Heske, Henning

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A. Frank, S. Krauss & K. Binder (Hrsg.),Beiträge zum Mathematikunterricht 2019. Münster: WTM-Verlag.Seite 361Henning HESKE, Krefeld Kuno Fladt und das Reichssachgebiet Mathematik und Naturwissenschaften im Nationalsozialistischen Lehrerbund Der Mathematikunterricht im Nationalsozialismus stellt immer noch ein un-bewältigtes Problem unserer Disziplingeschichte dar (Heske, 2016). In die-sem Beitrag werden weitere Einblicke in jenen Zeitraum gegeben und Zu-sammenhänge anhand der Person Kuno Fladt aufgezeigt. Fladt spielte über viele Jahrzehnte eine bedeutende Rolle als Fachdidaktiker – vor allem vor 1945, aber auch danach. 1. Oberstudiendirektor, MNU-Vorsitzender und Reichssachbearbeiter – zur Biographie von Kuno Fladt Kuno Fladt wurde am 09.06.1889 in Öhringen (Baden-Württemberg) gebo-ren, legte die Reifeprüfung 1907 am Realgymnasium in Stuttgart ab und stu-dierte Mathematik und Physik in Stuttgart sowie Tübingen. Dort promo-vierte er 1920 mit einer Arbeit zur Geometrie der Mannigfaltigkeiten. Im Schuldienst war er zunächst an Realschulen in Vaihingen und Stuttgart tätig, bevor er am 01.10.1933 zum Oberstudiendirektor an einer Oberschule in Tü-bingen ernannt wurde. Seit Mitte der 20er Jahre hatte sich Fladt als Autor mathematischer Fachbü-cher, z.B. über „Gewöhnliche Differentialgleichungen“ (1927), einen Na-men gemacht. 1932 wurde er in den Vorstand des Deutschen Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts (MNU) gewählt, dessen Vorsitzender er sogar 1936 wurde. In dieser Eigen-schaft gestaltete er ganz wesentlich die Auflösung des Vereins im Zuge der Gleichschaltung der Lehrerverbände mit (vgl. Lorey, 1938). Fladt trat am 01.05.1933 in die NSDAP und zum selben Zeitpunkt auch in den NSLB ein, nachdem er bis dato im Württembergischen Philologenverein organisiert war (Akte Fladt, Bundesarchiv Berlin). Im NSLB engagierte er sich ab dem 20.02.1934 als Gausachbearbeiter für Mathematik und Physik im Gau Württemberg-Hohenzollern, bevor er 1938 zum Reichssachbearbei-ter für Mathematik und Naturwissenschaften ernannt wurde.  Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft wurde Fladt zunächst zum Studienrat zurückgestuft und unterrichtete an Oberschulen für Mädchen in Reutlingen und Tübingen. Von 1952 bis 1954 arbeitete er dann wieder als Oberstudien-direktor an einem Gymnasium in Calw. Nach seiner Pensionierung wurde er 1956 zum Honorarprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg er-nannt. Dort lehrte er noch bis 1974, ehe er am 27.08.1977 in Tübingen ver-starb. A. Frank, S. Krauss & K. Binder (Hrsg.),Beiträge zum Mathematikunterricht 2019. Münster: WTM-Verlag.Seite 3622. Das Reichssachgebiet Mathematik und Naturwissenschaften im NSLB Der Nationalsozialistische Lehrerbund e.V. (NSLB) wurde im April 1929 mit dem Ziel gegründet, die Lehrerschaft für die Erringung der politischen Macht zu gewinnen. Hitler erkannte diesen Verband wenige Monate später als organisatorische Gliederung innerhalb der Partei der NSDAP an. Die Mitgliederzahl des NSLB stieg rasant an. Nach eigenen Angaben waren 1937 97% der gesamten deutschen Erzieherschaft dort Mitglied. Die Ein-gliederung der Fachlehrerverbände in sogenannte Reichssachgebiete verlief unterschiedlich. Während der Verband deutscher Schulgeographen bereits im Mai 1934 seine Selbständigkeit aufgab und sich in das Reichssachgebiet Erdkunde im NSLB eingliederte (Heske, 2015), konnte der MNU seine Gleichschaltung relativ lange herauszögern. Kuno Fladt wurde bereits 1932 in den Vorstand des MNU gewählt, der 1934 3214 Mitglieder zählte und diese Zahl bis zu seiner Auflösung in etwa halten konnte. Auf der 