Mitochondrien sind Schlüsselorganelle in Signalwegen der neuronalen Apoptose und in Entwicklungs- und Alterungsprozessen der Zelle. Mitochondrien sind hoch dynamische Organelle, welche sich abhängig der physiologischen Bedingungen als lange miteinander verbundene Netzwerke oder als kleine, runde Organelle darstellen. Unter pathologischen Bedingungen und im neuronalen Zelltod ist die Regulation der Mitochondrienmorphologie deutlich verändert, wobei das Gleichgewicht der mitochondrialen Dynamik in Richtung Fragmentierung verschoben wird. Entsprechende Veränderungen der Mitochondrien treten z. B. im verzögerten neuronalen Zelltod nach Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma auf und vermehrt fragmentierte Mitochondrien sind auch in geschädigtem Hirngewebe bei alters-bedingten neurodegenerativen Erkrankungen, wie Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson nachgewiesen worden.
Im Rahmen dieser Arbeit wurde vor allem eine neuronale hippokampale Zelllinie (HT-22 Zellen) verwendet, um die Regulation und die Bedeutung der vermehrten Mitochondrienfragmentierung im oxidativen neuronalen Zelltod zu untersuchen. In diesen Zellen führt eine Behandlung mit Glutamat zu einem kontinuierlichen Abfall der intrazellulären Glutathionspiegel und induziert somit oxidativen Stress. Zusätzlich wurden primäre neuronale Zellkulturen und ein in vivo-Modell der zerebralen Ischämie eingesetzt, um die in HT-22 Zellen erhaltenen Ergebnisse zu bestätigen und auszubauen.
Der erste Teil dieser Arbeit untersucht, ob verstärkte mitochondriale Fragmentierung den Glutamat-induzierten Zelltod begleitet. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass Glutamat-induzierte Apoptose mit einer verstärkten Fragmentierung von Mitochondrien, dem Verlust von mitochondrialen Membranpotential und einer Umverteilung von fragmentierten Mitochondrien um den Zellkern verbunden ist. Weiter zeigen die hier dargestellten Ergebnisse eine Schlüsselrolle für das BH3-Protein Bid in der mitochondrialen Fragmentierung auf, die durch den oxidativen Stress ausgelöst wurde.
Der zweite Teil der Arbeit untersucht die Rolle des Dynamin Proteins Drp1 im neuronalen Zelltod nach Glutamat-Schädigung in HT-22 Zellen und in primären kortikalen Neuronen. Um die Rolle von Drp1 im Glutamat-induzierten Zelltod nachzuweisen, wurde in dem hier angewendeten Modellsystem des oxidativen Stress zum ersten Mal hoch spezifische Drp1 Inhibitoren und Drp1 siRNA angewendet. Die Deletion von Drp1 durch siRNA oder durch den Drp1 Inhibitor zeigen, das mitochondriale Membranpotential aufrechterhalten werden kann und die mitochondriale Fragmentierung in HT-22 Zellen, als auch in primären Neuronen verhindert werden. Der Drp1 Inhibitor blockierte zudem den neuronalen Zelltod nach Sauerstoff-Glukose-Entzug in primären Neuronen und verringert auch signifikant das Infarktvolumen in einem Schlaganfallmodell in Mäusen. Diese Daten heben Drp1 als einen Schlüsselfaktor bei ischämisch- und Glutamat-induziertem neuronalen Zelltod hervor und identifizierten Drp1-abhängige mitochondriale Fragmentierung als eine mögliche therapeutischen Zielstruktur für die Therapie von akuten zerebrovaskulären Erkrankungen. Weitere Untersuchungen zu einer möglichen Wechselwirkung zwischen Bid und Drp1 im neuronalen Zelltod zeigten zudem erstmalig, dass offenbar beide Proteine nach oxidativem Stress zusammen an der Mitochondrienmembran agieren, um intrinsische Signalkaskaden der Apoptose zu induzieren. Die Hemmung eines der Proteine war ausreichend, um die mitochondriale Translokation bzw. die toxischen Effekte des Partners an den Mitochondrien zu hemmen und so den neuronalen Zelltod zu verhindern.
Insgesamt konnte in dieser Arbeit zum ersten Mal gezeigt werden, dass Bid und Drp1 zusammen als Schlüsselregulatoren des mitochondrialen neuronalen Zelltodes in HT-22 Zellen agieren und das die Hemmung von Drp1 auch in primären Neuronen, und auch in einem Schlaganfallmodell in Mäusen eine protektive Wirkung vermittelt. Der Bid-vermittelte neuronale Zelltod umfasst Drp1-abhängige mitochondriale Fragmentierung, mitochondriale Umverteilung um den Zellkern, mitochondriale Membranschädigung und die Freisetzung von mitochondrialen Apoptose-Mediatoren wie AIF. Aus diesem Grund sind Bid und Drp1 vielversprechende therapeutische Zielstrukturen, die durch neuartige Inhibitor-Moleküle blockiert werden können, um mitochondriale Fragmentierung und Dysfunktion, als Kennzeichen des neuronalen Zelltodes bei akuten und chronischen neurodegenerativen Erkrankungen zu verhindern, in denen Glutamatschädigung bzw. oxidativer Stress zu den wesentlichen auslösenden Faktoren für die Nervenschädigung führen