research

Trends in risk taking and risk reduction among German MSM: Results of follow-up surveys Gay men and AIDS 1991 - 2007

Abstract

Objectives: To calculate estimates for group level trends among German men who have sex with men (MSM) regarding parameters related to HIV epidemiology: frequency of anal intercourse, consistency in condom use, risk-taking, numbers of sex partners, incident bacterial STIs, and HIV-testing behaviour. Methods: Data derived from six large cross-sectional national follow-up surveys among MSM, conducted between 1991 and 2007. Questionnaires were circulated with German magazines for gay men; in 2003/2007, online recruitment was added. 23,878 anonymously self-administered questionnaires were analyzed in multiple regression models for five subgroups. Results: With the normalization of AIDS, restriction of anal intercourse to primary partnerships has lost its relevance as a risk avoidance strategy for MSM. Other traditional risk reduction strategies among MSM in Germany showed a high degree of time stability: Between 1991 and 2007, condom use in anal intercourse has been relatively stable; numbers of sex partners have been rather constant. No positive trends in the use of Nitrite inhalants were seen, party drugs were increasingly used by a minority of gay men during the 1990s. The syphilis epidemic seen after 1999 among German gay men is well reflected in the survey data. No evidence was found for a concurrent rise in urethral gonorrhoea. The proportion of MSM with a recent HIV test has been continuously increasing. Conclusions: We found no evidence for increasing 'carelessness' or 'prevention fatigue'. However, given the increasing proportions of MSM who frequently engage in anal intercourse with casual partners, a rise in HIV incidence is likely; especially if accompanied by a syphilis epidemic. Time trend analyses of these large behavioural follow-up surveys suggest that the rise in new HIV diagnoses among MSM in Germany may partially reflect an increased uptake of HIVtesting, rather than new infections due to the erosion of condom use or increased numbers of sex partners. -- Hintergrund: In vielen europäischen Ländern hat die Zahl der HIV-Neudiagnosen in den letzten Jahren zugenommen. In Deutschland konnte ein solcher Trend beobachtet werden für die Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Während die Zahl der HIV-Neudiagnosen, die vom Robert-Koch-Institut ausgewiesen wird, sich in den Jahren 1993 bis 2000 bei etwa 700 Fällen jährlich bewegte, stieg diese Zahl auf 1.540 im Jahr 2007. Häufig werden die steigenden HIV-Neudiagnosen in dieser Gruppe mit einer zunehmenden Sorglosigkeit erklärt, die zu einer Abnahme der Kondomverwendung beim Analverkehr führe. Empirische Daten für eine solche Deutung lagen jedoch bislang nicht vor. Tatsächlich ist weitgehend unklar, ob und in welchem Ausmaß die Zunahme der HIVNeudiagnosen auf einer Änderung des Testverhaltens in dieser Gruppe beruht (wie es beispielsweise für Großbritannien gezeigt werden konnte), oder ob sich immer mehr schwule und bisexuelle Männer mit HIV infiziert haben. Dieser Bericht stellt die deutschsprachige Kurzfassung einer derzeit zur Publikation eingereichten umfassenderen Analyse dar. Methodik: Seit 1991 werden in Deutschland im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung alle zwei bis drei Jahre Querschnitterhebungen bei schwulen und bisexuellen Männern durchgeführt. In einer sekundären Datenauswertung dienten diese sechs Studien als empirische Grundlage, um Verhaltenstrends bei MSM in Deutschland zu beschreiben. Verwendet wurden Daten aus vier Printbogen-Erhebungen (1991, 1993, 1996, 1999) sowie aus zwei Befragungen, für die Teilnehmer zusätzlich über das Internet gewonnen wurden (2003, 2007). Insgesamt wurden 23.878 anonym und selbst auszufüllende Fragebögen mithilfe multivariater logistischer Regressionsanalysen ausgewertet; aufgrund der zwei verschiedenen Erhebungsmethoden getrennt für die Zeiträume 1991 bis 1999 und 2003 bis 2007. Dabei wurden jährliche Odds Ratios berechnet, die - kontrolliert für Alter, Bildung, Wohnortgröße und sexuelle Selbstbezeichnung - als Schätzer für zeitliche Trends verwendet werden können. Für den Zeitraum 2003 bis 2007 wurde zusätzlich für die Erhebungsmethode (online vs. offline) kontrolliert. Zur weiteren Minimierung von Sampling-Effekten wurden diese Trendanalysen nicht für das Gesamtsample, sondern für jeweils fünf Untergruppen durchgeführt: Zum einen wurde nach Alter und HIV-Serostatus stratifiziert: Nicht-positive 15- bis 24-Jährige, nicht-positive 25- bis 59- Jährige, positive 25- bis 59-Jährige. Zum anderen wurden zusätzlich MSM betrachtet, die mehr als zehn Sexpartner pro Jahr angeben und gleichzeitig mehrmals pro Monat schwule Saunen, Pornokinos, Sexclubs (Orte mit potentiell hoher Fluktuation der Sexualpartner) besuchen und somit unter epidemiologischen Gesichtspunkten als Kerngruppen für die Ausbreitung sexuell übertragbarer Infektionen gelten können; sowie 25- bis 59-jährige MSM, die nicht oder nur selten schwule Szene-Orte (einschließlich schwuler Cafés etc.) aufsuchen und