Hoch, Stefan

Reinhold, Frank

Reiss, Kristina

Richter-Gebert, Jürgen

Werner, Bernhard

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 Frank REINHOLD, Stefan HOCH, Bernhard WERNER,  Jürgen RICHTER-GEBERT & Kristina REISS, München Konzeptuelles Verständnis von Brüchen mit Visualisierungen auf iPads fördern: Eine empirische Studie Die dargestellten Ergebnisse sind im Rahmen des von der Heinz Nixdorf-Stiftung geförderten Forschungsprojektes ALICE:Bruchrechnen entstanden. Einleitung Eine tragfähige Vorstellung von Bruchzahlen zu entwickeln stellt für junge Schülerinnen und Schüler häufig eine schwierige Aufgabe dar (Padberg & Wartha, 2017). Man geht davon aus, dass elaborierte Konzepte von rationa-len Zahlen (Behr, Lesh, Post & Silver, 1983) notwendig sind, um einen Na-tural Number Bias (Obersteiner, Van Hoof, Verschaffel & Van Dooren, 2015) zu überwinden. Zusätzlich zu symbolisch repräsentierten Brüchen können ikonische Darstellungen von Bruchzahlen – nachfolgend Visualisie-rungen genannt – gewinnbringend für die Vermittlung eines Bruchzahlbe-griffs sein, insbesondere, wenn Lernende beständig aufgefordert werden, zwischen unterschiedlichen Darstellungen von Brüchen zu wechseln (Lesh, Post & Behr, 1987). Innerhalb der Cognitive Load-Theorie (Sweller, Ayres & Kalyuga, 2011) wird angenommen, dass Menschen nur über ein beschränktes Arbeitsge-dächtnis verfügen und daher keine effektiven Lernprozesse möglich sind, wenn das Arbeiten mit einer Lernumgebung zu einer Überlastung des kog-nitiven Systems führt. In diesem Zusammenhang sprechen instruktionspsy-chologische Theorien ebenfalls für eine Verwendung von Visualisierungen in Lernumgebungen: Im Rahmen der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens (Mayer, 2014) wird davon ausgegangen, dass Texte und Bilder in unterschiedlichen kognitiven Systemen verarbeitet werden, die insbesondere über unterschiedliche Verarbeitungskapazitäten verfügen. Darüber hinaus geht man im Zuge eines integrativen Modells des Text- und Bildverständ-nisses (Schnotz & Bannert, 2003) davon aus, dass deskriptive Texte und depiktionale Bilder zu unterschiedlichen internen Wissensrepräsentationen führen können. Darüber hinaus können interaktive Lernumgebungen auf digitalen Medien so gestaltet werden, dass sie die kognitive Belastung beim Lernen reduzieren können: Im Rahmen einer Embodied Cognition-Theorie (Wilson, 2002) wird angenommen, dass sich zum Kontext kongruente Gesten lernförderlich auf die Entwicklung elaborierter Konzepte auswirken können – z. B. das Schnei-In Fachgruppe Didaktik der Mathematik der Universität Paderborn (Hrsg.)Beiträge zum Mathematikunterricht 2018. Münster: WTM-Verlag 1475 den einer Pizza durch eine Fingerbewegung über einen Touchscreen (kon-gruente Geste) im Gegensatz zur Bewegung einer Maus über einen Bild-schirm (inkongruente Geste). Weiter geht man davon aus, dass eine adaptive Anpassung des Schwierigkeitsgrades an den individuellen Leistungsstand ei-ner Schülerin oder eines Schülers (Moreno, Reisslein & Delgoda, 2006) so-wie erklärendes Feedback (Moreno, 2004) die kognitive Belastung beim Lernen insbesondere für tendenziell leistungsschwächere Lernende reduzie-ren kann. Studiendesign und Forschungsfragen Im Forschungsprojekt ALICE:Bruchrechnen wurde eine interaktive Ler-numgebung zur Verwendung auf iPads – im Folgenden iBook genannt – ent-wickelt, die den oben dargestellten theoretischen Rahmen bezüglich des In-halts, des Designs und der Implementierung berücksichtigt (Reinhold, in Vorb.). Zur Kontrolle von Effekten durch das aufbereitete Unterrichtsmate-rial wurde ein gedrucktes Arbeitsbuch erstellt, das im Inhalt identisch zum iBook ist. Beide Lernumgebungen stehen der Fachöffentlichkeit zur Verfü-gung (Hoch, Reinhold, Werner, Reiss & Richter-Gebert, 2018a, 2018b). Un-ter anderem wurden die folgenden Forschungsfragen untersucht (vgl. Rein-hold, in Vorb.): 1. Existiert ein Zusammenhang zwischen der Fähigkeit mit ikonischen Darstellungen von Bruchzahlen zu operieren und arithmetischen Basis-fähigkeiten im Umgang mit Brüchen? Unterscheidet sich dieser Zusam-menhang für leistungsstärkere und leistungsschwächere Lernende? 