Jung, Otto

Philipps-Universität Marburg Medizinische Fakultät (közread.)

German

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bei Jugendlichen und deren Behandlung.Auszugaus derInaugural-DissertationzurErlangung der Doktorwürdein derMedizin, Chirurgie und GeburtshilfederHohen medizinischen Fakultät der Universität Marburgvorgelegt vonO t t o  J u n gaus Dortmund i. W.Angenommen von der medizinischen Fakultät Marburg am 3. April 1920. Referent: Professor Dr. L a e w e n .M A R B U R GB uchdruckerei von J o h . H amel 1920,Nachstehende Abhandlung möchte ich an einen Fall von Unterlippencarcinom bei einem 25jährigen Manne an­lehnen, der im Herbst des Jahres 1919 in der Kranken­pflegeanstalt vom Roten Kreuz in Cassel behandelt worden ist.Die Vorgeschichte ist im allgemeinen ohne Belang; im Herbst 1917 will Pat. an der Unterlippe im linken Mund­winkel einen kleinen geröteten Punkt bemerkt haben.‘«.Im Felde hat er angeblich viel Pfeife geraucht, auch weiß er sich genau zu erinnern, die Pfeife immer im linken Mund­winkel getragen zu haben. Am 3. Oktober 1919 ließ er sich in der Krankenpflegeanstalt vom Roten Kreuz in Cassel zur Behandlung aufnehmen.Bei der Aufnahme findet sich an der Unterlippe dicht neben dem linken Mundwinkel ein nahezu kirschgroßer Tumor mit kraterförmiger Mitte und wallartig aufgeworfenen Rändern. Die Umgebung der Neubildung ist reaktionslos; Drüsenschwellungen am Halse können mit Sicherheit nicht nachgewiesen werden.Am 4. Oktober 1919 fand die Operation in Lokal- anaesthesie statt: Der Tumor wird durch einen keilförmigen Schnitt im gesunden Gewebe excidiert, wobei der äußere Schnitt bogenförmig geführt wird, sodaß lateral ein Stückchen Oberlippe und der linke Mundwinkel mit entfernt werden. Die Wangenschleimhaut wird sodann mit der äußeren Haut vernäht und so der Mundwinkel plastisch wiederhergestellt. Darauf werden die beiden Schnittflächen keilförmig vernäht.Erster Verbandwechsel fand am 29. Oktober 1919 statt: Die Schleimhautcatgutnähte sind zum Teil heraus­geeitert, im übrigen verläuft die Wundheilung reaktionslos.3Pathologisch-Anatomisches.Der Lippenkrebs ist ein Plattenepithelkrebs, der sich sowohl bezüglich seines Baues als auch bezüglich seines Wachstums als verschieden erweist. Harte und trockene Fälle wachsen verhältnismäßig langsam im Gegensatz zu den Carcinomen von teigiger Consistenz, wo das Wachstum bedeutend schneller vor sich geht. Auch bezüglich der Entstehung ist ein Unterschied zu machen zwischen der oberflächlich entstehenden Art, die sich in der Hauptsache peripher ausbreitet und starke Neigung zum Verhornen hat, und der in der Tiefe entstehenden Form, die sich dement­sprechend auch hauptsächlich in die Tiefe ausbreitet und sehr zum Ulcerieren neigt. Bei dieser letzten Art zeigt sich auch viel früher eine Infektion der regionären Lymphdrüsen.In seiner ersten Entwicklung, d. h. solange das Carcinom noch die Form einer Geschwulst beibehält, geht das Wachs­tum relativ langsam vor sich; ist es aber einmal zur G e­schwürbildung gekommen, so wächst die Neubildung be­deutend schneller und bleibt dann selten auf den primären Ort ihrer Entstehung beschränkt.Eine Untersuchung mehrerer Schnitte des vorliegenden Falles im Pathologischen Institut der Universität Marburg ergab folgendes Resultat:„Beginnendes Carcinom, bestehend ausZapfen epithelialer Zellen vom Bau der Epidermis. Die äußerste Schicht der Epidermis besteht aus Zellen vom Typ der Basalzellen; dann folgen nach innen Stachelzellen, die nach der Mitte der Zapfen zu in beginnende