Anhaltende Krisen rufen vielfältige Risiken hervor und sorgen für Unsicherheit in Lieferketten. Vertrauen stellt eine wichtige Ressource für die Stabilität von Geschäftsbeziehungen dar. Diese Fallstudie zeigt faire Handelspraktiken und ihren Einfluss auf Vertrauensbildung in Zeiten von Unsicherheit

Busch, Maren

Herzig, Christian

Mühlrath, Daniel

Organic Eprints

16. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau Beitrag wird archiviert unter http://orgprints.org 1  Lieferbeziehungen unter Druck: Eine Bestandsaufnahme fairer Handelspraktiken und ihr Einfluss auf Vertrauensbildung  Busch M1, Mühlrath D1 & Herzig C2 Keywords: Fairness, Veratrauensbildung, Lieferbeziehungen, ökologische Lebensmittelwirtschaft Abstract  Resource scarcity, price volatility and cost pressure from ongoing crises increase uncertainty in supply chains. Trust is an important resource for stability in business relationships. This paper presents the results of an empirical case study on perceived fairness and aspects of trustworthiness which contribute to trust building in regional supply chain relationships. Trading practices are differentiated according to three fairness dimensions together with aspects of trustworthiness from the perspective of buyers and suppliers. Using a conceptual model based on organisational justice theory and trust research, the results show how they contribute to building personal, organisational and institutional trust in supply chain relationships, thereby increasing willingness to collaborate. Einleitung und Zielsetzung  Angesichts weitreichender Auswirkungen von Klimawandel, Pandemien und Krieg geraten Lieferketten vermehrt unter Druck. Volatile Preisentwicklungen und Kostensteigerungen erfordern Geschäftsbeziehungen, die sich durch eine gegenseitige Verantwortungsübernahme und Vertrauen auszeichnen. Dabei beruht Vertrauen auf der positiven Erwartungshaltung an das Verhalten seiner Geschäftspartner trotz des Risikos, dass Erwartungen enttäuscht werden können (Möllering und Sydow, 2005). Diese Erwartungen betreffen nicht nur wirtschaftliche Faktoren, sondern können sich auch auf das soziale Verhalten und Werte der Geschäftspartner richten (Blau, 1964). In der ökologischen Lebensmittelwirtschaft haben faire Handelspraktiken eine lange Tradition. Welche Aspekte diese umfassen und inwiefern sie dazu beitragen dem gestiegenen Marktdruck in Krisenzeiten standhalten zu können, ist Inhalt einer Studie der Universität Kassel, die in Kooperation mit dem FairBio Verein im Jahr 2022 durchgeführt wurde. Ziel ist es, Handelspraktiken zu identifizieren, die aus Sicht von Lieferanten und Abnehmern ökologischer Lebensmittel für den Aufbau von Vertrauen sorgen und dazu beitragen Lieferkettenherausforderungen in Zeiten von Unsicherheit zu bewältigen.  Methodische Vorgehensweise Im Rahmen der fallstudienbasierten Untersuchung wurden im Frühjahr / Sommer 2022 leitfadengestützte Interviews mit fünf Bio-Unternehmen aus den Bereichen Verarbeitung und Vermarktung von Obst, Gemüse, Milch und Getreide und 13                                                  1 Universität Kassel, Ökologische Agrarwissenschaften, Fachgebiet Management in der inter-nationalen Ernährungswirtschaft, Fachgebiet Betriebswirtschaft, Steinstr. 19, 37213, Witzenhausen, Deutschland, maren.busch@uni-kassel.de  2 Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Betriebslehre der Agrar- und Ernährungswirtschaft, Senckenbergstr. 3, 35390 Gießen, Deutschland 16. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau Beitrag wird archiviert unter http://orgprints.org 2  regionalen Lieferanten aus der landwirtschaftlichen Primärproduktion durchgeführt. Der Fokus lag auf ihren jeweiligen Erfahrungen und Erwartungen an die Geschäftsbeziehung. Die aufgezeichneten und transkribierten Interviews wurden anhand einer inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2018) in MAXQDA ausgewertet. Dabei wurden deduktive Kategorien in Anlehnung an Colquitt und Rodell (2011) und Mayer et al. (1995) gebildet. Auf dieser Basis wurde ein Kausalmodell zu Fairness und Vertrauen validiert und erweitert (siehe Abbildung 1). Am Datenmaterial induktiv entwickelte Kategorien ermöglichten die Unterscheidung einzelner Vertrauensdimensionen. Die Interviewergebnisse und das abgeleitete Kausalmodell wurden in einem anschließenden Praxisworkshop mit der Geschäftsführung der befragten Abnehmer und weiterer Bio-Verarbeitungs- und Vermarktungsunternehmen (n=9) validiert und Implikationen für die Stärkung von Vertrauen in ökologischen Lieferbeziehungen abgeleitet. Ergebnisse Die