Wie steht es um die Pestizidbelastung der landwirtschaftlichen Böden in Europa? Und was bedeutet dies für die Biowertschöpfungskette? Mirjam Schleiffer und Bernhard Speiser vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL gehen der Sache auf den Grund

Schleiffer, Mirjam

Speiser, Bernhard

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36ÖKOLOGIE & LANDBAU 04 |  2023 www.soel.deGRUND & BODEN | PESTIZIDE IN BIOBÖDENChemisch-synthetische Pestizide dürfen im Bioland-bau nicht eingesetzt werden. Trotzdem finden sich gemäß der Europäischen Behörde für Lebensmittel-sicherheit EFSA in etwa sechs Prozent aller Biolebensmittel Rückstände. Bei einem Nachweis von Pestizidrückständen müssen die Produzent*innen und die Kontrollstelle die Ursa-chen abklären. Diese Untersuchungen sind oft langwierig und teuer. Dabei ist lediglich ein geringer Teil der Rückstandsfälle auf eine Missachtung der Biorichtlinien zurückzuführen, wäh-rend ein viel größerer Teil auf unbeabsichtigte Kontaminatio-nen aus der Umwelt zurückzuführen ist. Dabei spielen verschie-dene Eintragswege eine Rolle. In diesem Artikel gehen wir der Frage nach, wie stark landwirtschaftliche Böden mit Pestiziden belastet sind und was dies für die Bioproduktion bedeutet.Von Altlasten bis AbdriftPestizide in Bioböden können verschiedene Ursachen haben. Für den größten Teil der Belastung sind Anwendungen von Pestiziden vor der Umstellung, sogenannte Altlasten, verant-wortlich. Bei Pestizidanwendung gelangen etwa 50 Prozent des ausgebrachten Wirkstoffs in den Boden. Bei direkter Be-handlung der Böden, etwa mit Schneckenkörnern, ist dieser Anteil deutlich höher. Neben Altlasten können Pestizide in Böden auch auf Abdrift oder Bewässerungswasser zurückzu-führen sein (siehe Abbildung). Wie groß der Einfluss dieser Eintragswege ist, ist jedoch unklar.Einmal im Boden können sich Pestizide verflüchtigen, abbau-en, an Bodenpartikel binden, mit dem Wasser weggespült oder von Pflanzen oder anderen Organismen aufgenommen werden. Die sogenannte Mobilität eines Pestizids im Boden hängt stark von den Bodeneigenschaften, den landwirtschaft-lichen Praktiken sowie von den physikalisch-chemischen Ei-genschaften des Wirkstoffs selbst ab. Als Ergebnis all dieser Prozesse können einige Pestizide innerhalb weniger Tage aus dem Bodenökosystem verschwinden, während andere jahr-zehntelang bestehen bleiben.Belastung in EuropaPestizide werden in landwirtschaftlichen Böden Europas häu-fig gefunden. Man geht davon aus, dass der Großteil der Pes-tizide in der Umwelt in Böden und Sedimenten sind. Eine europäische Studie zeigt, dass gut 80 Prozent der landwirt-schaftlichen Böden mindestens ein Pestizid enthalten. Knapp 60 Prozent der Böden enthalten sogar mehrere Pestizide.Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass Bioböden ähnlich häufig Pestizide aufweisen wie konventionell bewirt-schaftete Böden. Eine Studie in der Schweiz hat insgesamt 100 biologische und konventionelle Böden auf deren Pestizid-belastung untersucht und fand Rückstände in allen Proben (Riedo et al., 2021) – auch in Böden, die seit über 20 Jahren ökologisch bewirtschaftet werden. Eine andere Schweizer Studie aus dem Jahr 2015 wies in 93 Prozent der untersuchten Bioböden und in 100 Prozent der konventionellen Böden Ne-onicotinoide nach (Humann-Guilleminot et al., 2019). Jedoch finden die beiden Studien auf den Biofeldern im Schnitt nur halb so viele Substanzen wie auf den konventionellen Feldern, und die Konzentrationen waren etwa zehnmal geringer. Folg-lich scheinen Bioböden zwar ähnlich häufig Rückstände auf-zuweisen, aber die Belastungssituation ist hinsichtlich Kon-zentration und Anzahl der Substanzen deutlich niedriger.Ein unvermeidbares RisikoWie steht es um die Pestizidbelastung der landwirtschaftlichen  Böden in Europa? Und was bedeutet dies für die Biowertschöpfungskette?  