Die vorliegende Arbeit befasste sich mit der Möglichkeit und den Strategien zur Herstellung
von Delayed Release-Systemen in Abhängigkeit von Wirkstoffeigenschaften.
Dabei diente das Prinzip eines durch Sprengmittelquellung verursachten Aufplatzens
des Filmüberzuges als Basis für eine zeitlich verzögerte Wirkstofffreisetzung von
Hydrocortison sowie von Aminophyllin.
Als Grundlage wurden Formulierungen für Tabletten, die einerseits eine hohe Stabilität
für den anschließenden Wirbelschichtprozess und andererseits eine rasche Freisetzung
des Wirkstoffes sicherstellen, untersucht. Außerdem wurden Pellets mit vergleichbaren
Freisetzungen hergestellt.
Ein besonderes Interesse galt der vergleichenden Untersuchung der Einflüsse verschiedener
Filmbildner auf die Verzögerung der Freisetzung von Hydrocortison als
hydrophobem Wirkstoff gegenüber dem hydrophilen Arzneistoff Aminophyllin aus
Tabletten.
Die Tabletten und Pellets wurden mit magensaftresistentem Filmbildner überzogen,
um die Freisetzung durch den pH-Wert zu steuern.
Ferner wurde der Einfluss von Viskosität und von lipophilen Zusätzen bei wässrig
aufgebrachten Hydrogelbildnern auf die Verzögerung der Freisetzung vergleichend
untersucht.
Weiterhin wurden vier wasserunlösliche Polymere untersucht, von denen zwei Cellulosederivate
darstellen und zwei aus der Gruppe der vollsynthetischen Polymethylmethacrylat-
Derivate stammen. Ferner wurden organische Filmlösungen und
wässrige Dispersionen, unterschiedliche Weichmacher und Porenbildner sowie Antiklebemittel
und der Einfluss thermischer Nachbehandlung miteinander verglichen.
Außerdem waren Freisetzungsuntersuchungen in unterschiedlichen Medien zum
Vergleich der unterschiedlichen Darreichungsformen in Hinblick auf eine abzuschätzende
in-vitro/in-vivo-Beziehung von Bedeutung. Wichtig war ferner die Lagerstabilität
der Freisetzungen und die chemische Stabilität der Wirkstoffe nach Lagerung bei
definierten Temperaturen über bis zu 2 Jahren.
Untersuchungen zur chronopharmakologischen Arzneistoffapplikation von Hydrocortisonhemisuccinat
mittels elektronischer Infusionspumpen wurden als weitere Möglichkeit
für eine verzögerte Freisetzung einbezogen.
Im wesentlichen ergaben sich folgende Befunde:
1. Für hohe Wirkstoffdosen mit schwer verpressbaren Substanzen stellt die
Formulierung einer Tablette, die eine große Härte aufweist und dennoch eine rasche
Freisetzung des Wirkstoffes gewährleistet, eine besondere Aufgabe dar.
Mit Mannit und Explotab® als Sprengmittel konnten Tabletten mit Aminophyllin
und ebenso auch mit Hydrocortison in niedriger Dosierung hergestellt werden.
Ferner wurde ein Einfluss des Sprengmittelanteils auf die Verzögerung der Freisetzung
von überzogenen Tabletten festgestellt.
2. Eudragit S100, ein Filmbildner, der sich bei einem Schwellen-pH-Wert von etwa
7,5 löst, ergab für Hydrocortisontabletten Überzüge, die nach Herstellung bei
sauren pH-Werten bis einschließlich pH 7,0 stabil waren, jedoch nach einer Lagerung
von 12 Monaten ihre Stabilität verloren. Gleiches galt für Hydrocortisonpellets,
die jedoch bereits nach kürzerer Lagerung instabil wurden. Als Ursache
konnte eine Verflüchtigung des Weichmachers nachgewiesen werden.
Mit dem hydrophilen basischen Aminophyllin war es nicht möglich, säureresistente
Tabletten, die über pH 6,0 stabil waren, herzustellen.
3. Bei der Herstellung von Überzügen spielt der Zeitaufwand eine entsprechende
Rolle. Für Überzüge mit hochviskosen quellenden Substanzen wird eine lange
Phase der Quellung und Lösung der Filmbildner für die Überzugszubereitung
sowie für den Wirbelschichtprozess benötigt. Durch Zusatz von lipophilen Stoffen
konnte sowohl die Prozesszeit verringert als auch die Verzögerung der Freisetzung
erhöht werden. Besonders wirtschaftlich ist die Verwendung von mittelviskoser
Methocel® K4M und 40 % Cetylalkohol. Die Überzüge sind für Hydrocortison
gut, für Aminophyllin wegen der Diffusion durch den Film ungeeignet. In verschiedenen
Freisetzungsmedien wurden stark unterschiedliche Verzögerungen
festgestellt. Eine sehr gute Lagerstabilität war gegeben.
4. Ethylcellulose ist sowohl als organische Lösung als auch als wässrige Dispersion
aufgetragen für Hydrocortison- und Aminophyllintabletten gleichermaßen geeignet.