Interviews unterstreichen, wie Aspekte der Vertrauenswürdigkeit und Fairness-Wahrnehmung in einer reziproken Beziehung stehen und je nach Ausprägung persönliches, organisationales und institutionelles Vertrauen aufbauen und verstärken. Die Ergebnisse belegen somit kausale Zusammenhänge von Fairness und Vertrauen (Colquitt und Rodell, 2011). Ferner lassen sich faire Geschäftspraktiken ableiten, die Vertrauen bilden und die Investitions- und Risikobereitschaft sowie nicht-opportunistisches Verhalten in der Geschäftsbeziehung fördern. Damit können bestehende Kausalmodelle um die positiven Effekte von Vertrauen auf die Geschäftsbeziehung erweitert werden. Folglich wächst durch gegenseitiges Vertrauen die Bereitschaft enger zusammen zu arbeiten und Risiken einzugehen (siehe Abbildung 1). Die Befragten heben hervor, dass diese engere Zusammenarbeit wesentlich dazu beiträgt, aktuelle Herausforderungen in den Lieferketten zu überwinden.   Abbildung 1: Fairness und Vertrauen wirken positiv auf Kollaborations- und Risikobereitschaft (erweitert nach Colquitt und Rodell, 2011; Mayer et al. 1995). Die aus den Interviews abgeleiteten fairen Geschäftspraktiken lassen sich nach Colquitt und Rodell (2011) in drei Dimensionen gliedern:  16. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau Beitrag wird archiviert unter http://orgprints.org 3  Verteilungsgerechtigkeit kommt in Preisstrategien zum Ausdruck, mit der alle Beteiligten ein auskömmliches Einkommen erzielen sollen. Die Abnehmer verwiesen dabei primär auf die Vermeidung von marktabhängigen Preisspitzen, die insbesondere von Ereignissen wie Extremwetter, Pandemien oder politischen Konflikten ausgehen. Um für mehr Stabilität zu sorgen, berichteten Lieferanten aus dem Getreidesektor von der Möglichkeit zur Vereinbarung mehrerer Kontrakte, die auf einem Durchschnittspreis basieren und zur Erntezeit nachverhandelt werden können. Beide Seiten betonen die Bedeutung der Bereitschaft für Zugeständnisse hinsichtlich der Preis- und Mengenvereinbarung: Bei Preisdruck von Handelsseite sollten die Abnehmer ihren eigenen Gewinnanteil senken, bei Zahlung über Marktpreis werden Zugeständnisse seitens des Lieferanten in der darauffolgenden Saison erwartet. Ähnliche Preis- und Mengenvereinbarungen lassen sich in der Molkereigenossenschaft zum Umgang mit Preisvolatilitäten und optimaler Planung der zu verarbeitenden Milchmengen identifizieren. Alle Befragten verwiesen im Zusammenhang mit fairer Preisbildung auf die Bedeutung von Transparenz in Verhandlungen, welche die Diskussion von Marktschwankungen auf betriebliche Kennzahlen umfasst. Letztere wurden beispielsweise durch Inflationsausgleichszahlungen oder Dieselaufschläge kurzfristig seitens der Abnehmer gepuffert. Zur Prozessgerechtigkeit zählen Handelspraktiken, die Einflussmöglichkeiten auf Prozesse und Entscheidungen ermöglichen. Die Befragten schilderten die positive Wirkung einer aktiven Einbeziehung in die Planung von Liefermengen- und Qualitäten und die Gestaltung von Kontrakten auf die Geschäftsbeziehungsqualität. Dadurch könnten betriebliche Planungsprozesse beidseitig optimiert werden, was die Bedürfnisberücksichtigung kleinerer Lieferanten einschließt. Insbesondere die befragten Milchproduzenten heben die Bedeutung von Prozessgerechtigkeit hervor, da sie als Genossenschaftsmitglieder aktiv in Entscheidungsprozesse bei Investitionen oder der Mengenregulation zur Vermeidung von Überproduktion einbezogen werden. Obst- und Gemüselieferanten verwiesen auf die Möglichkeit zur Vereinbarung von ein- oder mehrjährigen Kontrakten und mündlichen Rahmenverträgen, die zur Erntezeit gemeinsam mit den Abnehmern konkretisiert werden. Lagerkapazitäten- und Engpässe sollten berücksichtigt werden, indem frühzeitig Verarbeitungstermine außerhalb der Stoßzeiten sowie Möglichkeiten zur Abnahme von Übermengen mitgeteilt werden. Die von den Befragten genannten Aspekte, die einen transparenten Informationsaustausch, die Erreichbarkeit und schnelle Bearbeitung von Anliegen sowie Respekt und Aufrichtigkeit innerhalb der Geschäftsbeziehung betrafen, können als Interaktionsgerechtigkeit verstanden werden. Sowohl Lieferanten als auch Abnehmer verwiesen auf die Wichtigkeit eines regelmäßigen Austausches über Marktveränderungen, betriebliche Herausforderungen und Lieferbedingungen. Laut Befragten aus dem Getreidesektor und dem Obst- und Gemüsesektor kann dieser Austausch durch jährliche Erntegespräche mit Erzeugergemeinschaften, aber auch durch direkte persönliche Betriebsbesuche gewährleistet werden. Mehrere Lieferanten aus allen drei Bereichen