'Research Centre for East European Studies at the University of Bremen'
Abstract
Millionen von Displaced Persons (DPs) aus etwa 20 Nationen befanden sich nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 auf dem Territorium des ehemaligen Deutschen Reiches und in den vormals von den Deutschen okkupierten Gebieten. Die Rückführung dieser durch die Deportationspolitik der Nationalsozialisten und den Krieg entwurzelten Menschen in ihre Heimatstaaten bzw. ihre Ansiedlung in Drittländern gehörte zu den dringendsten Aufgaben der alliierten östlichen und westlichen Befreiungsmächte nach dem Ende der Kriegshandlungen. In diesem Zusammenhang beleuchtet die Studie die Migrationsgeschichte der russischen Displaced Persons im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg. Dabei fokussiert die Untersuchung auf die individuellen und gruppenspezifischen Beweggründe einer relativ kleinen Zahl von DPs, die sich weigerten, in die Sowjetunion zurückzukehren. Dementsprechend basieren die Ausführungen auf den Lebensgeschichten interviewter ehemaliger DPs und auf meist autobiografischen Publikationen der 1950er und 1960er Jahre. Den Ausgangspunkt der Arbeit bildet die Frage nach den Möglichkeiten der DPs, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, die 'von oben' über sie getroffen wurden, und danach, ob und inwieweit sie als Akteure selbstbestimmt in Erscheinung treten konnten. Die Beantwortung gliedert sich in folgende Punkte: (1) Das Verhältnis von Migration und 'displacement'-Genese der russischen DPs, (2) Motivationen von Repatriierungsgegnern, (3) Entwicklung von Verweigerungsstrategien, (4) russische DP-Strukturen in Form von sozialen Netzwerken und ethnischer Identität, (5) das Lager als Lebensform sowie (6) das Auswanderungsverfahren der russischen DPs. Die Untersuchung stützt die These, nach der die Handlungsräume der DPs durch den Organisationsapparat der alliierten Besatzungsmächte zwar eingeschränkt waren, bewusstes Handeln jedoch möglich gewesen ist. Für die russischen DPs wird gezeigt, dass nicht jede Eigeninitiative auf die Befriedigung des Unmittelbaren gerichtet war, sondern dass im Verhalten der DPs Prozesse einer bewussten Entscheidungsbildung zum Ausdruck kamen. Auch haben sie sich nicht kampflos einer übermächtigen Verwaltungsmaschinerie überlassen. (ICG2