thesis

Voraussetzungen, Implementierung und Evaluation einer Öffentlichkeitskampagne zur Früherkennung schizophrener Psychosen.

Abstract

Die Aufnahme von Früherkennungs- und Frühbehandlungszentren in die psychiatrische Versorgung verspricht, Menschen mit einem erhöhten Psychoserisiko frühzeitig zu erkennen und durch eine präventive Behandlung den Ausbruch der Erkrankung zu verhindern oder zumindest den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen zu können. Eine solche indizierte Prävention kann nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, potentielle Risikopersonen zur Kontaktaufnahme mit einem dieser spezialisierten Früherkennungszentren zu bewegen. Daher wurden in der vorliegenden Arbeit die Voraussetzungen für eine Öffentlichkeitskampagne zur Früherkennung analysiert, eine Kampagne implementiert und evaluiert. Die Voraussetzungen wurden anhand der retrospektiven Analyse der Dauer der unbehandelten Psychose und Erkrankung sowie der Wege in adäquate Behandlung von 80 erstmalig stationär aufgenommenen schizophrenen Patienten in der Kölner Region erhoben. Dabei ergab sich eine Dauer der unbehandelten Psychose von 75 Wochen und Dauer der unbehandelten Erkrankung von 5,4 Jahren. Diese Ergebnisse können als gelungene Replikation der Mannheimer ABC-Studie angesehen werden. Die im internationalen Vergleich sehr lange Dauer der unbehandelten Erkrankung lässt sich einerseits auf die methodisch detaillierte Erfassung mittels des "Early Recognition Inventory based on the Interview for the Retrospective Assessment of the Onset of Schizophrenia" zurückführen. Andererseits stellen die Zeiträume durch die Operationalisierung des Erkrankungsbeginns mittels des ersten unspezifischen Symptoms und der Operationalisierung der adäquaten Behandlung mittels der ersten stationären Aufnahme eine Überschätzung dar. Die Patienten suchten durchschnittlich erst 4,2 Jahre nach Beginn der Erkrankung ein Hilfsangebot auf. Dabei unterschieden sich die Patienten nicht in Abhängigkeit davon, welches Hilfsangebot sie zunächst aufsuchten. Patienten, die sich zuerst an eine Krankenhausambulanz oder die Polizei wandten, gelangten hoch signifikant schneller in stationäre Behandlung. Diese Patienten wiesen auch tendenziell mehr Positivsymptome auf. Patienten, die sich an einen Psychiater oder Psychotherapeuten wandten, erhielten dort signifikant häufiger eine medikamentöse Behandlung. Die durchgeführte dreijährige Öffentlichkeitskampagne richtete sich an die Dialoggruppen der Träger der Psychiatrischen und Primären Versorgung, an Angehörige schizophren Erkrankter sowie an Schulen, Fachhochschulen, Universitäten und die interessierte Öffentlichkeit. Neben der Vermittlung von Frühwarnzeichen und Risikofaktoren schizophrener Psychosen beinhaltete die Botschaft die Möglichkeiten einer präventiven Behandlung sowie ein positives Image des Früherkennungszentrums. Die Stichprobe zur Evaluation der Kampagne setzte sich aus 121 Patienten zusammen, die sich in einem Drei-Jahres-Zeitraum in vier Früherkennungszentren vorstellten und dort die Kriterien eines psychosefernen oder psychosenahen Prodroms erfüllten. Dabei erfolgte der Vergleich hinsichtlich der Dauer des unbehandelten Prodroms zwischen den Zentren mit und ohne systematischer Öffentlichkeitskampagne und über den Dreijahreszeitraum hinweg. In den Versuchsregionen konnten signifikant mehr Prodromalpatienten identifiziert werden. Es konnte ein schwacher Effekt für die Versuchsregionen hinsichtlich der Verkürzung der Dauer des unbehandelten Prodroms nachgewiesen werden, für den sich jedoch aufgrund der geringen Stichprobengröße keine Signifikanz ergab. Diese Befunde belegen, dass es positive Effekte gibt, die jedoch, um nachhaltig zu wirken, eine langfristige, mehrjährige Kampagne benötigen. Allerdings wurde deutlich, dass eine Kampagne zur Früherkennung nach dem heutigen Wissenstand nur ethisch vertreten werden kann, wenn sich diese der mangelhaften empirischen Basis einer Früherkennung und Frühbehandlung bewusst ist. Insofern sollte sich eine Kampagne zur Früherkennung im Prodromalstadium einer Psychose zunächst auf die Dialoggruppen der psychosozialen Versorgung beschränken und aussagekräftige Studien zur Prädiktion und zur Frühbehandlung schizophrener Psychosen abwarten, damit die Anzahl an "falsch Positiven" und somit an möglichen ungünstigen Einflüssen durch Nebenwirkungen und Stigmatisierung minimiert werden kann. Anderes gilt für die unbehandelte psychotische Vorphase. Eine flächendeckende Kampagne ist möglich, da hier bereits mit dem Wissen zur Behandlung schizophrener Ersterkrankter umfangreiche und gesicherte Ergebnisse zur Erkennung und Behandlung vorliegen

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