Verhornung übergehen. Starke kleinzellige Infiltration der Umgebung.Allgemeines.Nach Th. F rick e  (1) sind größere Ausdehnung und längere Dauer als prognostisch ungünstig anzusprechen. Dies- trifft in der Mehrzahl der Fälle zu, jedoch stehen Dauer der Erkrankung und Ausdehnung derselben nicht4immer in demselben Verhältnis zueinander. Große Aus­dehnung des Lippencarcinoms ist kein prognostisch un­günstiges Zeichen, jedoch spielt das Alter in diesen Fällen eine wichtige Rolle; gerade bei Jugendlichen ist erhebliche flächenhafte Ausbreitung von übler Vorbedeutung. Auffallend raches Wachstum ist in jedem Lebensalter als prognostisch ungünstig anzusehen.In der Mehrzahl der Fälle wird das männliche Ge­schlecht vom Lippencarcinom befallen; das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist 9:1. L o o s (2) hat eine Gesamtstatistik der v. B ru n s ’schen Klinik herausgegeben und zählt auf 534 Lippenkrebskranke 67 Frauen, d. h. 12,6°/o. Etwa in demselben Verhältnis steht die Unterlippe zur Oberlippe. An der Unterlippe besteht keine Prädilektions­stelle, während an der Oberlippe das Carcinom in der weitaus größten Mehrzahl der Fälle die Mitte bevorzugt.Was das Alter anbelangt, so tritt das Lippencarcinom am häufigsten zwischen dem 50. und 60. Lebensjahre auf, zuweilen kommt es auch bereits vor dem 40. Lebensjahre vor und es gibt sogar Fälle, wenn auch ganz vereinzelt, in denen die carlinomatöse Neubildung vor dem 30. Lebens­jahre auftritt. Der hier vorliegende Fall ist also einer der seltenen Fälle, in denen das Carcinom bereits in der Jugend auftritt, beträgt doch das Alter des Patienten erst 25 Jahre.Bezüglich der Entstehungsursache ist zweifellos eine örtliche Disposition erforderlich. Ständiges Rauchen be­günstigt die Entwicklung des Krebses und zwar entsteht derselbe dann als Folge von chronischer Reizung der Schleimhaut durch Produkte der unvollständigen Ver­brennung; auch im vorliegenden Falle ist die Entstehung des Krebses mit größter Wahrscheinlichkeit der letzterwähnten Ursache zuzuschreiben, zumal Patient ständig Pfeife geraucht hat und sich auch genau zu erinnern weiß, die Pfeife immfer im linken Mundwinkel getragen zu haben, und genau an dieser Stelle hat sich auch die Neubildung entwickelt. Weitere Ursachen für die Entstehung des Lippencarcinomssind Verletzungen oder mangelhafte Haut- und Mundpflege. Auch ein im Gefolge einer anderen Krankheit entstandener Herpes labialis oder eine Psoriasis können die Entstehung des Krebses begünstigen. Ferner können gutartige G e ­schwülste, z. B. Warzen, oder auch Narben, krebsig entarten. Endlich kommt noch neben dieser lokalen Disposition die allgemeine Disposition in Betracht, die man unter dem Be­griffe der Vererbung, der krebsigen Constitution zusammen­fassen kann.Behandlungsarten.In früherer Zeit hat man die mannigfachsten Mittel angewandt, um die von Lippenkrebs Befallenen von dieser Krankheit zu befreien. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurden zwei Salben bekannt gegeben (3), die „schwarze Salbe“ bestehend aus Teer, Roggenmehl und dem Pulver der Goldwurzel, und die „rote Salbe“ , bestehend aus un­gesalzener frischer Butter, roten Ton, Gold- und Enzian­wurzel, gelbem Wachs, Froschlaichpflaster und weißem Vitriol. Von Erfolg scheint diese Salbenbehandlung jedoch auch nicht gewesen zu sein, denn am Schluß der Abhandlung mißt der Autor doch der Operation die größte Be­deutung bei. Im Jahre 1839 trat ein französischer Arzt Dr. C a n q u o i n ,  mit einem neuen Mittel in der Behandlung des Lippenkrebses an