Rolfes, Tobias

Sturm, Nina

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 Nina STURM & Tobias ROLFES, Landau Fähigkeiten und Schwierigkeiten von Grundschülerinnen und -schülern im Umgang mit dem Wahrscheinlichkeitsbegriff Schulanfängerinnen und -anfänger bringen bereits Vorerfahrungen zu Zufall und Wahrscheinlichkeit mit (Gasteiger, 2009). Die kindliche Vorstellung über die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen lässt sich zunächst als intuitiv und subjektiv beschreiben (Schipper, 2013). Um stochastisches Denken an-zubahnen und die Kinder zu befähigen, Wahrscheinlichkeiten von Ereignis-sen in Zufallsexperimenten vergleichen zu können (KMK 2005), ist es erfor-derlich, die Kinder zu objektiven und quantitativen Einschätzungen zu füh-ren (Schipper, 2013). Dies schließt den quantitativen Wahrscheinlichkeits-vergleich ein, wenn beispielsweise aus zwei Zufallsgeneratoren der günsti-gere bestimmt werden soll. Schipper empfiehlt, über den klassischen Wahr-scheinlichkeitsbegriff einzusteigen und Wahrscheinlichkeiten als Anteile zu beschreiben. Wollring (1994) beobachtete hinsichtlich des Einschätzens von Gewinnchancen bei einfachen Zufallsexperimenten, dass Kinder zwischen Glücksrädern differenzieren konnten, bei denen die Gewinnchance aufgrund unterschiedlich großer Segmente differierte. Die mathematikdidaktische Forschung konnte beim Wahrscheinlichkeits-vergleich vor allem beim Urnenmodell drei zentrale Strategien bzw. Fehl-strategien identifizieren (Falk, 1983; Watson, Collis, & Moritz, 1997): (S1) Vergleich der Anzahl der günstigen Ergebnisse ohne Berücksichtigung der Anzahl der möglichen Ergebnisse, (S2) Vergleich der Anzahl der ungünsti-gen Ergebnisse ohne Berücksichtigung der Anzahl der möglichen Ergeb-nisse, (S3) Vergleich der Differenzen zwischen der Anzahl der günstigen und der Anzahl der ungünstigen Ereignisse ohne Berücksichtigung der Anzahl der möglichen Ergebnisse. Es stellt sich die Frage, in welcher Art und in welchem Ausmaß Grundschul-kinder die drei (Fehl-)Strategien anwenden und ob sie bereits in der Lage sind, quantitative Wahrscheinlichkeitsvergleiche beim Urnen- und Glücks-radmodell auf Grund von adäquaten Anteilsvergleichen vorzunehmen. Methode Insgesamt nahmen 103 Viertklässlerinnen und Viertklässler aus vier rhein-land-pfälzischen Grundschulen an der Untersuchung teil. Sie bearbeiteten 15 Items zum Wahrscheinlichkeitsvergleich, wobei bei fünf Items die Entschei-dung zusätzlich zu begründen war. Acht Items beschäftigten sich mit Zu-fallsgeneratoren Urne und Glücksrad. Sie bildeten Versuchsausgänge ab, die sowohl mit gleicher als auch mit ungleicher Wahrscheinlichkeit eintreten. In Fachgruppe Didaktik der Mathematik der Universität Paderborn (Hrsg.)Beiträge zum Mathematikunterricht 2018. Münster: WTM-Verlag 1779 Bei der Itementwicklung wurde darauf geachtet, dass parallele Urnen- und Glücksraditems konzipiert wurden, denen vergleichbare Chancenverhältnis-sen zugrunde lagen.   Aus Platzgründen wird sich in diesem Artikel vor allem auf die Analyse zweier strukturparallelen Items zum Urnen- und Glücksradmodell be-schränkt. Bei diesen Items war bei jedem Zufallsgenerator die Wahrschein-lichkeit zu gewinnen und zu verlieren gleich groß, allerdings variierte die Anzahl der möglichen Ereignisse (vgl. Abbildung 1).    