Mirjam Schleiffer und Bernhard Speiser vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) gehen der Sache auf den Grund.37 ÖKOLOGIE & LANDBAU 04 |  2023www.soel.deVom Boden in die PflanzePestizide in Böden können landwirtschaftliche Kulturen auf verschiedenen Wegen kontaminieren. Sie können über die Wurzeln oder über Bodenpartikel, welche an der Pflanzenober-fläche haften, aufgenommen werden. Letzteres geschieht durch Winderosion, Regenspritzer, mechanische Störungen (beson-ders bei der Ernte) oder weidende Tiere und betrifft vor allem kleine Pflanzen bis 50 Zentimeter Höhe.Wie stark Pestizide durch das Wurzelsystem aufgenommen wer-den, ist nur an Einzelbeispielen untersucht worden. Die Aufnah-me und Akkumulation von Pestiziden variiert stark je nach Wirkstoff, Boden, Umwelt und Kulturpflanze. Generell beein-flusst die Bioverfügbarkeit im Boden die Aufnahme einer Ver-bindung stark. In Böden mit geringem organischen Material oder Tonanteil nehmen Pflanzen Pestizide leichter auf. Auch gibt es Hinweise, dass Pflanzen mit einer erhöhten Transpirationsra-te zu einer höheren Aufnahme von Schadstoffen neigen. Inner-halb der Pflanze werden Pestizide über das Gefäßsystem trans-portiert und können so auch in Früchte oder Körner gelangen.Auswirkungen auf den BiosektorAngesichts der weitverbreiteten Bodenkontamination bleiben Biobetrieben nur begrenzte Möglichkeiten, um das Risiko von Pestizidrückständen zu verringern. Die Untersuchung der eigenen Böden auf Pestizide ist interessant, aber kostspie-lig und erfordert zahlreiche Analysen aufgrund der kleinräu-migen Unterschiede in der Konzentration. Zudem ist es schwer einzuschätzen, welches Risiko eine gemessene Boden-kontamination für die Kulturen darstellt.Bei Kenntnis einer Vorbelastung des Bodens sollte man das Erntegut durch ein Pestizid-Screening untersuchen las-sen, besonders bei Kürbisgewächsen, von welchen man weiß, dass sie Schad-stoffe aus dem Boden aufnehmen. Ein FiBL-Merkblatt gibt praktische Hinwei-se zur Risikominimierung (Wyss et.al., 2012).Was wir hier anhand der Böden exemp-larisch zeigen, trifft auch auf Luft oder Gewässer zu: Pestizide sind in der Um-welt allgegenwärtig und es gibt kaum allgemeine Aussagen über ihre regiona-le Verteilung oder ihr Verhalten. Für Biobetriebe bleibt folglich ein gewisses Maß an Kontamination technisch un-vermeidbar.Für den Biosektor bedeutet das: Erstens sind Pestizidrückstände in Bioproduk-ten angesichts der verbreiteten Umwelt-belastung noch lange kein Beweis für Betrug. Zweitens unter-liegen alle Bioprodukte einem gewissen Kontaminationsrisiko aus der Umwelt. Daher ist eine „Nulltoleranz“ für Pestizid-rückstände auf Biolebensmitteln für Produzent*innen aktuell nicht erfüllbar. Drittens variiert das Kontaminationsrisiko je nach Region, Kulturpflanze, Anbaubedingungen und Subs-tanz stark, sodass es nicht möglich ist, mithilfe eines einzel-nen Schwellenwerts Betrugsfälle von unvermeidbaren Konta-minationen zu unterscheiden. Das zuverlässigste Vorgehen ist eine Einzelfalluntersuchung, bei der Beweise für oder gegen alle möglichen Ursachen für einen Pestizidrückstand gesam-melt werden. Schlussendlich bleibt es aber eine große Heraus-forderung, den genauen Ursprung eines Rückstands zu be-stimmen und festzustellen, ob er auf Betrug zurückzuführen oder technisch unvermeidbar ist.  Z Der Artikel ist Teil einer umfassenderen Arbeit, die in  Environmental Pollution erschienen ist  (abrufbar unter t1p.de/schleiffer-speiser).  Z Liste der zitierten Literatur: oekologie-landbau.de/materialienMirjam Schleiffer und Bernhard Speiser, beide Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), Frick, Schweiz, mirjam.schleiffer@fibl.orgFOTOS:  Marzena Seidl, privatPESTIZIDE IN BIOBÖDEN | GRUND & BODENDer Eintrag von Pestiziden in das System ist rot dargestellt. Die Pfeile symbolisieren Verteilungsprozesse. Durchgezogene Pfeile stellen absichtlichen Pestizideintrag dar, gestrichelte Pfeile stehen für unbeabsichtigte Verteilung. Quelle: FiBL Abbildung: Verteilung von Pestiziden zwischen Umwelt und Nahrungskette LagerschutzmittelKreuz-kontaminationNiederschlag und AblagerungNiederschlag und AblagerungHinunterspülen AufnahmeBewässerungOberflächenabfluss,  Drainage, Auswaschung, Erosion WinderosionBlatt-anwendungBoden- anwendungSaatgut-behandlungAbdrift und FerntransportKonventionelleKulturenBodenWert-schöpfungskette• Lagerung• Transport• VerarbeitungBiokulturen und BiolebensmittelPestizid-anwendungWasser• Oberflächenwasser• GrundwasserLuft• Umgebungsluft• Regenwasser

Ein unvermeidbares Risiko

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