37. Hauptversammlung des MNU im April 1935 in Kiel stieg Fladt, inzwischen Parteigenosse, zum zweiten Vorsitzenden auf und blieb zugleich Fachvertreter für Mathematik. Hinzu kam der Beschluss, dass der Verein dem NSLB als körperschaftliches Mitglied beitrat. Gemeinsame Arbeitsgemeinschaften sollten die Zusammenarbeit befördern. Auf der 38. Hauptversammlung des MNU im April 1936 in Karlsruhe wurde Fladt schließlich der Vorsitz übertragen. Die folgende Hauptversammlung im Frühjahr 1937 in Nordhausen fand daraufhin zum ersten Mal in Verbin-dung mit dem Reichssachgebiet Mathematik und Naturwissenschaften des NSLB statt. Zu diesem Zeitpunkt war Fladt bereits zum kommissarischen Reichssachbearbeiter für Mathematik und Naturwissenschaften im NSLB er-nannt worden. Auf der Grundlage seiner Vorschläge beschlossen die Mit-glieder, dass der MNU vorbehaltlich der durch die Satzungen vorgeschrie-benen Beschlussfassungen zum 02.04.1937 vollständig in das Reichssach-gebiet Mathematik und Naturwissenschaften des NSLB übergehen sollte, das außer Mathematik noch die Fächer Physik und Chemie umfasste. Biolo-gie bildete ein eigenes Sachgebiet, mit dem jedoch künftig die Tagungen ge-meinsam abgehalten werden sollten. Das bisherige Vereinsorgan Unter-richtsblätter für Mathematik und Naturwissenschaften wurde unter Beteili-gung der Biologie das Fachorgan dieses Reichssachgebietes. Ab dem Jahr-gang 1939 wurde Kuno Fladt als Reichssachbearbeiter auf dem Einbandtitel als Herausgeber dieser Zeitschrift genannt. Schriftleiter blieb Bruno Kerst (vgl. Heske, 2018 b). Die formelle Auflösung des MNU konnte satzungsgemäß erst ein Jahr darauf auf einer Sitzung am 11. April 1938 in München vollzogen werden (Lorey, A. Frank, S. Krauss & K. Binder (Hrsg.),Beiträge zum Mathematikunterricht 2019. Münster: WTM-Verlag.Seite 3631938) – im Rahmen der ersten Tagung des Reichssachgebietes Mathematik und Naturwissenschaften (Vogel, 1938), auf der Fladt (1938) den neuen Lehrplan Mathematik für die Höhere Schule vorstellte, an dessen Entwick-lung er offenbar maßgeblich beteiligt war (Fladt 1936; 1937) und der einen Ausgleich zwischen reiner und anwendungsbezogener Mathematik formu-lierte (zum Streit darüber siehe Heske, 2018 b). Fladts fachdidaktischer Einfluss als Reichssachbearbeiter wird auch darin deutlich, dass er häufig in den verschiedenen Fachzeitschriften des NSLB seine Gedanken zum Mathematikunterricht publizierte. Zudem war er bereits im Oktober 1935 vom Hauptamt für Erzieher des NSLB zum Begutachter pädagogischen Schrifttums für den Bereich Mathematik an Höheren Schulen bestellt worden. Dabei verstieg er sich auch dazu, die antisemitische Typen-lehre zu unterstützen (Fladt, 1942). Fladt übte seine Tätigkeiten bis zur kriegsbedingten Stilllegung des NSLB am 18.02.1943 aus. 3. Leitender Herausgeber in der Kriegszeit – die neu geschaffene Zeitschrift „Mathematik und Naturwissenschaften im Unterricht“ In Folge der Stilllegung des NSLB wurde dessen Zeitschriftenapparat dras-tisch zusammengestrichen. Im Fach Mathematik bedeutete dies die Einstel-lung sowohl der Unterrichtsblätter für Mathematik und Naturwissenschaften als auch der Zeitschrift für mathematischen und naturwissenschaftlichen Un-terricht, die seit 1869 existiert hatte. Beide Zeitschriften wurden mit der Zeit-schrift für den physikalischen und chemischen Unterricht zur Einheitszeit-schrift Mathematik und Naturwissenschaften im Unterricht zusammenge-legt. Diese erschien ab April 1943 vierteljährlich im Gemeinschaftsverlag von Otto Salle, Springer und B.G. Teubner bis zum Heft 3/1944. Leitender Herausgeber wurde Kuno Fladt, zudem war Walther Lietzmann (siehe Heske, 2018 a) für das Fach Mathematik zuständig. Obwohl insgesamt in-haltlich eher eine Versachlichung eintrat, verbrämte Fladt in seinem Nachruf auf Bruno Kerst den grauenhaften Krieg im Sprachduktus des Nationalsozi-alismus: „Der Beginn des gegenwärtigen Völkerringens, das die völkische Bedeutung der Mathematik in Evidenz setzte, die als Wehrmathematik die ganze Mathematik zu durchdringen begann“ (Fladt, 1943, S. 78). 