Ein wesentliches Ziel dieser Arbeit war die Suche nach einer gezielten Darstellung von
Tellur(IV)aziden. Dazu wurden zunächst eine Reihe von Diorganomonotelluriden
synthetisiert und, auch im Fall des bekannten (C6F5)2Te, vollständig charakterisiert. Sie
wurden durch eine Modifizierung der Literatursynthese von (C6F5)2Te erhalten, bei der Na2Te
und Aryl- bzw. Alkylbromide miteinander umgesetzt werden. So konnte z.B. die Ausbeute
von (C6F5)2Te (4) um ca. 50 % gesteigert werden.
Bei den Umsetzungen von teil- und perfluorierten Arylbromiden mit Na2Te konnte gezeigt
werden, dass sich bei einem Arylbromid in ortho-Position zum jeweiligen Bromatom
mindestens zwei Fluoratome befinden müssen, damit eine Reaktion stattfinden kann. In
diesem Rahmen konnten mit (CF3C6F4)2Te (2) und (C6F5)2Te (4) die ersten
fluorarylsubstituierten Tellur(II)verbindungen kristallographisch untersucht werden.
Die Diorganomonotelluride wurden dann durch Halogenierung mit XeF2, SO2Cl2 und Br2 zu
den korrespondierenden Diorganotellur(IV)dihalogeniden umgesetzt. Bei der Fluorierung der
Monotelluride zeigte sich in der Reaktivität zwischen denjenigen mit aromatischen und
aliphatischen Substituenten kein Unterschied, sodass die Tellur(IV)difluoride 5摯瑬敳獩 13 isoliert
und vollständig charakterisiert werden konnten. Während sich die aromatischen
Monotelluride 1摯瑬敳獩 4 mit einem Überschuss an SO2Cl2 bzw. Br2 problemlos zu den
entsprechenden Tellur(IV)dichloriden und –dibromiden 14摯瑬敳獩 17 und 22摯瑬敳獩 25 umsetzen ließen,
zeigten die Dialkylmonotelluride ein völlig anderes Reaktionsverhalten. So konnten bei der
Chlorierung nicht nur die Dialkyltellur(IV)dichloride 18摯瑬敳獩 21, sondern auch die
entsprechenden Alkyltellur(IV)trichloride nachgewiesen werden. Da die Umsetzung bei
einem Überschuss SO2Cl2 zu den Tellur(IV)trichloriden nicht vollständig ablief, sondern
immer nur ein untrennbares Gemisch aus Tellur(IV)dichlorid und Tellur(IV)trichlorid
erhalten wurde, konnten keine Tellur(IV)trichloride isoliert werden. Bei der gezielten Darstellung der Dialkyltellur(IV)dichloride aus den jeweiligen Monotelluriden müssen exakt
äquimolare Mengen an Sulfurylchlorid eingesetzt werden.
Bei der Umsetzung der Dialkylmonotelluride (C2H5)2Te und (n-C3H7)2Te mit einem
Überschuss an Brom konnten die Dialkyltellur(IV)dibromide (C2H5)2TeBr2 (26) und (n-C3H7)
2TeBr2 (27a) isoliert und vollständig charakterisiert werden. Im Gegensatz dazu
konnten von den Isoalkyltelluriden (i-C3H7)2Te und (c-C6H11)2Te stets die jeweiligen
Tellur(IV)tribromide i-C3H7TeBr3 (28) und c-C6H11TeBr3 (29) erhalten werden. Auch mit
stöchiometrischen Mengen an Brom ließen sich keine Diisoalkyltellur(IV)dibromide
nachweisen. Dass hier neben den Tellur(IV)tribromiden auch noch unreagiertes Monotellurid
gefunden wurde, legt den Schluss einer sehr schnellen Reaktion nahe. Offenbar wird beim
Einsatz stöchiometrischer Mengen vorhandenes Brom bei der Bildung von
Tellur(IV)tribromiden schneller verbraucht, bzw. spaltet eine Te-C Bindung schneller, als es
mit weiterem Monotellurid zu reagieren vermag. Jedoch konnte nach längerer Zeit bei (n-C3H7)
2TeBr2 (27a) in Lösung die Bildung von n-C3H7TeBr3 (27b) nachgewiesen werden. Die
Tellur(IV)tribromide n-C3H7TeBr3 (27b), i-C3H7TeBr3 (28) und c-C6H11TeBr3 (29) liegen im
Festkörper als typische Te2Br6-Dimere vor.
