Günster, Stephan Michael

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In: Kerstin Hein, Cathleen Heil, Silke Ruwisch & Susanne Prediger (Hrsg.). Beiträge zum Mathematikunterricht 2021. Münster: WTM Verlag. https://doi.org/10.37626/GA9783959871846.0 Online unter https://eldorado.tu-dortmund.de/handle/2003/30630 Stephan Michael GÜNSTER, Würzburg Einfluss digitaler Technologien auf die Entwicklung funktionalen Denkens: Ergebnisse einer Studie in der 8. Jahrgangsstufe Im Beitrag wird zunächst knapp auf funktionales Denken und Potenziale digitaler Technologien zur Entwicklung einer solchen Denkweise eingegangen. Im An-schluss werden wesentliche Forschungsfragen und Rahmenbedingungen einer im Schuljahr 2017/18 durchgeführten Studie vorgestellt und ein Einblick in Ergeb-nisse aus Interviews mit Schüler:innen insbesondere hinsichtlich der Nutzung di-gitaler Technologien gegeben.  Funktionales Denken und Digitale Technologien Funktionales Denken wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten intensiv diskutiert (Krüger 2019). Eine relativ simple Definition von Vollrath findet dabei jedoch nach wie vor Anwendung: So ist funktionales Denken „[…] eine Denk-weise, die typisch für den Umgang mit Funktionen ist.“ (Vollrath 1989, S. 85). Demzufolge werden drei charakteristische Grundvorstellungen unterschieden: Eine Funktion ordnet einerseits eine abhängige Größe einer unabhängigen Größe zu (Zuordnungsvorstellung). Sie beschreibt, wie sich diese abhängige Größe in Relation zur zugeordneten verändert (Kovariationsvorstellung) und man kann eine Funktion als Ganzes mit ihren Eigenschaften, d.h. als Objekt betrachten (Ob-jektvorstellung) (z.B. Doorman et al. 2012, Vollrath 1989). Beim Umgang mit Funktionen spielen Repräsentationen und insbesondere Wech-sel zwischen diesen Repräsentationen eine wichtige Rolle (Duval 2006). Aller-dings stellen gerade die Wechsel eine Hürde für Lernende da. Mögliche Fehler wurden hierfür bereits umfangreich beschrieben (z.B. Nitsch 2015). Gerade in jüngerer Vergangenheit wurden außerdem Tests entwickelt, um funktionales Denken auf verschiedenen Niveaus messen, etwa zu Beginn der Sekundarstufe oder auch am Übergang der Funktionenlehre zur Analysis (Klinger 2018, Licht & Roth 2019). Digitale Technologien können die Entwicklung funktionalen Denkens unterstüt-zen: So kann etwa bereits die erste Annäherung an den Begriff der Funktion durch Aktivitäten wie Funktionenlaufen (Duijzer et al. 2019) erlebbar werden. Zusam-menhänge können qualitativ erkundet oder Funktionen dynamisch analysiert wer-den (z.B. Johnson et al. 2017, Klinger 2018, S. 77ff). Außerdem scheinen dyna-mische Repräsentationen Vorteile im Vergleich zu statischen Repräsentationen zu haben (Rolfes et al. 2020). Dabei ist jedoch zu beachten, dass dynamische und insbesondere multiple Repräsentationen eine hohe Komplexität aufweisen (z.B. Pinkernell & Vogel 2016). Forschungsfragen und Studiendesign Die durchgeführte Studie setzt nun an der Frage an, wie sinnvoll Schüler:innen tatsächlich, d.h. im Schulkontext, digitale Technoligen zur Entwicklung funktio-nalen Denkens nutzen und wie sie dabei durch Aufgaben angeleitet werden kön-nen. Dies konkretisiert sich in den folgenden Zielen bzw. Forschungsfragen: (1) Wie könnte ein theoretischer Rahmen zur Aufgabenentwicklung aussehen, der die Beziehung zwischen dem Konzept des funktionalen Denkens und dem operativen Prinzip aufbaut und nutzt?  (2) Lässt es sich bestätigen, dass die geeignete Verwendung von digitalen Technologien die Entwicklung funktionalen Denkens unterstützt? (3) In welcher Weise nutzen die Schüler:innen digitale Technologien im Rah-men der entwickelten Aufgaben?  (4) Wie zeigen sich in den Handlungen oder Operationen die verschiedenen Vorstellungen des funktionalen Denkens? Bezüglich Frage (1) wird das operative Prinzip als methodische Hilfe zur Ent-wicklung funktionalen Denkens aufgegriffen und daraus ein theoretischer Rah-men abgeleitet (vgl. Günster & Weigand 2020). Im Folgenden werden Einblicke in Ergebnisse zu den Fragen (3) und (4) gegeben, wozu aufgabenbasierte Inter-views analysiert wurden. Hierbei wurden mit Hilfe des theoretischen Hinter-grunds entwickelte Aufgaben eingesetzt.  Die Studie wurde mit 8. Klassen durchgeführt, in denen die Schüler:innen dauer-haft mit ihren eigenen Tablets lernen konnten. Beteiligt waren vier bayerische Gymnasien mit je 5 Tablet- und Kontrollklassen und insgesamt somit 216 Teil-nehmer:innen. In Pre- und Posttests zu Beginn und Ende des Schuljahrs wurde das funktionale Denken erhoben. Den Lehrkräften standen das Schuljahr über die entwickelten Aufgaben zur Verfügung. Die aufgabenbasierten Interviews wurden zum Halbjahr und zum Ende des Schuljahrs mit den Schüler:innen durchgeführt. Begleitend wurden außerdem in Fragebögen und weiteren Interviews Einstellun-gen und Ansichten sowohl der Schüler:innen als auch der Lehrkräfte und Eltern erhoben.  Einblick Ergebnisse Schülerinterviews Für die Aufgabenstellungen werden einerseits vorgegebene Lernumgebungen verwendet, die die Lernenden interaktiv bearbeiten können. Beispielsweise ist ein Koordinatensystem gegeben, welches die Schüler:innen als Ganzes verschieben, drehen sowie verzerren können (vgl. Günster & Weigand 2020). Hier hat sich gezeigt, dass die Lernenden sich die gegebenen Handlungsmöglichkeiten adäquat zu eigen machen und diese auch systematisch variieren können. Allerdings ist zu beachten, dass bei der Erstellung Vorerfahrung hinsichtlich gängiger Handlungen bzw. Gesten berücksichtigt werden sollten, wie zum Beispiel das Hineinzoomen durch Auseinanderziehen mit zwei Fingern.  Andererseits sollen die Schüler:innen auch selbstständig dynamische Mathema-tiksoftware - hier GeoGebra - als Werkzeug nutzen, d.h. etwa mit Hilfe von Schie-bereglern den Einfluss von Parameter untersuchen (vgl. Abb. 1). Dabei zeigten sich große Unterschiede zwischen den Lernenden: Während manche stark ange-leitet werden mussten, stellte die Erzeugung einer entsprechenden Darstellung an-dere vor keinerlei Schwierigkeiten. War diese – wenn auch mit Hilfe – dann aber erstellt, konnten die Lernenden sie unabhängig davon produktiv zum Erkunden nutzen.  Abb. 1: Selbständig erstellte Lernumgebung zum Erkunden des Einflusses eines multiplikativen Parameters auf den Graphen einer linearen Funktion. Bezüglich des funktionalen Denkens werden exemplarisch Ergebnisse an einer Aufgabenstellung dargestellt: Gegeben ist eine lineare Funktion, bei der die Stei-gung und der y-Achsenabschnitt als Parameter gegeben sind. Die Schüler:innen sollen beschreiben, welchen Einfluss ein Parameter auf den Graphen der Funktion hat, wenn dieser mit dem kompletten Funktionsterm multipliziert wird. Dies kann beispielsweise mit Hilfe von drei Schiebereglern untersucht werden. In Abbildung 1 ist eine mögliche Umsetzung aus einem der Interviews zu sehen. Wird jetzt der Parameter (hier a) variiert, so dreht sich der Graph scheinbar um den gemeinsamen Schnittpunkt mit dem ursprünglichen Funktionsgraphen. Wäh-rend eine phänomenologische Beschreibung durch die dynamische Darstellung ermöglicht wurde, bereitete der Rückbezug zur symbolischen Darstellung und da-mit verbunden auch eine Begründung den Schüler:innen Probleme. Wenn nun noch die Parameter für die Steigung und den y-Achsenabschnitt variiert wurden, konnten jedoch weitere Hinweise gesammelt werden, in dem jeweils die Auswir-kung auf die charakteristischen Punkte der Graphen beobachtet wurden.  