die Oeffentlichkeit, und zwar mit dem Zinkchlorür. Er glaubte hiermit ein Mittel gefunden zu haben, das seine Wirkung auch auf die tiefer gelegenen Teile der Krebsgeschwulst auszudehnen vermochte und doch nicht die Vergiftungserscheinungen hervorrief, wie die bis dahin angewandten Arsenpräparate. Jedoch auch hier blieben die Erfolge aus. Später hat man Chlorzinkinjektionen und die Elektrolyse versucht, ist jedoch auch hiermit zu einem befriedigenden Resultat nicht gekommen. Dann ist man zur Radiotherapie übergegangen. Wenn auch keine direkten Heilungen zu verzeichnen sind, da nach einer ge­wissen Zeit der Besserung Recidive auftreten, so liegt doch■  5 -6die Bedeutung der Radiotherapie darin, daß dem Patienten doch eine, wenn auch nur vorübergehende, Erleichterung geschaffen wird. In Fällen, in denen auf die Operation ein Recidiv folgte, hat man ferner die Fulguration zu Hilfe ge­zogen, bei welcher eine mit hochgespannten elektrischen Strömen gespeiste Elektrode lange Glitzfunkenbüschel in das Geschwür entsendet. Diese Fulguration in Verbindung mit der Auskratzung bildet ein sehr gutes Mittel, um ein jauchendes, schmerzhaftes Krebsgeschwür in eine schmerz­lose gut granulierende Wunde umzuwandeln. Bei flachen Gesichtskrebsen, also auch bei der oberflächlichen Form des Lippenkrebses, kann sie sogar noch Dauerheilungen herbeiführen, selbst wenn nach Operationen mehrfach Recidive aufgetreten sind.Nach vielen Versuchen ist man dann jedoch zu der Ueberzeugung gekommen, daß in jedem Falle, solange das Leiden lokal ist, die Operation als einzigste Behandlungsart zu wählen ist, und zwar führt man — natürlich nur bei wenig ausgebildeten Primärtumoren — die Keilexcision aus. Neben dieser Operation kann auch der Muldenschnitt in Frage kommen, der gleichzeitig eine Ausräumung der regionären Lymphdrüsen ermöglicht. Ueberhaupt ist die Ausräumung der Lymphdrüsen eine Forderung, die wohl in den letzten 30 Jahren von der weitaus größten Mehrzahl der Chirurgen anerkannt wird. Diese Forderung stützt sich in der Hauptsache auf die Untersuchungen K ü t t n e r s  (4) Anfang der 90 er Jahre über das Fortschreiten des Zungen- und Cesichtskrebses in die Lymphbahnen und Lymphdrüsen. Er hat nachgewiesen, daß die Lymphgefäße der Zunge und der zugehörigen Gebiete, also auch der Lippen, untereinander in Verbindung stehen, woraus natürlich der weitere Schluß gezogen werden muß, daß, wenn überhaupt einmal eine Infektion der Lymphbahnen oder einer Lymphdrüse mit Krebszellen stattgefunden hat, diese auch nach der anderen Hals- und Körperseite verschleppt werden können. Deshalb forderte H e i d e n h a i n  (5) und später T e s k e ( 6 ) ,  J a n o w s -7k y (7), S t a h r  (8) und S t i e d a  (9) unter allen Umständen in jedem einzelnen Falle gründliche Ausräumung der beider­seitigen Halslymphdrüsen. Später hat dann Prof. W ö l f l e r  (10) die Visierlappenplastik eingeführt, eine Operation, welche sowohl zweifellos eine sehr gute Uebersicht über die Drüsen­gebiete gestattet, als auch vor allem deshalb bei allen ge­eigneten Fällen auszuführen ist, weil es mit ihrer Hilfe leicht ist, einen Ersatz für große Unterlippendefekte zu schaffen. Sie ist deshalb besonders dann auszuführen, wenn die Neubildung mehr als die Hälfte der Lippe ergriffen hat.Heilungsergebnisse.Durch die chirurgische Behandlung des Lippencarcinoms sind die Heilungsergebnisse durchaus befriedigend. Aus einer Statistik der Budapester Klinik über die Jahre 1900 bis 1909 (11) möchte ich 90 Fälle anführen, die in den ersten 7 Jahren dieses