Urne 1 Urne 2 Glücksrad 1 Glücksrad 2 Abb. 1: Urnen- und Glücksraditem bei gleichen Wahrscheinlichkeiten Die Kinder sollten in einem geschlossenen Format angeben, ob die Chance zu gewinnen bei Urne 1 (bzw. Glücksrad 1) oder bei Urne 2 (bzw. Glücks-rad 2) am größten ist oder ob die Chance bei beiden Urnen (bzw. Glücksrä-dern) gleich groß ist. Zusätzlich wurde eine Begründung der Antwort einge-fordert. Mit dem Ziel, Strategien bzw. Fehlstrategien aufzudecken, wurden die Begründungen qualitativ analysiert, indem das Causation Coding nach Saldaña (2016) angewendet wurde. Ergebnisse Es zeigte sich, dass die Viertklässlerinnen und Viertklässler insbesondere bei dem präsentierten Itempaar niedrige Lösungsraten erzielten (Glücksrad: 50%; Urne: 41%). Die Lösungsraten bei den anderen administrierten Glücksrad- und Urnenitems lagen zwischen 55% und 87%.  Die richtige Antwortmöglichkeit wurde von ihnen wie folgt begründet:  Urnenitem Glücksraditem Chancenverhältnis (Odds): gleiche Anzahl weißer und schwarzer Ku-geln Flächenvergleich: Fokus auf güns-tige Ergebnisse (gleich viel schwarz) Zufall/Glück Flächenvergleich: Fokus auf güns-tige und ungünstige Ergebnisse (gleich viele Gewinne wie Nieten) Anteile: (1 von 2) und (2 von 4) Zufall/Glück Anm.: Die Reihenfolge gibt die Reihenfolge der Auftretenshäufigkeiten an.  1780 Beim Glücksrad argumentierten 32 von 36 Kinder über einen Flächenver-gleich (z. B. „Wenn man die schwarze Fläche bei Glücksrad 1 zusammentut, dann ist es so viel wie bei Glücksrad 2.“). Bei der Urnenaufgabe begründeten 21 von 30 Kindern ihre Antwort über die Chancenverhältnisse (z. B. „Die Chance zu gewinnen ist gleich groß, weil es jeweils genauso viele schwarze wie weiße gibt.“). Kinder, die den Zufall bzw. das Glück als Begründung heranzogen, argumentierten, dass es „drauf ankommt, ob man Glück oder Pech hat“. Sie wählten somit auf der Grundlage von fehlerhaften Überlegun-gen die richtige Antwortalternative aus. Kinder, die der Auffassung waren, dass die Chance bei Urne 1 mit 4 Kugeln bzw. dem Glücksrad 2 mit 4 Kreissektoren größer ist, begründeten über:  Urnenitem Glücksraditem Gesamtzahl der möglichen Ergeb-nisse: insgesamt weniger Kugeln, daher größere Chance Flächenvergleich: mehr schwarz/ mehr Fläche Anzahl der ungünstigen Ergebnisse: möglichst wenige Nieten Anordnung der Fläche: zusammen-hängend, wenig fragmentiert Mehrstufiges Experiment (im Fall zweimaligen Ziehens) Anzahl der möglichen Ergebnisse:  2 statt 4 schwarze Flächen Anm.: Die Reihenfolge gibt die Reihenfolge der Auftretenshäufigkeiten an. Kinder, die auf Basis eines mehrstufigen Experiments begründeten, äußerten z. B., dass „bei Gefäß 1 die Chance am größten ist, weil ich nur zweimal ziehen muss, um eine weiße Kugel zu ziehen und bei Gefäß 2 dreimal“. Dass die Chance bei Urne 2 bzw. Glücksrad 1 am größten ist, wurde im Ver-gleich zur anderen falschen Lösung seltener vermutet (nUrne = 8 bzw. nGlücksrad = 9). Es konnten zwei Begründungsstrategien identifiziert werden: Urnenitem Glücksraditem Anzahl der günstigen Ergebnisse: möglichst wenig Gewinnkugeln Anordnung der Flächen: möglichst verteilt Lage der Kugeln: man greift nach unten Anzahl der günstigen Ergebnisse: mehr schwarze