Die Kristallstrukturen der Tellur(IV)dihalogenide (C6H3F2)2TeF2 (5), (CF3C6F4)2TeF2 (6),
(C6H3F2)2TeCl2 (14), (CF3C6F4)2TeCl2 (15) und (C6H3F2)2TeBr2 (22) zeigen allesamt die zu
erwartende Ψ -trigonal-bipyramidale Geometrie für das einzelne Molekül. Aufgrund von
Sekundärbindungen zwischen den Tellur- und den jeweiligen tellurgebundenen
Halogenatomen, kommt es zu Ψ -oktaedrischen oder Ψ -pentagonal-bipyramidalen Geometrien
im Molekülverband. Diese intermolekularen Wechselwirkungen führen dabei zur Ausbildung
von polymerartigen Kettenstrukturen.
Mit Hilfe der Kernresonanzspektroskopie konnte anhand der arylsubstituierten
Tellur(IV)dihalogenide gezeigt werden, dass die freie Drehbarkeit um die Te-C Bindungen
bei R2TeHal2 eingeschränkt ist. So erscheinen teils bei Raumtemperatur im 19 F NMR
Spektrum stark verbreiterte Signale für die jeweiligen ortho-, und −in geringerem Maße −
meta- Fluoratome, welche bei Temperaturerniedrigung unterhalb der Koaleszenztemperatur in
je zwei Signale aufspalten. Die Energiebarrieren für diese Koaleszenz wurden dabei mit Hilfe
der Eyring-Gleichung berechnet. Nach den durchgeführten Untersuchungen kann eine Pseudorotation der Liganden oder eine Dissoziation der Moleküle ausgeschlossen werden.
Ebenso kann widerlegt werden, dass dieser Effekt angeblich nur bei sterisch anspruchsvollen
Substituenten auftritt.
Durch Reaktion der Diorganotellur(IV)difluoride mit (CH3)3SiN3 lassen sich die
entsprechenden Diorganotellur(IV)diazide herstellen. Es handelt sich hierbei um
feuchtigkeitsempfindliche, nicht jedoch schlag- oder stoßempfindliche Verbindungen. Sie
verpuffen mit blauer Flammenfärbung unter starker Russbildung.
Die Streckschwingungen der Azidgruppen von R2Te(N3)2 erscheinen in den Schwingungs-spektren
im typischen Bereich von 2200摯瑬敳獩 2000 cm −1 . Ebenfalls sehr charakteristisch sind in
den Ramanspektren, wie bei den Tellur(IV)dihalogeniden die ν TeHal Schwingung, die Te-N
Streckschwingungen.
Die ersten Kristallstrukturen von Tellur(IV)diaziden konnten von (C6H5)2Te(N3)2 (35) und
(C6F5)2Te(N3)2 (36) bestimmt werden. Wie bei den Tellur(IV)dihalogeniden kommt es hier im
Kristall zur Bildung von TeReaktion mit den Tellur(IV)dichloriden und Tellur(IV)dibromiden zu den
entsprechenden Diorganotellur(IV)diaziden konnte auch bei Variation der
Reaktionsbedingungen nicht beobachtet werden. Da allerdings berichtet wird, dass sich bis zu
zwei Chloratome in TeCl4 durch Azidgruppen ersetzen lassen, wurde die Reaktion von TeCl4
mit (CH3)3SiN3 nochmals untersucht. Tatsächlich werden TeCl3N3 (43) bzw. TeCl2(N3)2 (44)
gebildet und konnten jetzt vollständig charakterisiert werden. Jedoch sind diese beiden
Verbindungen nicht spontan explosiv. Die beschriebenen angebliche Explosivität ist
möglicherweise auf partielle Hydrolyse zum explosiven HN3 zurückzuführen. Der Austausch
des dritten oder gar vierten Chloratoms bei Verwendung eines Überschusses an (CH3)3SiN3
konnte nicht erreicht werden.
Analog zur Reaktion der Tellur(IV)difluoride wurden, hier ausgehend von Ditelluriden,
Tellur(IV)trifluoride generiert und mit (CH3)3SiN3 versetzt. Dabei entstehen
Organotellur(IV)triazide, die isoliert und vollständig R = CH 3 (30), C 2 H 5 (31), n-C 3 H 7 (32), i-C 3 H 7 (33),
c-C 6 H 11 (34), C 6 H 5 (35), C 6 F 5 (36)
CH 2 Cl 2 / 0 °C
CH 2 Cl 2 / 0 °C R 2 TeF 2 + (CH3)3SiN3
R 2 Te(N 3 ) 2
R 2 TeCl 2 / R 2 TeBr 2 + (CH 3 ) 3 SiN 3charakterisiert werden konnten.
