Boschki, Reinhold

German

Religionspädagogische Beiträge (E-Journal)

Religionspädagogische Beiträge. Journal for Religion in Education  47(2024)2, 135−137, http://dx.doi.org/10.20377/rpb-328   Schröder, Bernd (2023). Religionspädagogik angesichts des Judentums. Grundlegungen – Rekonstruktionen – Impulse. Tübingen: Mohr Siebeck. ISBN 978-3-16-162006-5. 580 Seiten.   Reinhold Boschki Universität Tübingen (reinhold.boschki@uni-tuebingen.de)  Der evangelische Religionspädagoge Bernd Schröder greift in der vorliegenden Publikation eine The-matik auf, die in der gegenwärtigen Religionspädagogik zwar als wichtig erkannt und in ihrer Bedeu-tung immer wieder hervorgehoben wird, die jedoch meist in Einführungen, Überblickswerken oder Gesamtdarstellungen der Religionspädagogik oder -didaktik eher auf wenige Seiten eines Unterkapi-tels oder Abschnitts reduziert wird. Nirgendwo wird die Wichtigkeit der Beschäftigung mit dem Ju-dentum in der gegenwärtigen deutschsprachigen und anglo-amerikanischen Religionspädagogik ernst-haft bestritten. Und dennoch gibt es nur wenige Ansätze, die eine judentumsensible Theorie und Praxis religiöser Bildung konsequent in den Mittelpunkt stellen.  Mit seiner breit angelegten Darstellung einer „Religionspädagogik angesichts des Judentums“ legt Schröder ein Kompendium vor, das umfassender kaum sein könnte. Er beleuchtet darin alle wesentlichen As-pekte einer judentumsensiblen Religionspädagogik, die sich der theologischen Bedeutung des Juden-tums für christliche Theologie und Glaubensexistenz bewusst ist, den Eigenwert des in den Schriften grundgelegten und in Geschichte und Gegenwart gelebten Judentums ernstnimmt, sowie allen Formen der Israelvergessenheit, der Substitutionslehre und der Judenfeindschaft bis hin zum blanken Antise-mitismus eine klare Absage erteilt. Die meisten Kapitel dieses Buches wurden in früheren Jahren bereits publiziert, sind aber für diesen Band aktualisiert und in einen systematischen Zusammenhang gestellt. Das leitende Interesse ist es, die Wertschätzung des Judentums für Lehren und Lernen aus christlicher Perspektive aufzuweisen und die Konsequenzen daraus für religionspädagogische Theorie und Praxis zu ziehen. Schröder geht von grundsätzlichen theologischen Fragestellungen aus, die sich nach Auschwitz an die christliche Tradi-tion und Theologie stellen. In einem ersten Überblickskapitel über die Etappen des christlich-jüdischen Gesprächs seit 1945 aus evangelischer Sicht wird die Bedeutung des Dialogs mit dem Judentum für christliche Glaubensexistenz beschrieben, die Errungenschaften des christlich-jüdischen Gesprächs ge-würdigt, gleichzeitig aber auch dessen bleibende Störanfälligkeit festgestellt. Aufgabe von Kirche und Theologie ist die kritische Aufarbeitung der antijüdischen christlichen Traditionen, die auf fatale Weise zur Entstehung des modernen Rassenantisemitismus beigetragen und damit den Weg hin zu Auschwitz geebnet haben. Eine Revision der kirchlichen Praxis und des Unterrichts ist seit Ende der Nazidiktatur höchst dringlich, erfolgte jedoch erst nach und nach, verstärkt seit Ende der 1970er Jahre. Der Autor sieht die Fortschritte des christlichen-jüdischen Dialogs natürlich grundsätzlich positiv, kri-tisiert jedoch im Blick auf Bildungsvorgänge den Mangel an lebensweltlichen Bezügen, die meist nega-tive Zielsetzung (‚gegen Antijudaismus‘) und die „esoterische Sprache“ (39) der theologischen Debat-ten. Wie können sich da Menschen, insbesondere die junge Generation, angesprochen fühlen? Welche Relevanz haben die Bemühungen um ein neues Verhältnis zum Judentum für (junge) Menschen heute, fragt der Autor gleich zu Beginn (34). An mehreren Stellen öffnet Schröder den Dialog zwischen Christentum und Judentum hin zum Islam, so im Abschnitt „Abrahamitische Ökumene?