Segmente Diskussion Eine reine Beurteilung der Schülerfähigkeiten auf der Grundlage von richtig ausgewählten Antworten kann zu falschen Schlussfolgerungen führen. So führt die Vorstellung, dass das Gewinnen und Verlieren immer vom Zufall 1781 und Glück abhängt, und daher die Gewinnchancen für das Verlieren und Ge-winnen bei Urnen- und Glücksradaufgaben immer gleich sind, zu einer kor-rekten Auswahl der Antwortalternativen bei dem präsentierten Item. Ebenso hätte die Differenzstrategie S3 bei dem präsentierten Itempaar zu einer kor-rekten Auswahl der Antwortmöglichkeiten geführt. Ein wenig überraschend konnte allerdings die Anwendung der Differenzstrategie in den Begründun-gen in der vorliegenden Stichprobe nicht identifiziert werden. Auch die Ar-gumentation über Zufall/Glück trat nur vereinzelt auf. Die überwiegende Mehrheit der korrekten Antworten nahm Wahrscheinlichkeitsvergleiche auf der Grundlage von Anteilsvergleichen vor. Es scheint daher, dass Wahr-scheinlichkeitsvergleiche von Urnen- und Glücksradmodelle (vgl. Neubert, 2012) durchaus eine für die Primarstufe adäquate Aufgabenform darstellen, um quantitative Vorstellungen vom Wahrscheinlichkeitsbegriff zu schulen. Hierbei ist für den Unterricht aber von Bedeutung, besonders auf eine kor-rekte Begründung Wert zu legen und eine Argumentation über einfache An-teilsvergleiche (z. B. mehr als die Hälfte, weniger als die Hälfte, genau die Hälfte) anzuregen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Fehlstrategien oder -vorstellungen zum Wahrscheinlichkeitsbegriff gefestigt werden. Literatur Falk, R. (1983). Children’s choice behaviour in problematic situations. In D. R. Grey, P. Holmes, V. Barnett, & G. M. Constable (Hrsg.), Proceedings of the First International Conference on Teaching Statistics (S. 714–716). Sheffield: Teaching Statistics Trust. Gasteiger, H. (2009). Wahrscheinlich unmöglich? Zufallsexperimente in Jahrgangs-stufe 1. Grundschulmagazin, 77(2), 13–16. KMK: Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bun-desrepublik Deutschland (Hrsg.). (2005). Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Primarbereich. München: Luchterhand. Neubert, B. (2012). Leitidee: Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit. Aufgabenbei-spiele und Impulse für die Grundschule. Offenburg: Mildenberger. Saldaña, J. (2016). The coding manual for qualitative researchers (3. Aufl.). Los Angeles: SAGE. Schipper, W. (2013). Handbuch für den Mathematikunterricht an Grundschulen (3.). Braunschweig: Schroedel. Watson, J. M., Collis, K. F., & Moritz, J. B. (1997). The development of chance meas-urement. Mathematics Education Research Journal, 9(1), 60–82.  https://doi.org/10.1007/BF03217302 Wollring, B. (1994). Qualitative empirische Untersuchungen zum Wahrscheinlichkeits-verständnis von Vor- und Grundschulkindern. Westfälische Wilhelms Universität, Münster.  1782

Fähigkeiten und Schwierigkeiten von Grundschülerinnen und –schülern im Umgang mit dem Wahrscheinlichkeitsbegriff

https://eldorado.tu-dortmund.de/bitstream/2003/37723/1/BzMU18_STURM_Wahrscheinlichkeit.pdf

Fähigkeiten und Schwierigkeiten von Grundschülerinnen und –schülern im Umgang mit dem Wahrscheinlichkeitsbegriff

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