R = Alkyl, Aryl
[RTeF3 ] R 2 Te 2 - Xe
XeF 2 RTe(N3 )3 (CH 3 ) 3 SiN 3
- (CH 3 ) 3 SiF
Es handelt sich hier um äußerst feuchtigkeitsempfindliche Verbindungen, die jedoch nicht
schlag- oder stoßempfindlich sind, aber in der Flamme mit lautem Knall explodieren.
Mit CH3Te(N3)3 (37) (N 46.9 %) konnte dabei die bislang stickstoffreichste Chalcogen-Stickstoff
Verbindung zweifelsfrei synthetisiert und vollständig charakterisiert werden. So ist
37 von allen dargestellten Tellur(IV)triaziden in gängigen organischen Lösungsmitteln am
schwersten löslich, und explodiert in der Flamme am heftigsten.
Die Streckschwingungen der Azidgruppen in den Schwingungsspektren erscheinen für die
Tellur(IV)triazide im typischen Bereich von 2200摯瑬敳獩 2000 cm −1 . Ebenfalls sehr charakteristisch
sind die Te-N Streckschwingungen bei 430摯瑬敳獩 330 cm −1 .
Die chemischen Verschiebungen in den 125 Te NMR Spektren Tellur(IV)triatide RTe(N3)3
liegen in einem Bereich von δ = 1400摯瑬敳獩 1250 , während die Tellur(IV)diazide R2Te(N3)2 im
Bereich von δ = 1150摯瑬敳獩 800 erscheinen.
Von den Tellur(IV)triaziden C2H5Te(N3)3 (38), n-C3H7Te(N3)3 (39), i-C3H7Te(N3)3 (40) und
2,4,6-(CH3)3C6H2Te(N3)3 (42) konnten die Kristallstrukturen bestimmt werden. Sie sind,
abgesehen von dem ionischen [Te(N3)3][SbF6], die ersten Strukturen von neutralen
Tellur(IV)triaziden. Dabei kommt es auch hier zwischen den Telluratomen und den
Stickstoffatomen zu Sekundärbindungen, und es werden Ψ -pentagonal-bipyramidale
Geometrien beobachtet, welche zur Ausbildung von polymerartigen Kettenstrukturen führen.
C Zusammenfassung
Eine interessante Ausnahme bildet hierbei i-C3H7Te(N3)3 (40), bei dem dimere Einheiten
gebildet werden. Hier kommt es für die Telluratome zu einer Ψ -oktaedrischen Umgebung.
Te
C1
N4
N7
N1
Te(i)
N4(i)
N8 N9
N2
N3
N5
N6
C2
C3
Für alle denkbaren Methyltellur(IV)azide des Typs (CH3)4-nTe(N3)n, sowie Te(N3)4 wurden
die Totalenergien, die Nullpunktschwingungsenergien und die IR und Raman Intensitäten auf
Hybrid-DFT Niveau (MPW1PW91) berechnet. Ebenso wurden die Schwingungsspektren und
die Molekülstrukturen berechnet. Alle Rechnungen wurden mit Hilfe von Gaussian 98
durchgeführt. Verglichen mit den experimentellen Daten der Tellur(IV)diazide
(C6H5)2Te(N3)2 (35) und (C6F5)2Te(N3)2 (36), sowie dem Tellur(IV)triazid C2H5Te(N3)3 (38),
zeigen die für (CH3)2Te(N3)2 und CH3Te(N3)3 berechneten Strukturparameter eine recht gute
Übereinstimmung. Vergleicht man dagegen von (CH3)2Te(N3)2 (30) und CH3Te(N3)3 (37) die
berechneten mit den experimentell ermittelten IR- und Ramanschwingungen, erkennt man vor
allem bei den Schwingungen der Azidgruppen einen deutlichen Unterschied. Die
Abweichung der berechneten Schwingungsfrequenzen (IR und Raman) von den beobachteten
kann im wesentlichen darauf zurückgeführt werden, dass bei den quantenchemischen
Rechnungen stets ein harmonisches Potential angesetzt wurde, was – zumindest bei den
Streckschwingungen – im allgemeinen zu zu hohen berechneten Wellenzahlen führen sollte.