Ein Porenbildneranteil von 10 % Hydroxypropylmethylcellulose K4M im
Filmüberzug ist für eine reproduzierbare Verzögerung von fünf Stunden ideal.
Polyethylenglykol als Porenbildner erwies sich als ungeeignet. Einsatz des
hydrophilen Weichmachers Triethylcitrat ergab nach Ermittlung einer geeigneten
Konzentration bei gleichen Schichtdicken längere Verzögerungszeiten als lipophiles
Acetyltributylcitrat. Dagegen war bei Verwendung von lipophilem
Weichmacher die Freisetzungsstabilität über zwei Jahre besser. Durch die
Schichtdicke konnte die Verzögerungszeit eingestellt werden. Ferner ist die Abhängigkeit
der Freisetzung vom Freisetzungsmedium sehr gering.
5. Mittels Hochdruckhomogenisation konnten wässrige Dispersionen mit Celluloseacetat
hergestellt werden, deren Teilchengröße mit im Handel befindlichen Dispersionen
anderer Polymere vergleichbar waren. Mit Triethylcitrat als Weichmacher
und Methocel® als Porenbildner eigneten diese sich für Hydrocortisontabletten
gut. Aminophyllin wurde hingegen durch Diffusion schon vor dem Aufplatzen
freigesetzt. Hohe Zeitunterschiede mit dem Faktor 3 wurden bei den Freisetzungsuntersuchungen
in verschiedenen Medien festgestellt. Bei Lagerung kam
es nach 12 Monaten zu einer Verlängerung der verzögerten Freisetzung.
6. Eudragit RS-Film ist mit 10 % Porenbildner Methocel® K4M für Hydrocortisontabletten
sehr gut geeignet. Mit kurzen Prozesszeiten und geringen Schichtdicken
wurden lange Verzögerungen der Freisetzung erreicht. Die Freisetzungszeiten
t60% variierten allerdings in verschiedenen Medien um den Faktor 2, wobei
diese nach Lagerung über 12 Monate stabil waren.
Aminophyllin dagegen interagiert als ionische Substanz mit dem ebenfalls ionischen
Filmbildner und wurde durch Diffusion durch die Filmmembran freigesetzt
und ist daher unter diesen Bedingungen für solche Überzüge ungeeignet.
7. Das Polymer Eudragit NE eignet sich in Kombination mit dem Porenbildner Methocel
® K4M gegenüber dem Porenbildner Polyethylenglykol 20.000 sehr gut für
die Befilmung von Hydrocortisontabletten, da bei kurzen Herstellungszeiten
lange Verzögerungszeiten eingestellt werden konnten. Jedoch verdoppelte sich die Verzögerungszeit in verschiedenen Freisetzungsmedien, während die Lagerstabilität
sehr gut war.
Für Aminophyllin ist Eudragit NE ungeeignet. Die Tabletten blähten sich im
Freisetzungsmedium auf und setzten den Wirkstoff durch Diffusion frei.
8. Ein wichtiges Kriterium für die Bewertung eines Filmbildners für ein Delayed Release-
System stellt die Robustheit der Freisetzungseigenschaften in verschiedenen
Freisetzungsmedien dar. Je unabhängiger von unterschiedlichen Ionenstärken
und pH-Werten die Freisetzung erfolgt, desto besser ist auch eine Übertragung
der in-vitro-Befunde auf in-vivo Bedingungen denkbar. Bei in-vivo Anwendung
müssen zu den in-vitro Bedingungen noch weitere Parameter berücksichtigt
werden wie die Motilität des Magen-Darm-Traktes sowie die Flüssigkeitsverhältnisse,
ferner Enzyme, Gallensalze und Nahrungseinfluss.
9. Die thermische Nachbehandlung zur beschleunigten Nachverfilmung ist zwar für
Aminophyllintabletten mit einer Gelbfärbung der Oberfläche verbunden, trägt jedoch
bei allen Filmbildnern zu einer Verlängerung und Stabilisierung der Verzögerungszeit
bei.
10. Die Wirkstoffe waren in allen Zubereitungen nach Lagerung von bis zu 24 Monaten
bei 20 °C und 30 °C stabil.
11. Wie die vorliegenden Untersuchungen zeigen, sind Freisetzungseigenschaften
von Wirkstoffen für Delayed Release-Systeme zur peroralen Anwendung in hohem
Masse insbesondere von den physikalischen Eigenschaften der Wirkstoffe
abhängig. Konstruktionen von Arzneiformen mit allgemeiner Anwendbarkeit sind
deshalb in der Regel Wunschvorstellungen.
12. Die chemische Stabilität von Hydrocortisonhemisuccinat erwies sich bei der Verwendung
in elektronischen Infusionspumpen als ausreichend. Auch die Dosierungsgenauigkeit
der untersuchten Pumpen wies nur geringe Standardabweichungen
auf. Eine Anwendung der Pumpen als Delayed Release-System für die
zeitverzögerte parenterale Applikation anderer wasserlöslicher und ausreichend
stabiler Arzneistoffe erscheint als möglich