Pielsticker, Felicitas

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 Felicitas PIELSTICKER, Siegen „3D-Druck konsequent“ – Ein erweiterter Zugang zur Algebra im Mathematikunterricht einer 8. Klasse Einführung Dieser Beitrag soll einen Einblick geben, wie die 3D-Druck-Technologie einen ergänzenden Zugang zur Algebra im Mathematikunterricht, genauer zum Thema binomische Formeln in einer 8. Klasse ermöglicht und darüber hinaus zu einer Entwicklung mathematischen Wissens in Auseinanderset-zung mit digitalen Werkzeugen führen kann. Dabei wird auch auf die Frage eingegangen, ob und welche Veränderungen von mathematischen Inhalten sich durch das Medium ergeben und wie sich die 3D-Druck-Technologie als paradigmatisches Beispiel für digitale Werkzeuge positiv auf derzeitige Lerneinheiten auswirken könnte.  Die binomischen Formeln – Ein Beispiel Die 1. binomische Formel wurde im Unterrichtsgespräch algebraisch her-geleitet. Dies wurde flankiert durch die bekannte (heuristische) geomet-risch-anschauliche Argumentation. Im Anschluss erhielten die Schülerin-nen und Schüler die Aufgabe, mithilfe des Programms Tinkercad(®) (CAD-Programm) und eines 3D-Druckers die geometrische Argumentation zu ‚materialisieren’; d.h. sie wurden aufgefordert die Teilflächen a2, b2, (zweimal) ab und (a+b)2 entsprechend zu konstruieren und auszudrucken (vgl. Abb. 1). Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten in Partnerarbeit, je-der erhielt abschließend (am nächsten Tag) sein eigenes 3D-gedrucktes Material (Klassensatz).  Abb. 1: Erste binomische Formel, Tinkercad und 3D-gedrucktes Arbeitsmaterial. Im Folgenden wurde dann auch die 2. binomische Formel im Klassenge-spräch auf algebraische Weise hergeleitet und schließlich geometrisch dar-gestellt. Dabei konnte auf das Arbeitsmaterial zur 1. binomischen Formel zurückgegriffen werden. Eine geometrische Argumentation zur Gültigkeit In Fachgruppe Didaktik der Mathematik der Universität Paderborn (Hrsg.)Beiträge zum Mathematikunterricht 2018. Münster: WTM-Verlag 1395 der 3. binomischen Formel war im Unterricht nicht vorgesehen, nichtsdes-totrotz wollten zwei Schüler (Chris und Manuel, Namen geändert) der be-sagten 8. Klasse die geometrische Argumentation unter Einsatz ihres 3D-Druck-Materials eigenständig erarbeiten. Exemplarische Darstellung der Erarbeitungen von zwei Schülern Chris und Manuel besuchen die 8. Klasse einer Sekundarschule. Sie stellten sich im Zusammenhang der oben beschriebenen Unterrichtseinheit die Fra-ge „wie ist das bei der 3. binomischen Formel mit dem Geometrischen“. Dieser Frage nachzugehen war für die beiden Schüler in höchstem Maße intrinsisch motiviert. Sie haben sich eigenorganisiert bei ihrer Zusammen-arbeit gefilmt und die Kamera genutzt um ihre Argumentationsschritte fest-zuhalten und zu erklären. Die beiden Schüler arbeiten dabei alleine, ohne äußere Hilfestellungen. Die Fragestellung bildete für die Schüler einen ech-ten Problemlösekontext. Im nebenstehenden Bild sieht man, wie Chris das Material zur Begründung seiner Aussage verschiebt und zurechtlegt. Er ordnet sein Material zur 1. bi-nomischen Formel wie im nebenstehenden Bild dar-gestellt und sagt „weil das ist ja die Hälfte“. In sei-nem Arbeitsmaterial entspricht der Flächeninhalt von b2 (kleinere quadratische Flächenfigur) (zufäl-lig) der Hälfte von ab (rechteckige Flächenfigur).  Dieses Begründungsvorgehen von Manuel, das sich aus dem spezifischen Aussehen des Arbeitsmaterials ergibt, weil es so aussieht, nennt Schoenfeld naiv-empirisches Vorgehen (vgl. Schoenfeld, 1985). Ein weiterer Diskussi-onsanlass für die beiden Schüler ist Manuels Idee, das „b2 dasselbe ist wie 2b […]“. Gleichzeitig behauptet Manuel „b steht nicht für eine Zahl“. Da-bei ist interessant welches Variablenverständnis Manuel offenbar entwi-ckelt hat.  „Doch, doch doch. Guck. Stell dir mal vor, du hast b. (Zeichnet mit dem Zeigefinger in die Luft den Buchstaben b) über einem Strich, ne. Und du tust noch ein b dazu und dann kommt ein zweiter Strich dazu (malt mit dem Zeigefinger einen Strich in die Luft, von oben nach unten) und dann wird die Fläche ausgemalt (malt mit dem Zeigefinger in der Luft die Fläche aus). (Hält über die ganze Sequenz eines der gedruckten Flächen-figuren, Quader in der linken Hand).