Zeitraumes operiert wurden, zumal es der Klinik gelungen ist, das weitere Schicksal von 74 Patienten, d. h. 82 Prozent zu erfahren. Daß die Freilegung der beiderseitigen Halsregionen bei strenger Asepsis mit keiner unmittelbaren Lebensgefahr verbunden ist, geht schon daraus hervor, daß ein Todesfall während der Radical- operationen, die sämtlich mit Ausräumung der beiderseitigen Halslymphdrüsen ausgeführt wurden, nicht zu verzeichnen war. Von den oben erwähnten 74 Fällen wurde in 46 Fällen eine Recidivfreiheit von mehr als drei Jahren erreicht. 43 Kranke lebten 1909 noch und waren vollkommen arbeits­fähig; in diesen 43 Fällen betrug die seit der Operation verstrichene Zeit:10 Jahre in 3 Fällen9 „ „ 5  „8 V* „ ,, 3 ,8 » » 47 Vs „ „ 57 „ » 2 „6 Vs „ „ 38Man ersieht aus dieser Zusammenstellung, daß der recidivfreie Zeitraum in 35 von 43 Fällen mehr als 5 Jahre betrug.Zum Schluß möchte ich noch mit einigen Worten auf den recidivierten Lippenkrebs eingehen, und zwar an Hand von 28 innerhalb des Zeitraumes von 7 Jahren operierten Fällen der Budapester Klinik (11). Hinsichtlich des Alters verhielten sich die Fälle folgendermaßen:im Alter von 31—35 Jahren 1 Fall- » f f f f 36— 40 f f 2 Fällea f f f f 41—45 f f 2 f fff f f f f 46—50 )) 6 f fff )) f f 51—55 f f 4 f fff f f f f 56—60 f f 5 f fff f f f f 61—70 f f 6 f ff f f f ■ f f 71—75 f f 1 Fallf f f f f f 76—80 f f 1 f fDas Häufigkeitsmaximum liegt also zwischen dem 46. und 65. Lebensjahre, was einem Procentsatze von 75 °/o entspricht.Von den 28 operierten Fällen von recidivem Lippen­krebs war das Schicksal von 25 bekannt; von diesen lebten 4 recidivfrei, während in 21 Fällen das Fortschreiten des Krebses den Tod zur Folge hatte. Der Tod trat in der weitaus größten Mehrzahl der Fälle innerhalb des ersten Jahres nach erfolgter Operation ein.6 Jahre in 3 Fällen5 lh „ „ 7 „S 24'/2 „ ,, 34 3Literatur.1. F r i c k e :  Beiträge zur Statistik des Lippenkrebses (rez. DeutscheZeitschrift für Chirurgie Bd. L, 1899).2. L o o s :  Zur Statistik des Lippenkrebses (rez. Beitrag zur klinischenChirurgie, Bd. 27).3. B e r c h e l m a n n :  Sammlung merkwürdiger Abhandlungen vomKrebs, worinnen die Ursachen desselben untersucht und zwei bisher geheim gehaltene Mittel zu dessen Heilung bekannt gemacht werden, 1764.4. K ü t t n e r :  Ueber Lymphgefäße und Lymphdrüsen der Zunge mitBeziehung auf die Verbreitung des Zungenkrebses (rez. v. Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie Bd. X X L  1898.)5. H e i d e n h a i n :  Ueber Ursachen der lokalen Krebsrecidive (rez.Archiv für klinische Chirurgie 1889.)6. T e s k e :  Zur Casuistik des Lippencarcinoms (rez. HildebrandsJahresberichte, 1892.)7. J a n o w s k y :  Zur Frage des Lippenkrebses (rez. v. LangenbecksArchiv für klinische Chirurgie, Bd. 65, 1902.)8. S t a h r :  Die Zähl und Lage der submaxillaren und submentalenLymphdrüsen vom topographischen und allgemein anatomischen Standpunkt (rez Archiv für Anatomie u. Entwicklungsgesetz, 1898.)9. S t i e d a : Drüsenexstirpation bei Unterlippenkrebs (rez Central­blatt für Chirurgie, 1902.)10. E b e l :  Zur Statistik des Carcinoms der Unterlippe, aus der PragerKlinik Prof. v. Wölfler (rez. v. Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie Bd. X L, 1903.)11. S t e i n e r :  Beiträge zur chirurgischen Behandlung des Lippenkrebses(rez. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, 1909.)_______________________________

Ueber Lippencarcinome bei Jugendlichen und deren Behandlung

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