2. Lässt sich der Umgang mit Visualisierungen von Brüchen zu Beginn der sechsten Jahrgangsstufe mit einer digitalen Lernumgebung besser fördern als mit traditionellen Schulbüchern? Profitieren Schülerinnen und Schüler hier insbesondere von der Verwendung von iPads? Methode und Stichprobe Insgesamt nahmen 476 Sechstklässlerinnen und Sechstklässler am Gymna-sium und 245 Sechstklässlerinnen und Sechstklässler an der Mittelschule an einer fünfzehnstündigen Intervention teil. Sie wurden auf drei Interventions-gruppen verteilt. In Experimentalgruppe 1 (iPad-Gruppe, NGym = 156, NMS = 107) arbeiteten Schülerinnen und Schüler mit dem iBook auf iPads, in Experimentalgruppe 2 (Arbeitsbuchgruppe, NGym = 182, NMS = 71) wurde das gedruckte Arbeitsbuch verwendet. Eine Kontrollgruppe (NGym = 138, NMS = 67) nutzte traditionelle Schulbücher und Materialien. In einem Posttest bearbeiteten die Sechstklässlerinnen und Sechstklässler sowohl Aufgaben zu 1476 Visualisierungen von Brüchen als auch arithmetische Aufgaben zum Bruch-zahlbegriff. Um mögliche Gruppenunterschiede vor der Intervention auszu-schließen wurde ein Pretest durchgeführt. Ergebnisse Wie erwartet, zeigten sich Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schü-lern am Gymnasium und an der Mittelschule bereits vor der Intervention. In beiden untersuchten Schularten korrelierten die Ergebnisse in Aufgaben zu Visualisierungen von Brüchen und die Ergebnisse in arithmetischen Auf-gaben zum Bruchzahlbegriff signifikant positiv (Reinhold, in Vorb.). Sowohl am Gymnasium als auch an der Mittelschule zeigte sich ein signifi-kanter Haupteffekt des Faktors Gruppe auf die Ergebnisse in Aufgaben zu Visualisierungen von Brüchen. Tatsächlich zeigten sich in Post-Hoc-Analy-sen jedoch unterschiedliche Ergebnisse für tendenziell leistungsstärkere Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sowie eher leistungsschwächere Mittel-schülerinnen und Mittelschüler. So erzielten Schülerinnen und Schüler am Gymnasium signifikant bessere Ergebnisse in Aufgaben zu Visualisierungen als Lernende der Kontrollgruppe, wohingegen der Unterschied zwischen den beiden Experimentalgruppen statistisch nicht relevant war. An der Mittel-schule hingegen erbrachten Schülerinnen und Schüler der iPad-Gruppe sig-nifikant bessere Leistungen als Lernende der beiden anderen Interventions-gruppen, wobei hier der Unterschied zwischen der Arbeitsbuchgruppe und der Kontrollgruppe statistisch nicht relevant war (siehe Reinhold, in Vorb., für eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse). Diskussion Der gefundene Zusammenhang zwischen Fähigkeiten im Umgang mit Visu-alisierungen von Brüchen und arithmetischen Fähigkeiten kann die Forde-rung nach einer Verwendung unterschiedlicher Repräsentationen im An-fangsunterricht der Bruchrechnung (z. B. Behr et al., 1983; Padberg & Wartha, 2017) empirisch fundieren. Die Ergebnisse können dahingehend in-terpretiert werden, dass interaktive Lernumgebungen zur Verwendung auf Tablet-PCs dazu geeignet sind, die Entwicklung des Bruchzahlbegriffs zu Beginn der Jahrgangsstufe 6 zu unterstützen: Sowohl am Gymnasium als auch an der Mittelschule erzielten Schülerinnen und Schüler der iPad-Gruppe bessere Ergebnisse als Lernende der