Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie richtet sich domänenspezifisch auf die Gene-se von Expertise in der Sportart Tennis. Die Beobachtung außergewöhnlicher, individueller Leistungen – sei es in der Musik, in der Mathematik oder im Sport – weckt unweigerlich den (Forscher-)Drang, ihr Zustandekommen beschreiben, verstehen, vielleicht sogar erklären zu können. Insbesondere für diejenigen, welche mit der Förderung hochleistungsorientierter Tennistalente betraut werden, ist es von großem Wert, wenn empirisches Wissen darüber vor-liegt, wie sich die Entwicklung von heutigen Spitzenathleten – von der Kindheit bis zum Kar-rierehöhepunkt – vollzogen hat. Innerhalb des Karriereverlaufs wiederum scheint der Über-gang vom Juniorentennis in den professionellen Erwachsenenbereich eine neuralgische Phase darzustellen, deren erfolgreiches Durchlaufen als Meilenstein auf dem Weg unter die besten 100 Spielerinnen und Spieler der Welt gehandelt wird. Die theoretische Fundierung des zu untersuchenden Gegenstandes erfolgt in erster Linie über einen Zugang, der – einem weit gefassten Terminus von „Entwicklung“ entsprechend – all-gemein Veränderungsprozesse zu berücksichtigen hat. Diese Entwicklungsperspektive richtet sich auf Veränderungen näher zu bestimmender Bereiche und Kontexte in den Lebensläufen von Tennistalenten, von spitzensportlichen Persönlichkeiten, die in der Domäne Tennis Ex-pertise (bzw. Teilexpertise) erlangt haben. Ein überwiegend personzentrierter, holistischer Ansatz zur Erklärung von Veränderungsprozessen im Lebenslauf – wie hier konzeptionalisiert – legt es nahe, entwicklungs- und sozialisationstheoretische Überlegungen anzustellen. Die empirische Bearbeitung erfolgt durch eine Kombination bzw. Integration quantitativ und qualitativ gefärbter Analyseschritte. Eine multimethodische Triangulation auf der Designebene ist angebracht, um der Komplexität des Phänomens (bzw. dem theoretischen Rahmen) gerecht zu werden respektive es problemadäquat erfassen zu können. Die Genese von Spitzenleistung im Tennis soll dem Expertiseansatz entsprechend retrospektiv, zudem per Fragebo-genmethode, anhand individueller, zeitbezogener Lebenslaufdaten sowie biographisch-subjektiver Deutungen und Muster, die wiederum in qualitativen Einzelfallstudien (problem-zentrierte, halbstandardisierte Leitfadeninterviews) zum Ausdruck kommen, nachgezeichnet werden. Dynamisch-prozessuale Charakteristiken, im konkreten Falle intraindividuelle Ent-wicklungen bzw. Veränderungen über die Zeit (Talententwicklung) der Untersuchungseinhei-ten „Tennisprofis“ erschließen sich durch rückblickende Rekonstruktionen individueller Le-bensläufe bzw. Karrieren und deren biographische Deutungen. Erfasste Themenbereiche: (1) Leistungsentwicklung/sportlicher Karriereverlauf, (2) Doppel-belastung Schule und Tennis, (3) Merkmale der (institutionellen) Förderkarriere, (4) Training und Wettkampf, (5) Trainer, Eltern/Familie, Freunde, (6) Intentionale Selbstentwick-lung/Endogene Ressourcen, (7) Psychischer Druck, spezifische Ereignisse und Belastungen. Die Befunde bestätigen u.a. die Grundannahme der Expertiseforschung, wonach den perso-nexternen Einflussfaktoren im Karriereverlauf eine hohe Bedeutung zukommt, im Tennis in-sbesondere den finanziellen Ressourcen und der elterlichen Unterstützung. Desweiteren wur-de mittels Clusteranalyse die Gruppe der Athleten mit höchstem Schulabschluss und hoher Dynamik der Leistungsentwicklung beim Einstieg in die Profitour als förderbiographisch am stärksten vernachlässigte markiert. Geeignete Maßnahmen seitens institutioneller Förderein-richtungen, etwa die Betreuung der Talente über das 18.Lebensjahr hinaus, sind indiziert, um weitere Potentiale freizusetzen