»Warum erweisen sich alle außergewöhnlichen Männer in Philosophie oder Politik oder Dichtung oder in den Künsten als Melancholiker?« So beginnen die pseudo aristotelischen Problemata Physica XXX,1. Die Frage form enthält schon die Behauptung, die seit mehr als zwei Jahrtausenden in der abendländischen Tradition scheinbar ungebrochen wiederholt wird und deren vermeintlich kontinuierliche Wirkmacht als bestens er forscht gilt. Analysiert man die Genealogie, Medialität und Dynamik dieses Denkbilds vom melancholischen Grund des Schöpferischen jedoch aus morphomatischer Sicht, so ergeben sich bisher kaum beantwortete Fra gen: Warum verblasste diese so eindrücklich gestaltete Vorstellung von der Schöpferkraft der Melancholie sofort wieder, und was bewirkte ihre triumphale Wiederkehr in der Renaissance? Wie verhielt es sich mit der tatsäch lichen Wirkmacht von Dürers Melencolia I, in Literatur, Bildender Kunst und Philosophie, bevor dieser Kupfer stich von den Kunsthistorikern Fritz Saxl und Erwin Panofsky besprochen wurde? Im Abendland wird die Melancholie seit der Renaissance als Genieausweis gehandelt – wie jedoch sieht es in anderen Kulturtradi tionen aus? Hat die Melancholie des Schöpferischen ›Schwestern‹ in anderen Weltkulturen? Welche Artefakte, Theorien und Praktiken bezeugen dies?
Die Autoren des vorliegenden Bandes gehen diesen und weiteren Fragen in ihren Beiträgen nach, die zu einem Großteil aus Fallstudien bestehen. Sie verhandeln zum einen Hauptmanifestationen der Vorstellung melancho lischen Schöpfertums in Europa und setzen zum anderen einen ebenso wichtigen Akzent auf den asiatischen Raum