Die Werkstofftechniken sind eine Königsdisziplin im Automobilbau! Nichts, was an einem Auto dargestellt ist, ist nicht auch durch Werkstoffe realisiert. Heute sind die automobilen Anforderungen im Wettbewerb zahlreicher denn je. Es kommt auf geringen Verbrauch und niedrige Emissionen des Fahrzeuges sowie auf die Schonung der Ressourcen an. Selbstverständlich spielen Sicherheit und Gebrauchsnutzen eine große Rolle. Leistung, Fahrspaß und Komfort dürfen nicht zu kurz kommen. Und bei allem stellen die Kosten ein zentrales Kriterium dar.
Die automobilen Techniken geben Antworten auf diese Anforderungen. Es sind vielfach Schlüsseltechnologien, wie Motortechnik, Kraftstofftechnik oder Energietechnik. Ganz besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Elektronik und Mechatronik, die Fahrzeugkonzepte und vor allem die Bauweisen und Werkstoffe.
Bei den Anforderungen zur passiven Sicherheit zeigen die Werkstoffe besonders anschaulich, was sie vermögen. Hier sind heute unterschiedlichste Werkstoffe in Bauteilen verschiedener Geometrien und Formen eingesetzt, um z.B. die ständig gestiegenen Frontal- und Seiten-Crash-Spezifikationen zu erfüllen. Bei den Stahl-Bauweisen ist deswegen u.a. der Trend zu höher- und höchstfesten Stählen ausgewiesen. Auch in der Kompakt-Klasse sind bereits relevante Anteile des Strukturgewichts mit höchstfesten Stahlgüten realisiert.
Aluminium-Legierungen sind eine prominente Variante, die Anforderungen des Stoffleichtbaus zu erfüllen. Der Audi Aluminium-Space-Frame in der jetzigen Generation verfügt über Bleche, Profile und Guss-Halbzeuge in etwa gleichen Gewichtsanteilen, wohl aber mit entsprechend weiter entwickelten Halbzeugtechnologien und Fertigungs/Montagetechniken. Das Beispiel unterstreicht die Bedeutung von Werkstofftechniken als Treiber von Innovationen im Automobilbau. Den Weg in die Mischbauweise zeigt der Vorderbau des aktuellen 5er BMW, der den Stoffleichtbau mit dem Konzeptleichtbau kombiniert. Dieser besteht zu 65 Gew.% aus Aluminium. Hier ist auch der Audi TT 2. Generation zu nennen, eine Aluminium-intensive Mischbauweise, die Stahl fahrdynamisch günstig im hinteren Fahrzeugbereich kombiniert.
Im Fahrwerk dominiert ebenfalls der Trend zum Multi-Material-Design. Mehrlenker-Achsen verwenden Aluminium in geschmiedeten und gegossenen Halbzeugen. Eine interessante Werkstoffinnovation im Fahrwerksbereich ist die C/C-SiC-Bremsscheibe. Durch Pyrolyse und Silizieren entsteht eine verschleißfeste, hochtemperaturbeständige und zudem leichte Bremsscheibe, die derzeit in Premiumfahrzeugen eingesetzt wird.
Aktive Werkstoffe oder Smart Structures werden zukünftig für viele Bereiche des Fahrzeuges attraktiv sein. Ein Forschungsdemonstrator zeigt die Applikation von piezokeramischen Folien an rotierenden Antriebsgelenkwellen. Dadurch konnten Schwingungen reduziert und Bauraumvorteile genutzt werden. Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von so genannten Smart-Systems ist der Einsatz von elektrorheologischen Fluiden zur Schwingungsdämpfung von Strukturen.
Für Innovationen im Antriebsstrang ist das Energie-Management zukünftig von größerer Bedeutung. Neue Werkstoffe für z.B. die Restenergie-Nutzung können thermoelektrische Generatormaterialien sein. Segmentierte Module, Material¬kombinationen und Integrationslösungen sind hierbei Forschungs¬konzepte des DLR.
Das Zylinderkurbelgehäuse bleibt im Motor ein Bauteil mit einer besonderen Gewichtsintensivität. Neue Hybrid-Konstruktionen von BMW und Audi verbinden die Vorteile der leichten Al-Legierungen für die Zylinderlaufbahnen mit den noch leichteren Mg-Legerungen für die Gehäuse- bzw. Umgussstrukturen.
Wer heute über werkstofftechnische Innovationen spricht, stößt früher oder später auf das Thema Nano-Technologie. Sie kann sich in vielen Bereichen der automobilen Technik als vorteilhaft erweisen, z.B. als nanogefüllte Matrixsysteme für Faser-Verbund-Kunststoffe. Dies führt dann etwa zu verbessertem Festigkeits/¬Dehnungs¬verhalten oder besseren Herstellungsmöglichkeiten der Verbunde. Attraktiv könnten auch transparente Nano-Komposite sein, bei denen eine Steigerung von Festigkeit und E-Modul erreicht wird, ohne die Transparenz wesentlich zu beeinflussen. Nano-Komposite finden auch Anwendung in Feststoffspeichern für Wasserstoff, um reversible Speicherkapazität von derzeit 4,5 Gew.% weiter zu erhöhen.
Diese Ansätze führen zur Strategie „Hybrid3“. Hierbei werden nicht nur 1. unterschiedliche Werkstoffe und 2. verschiedene Bauweisen aufeinander abgestimmt, sondern auch 3. wird die Integration funktionaler Effekte berücksichtigt. Dies bedeutet z.B. dünnwandige Strukturbauteile in ihrem Schwingungs- oder akustischen Verhalten mit strukturintegrierten, aktiven Materialen optimal zu gestalten. Weitere Beispiele für den Ansatz mit „Hybrid3“-Effekten könnten schaltbare Oberflächen (Oberflächenspannung, Farbe oder Transparenz) oder integrierte Energiewandlung sein. Der „Hybrid3“-Ansatz kann vor allem beim Multi-Material-Design und der Hybridbauweise in Zukunft zu sinnvollen Produktinnovationen führen.
Die weitere Entwicklung derartiger Systeme ist von den heute bekannten passiven und aktiven Systemen zu intelligenten Systemen denkbar. Hier wären die Regelung des Strukturverhaltens und aktorische Fähigkeiten dann werkstoffimmanent. Visionär sind symbiotische Systeme, die zusätzlich zu den Eigenschaften intelligenter Systeme Effekte nach dem Vorbild der Natur (z.B. Selbstheilung, Regeneration) aufweisen.
Die Roadmap von Werkstofftechniken und Bauweisen ist bezüglich der erwähnten Anforderungen und der korrespondierenden Technikinnovationen als Evolution zu beschreiben: von der Schalenbauweise über Space-Frames und evtl. Modularisierungen zu Hybridbauweisen und zu ganz neuen Fahrzeugkonzepten! Von den Stählen zu höherfesten Güten, neuen Verarbeitungsmethoden und Fügetechnologien, zu Leichtmetallen und Kunststoffen in Beplankungen, sowie Faser-Verbund-Strukturen! Funktionale Oberflächen, die Smart-Materials und die nanoskaligen Werkstoffe zeigen große Potentiale auf.
Um von den Grundlagen in die Anwendung zu kommen – und dies zu wettbewerbsfähigen Kosten – ist die verstärkte Vernetzung zwischen Industrieller Systemfähigkeit und den Forschungs- und Entwicklungskompetenzen im Lande dringend empfohlen. Damit sollte die Innovationsrolle und Systemführerschaft der deutschen Automobilindustrie unterstrichen werden und auch die Rolle der Werkstoffe als Treiber von zukünftigen Produktinnovationen im Fahrzeugbau