4. Schlussbetrachtung Neben Walther Lietzmann (1880–1959) und Bruno Kerst (1883–1943) ge-hörte auch Kuno Fladt zu jenen besonders einflussreichen Bildungsbürgern, die im Bereich der Mathematikdidaktik und der Schulpolitik durch ihre Tä-tigkeit in NS-Organisationen und ihre Veröffentlichungen den Nationalsozi-alismus trugen und förderten. Trotz seiner nachweislich tiefen Verstrickun-gen mit dem NS-Regime war es Fladt möglich, auch nach 1945 als A. Frank, S. Krauss & K. Binder (Hrsg.),Beiträge zum Mathematikunterricht 2019. Münster: WTM-Verlag.Seite 364Mathematiklehrer zu unterrichten, als Fachdidaktiker zu publizieren und bald sogar wieder als Schulleiter zu arbeiten. Als er mit der Herausgabe der Lebenserinnerungen von Walther Lietzmann betraut wurde, kürzte er das Manuskript um das gesamte Kapitel über die NS-Zeit mit der Begründung: „Der Alpdruck der Jahre 1933–1945 ist jetzt weggefallen, aber sie stehen uns doch zu nahe, als daß ein von allen Seiten unwidersprochener Bericht über diese Zeit möglich wäre, und sei es auch ein noch so objektiv versuchter“ (Fladt, 1960, S. 3). Aus heutiger Sicht scheint es, dass er damit vor allem sich selbst schützen wollte. Literatur Fladt, K. (1936): Gedanken über den zukünftigen mathematischen Unterricht. Die Deut-sche Höhere Schule, 3, 327–333. Fladt, K. (1937): Die Mathematik in der künftigen höheren Schule. II. Ein mathemati-scher Lehrplan. Nationalsozialistisches Bildungswesen, 2, 116–122. Fladt, K. (1938): Methodische und didaktische Erläuterungen zu den neuen Lehrplänen in Mathematik, Physik, Chemie und Biologie. Mathematik. Unterrichtsblätter für Mathematik und Naturwissenschaften, 44, 130–132. Fladt, K. (1942): Das Hauptproblem der Mathematik. Unterrichtsblätter für Mathematik und Naturwissenschaften, 48, 177–178. Fladt, K. (1943): Zum Gedächtnis von Bruno Kerst. Mathematik und Naturwissenschaf-ten im Unterricht, 1, H. 3, 7–8. Fladt, K. (1960): Zum Geleit. In W. Lietzmann, Aus meinen Lebenserinnerungen  (S. 3–4). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.  Heske, H. (2015). Und morgen die ganze Welt. Erdkundeunterricht im Nationalsozialis-mus. Norderstedt: Books on Demand.  Heske, H. (2016): Mathematikunterricht im Nationalsozialismus. Ein unbewältigtes Problem der Disziplingeschichte. MNU Journal, 69, 196–199. Heske, H. (2018 a): Völkischer Mathematikunterricht – Walther Lietzmann im Natio-nalsozialismus. In U. Kortenkamp & A. Kuzle (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikun-terricht 2017 (S. 413–416). Münster: WTM-Verlag. Heske, H. (2018 b): Umbruch im mathematischen Unterricht? – Bruno Kersts Forderun-gen an das Schulfach Mathematik im Nationalsozialismus. In Fachgruppe Didaktik der Mathematik der Universität Paderborn (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunter-richt 2018 (S. 779–782). Münster: WTM-Verlag. Lorey, W. (1938): Der Deutsche Verein zur Förderung des mathematischen und natur-wissenschaftlichen Unterrichts e.V. 1891–1938. Frankfurt am Main: Otto Salle. Vogel, R. (Hrsg.) (1938): Festschrift zur 1. Tagung des Reichssachgebietes Mathematik und Naturwissenschaften im N.S. Lehrerbund. München: L. Mößl. 

Kuno Fladt und das Reichssachgebiet Mathematik und Naturwissenschaften im Nationalsozialistischen Lehrerbund

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