Es hat lange gedauert, bis Nachhaltigkeit zu einem ernsthaften Thema der Kulturpolitik wurde. Seit 2022 gehört das 35 Jahre alte Zukunftskonzept zu den Top‑4-Prioritäten des „Work Plan for Culture“ der Europäischen Union. Das könnte auch die 27 Mitgliedsländer ermutigen, ihre Kulturpolitik auf neue Füße zu stellen

Weiß, Ralf

German

Ökologisches Wirtschaften (E-Journal)

 B ereits über ihren „Work Plan for Cul-ture 2019–2022“ hatte die Europäi-sche Union in ihrer Kulturpolitik zwei Prioritäten auf Nachhaltigkeit gesetzt: Nachhaltigkeit im Kulturerbe und Kultur als Treiber einer Nachhaltigen Entwick-lung. Zwei OMC-Arbeitsgruppen hatten hierzu im vergangenen Jahr Ergebnis-berichte ihrer jeweils zweijährigen Mit-glieds- und Expertenanhörungen veröf-fentlicht, die sowohl beispielhafte An-sätze als auch Handlungsempfehlungen enthalten. Die von Expert/innen aus al-len Mitgliedsstaaten erarbeiteten „Ele-ven Messages for and from Europe“ fan-den vermutlich nicht nur in Deutsch-land keine besondere Beachtung, obwohl beide Arbeitsgruppen sogar unter deut-schem Vorsitz gestanden hatten. Auch zwei weitere internationale Kulturgipfel, das erste G20-Treffen der Kulturminis-ter im Jahr 2021 in Rom und die „World Conference on Cultural Policies and Sus-tainable Development“ (MONDIACULT) 2022 in Mexiko hatten in den vergange-nen Jahren ihren Fokus in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz gestellt.Europäische Impulse für die KulturpolitikMit der Veröffentlichung des neuen „Work Plan for Culture 2023–2026“ stel-len sich insofern die beiden Fragen, wie die europäische Kulturpolitik ihre Priori-tät Nachhaltigkeit konkretisiert hat und ob andererseits Nachhaltigkeit in Mit-gliedsländern wie Deutschland eben-falls eine ähnliche Priorität in der Kul-turpolitik bilden. Im neuen Work Plan hat die Europäische Union Culture for the planet: Unleashing the power of culture als eine von vier kulturpolitischen Prioritä-ten der nächsten Jahre definiert. Auch die Kulturpolitik stellt damit große glo-bale Herausforderungen in den Mittel-punkt ihrer Arbeit. Im Handlungspro-gramm spiegelt sich das unter anderem beim Klimaschutz in der Kultur und im Kulturerbe oder bei einer grünen Trans-formation des Kultursektors wider. Dies ist durchaus im Zusammenhang mit der Rolle der Kultur in den internationalen Beziehungen zu sehen.Während in der deutschen Kulturpoli-tik sowohl auf Ebene des Bundes als auch der Länder ganz frisch neue Referate und Referatszuschnitte zu Kultur und Nach-haltigkeit gebildet wurden, lässt sich der Stellenwert der kulturellen Dimension von Nachhaltigkeit in der deutschen Kul-turpolitik andererseits auch daran able-sen, dass auf nationaler Ebene kaum eine Auseinandersetzung mit der Nachhaltig-keitspriorität des neuen Work Plan for Culture erfolgt wie auch die vom Bund benannten Expert/innen nur wenig Prä-senz in den OMC-Arbeitsgruppen für Nachhaltigkeit gezeigt hatten. Im Vorder-grund der noch im Aufbau befindlichen Nachhaltigkeitsstrukturen der Kulturpo-litik stehen weniger kulturpolitische Stra-tegien und Handlungsprogramme als einzelne Instrumente wie ein kulturspe-zifischer Klimarechner oder eine am Mo-dell der britischen NGO „Julie’s Bicycle“ angelehnte Anlaufstelle „Green Culture“. Eine nachhaltige Kulturpolitik zeigt sich bisher primär als nachholende Umwelt-politik, die deren etablierte Instrumente reflexhaft auf Akteur/innen des Kultur-bereichs überträgt, ohne die grundsätzli-chen Unterschiede zwischen energiein-tensiven Industrieunternehmen und der Wirkmächtigkeit von Kunst und Kultur angemessen in den Blick zu nehmen.Kulturelle Dimension in der deutschen Nachhaltigkeits-strategie stärkenDer neue Work Plan for Culture der EU und seine Priorität Culture for the Planet sollten insofern Anlass sein, sich in der deutschen Kulturpolitik mit den Impulsen der EU auseinanderzusetzen und Kulturpolitik im Hinblick auf eine grundlegende Transformation unserer Welt neu auszurichten. Um eine Prio-rität Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der deutschen Kulturpolitik zu fundieren und in die europäische Kulturpolitik ein-fließen zu lassen, wäre die Einsetzung einer Expertengruppe zur Erarbeitung eines nationalen Plans für Nachhaltig-keitskultur ein nächster Schritt. Der ge-startete Prozess der Weiterentwicklung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie bietet hierfür eine zusätzliche Gelegen-heit, die kulturelle Dimension von Nach-haltigkeit umfassend in eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie aufzunehmen und zu einem integralen Bestandteil zu machen. Die längerfristige Aufgabe wird darin bestehen, nachhaltige Kulturpolitik als neue Kulturpolitik zu entwickeln und sie als Weltinnenpolitik zu verstehen.Strategischer Rahmen für die Kulturpolitik der EUNachhaltigkeit als Priorität der europäischen und deutschen Kulturpolitik?Es hat lange gedauert, bis Nachhaltigkeit zu einem  ernsthaften Thema der Kulturpolitik wurde. Seit 2022 gehört das 35 Jahre alte Zukunftskonzept zu den Top­4­Prioritäten des „Work Plan for  Culture“ der Europäischen Union. Das könnte auch die 27 Mit­gliedsländer ermutigen, ihre Kulturpolitik auf neue Füße zu stellen.Von Ralf WeißAUTOR + KONTAKTDr. Ralf Weiß ist Geschäftsführer des wissen­schaftlichen Büros REFLEXIVO und Mitglied des European Expert Network on  Culture (EENC) und Vorsitzender des Netzwerks  Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur (2N2K Deutschland e. V.).REFLEXIVO Büro für Innovation und Wandel, Heinz­Röttger­Str. 1, 06846 Dessau­Roßlau. Tel.: +49 340 55619017, E­Mail: Ralf.Weiss@reflexivo.de11ÖkologischesWirtschaften   3.2023 (38)AKTUELLE BERIchTEDOI 10.14512/OEW380311

Nachhaltigkeit als Priorität der europäischen und deutschen Kulturpolitik?

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Nachhaltigkeit als Priorität der europäischen und deutschen Kulturpolitik?

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