daher als szenefern bezeichnet werden. Ergebnisse: Einhergehend mit der Normalisierung von AIDS - Martin Dannecker spricht im Zusammenhang mit der Einführung nachhaltig wirksamer antiretroviraler Medikamente auch vom Neuen AIDS - hat eine früher bedeutsame Risikovermeidungsstrategie schwuler und bisexueller Männer in Deutschland kaum noch eine Relevanz: die Beschränkung des Analverkehrs auf feste Partnerschaften. In allen Untergruppen ließen sich in beiden Zeiträumen signifikante jährliche Steigerungsraten derjenigen finden, die auch mit anderen Männern als dem festen Partner häufig oder regelmäßig Analverkehr praktizierten. Weniger stark ausgeprägt, aber ebenso durchgängig, war die Zunahme des häufigen oder regelmäßigen Analverkehrs mit dem festen Partner. Andere Risikominderungsstrategien bei MSM in Deutschland zeigten eine hohe Zeitstabilität: Nach 2003 konnte in keiner Untergruppe eine Zunahme der Männer mit nicht-durchgängigem 4 Kondomgebrauch festgestellt werden, bis 1999 erfolgte ein solcher Anstieg lediglich in den Kerngruppen und bei szenefernen MSM. Entsprechendes gilt für die Anteile derer, die über Episoden ungeschützten Analverkehrs mit Sexpartnern berichteten, deren HIV-Serostatus ihnen unbekannt (oder diskordant) war. Für keine Untergruppe ließ sich eine Zunahme des Anteils derer beobachten, die Kondome als störend beim Sex empfinden. Umgekehrt stieg der Anteil derer, die Kondome als nicht-störend beim Sex betrachten, in den meisten Untergruppen deutlich an - außer in Kerngruppen und bei HIV-Positiven. Die beschriebene Zunahme des Analverkehrs innerhalb und außerhalb fester Partnerschaften wurde nicht von einer entsprechenden Zunahme des Gebrauchs inhalativer Nitrate (Poppers) begleitet, obwohl diese bei einem erheblichen Anteil schwuler und bisexueller Männer beim Analverkehr verwendet wurden. Zwischen 1996 und 1999 ließ sich eine leichte Zunahme des Gebrauchs von Partydrogen (Ecstasy, Speed/Amphetamine/Crystal, LSD/Ketamin, Kokain) beobachten; dieser Trend war jedoch nicht in allen Untergruppen vorhanden bzw. nach 2003 wieder rückläufig. Die Zahl der Sexualpartner bei MSM in Deutschland blieb zwischen 1991 und 2007 eher stabil. Mitte der 1990er Jahre nahm der Anteil derer, die für die vorangegangen zwölf Monate mehr als zehn bzw. mehr als zwanzig Sexualpartner angeben, leicht zu, um zwischen 2003 und 2007 wieder zu sinken. Dabei ist hervorzuheben, dass der Anstieg in die Zeit vor der Verbreitung des Internets fiel und somit nicht auf online-dating zurückzuführen ist, sondern - ähnlich der Zunahme des Analverkehrs - eher auf die Normalisierung von AIDS verweist, möglicherweise auch auf eine gewisse Re-Normalisierung schwuler Sexualität. Für die Validität der hier gezeigten Trendanalysen spricht, dass die Syphilis-Epidemie bei schwulen Männern, die vor allem in den deutschen Metropolen nach 1999 stattfand, sich in den vorliegenden Survey-Daten widerspiegelt. Erhebliche Anstiege fanden sich in allen Untergruppen zwischen 2003 und 2007 (in den Kerngruppen hat dieser Anstieg vermutlich bereits vorher stattgefunden und war nach 2003 daher nicht mehr als Steigerung sichtbar). Kein entsprechender Anstieg ließ sich für die urethrale Gonorrhö feststellen, obgleich aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades des Trippers und der Seltenheit asymptomatischer Verläufe kaum von einer Untererfassung auszugehen ist. In allen untersuchten Untergruppen konnten signifikante Zunahmen kürzlich durchgeführter HIV-Tests festgestellt werden, die sich in all diesen Gruppen auch nach 2003 nicht nur fortsetzen, sondern weiter verstärken. Besonders ausgeprägt war dies bei Kerngruppen (Zunahme der Testfrequenz) sowie bei unter 25-jährigen und szenefernen MSM (Ausweitung des Testens). Es zeigte sich somit auch bei MSM in Deutschland ein breiter und fortgesetzter Anstieg des HIV-Testverhaltens. Schlussfolgerungen: Wir fanden keine Hinweise für zunehmende Sorglosigkeit, Präventions- oder Kondommüdigkeit bei MSM in Deutschland. In Anbetracht der fortgesetzten deutlichen Zunahme der Frequenz anal-genitaler Kontakte, insbesondere mit nicht-festen und daher häufig weniger gut bekannten Sexualpartnern, muss auch bei relativ konstanter Kondomverwendung von einer Zunahme der HIV-Inzidenz ausgegangen werden, die jedoch nicht wesentlich auf eine Erosion des Kondomgebrauchs zurückzuführen ist. Vielmehr wird durch den zusätzlichen Einbruch einer Syphilisepidemie in eine ohnehin für STI vulnerable Population die pro-Kontakt-Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung zusätzlich erhöht. Die hier vorgestellten zeitlichen Trendanalysen, die auf großen bundesweit erhobenen empirischen Verhaltensdatensätzen basieren, zeigen jedoch ebenfalls, dass der Anstieg der HIVNeudiagnosen bei MSM in Deutschland zu einem nicht unerheblichen Anteil auch eine Ausweitung des Testverhaltens widerspiegeln: Sowohl ein vermehrtes Testen bei MSM, die bei sexuellen Kontakten vergleichsweise hohe Risiken eingehen, als auch eine Ausweitung des Testens bei denen, die wenig Kontakt zur schwulen Szene haben.

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