“, in dem er nach Modellen der theologischen Zuordnung 136 |   RpB 47(2024)2, 135−137 von christlich-jüdischem und christlich-islamischem Dialog fragt. Beide Gesprächskontexte können nicht einfach parallelisiert werden, denn sie erfolgen mit „unterschiedlichen Vorzeichen“ (69). Das Ju-dentum ist immer wieder in seinem einzigartigen Verhältnis zum Christentum wahrzunehmen, was eine grundlegende Differenz zum Verhältnis zu allen anderen Religionen, auch zum Islam, bedeutet. Eine abrahamitische Ökumene darf die Unterschiede nicht harmonisieren (77ff.), weshalb in theologi-scher Hinsicht eher eine „differenzierte Dialogizität“ (91) sinnvoll erscheint. Solche theologischen Ein-sichten haben unmittelbare religionspädagogische Konsequenzen. Beispielsweise kann im Religionsun-terricht Abraham nicht als Figur aufgezeigt werden, die für Judentum, Christentum und Islam in glei-cher Weise bedeutsam wäre. Gemeinsamkeiten können religionsdidaktisch entdeckt, aber gleichzeitig muss auch den Unterschieden Rechnung getragen werden. Insgesamt kann die Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden nicht nur in theologischen Zirkel erfolgen, sondern ist eine wesentliche Bildungsaufgabe (153ff.). Hierzu zeigt Schröder die zent-ralen Entwicklungslinien auf, die beispielsweise zum „Freiburger Lernprozess Christen-Juden“ sowie zu analogen religionspädagogischen Projekten geführt haben. Die zentralen Aufgaben der Religionspä-dagogik werden benannt und in den folgenden Kapiteln des Buches vertieft: Antijudaismen identifizie-ren, das Judentum authentisch und facettenreich darstellen, Gemeinsamkeiten von Christentum und Judentum unterstreichen, Unterschiede anerkennen, die Ausbildung von Religionslehrenden erneuern, eine Religionspädagogik entwickeln, die der Shoah eingedenk ist, vergleichende Forschungen zur jüdi-schen Erziehung (u.a. in Israel) zu initiieren und mit jüdischer Religionspädagogik ins Gespräch zu kommen (167ff.). Diesen Aufgaben geht das Kompendium systematisch nach, indem der Horizont einer komparativen Religionspädagogik beschrieben und sodann praktiziert wird: Schroeder fragt nach den Bildungstradi-tionen im deutschsprachigen Judentum und im gegenwärtigen Israel. Kenntnisreich zeichnet er bei-spielsweise jüdische Bildungsgedanken seit Moses Mendelssohn und der Haskala, der jüdischen Auf-klärung, nach, die jedoch auch neo-orthodoxe Reaktionen nach sich zogen, z. B. bei Samson Raphael Hirsch. All diese Traditionen fanden ihren Niederschlag in der deutsch-jüdischen Bildungskultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, etwa in den Werken so bekannter Denker wie Martin Buber und Franz Rosenzweig. Schröders Studien und Forschungsaufenthalte in Israel führten ihn zu Untersuchungen des modern israelischen Erziehungswesens, dem er mehr als 100 Seiten detaillierte Analysen widmet.  Goldstückchen des Kompendiums sind die Abhandlungen über jüdischen Religionsunterricht und jü-dische Religionsdidaktik in Deutschland, u.a. der eigens für diesen Band verfasste Beitrag über Pioniere jüdischer Religionsdidaktik im deutschsprachigen Raum (359ff.). Hier werden neue Horizonte und An-knüpfungspunkte für christliche Religionspädagogik aufgezeigt. Ganz wichtig sind auch die Abhand-lungen über die Eigenheiten von jüdischem Lehren und Lernen, etwa dem Spezifikum des Toralernens im Judentum, des Erinnerns und des Lernens im Dialog. Letzteres erfolgt vor allem im Lehrhaus als Dialog zwischen zwei oder mehreren Lernenden und dem Text, der immer wieder neu gelesen und im Gespräch interpretiert wird – analog zur Grundstruktur rabbinischen Lernens in Midrasch und Talmud. Von besonderem