Strukturen eine Fehlplatzierung aufgedeckt werden: Rothmaleria hebt sich strukturell
von den übrigen Catananchinae ganz deutlich ab; möglicherweise handelt es sich bei
den drei Gattungen der Catananchinae um Palaeoendemiten, die vermutlich nicht
näher miteinander verwandt sind. Auch die Strukturen von Youngia japonica (L.) DC.
haben mit den bei anderen Youngia–Arten gefundenen nichts gemein; die Strukturen
sind jedoch sehr mit denen der Gattung Lapsanastrum verwandt. Gezeigt werden
konnte auch, dass die nun monotypische Gattung Lapsana mit ihren ehemaligen
ostasiatischen Arten, der jetzigen Gattung Lapsanastrum, keine Ähnlichkeiten in den
Strukturen der Testaepidermis hat. Somit konnte die Spaltung dieser Gattung
deutlich befürwortet werden.
Die Gattung Taraxacum zeigt strukturell in all den untersuchten Arten dieselben
Strukturen, steht damit aber sehr isoliert innerhalb der Crepidinae da. Da es keine
Übergänge zu anderen Gattungen der Crepidinae gibt, würde man klassischerweise
die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es sich bei Taraxacum um eine
ursprünglichere Gattung handeln könnte. Dies widerspricht jedoch einigen
molekularbiologischen Untersuchungen, die die Gattung Taraxacum eher für einen
jungen Zweig innerhalb der Lactuceae halten.
Sehr schwierig zu deuten sind auch die Ergebnisse in der Gattung Krigia, welche
dort näher diskutiert wurden. Nach den klassischen Methoden der Systematik würde
man nach der Untersuchung dieser Gattung eher ein hohes Alter einräumen, jedoch
halten molekularbiologische Analysen die Arten dieser Gattung eher für relativ jung.
Die großen genetischen Unterschiede zwischen den einzelnen Arten werden auf eine
stark erhöhte Mutationsrate in dieser Gattung zurückgeführt.
Somit bietet diese Arbeit auch die Chance, zusammen mit molekularbiologischen
Untersuchungen die Möglichkeiten von einerseits modernen morphologisch–
anatomischen und andererseits molekularbiologischen Methoden gegeneinander
abzuwägen, um eventuell synergistische Effekte zu erzielen.
Die Stabilität dieser Strukturen stellt damit automatisch die Frage nach deren
Ursache. Haben diese Strukturen eine ökofunktionelle Bedeutung, z. B. einen
Einfluss auf das Keimverhalten der Achänen?
Es scheint zwar, dass Vertreter der Lactuceae, die in humideren Regionen
vorkommen (z. B. Hieracium, Sonchus) eine Tendenz zu wenig Struktur bzw. zum
fenestraten Typ haben, an aridere Bedingungen angepasste Vertreter (z. B.
Cichorium, Reichardia, Scorzonerinae) eher zu stärker strukturierten Typen haben;
jedoch liegen quantitative Untersuchungen hierüber noch nicht vor.
Einige Gattungen (z. B. Scolymus, Cichorium, auch Rothmaleria) stehen beispielhaft
für das Phänomen, dass es einige wenige Taxa gibt, die anscheinend kaum
Verwandtschaft zu anderen Taxa der heutigen Lactuceae zeigen. Dies ist aber
eigentlich typisch für ein natürlich gewachsenes System, in dem es immer nur ein
kleiner Teil neu entstandener Arten geschafft hat, sich weiter zu entfalten. Viele
Zweige sind oft wieder ausgestorben; nur einige wenige ursprüngliche Arten haben
es geschafft [vielleicht auch aufgrund ihrer damaligen zufälligen Einnischung in
(damals) extreme, aber stabile Habitate (z. B. Trockengebiete)], sich bis in die
Neuzeit hinüberzuretten, hatten bisher aber scheinbar kein Potential zu stärkerer
Radiation, vielleicht auch aufgrund der speziellen Einnischung. Es ist deshalb nicht
ausgeschlossen, dass man es auch bei den Lactuceae mit einigen Palaeoendemiten
zu tun hat, die systematisch schwer einzuordnen sind.
Ich begrüße deshalb den Ansatz von BREMER (1994), gewisse Gattungen nicht auf
Biegen und Brechen in vorhandene Verwandtschaftskreise zu pressen. Erfreulich ist,
dass KAMARI & GREUTER (2000) trotz intensiver Untersuchung der neubeschriebenen
Gattung Phitosia zu dem Schluss kommen, erst einmal von einer Einordnung in eine
Subtribus Abstand zu nehmen und weitere Untersuchungen abzuwarten.
Aufgrund der strukturellen „Ausreißer“ in einigen Subtribus sollte man auch das
bisherige Subtribuskonzept in einigen Fällen überdenken.
Inwieweit entspricht die aktuelle Gliederung der Tribus in Subtribus tatsächlich auch
den verwandtschaftlichen Verhältnissen? Wie auch einige anderen Gattungen mit
sehr charakteristischen, nur auf sie zutreffenden Strukturen gezeigt haben, könnten
bereits ausgestorbene „missing links“ existiert haben. Denn nur selten kann man
Bindeglieder finden, die zwischen den verschiedenen Strukturen vermitteln.
Andererseits könnten, wenn nur wenige Mutationsereignisse dafür notwendig wären,
natürlich auch solche Strukturänderungen schlagartig erfolgen.
Diese Arbeit soll mit den hier gewonnenen Ergebnissen Bewegung in etablierte
Systemvorstellungen bringen und dazu verleiten, mit anderen Methoden die hier
aufgeworfenen Fragen zu beantworten und die hier vorgestellte Methode der
Merkmalsgewinnung in anderen Gruppen der Angiospermae zu versuchen