Kontrollgruppe. Allerdings las-sen die Ergebnisse auch vermuten, dass dieser positive Effekt für tendenziell leistungsstärkere Lernende bereits durch ein entsprechend aufbereitetes Ma-terial hervorgerufen werden kann, wohingegen der Einsatz digitaler Medien gerade für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler gewinnbringend 1477 sein kann: Während am Gymnasium keine signifikanten Unterschiede zwi-schen der iPad- und der Arbeitsbuchgruppe festgestellt wurden, ließen sich an der Mittelschule keine statistische relevanten Unterschiede zwischen der Arbeitsbuch- und der Kontrollgruppe finden. Dies eröffnet weiterführende Fragen – z. B. danach warum digitale Medien scheinbar keinen Vorteil für leistungsstärkere Lernende bieten oder in welcher Art und Weise leistungs-schwächere Schülerinnen und Schüler durch den Einsatz des iPads profitie-ren können – die wir in kommenden Forschungsprojekten untersuchen wol-len. Literatur Behr, M., Lesh, R. A., Post, T. R. & Silver, E. (1983). Rational Number Concepts. In R. Lesh & M. Landau (Hrsg.), Acquisition of Mathematics Concepts and Processes (S. 91–125). New York: Academic Press. Hoch, S., Reinhold, F., Werner, B., Reiss, K. & Richter-Gebert, J. (2018a). Bruchrech-nen. Bruchzahlen & Bruchteile greifen & begreifen [Apple iBooks Version] (4. Aufl.). München, Technische Universität München. Hoch, S., Reinhold, F., Werner, B., Reiss, K. & Richter-Gebert, J. (2018b). Bruchrech-nen. Bruchzahlen & Bruchteile greifen & begreifen (3. Aufl.). München, Technische Universität München. doi:10.14459/2018md1436808 Lesh, R., Post, T. & Behr, M. (1987). Dienes revisited: Multiple embodiments in com-puter environments. In I. Wirsup & R. Streit (Hrsg.), Development in School Mathe-matics Education Around the World (S. 647–680). Reston: NCTM. Mayer, R. E. (2014). Cognitive Theory of Multimedia Learning. In R. E. Mayer (Ed.), The Cambridge Handbook of Multimedia Learning (2. Aufl., S. 31–48). New York: Cambridge University Press. doi:10.1017/CBO9781139547369.005 Moreno, R. (2004). Decreasing Cognitive Load for Novice Students: Effects of Explana-tory versus Corrective Feedback in Discovery-Based Multimedia. Instructional Sci-ence, 32(1/2), 99–113. doi:10.1023/b:truc.0000021811.66966.1d Moreno, R., Reisslein, M. & Delgoda, G. (2006). Toward a Fundamental Understanding of Worked Example Instruction: Impact of Means-Ends Practice, Backward/Forward Fading, and Adaptivity. In Proceedings – 36th ASEE/IEEE Frontiers in Education Conference. San Diego: IEEE. doi:10.1109/fie.2006.322285 Obersteiner, A., Van Hoof, J., Verschaffel, L. & Van Dooren, W. (2015). Who can escape the natural number bias in rational number tasks? A study involving students and ex-perts. British Journal of Psychology, 107(3), 537–555. doi:10.1111/bjop.12161 Padberg, F. & Wartha, S. (2017). Didaktik der Bruchrechnung (5. Aufl.). Berlin, Heidel-berg: Springer Spektrum. doi:10.1007/978-3-662-52969-0 Reinhold, F. (in Vorb.). Dissertation. München, Technische Universität München. Schnotz, W. & Bannert, M. (2003). Construction and interference in learning from mul-tiple representation. Learning and Instruction, 13(2), 141–156. Sweller, J., Ayres, P. & Kalyuga, S. (2011). Cognitive Load Theory. New York: Springer. Wilson, M. (2002). Six views of embodied cognition. Psychonomic Bulletin and Review, 9(4), 625–636. doi:10.3758/bf03196322 1478

Konzeptuelles Verständnis von Brüchen mit Visualisierungen auf iPads fördern: Eine empirische Studie

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Konzeptuelles Verständnis von Brüchen mit Visualisierungen auf iPads fördern: Eine empirische Studie

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