Wert ist auch der eigens für diesen Band verfasste Beitrag zur Prävention von und Intervention gegen Antisemitismus als grundlegende Aufgabe von religiösen Bildungsvorgängen, ins-besondere im Religionsunterricht. Der Kampf gegen Antisemitismus erweist sich in unserer Zeit als dringlich, wozu jedoch nicht der Religionsunterricht allein aufgerufen ist, sondern alle schulischen Fä-cher und schulischen Verantwortlichen. Religionsunterricht kann und muss an einer demokratischen und antisemitismuskritischen Bildung mitwirken. Er kann wie kein anderes Fach das Judentum in sei-ner Vielfalt erschließen, was ein wesentlicher Beitrag gegen Vorurteilsbildung und negative Sichtweisen darstellt. R. Boschki   | 137  Die Tatsache des Wiederabdrucks zahlreicher bereits veröffentlichter Artikel bringt einige Redundan-zen mit sich, außerdem fragt man sich, ob wirklich alle Beiträge, die Bernd Schröder zum Thema Juden-tum bereits veröffentlicht hatte, hier nochmals ihren Platz finden mussten, da manches bereits in ande-ren Abschnitten gesagt wurde. Dies trifft beispielsweise für das Kapitel über jüdische Erziehung im modernen Israel oder für das Kapitel über das Judentum als Thema christlich-religiöser Lernprozesse zu. Vielleicht hätten für den ganzen Band auch 350 Seiten genügt, um die Bedeutung des Themas aus-zuleuchten und die wesentlichen Herausforderungen einer christlichen Religionspädagogik angesichts des Judentums aufzuzeigen. Dennoch, der Reichtum an Details bringt auch einen großen Gewinn mit sich. Kaum jemand in der deutschsprachigen Religionspädagogik kennt sich im israelischen Erzie-hungssystem so gut aus wie der Autor des Bandes. Und noch nirgendwo wurden die Pioniere jüdischer Religionsdidaktik für christliche Religionspädagogik rezipiert und für das eigene religionspädagogi-sche Denken fruchtbar gemacht. Ebenso kann kaum jemand anderer als der Theologe und Judaist (!) Schröder über die Tora und die rabbinischen Auslegungstraditionen so kompetent Auskunft geben. Für den christlichen Religionsunterricht sei der kompetente Umgang mit der Tora vergleichbar mit der „Handhabung eines Schlüssels: Wenn die Tora unerschlossen bleibt, geht der Schlüssel verloren zu dem, worauf sich der Jude Jesus in seiner gelebten und gelehrten Auslegung bezog…“ (403). Der Band zeigt eindrücklich, dass für eine judentumsensible christliche Religionspädagogik eine gründ-liche Kenntnis der Geschichte und Gegenwart des Judentums unerlässlich ist. Wo anders als in Studium und Ausbildung könnte die Vermittlung und Aneignung solcher Kenntnisse erfolgen? Das Buch schließt mit einem eindrücklichen Kapitel, das eine grundlegende Ausbildung von Religionslehrer*in-nen in Fragen des Judentums und des einzigartigen christlich-jüdischen Verhältnisses anmahnt (535-550). Bisherige theologische Studien sind in dieser Hinsicht viel zu schwach aufgestellt, was der Autor in einer eigenen Studie zu den Modulplänen und Vorlesungsverzeichnissen deutscher theologischer Fakultäten und Abteilungen nachgewiesen hatte. Deshalb ist das Buch richtungsweisend für eine bes-sere religionspädagogische Ausbildung der Akteure im christlichen Bildungsbereich, was für evangeli-sche und katholische Religionspädagogik gleichermaßen gilt. 

Schröder, Bernd (2023). Religionspädagogik angesichts des Judentums. Grundlegungen – Rekonstruktionen – Impulse. Tübingen: Mohr Siebeck. ISBN 978-3-16-162006-5. 580 Seiten.

Journal of Family Research

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Schröder, Bernd (2023). Religionspädagogik angesichts des Judentums. Grundlegungen – Rekonstruktionen – Impulse. Tübingen: Mohr Siebeck. ISBN 978-3-16-162006-5. 580 Seiten.

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