Die nicht exakte Berücksichtigung der Elektronenkorrelation sollte ebenfalls zu
Anweichungen zwischen berechneten und experimentellen Frequenzen führen. In der Regel
würde man bei Vernachlässigung der Korrelation (SCF-HF) wiederum für die
Streckschwingungen zu hohe berechnete Wellenzahlen erwarten. Allerdings scheinen die
DFT Austausch-Korrelations Funktionale oft die Elektronenkorrelation etwas zu
überschätzen. Aus diesem Grund wurden in der vorliegenden Arbeit auch Hybrid-Funktionale
verwendet, die eine Mischung aus HF-Austausch und DFT-Austausch-Korrelation
enthalten.
Darüber hinaus wurden die Rechnungen bei 0 K für isolierte Moleküle in der Gasphase
durchgeführt, was einerseits aufgrund von real auftretenden intermolekularen
Wechselwirkungen und Packungseffekten zu Abweichungen im Vergleich zu den am
Feststoff vorgenommen experimentellen Messungen (IR und Raman) führen sollte.
Andererseits darf auch nicht vergessen werden, dass sich die berechneten Strukturparameter
auf re (re = Gleichgewichtskernabstand, Minimum der Potentialkurve) beziehen, während bei
T > 0 K und einem anharmonischen Potential zumindest der thermisch gemittelte
internucleare Kernabstand rg verwendet werden sollte (re ≈rg – (3/2) a (lT)2 , wobei a der
Morseparameter ist und lT der quadratische Mittelwert der Vibrations-Amplitude.
Die Reaktivität von R2TeHal2 gegenüber weiteren Halogeniden/Pseudohalogeniden wurde
getestet. Dabei zeigten (CH3)3SiNCO und (CH3)3SiNSO mit R2TeHal2 keine Reaktion,
während im Gegensatz dazu (CH3)3SiNCS, (CH3)3SiI und ((CH3)3Si)2S mit R2TeHal2 unter
Bildung von (NCS)x, I2 bzw. S8 und Monotellurid R2Te reagieren. Bei der Reaktion von
R2TeF2 mit (CH3)3SiCN konnten erstmalig zwei Vertreter der Tellur(IV)dicyanide,
(CF3C6F4)2Te(CN)2 (45) und (C6F5)2Te(CN)2 (46), isoliert und charakterisiert werden. Diese
sind in Lösung sehr instabil und zerfallen in wenigen Stunden in das jeweilige Monotellurid
und wahrscheinlich Dicyan (CN)2. Die Tellur(IV)dicyanide können in den
Scwingungsspektren anhand der charakteristischen CN Streckschwingung identifiziert
werden. Aus der Lösung von 46 konnten nach längerem Stehen Kristalle gewonnen werden,
die sich jedoch als das bislang unbekannte Hydrolyseprodukt (C6F5)2TeO erwiesen.
Eine ungewöhnliche Reaktion hingegen liefern die Tellur(IV)dichloride R2TeCl2 und
Tellur(IV)dibromide R2TeBr2 (R = CF3C6F4, C6F5) in CHCl3 bzw. CHBr3 mit einem Überschuss AgCN. In einem bislang nicht aufgeklärten Mechanismus entstehen in
Abhängigkeit vom eingesetzten Lösungsmittel die Telluroniumhalogenide (C6F5)3TeCl (48),
(C6F5)3TeBr (49), (CF3C6F4)3TeCl (50) und (CF3C6F4)3TeBr (51).
Die Struktur dieser Verbindungen konnte eindeutig mit der Kristallstruktur von (C6F5)3TeCl
belegt werden. In dieser Struktur kommt es auch aufgrund intermolekularer Wechselwir-kungen
zwischen Tellur und Chlor zur Ausbildung einer polymerartigen Kettenstruktur.
R 2 TeHal2 + AgCN R 3 TeCl
R 3 TeBr
CHCl 3 /14 d/25 °C
CHBr3 /6 d/25 °C
// R2 Te(CN)2
R = C 6 F 5 (48, 49), CF 3 C 6 F 4 (50, 51)
Hal = Cl, Br
Zusätzlich konnte von Dicyclohexyltellurid (c-C6H11)2Te Temperaturabhängigkeit der 125 Te
und 13 C NMR Spektren festgestellt und im Detail studiert werden. Dabei zeigte sich, dass die
Temperaturabhängigkeit durch die Inversion der Cyclohexylringe verursacht wird. Die
zwischen −90 °C und +80 °C aufgenommen 125 Te NMR Spektren von (c-C6H11)2Te wurden
berechnet und konnten mit den experimentellen Daten in Übereinstimmung gebracht werden.
Ebenso konnten die Aktivierungsparameter für die Inversion bestimmt werden