“ (Zitat des Schülers Manuel) Offenbar sind die Variablen a, b für Manuel ‚Namen‘ für durch das 3D-Druck-Material gegebene empirische Seitenlängen. Über den ikonischen Zusammenhang dieser Symbole und Manuels ‚Namen’ schaffen die beiden Schüler für sich eine Verbindung zwischen unterschiedlichen Repräsentati-onsebenen (Bruner, 1971). Die Schüler verbinden in ihrem Vorgehen of-1396 fenbar eine symbolische Darstellungsebene mit einer ikonischen, sowie ei-ner enaktiven, wie in Abbildung 2 dargestellt.; Dort ist zu sehen, wie Ma-nuel sein Arbeitsmaterial in ein Merkblatt zur 2. binomischen Formel legt um zu begründen, dass die kürzere Seite der quadratischen Flächenfigur immer „b ist“ und die längere Seite der rechteckigen Flächenfigur immer „a ist“.  Abb. 2: symbolische, ikonische und enaktive Darstellungsebene. Weiterhin versuchen die Schüler Umformungsschritte der symbolischen Darstellungsebene mithilfe des Materials darzustellen, wodurch eine Ver-bindung von symbolischer und enaktiver Darstellungsebene entsteht.  𝑎2-𝑏2  Gleichzeitig zeigt sich für die beiden Schüler hier auch eine Grenze der argumentativen Reichweite des Materials, denn um die Differenz darstellen zu können, wechseln die Schü-ler letztlich auf eine ikonische Darstellungsebene. Die Schüler versuchen das algebraische Schließen mit ihren Flächenfiguren zu interpretieren wodurch die geometrische Darstellungs-ebene hier auf symbolische und enaktive Elemente verweist.  Die besprochenen Punkte zeigen, dass das Thema Bereichsspezifität von Wissen im Umgang mit 3D-Druck-Technologie, die es ermöglicht in vielen mathematischen Themengebieten im Schulunterricht mit Modellen zu ar-beiten, von großer Relevanz für die weitere Forschung im Umgang mit die-sem neuen Medium ist. Hier erscheint die Theorie der Subjektiven Erfah-rungsbereiche als ein passender Rahmen um die damit einhergehenden Herausforderungen an die Entwicklung von vernetztem mathematischen Wissen zu beschreiben (vgl. Bauersfeld, 1985a). Es scheint so, dass die Verfügbarkeit des 3D-gedruckten Materials und dessen wiederholter Ein-satz zu einer Festigung des darauf bezogenen SEB und des Wissens über binomische Formeln führen kann. Herausfordernd wird es aber eben bei-spielsweise dann, wenn für den Schüler Manuel a2 immer das ‚kleinere 1397 Quadrat‘ ist und a2 und b2 auf diese Weise immer ‚Namen‘ für konkrete Flächenfiguren darstellen. Fazit Unterstützt durch das 3D-gedruckte Arbeitsmaterial können inhärente Be-gründungsanlässe geschaffen werden. Schülerinnen und Schülern können das 3D-gedruckte Arbeitsmaterial somit zur Begründung von mathemati-schen Sachverhalten verwenden. Für Chris und Manuel scheint hier ein ho-her Aufforderungscharakter für eine geometrische Begründung der 3. bi-nomischen Formel entstanden zu sein. Weiterhin lässt sich sagen, dass Chris und Manuel in ihrer Erarbeitung klar empirisch (vgl. Schoenfeld 1985) vorgehen. Als ersten Schritt nehmen sie ihr 3D-gedrucktes Arbeitsmaterial zur Hand, legen es vor sich und nutzen dieses Material als Argumenta-tionsgrundlage für ihre Aussagen. Dabei beziehen sie gleichzeitig ihr Wissen über die 1. binomische Formel mit ein, da das 3D-gedruckte Material dar-über erstellt wurde. Die beiden Schüler verhalten sich dabei so, als ob sie einer bestimmten Theorie folgen würden (vgl. Gopnik, 2010). Dabei begründen sie ihre Aussagen häufig mithilfe des Arbeitsmaterials. Hier lässt sich ein empirisches, also an reale Gegenstände gebundenes Vorgehen (vgl. Struve, 1990 & Witzke, 2009, 2012), vermuten. Geht man davon aus, dass im derzeitigen Mathe-matikunterricht häufig eine empirisch-gegenständliche Auffassung von Mathematik vermittelt wird, ergibt sich daraus eine Vielzahl von Heraus-forderungen; so ist ein Arbeitsmittel z.B. immer nur ein Modell und kann nicht alle Eigenschaften eines mathematischen Begriffes oder Satzes auf-zeigen und beinhalten.  Literatur Bauersfeld, H. (1985). Ergebnisse und Probleme von Mikroanalysen mathematischen Unterrichts. In W. Dörfler & R. Fischer (Hrsg.), Empirische Untersuchungen zum Lehren und Lernen von Mathematik (S. 7-25). Wien: Hölder-Pichler-Tempsky. Bruner, J. S. (1971). Über kognitive Entwicklung. In: J. S. Bruner, et al., Studien zur kognitiven Entwicklung (S. 21-53). Stuttgart: Klett.  Gopnik, A. (2010). How babies think. Scientific American, 76-81. Hischer, H. (2018). “Digitale Bildung” – ein Bildungskonzept? GDM-Mitteilungen, 104, 8-17. Schoenfeld, A. H. (1985). Mathematical problem solving. 3. Aufl. San Diego: Academ-ic Press. Struve, H. (1990). Grundlagen einer Geometriedidaktik. Mannheim: BI-Wiss.-Verl. 1398

"3D-Druck konsequent" - Ein erweiterter Zugang zur Algebra im Mathematikunterricht einer 8. Klasse

https://eldorado.tu-dortmund.de/bitstream/2003/37580/1/BzMU18_PIELSTICKER_Algebra.pdf

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