Sterbehilfe: Welche Argumente zählen? Eine Befragung unter Marburger Jura- Medizin- und Theologie-Studierenden

Abstract

Die Diskussion um das neue Gesetz zur "Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" 155 vom 06.11.2015 verdeutlichte, dass Sterbehilfe und seine moralische, wie auch rechtliche Zulässigkeit, unverändert gesellschaftliches Interesse erregt und einen kontroversen Diskurs auslöst. Vom wissenschaftlichen Blickpunkt aus beschäftigten sich viele Untersuchungen bisher vor allem mit der generellen Einstellung hinsichtlich einer Legalisierung der umstrittenen Sterbehilfeformen Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung. Die vorliegende Promotionsarbeit erfragte mittels Fallvignetten, in denen jeweils das Vorgehen eines Arztes im Rahmen von Sterbehilfe-Handlungen beschrieben wurde, in einem Kollektiv von Studierenden der Rechtswissenschaften, Theologie und Medizin die moralische Bewertung dieser Handlungen. Zudem wurden erstmals allgemeine Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale (Autoritarismus, Konservatismus, Religiosität und Selbstwirksamkeit) sowie die in der theoretischen Sterbehilfe-Debatte üblicherweise angeführten Argumente, auf ihren Einfluss hinsichtlich dieser moralische Bewertung untersucht. Trotz der bekannten Einschränkung, dass aufgrund von empirischen Ergebnissen nicht sicher auf ethische Grundannahmen geschlossen werden kann, konnten mit diesem Vorgehen wichtige Hinweise hinsichtlich der Wirkmächtigkeit der verschiedenen Argumente gewonnen werden. So zeigte sich, dass die Studierenden aller Fachrichtungen größtenteils die Tötung auf Verlangen und die Beihilfe zur Selbsttötung im Rahmen der geschilderten Fallsituationen als moralisch unzulässig bewerteten - entgegen bisheriger Studien, die in verschiedenen Kollektiven eher positive Einstellungen hinsichtlich einer möglichen Legalisierung von Sterbehilfe nachwiesen. Es kann vermutet werden, dass durch die Verwendung von Fallvignetten die Sterbehilfesituationen den Studierenden konkreter und weniger abstrakt dargelegt wurden, wodurch deren Entscheidung hinsichtlich der moralischen Bewertung der gesellschaftlich umstrittenen Sterbehilfe-Handlungen restriktiver ausfiel. Dieser Effekt sollte bei weiteren Untersuchungen zu Sterbehilfe berücksichtigt werden. 155 Kosfeld 2015 6. Diskussion 99 Weiterhin konnte gezeigt werden, dass von den hier untersuchten Argumenten, die allgemein in der Sterbehilfe-Debatte angeführt wurden, wie beispielsweise das Tötungsverbot, der Respekt vor der Patientenautonomie und Dammbruchbefürchtungen, einige besonders relevant für die moralische Zustimmung oder Ablehnung von Beihilfe zur Selbsttötung und / oder Tötung auf Verlangen bei den Studierenden waren und in dieser Hinsicht einflussreicher als allgemeine Einstellungen oder Persönlichkeitsmerkmale. Im Einklang mit der theoretischen Debatte um die Sterbehilfe spielte vor allem das Tötungsverbot und die Patientenautonomie eine große Rolle hinsichtlich der moralischen Bewertung der umstrittenen Sterbehilfeformen. Die Medizin- Studierenden schienen zudem der Palliativmedizin eine größere Wichtigkeit bei Fragen am Lebensende einzuräumen, wobei ihre Bedeutung als "Alternative" zur Sterbehilfe auch in der öffentlichen Diskussion immer wieder hervorgehoben wird. Das öffentlich oft lautstark diskutierte Argument des Dammbruchs schien nur einen untergeordneten Einfluss auf die Bewertung der Teilnehmer zu haben, wohingegen ein in der Öffentlichkeit eher selten angeführtes Argument, nämlich die mögliche Belastung für Ärzte, die letztlich die Sterbehilfe durchführen oder begleiten müssen, einen großen Einfluss ausübte. Daher sollte dieses Argument in der theoretischen Debatte mehr Berücksichtigung finden. Insgesamt wurde in der vorliegenden Promotionsarbeit zum ersten Mal der Einfluss der in der theoretischen Diskussion um Sterbehilfe verwendeten Argumente auf die moralische Bewertung von Sterbehilfe in unterschiedlichen Studierenden-Gruppen untersucht und belegt

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