"In einer - vermutlich auch nur in dieser einen - Hinsicht hat der real existierende Sozialismus, gemessen an seinen eigenen Zielsetzungen, die Welt nachhaltig verändert: Vor allem, aber nicht nur, in der DDR-Gesellschaft hat er die kulturelle Bedeutung und den gesellschaftlichen Einfluß der Religionen und ihrer Institutionen sehr viel planvoller und effizienter zurückgedrängt, als dies der sogenannte Säkularisierungsprozeß in den westlichen Gesellschaften vermocht hätte. Viel weniger erfolgreich war allerdings der Versuch, die religiös-kirchlichen Ordnungen durch ein umfassendes und hochverbindliches (nämlich wissenschaftliches) System der Weltdeutung, Sinngebung und Moralisierung zu ersetzen und zu überbieten. Dieses Scheitern des Versuchs, das lang ersehnte regnum hominis auf einer wissenschaftlichen Weltanschauung zu begründen, hat, wie vielfach erwartet, zu einem Wiedererwachen religiöser Bedürfnisse (in einem beachtenswerten Umfange) und erst recht nicht zu einem Erstarken des kirchlichen Lebens geführt. Es hat vielmehr eine tiefe Desillusionierung und ein ausgeprägtes Desinteresse an allen Transzendenten, also die Gegebenheiten und Herausforderungen der 'Werkeltagsleben' (Marx) prinzipiell übersteigenden Sinngebungen und Herausforderungen hinterlassen. Vermutlich ist dies die einzige Erbschaft des real existierenden Sozialismus, die sich auf Dauer prägend und verändernd in der Gesellschaft des vereinigten Deutschlands auswirken wird." (Autorenreferat