Es hat sich gezeigt, dass die Lernenden im Rahmen der Aufgaben mit Hilfe der digitalen Technologien mit den Funktionen als Objekt operieren konnten. Sie wa-ren in der Lage Parameter gezielt zu variieren, die Auswirkung zu beobachten, den Einfluss auf die Eigenschaften des Funktionsgraphen zu reflektieren und da-raus Erkenntnisse zu gewinnen. Zusammenfassung Der Einsatz digitaler Technologien – insbesondere hinsichtlich des Aspekts vor-gegebene Lernumgebung vs. selbstständige Werkzeugnutzung, sollte wohl über-legt und gut abgewogen werden, damit Lernende womöglich nicht bereits an der technischen Umsetzung scheitern und gar nicht zum inhaltlichen Arbeiten kom-men. Für die selbständige Nutzung muss das Werkzeug dann aber auch explizit Lerngegenstand sein. Bzgl. des Umgangs mit Funktionen hat sich gezeigt, dass insbesondere die schrittweise Entwicklung der Wechselbeziehung zwischen gra-phischer und symbolischer Repräsentation unterstützt werden kann. Und drittens – der Punkt kam im Beitrag sicherlich zu kurz – dass die theoriebasiert entwickel-ten Aufgabenstellungen hilfreich sein können, um funktionalen Denken und ins-besondere die Objektvorstellung zu entwickeln (vgl. Günster & Weigand 2020). Literatur Doorman, M., Drijvers, P., Gravemeijer, K., Boon, P., & Reed, H. (2012). Tool use and the development of the function concept: From repeated calculations to functional thinking. In-ternational Journal of Science and Mathematics Education, 10(6), 1243–1267. Duijzer, C., Van den Heuvel-Panhuizen, M., Veldhuis, M., & Doorman, M. (2019). Support-ing primary school students’ reasoning about motion graphs through physical experiences. ZDM, 51(6), 899-913. Duval, R. (2006). A Cognitive Analysis of Problems of Comprehension in a Learning of Math-ematics. Educational Studies in Mathematics, 61 (1-2), 103–131. Günster, S. M., & Weigand, H. G. (2020). Designing digital technology tasks for the develop-ment of functional thinking. ZDM, 52(7), 1259-1274. Johnson, H. L., McClintock, E., & Hornbein, P. (2017). Ferris wheels and filling bottles: A case of a student’s transfer of covariational reasoning across tasks with different back-grounds and features. ZDM, 49(6), 851-864. Klinger, M. (2018). Funktionales Denken beim Übergang von der Funktionenlehre zur Analy-sis. Wiesbaden: Springer Spektrum. Krüger, K. (2019). Functional Thinking: The History of a Didactical Principle. In: Weigand, H.-G., McCallum, W., Menghini, M., Neubrand, M., Schubring, G. (2019). The Legacy of Felix Klein. ICME 13. Cham Switzerland: Springer. 35-53. Lichti, M., Roth, J. (2019). Functional Thinking—A Three-Dimensional Construct? JMD 40. 169–195. Nitsch, R. (2015). Diagnose von Lernschwierigkeiten im Bereich funktionaler Zusammen-hänge: Eine Studie zu typischen Fehlermustern bei Darstellungswechseln. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. Pinkernell, G., & Vogel, M. (2016). DiaLeCo-Lernen mit dynamischen Multirepräsentationen von Funktionen. In Institut für Mathematik und Informatik Heidelberg (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2016. Münster: WTM-Verlag. 1460-1463 Rolfes T., Roth J. und Schnotz W. (2020) Learning the Concept of Function With Dynamic Visualizations. Front. Psychol. 11. 693.  Vollrath, H.-J. (1989). Funktionales Denken. Journal für Mathematik-Didaktik, 10(1), 3–37. 

Einfluss digitaler Technologien auf die Entwicklung funktionalen Denkens: Ergebnisse einer Studie in der 8. Jahrgangsstufe

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Einfluss digitaler Technologien auf die Entwicklung funktionalen Denkens: Ergebnisse einer Studie in der 8. Jahrgangsstufe

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