erkannten einen Bedarf für eine (stärkere) Nutzung von digitalen Kommunikationskanälen, bis hin zur Schaffung einer gemeinsamen Austauschplattform. Dies unterstreicht zum einen den verstärkten Wunsch nach kurzen Kommunikationswegen zur rechtzeitigen Mitteilung über Qualitäts- und Mengenschwankungen. Zum anderen soll dies eine transparente jederzeit zugängliche Einsicht in Lieferbedingungen, Auswertungen von Qualitätsprüfungen, Preis- und Mengenkalkulationen oder in Ergebnisse aus Strategiegesprächen zwischen Verarbeitern und deren Abnehmern aus dem Lebensmitteleinzelhandel ermöglichen. Abnehmer hingegen betonten die Bedeutung von Ehrlichkeit bei Preisabsprachen, aber auch die rechtzeitige Mitteilung von Qualitäts- und Mengenabweichungen.  16. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau Beitrag wird archiviert unter http://orgprints.org 4  Des Weiteren lassen sich aus der Datenanalyse Erkenntnisse über Aspekte der Vertrauenswürdigkeit der Geschäftspartner ableiten. Diese wird aus Sicht der Lieferanten besonders durch die Bereitschaft zur Abnahme von Übermengen und Zugeständnissen bei Preis- und Mengenverhandlungen sowie eine schnelle Zahlungsabwicklung erhöht (Fürsorge, Wohlwollen). Als förderlich wurden auch die Verfügbarkeit von Transport- und Lagerkapazitäten, Vermarktungskompetenzen sowie Erfahrungen im Umgang mit Qualitäts- und Mengenschwankungen angesehen (Fähigkeiten). Abnehmer verwiesen auf die Integrität der Lieferanten, die sich durch Liefertreue und Gewissenhaftigkeit ausdrückt. Beidseitig wurde das Verantwortungsbewusstsein für die Bedürfnisse der gesamten Kette sowie der Erhalt des gemeinsamen Werteverständnisses trotz steigendem Wettbewerbsdrucks betont. Die befragten Betriebe blicken oftmals auf langjährige Geschäftsbeziehungen von mehr als 10 Jahren zurück, die von persönlichen Beziehungen und regelmäßiger Kommunikation geprägt sind. Die Kommunikation betrifft dabei nicht nur die direkte Abwicklung von Lieferaufträgen, sondern ermöglicht den Geschäftspartnern ebenfalls direkte Einblicke in ihre jeweiligen betrieblichen Herausforderungen und strategischen Entscheidungen. Laut den Befragten entsteht dadurch persönliches Vertrauen in einzelne Personen. Durch Verlässlichkeit und die Bereitschaft für Zugeständnisse kann wiederum organisationales Vertrauen gestärkt werden. Weiterhin zeigen die Ergebnisse, dass geteilte Moral- und Wertvorstellungen den Aufbau von institutionellem Vertrauen unterstützen.  Schlussfolgerungen und Fazit Aus der Analyse der Perspektiven von Abnehmern und deren Lieferanten geht hervor, dass Vertrauen in Lieferbeziehungen die Bereitschaft zum gemeinsamen Umgang mit Risiken erhöht und somit für Stabilität und Kontinuität bei Marktschwankungen sorgen kann. Es wird beleuchtet, wie faire Handelspraktiken positiv auf die Vertrauensbildung wirken. Dies kann die Kollaborations- und Risikobereitschaft beider Seiten erhöhen und dabei helfen, Herausforderungen zu überwinden, was insbesondere unter den aktuellen, volatilen Rahmenbedingungen eine besondere Bedeutung erfährt. Langjährig gewachsene, kollaborative Geschäftsbeziehungen, die in der ökologischen Lebensmittelwirtschaft schon lange zum Einsatz kommen, können richtungsweisend für eine nachhaltige Agrar- und Ernährungswirtschaft sein, auch im Hinblick auf die Einhaltung neuer gesetzlicher Regelungen wie die UTP-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken oder Lieferkettengesetze.  Literatur Blau PM (1964) Exchange and Power in Social Life. Transaction Publishers, New York. Colquitt JA & Rodell JB (2011) Justice, Trust, and Trustworthiness: A Longitudinal Analysis Integrating Three Theoretical Perspectives. Academy of Management Journal, 54(6): 1183–1206.  Kuckartz U (2018) Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. 4. Auflage. Beltz Juventa, Weinheim, Basel. Mayer RC, Davis JH & Schoorman FD (1995) An integrative model of organizational trust. Academy of Management Review, 20(3): 709–734.  Möllering G & Sydow J (2005) Kollektiv, kooperativ, reflexiv: Vertrauen und Glaubwürdigkeit in Unternehmungen und Unternehmungsnetzwerken. In: Dernbach B & Meyer M (Hrsg) Vertrauen und Glaubwürdigkeit: Interdisziplinäre Perspektiven. VS Verlag für Sozialwissenschaften: 64-94. 

Lieferbeziehungen unter Druck: Eine Bestandsaufnahme fairer Handelspraktiken und ihr Einfluss auf Vertrauensbildung

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Lieferbeziehungen unter Druck: Eine Bestandsaufnahme fairer Handelspraktiken und ihr Einfluss auf Vertrauensbildung

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