Der Autor diskutiert in seinem Beitrag kritisch die These von der "Feudalisierung" des deutschen Großbürgertums. Er zieht dazu Materialien aus dem DZA Merseburg und neuere Sekundärliteratur heran. Kaelble bespricht neuere quantitative Arbeiten zur Sozialgeschichte deutscher Unternehmer zwischen 1870 und 1914, zieht anschließend einen Vergleich zu Unternehmern in England und Frankreich und diskutiert abschließend das Konzept der Feudalisierungsthese. Er behauptet, daß die historische Wirklichkeit "mehr schlecht als recht" zur These der besonders starken bürgerlichen Adelsimitation und Verflechtung mit der Aristokratie in Deutschland paßt. Kaelble geht daher noch einmal kritisch auf die Indikatoren ein, mit denen bürgerliche Adelsimitation und -verflechtung untersucht wurden, und schlägt ein alternatives Konzept vor, in dem er besonders auf die Bedeutung der Entstehung von Großunternehmen verweist, die die Verflechtung der Unternehmer mit dem Bürgertum gelockert habe. Er fordert zudem, dem Wandel der sozialen Distinktion des Großbürgertums und dessen Disziplinierung durch den Staat künftig mehr Aufmerksamkeit zu schenken. "Eine solche Sozialgeschichte der Unternehmern (...) könnte (...) auch besser erklären, warum das Bündnis zwischen Junkertum und Großindustrie in Deutschland so hoch ideologisiert war, so hochgradig organisiert sein mußte (...), die politische Demokratisierung so massiv behinderte, warum es von starken inneren Widersprüchen und zeitweise von Krisen geprägt wurde und (...) warum es mit den Kriegszielen in eine Aggressivität nach außen flüchtete. Gerade das Fehlen breiter bürgerlicher Imitation eines aristokratischen Modells und die schwachen Verflechtungen zwischen Großbürgertum und Aristokratie in Deutschland können eine wichtige Voraussetzung dafür gewesen sein." (STR